Ab Broome die Küste runter

30. Juni 2023

Etwas Gegenwind und ein interessanter Zeltnachbar

War es im Outback in der Nacht bis auf das Vorbeifahren vereinzelter Road Trains absolut ruhig, so ist es in der Stadt doch entschieden lauter. Auch wenn der Overflow-Platz etwas am Rande lag, so war dennoch immer Verkehrslärm zu hören. Und was man nicht oder nicht mehr gewohnt ist, fällt einem dann sofort auf, und es störte mich auch ein wenig. Doch ausgeschlafen war ich am Morgen dennoch, nur halt früher wach.

 

Mit Packen konnte ich mir Zeit lassen. Das abgesperrte Tor des Parks wurde erst um 7 Uhr geöffnet. Und dann ging es los, jetzt mit Hauptrichtung Süden. Vorher sprach mich noch ein Mann an. Er meinte, mich mit seinem Caravan auf der Strecke irgendwo überholt zu haben. Ja, Radfahrer kann man sich hier eher merken, war mein Kommentar. Da musste er lachen. Ich sei tatsächlich der Einzige gewesen. Und wahrscheinlich sei es kein Wettbewerb, an dem ich teilnehme, jedoch „a competition with myself“. So stelle er sich das Radfahren hier in dieser Gegend vor. Dieser Vergleich gefiel mir. Etwas Wahres war da dran.

 

Kaum war ich aus der Stadt draußen und in meinem Rhythmus unterwegs, machte sich Gegenwind bemerkbar. Zuerst nur ein wenig, doch zunehmend mehr. Ich musste zwei Gänge höher fahren als normal. Es kam mir vor, als ob der Wind von meinem Ruhetag erfahren hätte, und mich jetzt austesten wollte. Genug Anlauf konnte er dafür ja nehmen. Das Gelände war topfeben. Rundum eine unendliche Weite. Kein Busch und kein Baum, nur Grasland.

 

Den Wettkampf mit dem Wind hatte ich nicht aufgenommen. Es war zwar anstrengender als sonst, doch vorwärts kam ich auch, nur langsamer. Gegen Mittag ging das Grasland in die gewohnte Buschlandschaft über. Damit gab es auch weniger Wind. Und erfreulicherweise wichen auch die Wolken. Die Sonne kam durch. Es wurde heiter, die Farben intensiver, die Landschaft freundlicher. Richtig gefällig, hörte ich mich selbst zu mir sagen.

 

Am Rastplatz traf ich auf Chris. Er hatte mich einige Kilometer davor mit seinem Motorrad überholt und gewunken. Also stellte ich mein Zelt neben seinem auf, und sah mir auch sein Motorrad oder Moped genauer an. Es war eine Honda mit 110 Kubikzentimeter Hubraum und schon fast 20 Jahre alt. Stolz stellte er mir sein „Farmerbike“ vor. Und sich selbst auch: Arbeitslos und ohne Wohnsitz, und schon das dritte Mal rund um Australien am Weg. Mit seiner Honda jetzt so um die 60 Kilometer pro Stunde. Leider habe ich nicht mitgeschrieben, als er so nebenbei und im Laufe des Abends immer mehr von seiner Ausrüstung zeigte, oder Tipps zum Besten gab. Einer davon war der mit der transportablen, faltbaren Waschmaschine: Zum Wäschewaschen gebe er die Kleidung mit Waschpulver und Wasser in einen großen Drybag, verschließe ihn, und schüttle ihn dann je nach gewünschtem Waschgang entsprechend lange. Man muss sich zu helfen wissen. Imponiert hat mir jedoch am meisten, als er vor dem Essen mit Seife seine Hände wusch. Ich war da schon mit verschwitzten, klebrigen Fingern an meinen Baked Beans mit Brot dran, und machte mir über Hygiene keine Gedanken.

 

1. Juli 2023

Wind als Spielverderber

Schon gleich am Abend zu früher Stunde merkte ich, dass mein Zeltnachbar beim Schlafen lauter ist als beim Fahren mit seinem Moped. Kräftiges Schnarchen, das wohl auch alle Leute in den Caravans am Rastplatz irritiert haben muss. Doch am Morgen grüßten alle ganz freundlich. Demnach war es doch nicht so laut. Oder nur für mich unmittelbar daneben.

 

Am Morgen war es dann ein Baby in einem Wohnwagen, das dem Zwitschern der Vögel zuvorkam. Es war noch leicht dunkel, als es mit seinem Singsang begann. Später staunte ich, dass aus dem kleinen Wohnwagen gleich noch vier weitere Kinder ausgestiegen waren. Die letzte war die Mutter, die mit einem Pack Windeln in den Jeep nach vorne wechselte.

 

Schon beim Zusammenpacken merkte ich, dass es kräftig windete. Doch der klarblaue Himmel und die leicht wärmende Sonne hielten meine gute Laune hoch. Es war offenes Weideland, durch das die einzige Straße hier an der Küste nach Süden führt. Im Busch oder auf den offenen Flächen waren keine Rinder zu sehen. Nur auf der Straße, als Kadaver in allen Verwesungsstadien. Der Wind trieb mir ihren Geruch schon zu, noch bevor ich sie sehen konnte. Manche Tiere wurden offensichtlich mit einem Bagger vom Straßengraben weiter in den Busch hineingeschoben. Das war an den Spuren im roten Sand zu erkennen. Dort lässt man sie dann liegen, oder die Natur weiter walten.

 

Das Fahren war heute sehr mühsam. Denn der Wind kam böig von schräg vorne. Nicht gerade aus einer von mir gewünschten Richtung. Als ich dann irgendwann bei einer Pause Uhrzeit und Kilometerstand checkte, war die Luft zum Weiterfahren draußen. Bis zum nächsten Roadhouse geht es sich bei dem Wind heute nicht mehr aus, musste ich etwas enttäuscht feststellen. Vielleicht noch eine oder zwei Stunden am Rad, und dann einen Zeltplatz suchen, war der neue Plan. Kaum wieder losgefahren, hielt ein Arbeiter vom Straßendienst auf der anderen Seite an. Er fragte, ob alles ok sei, oder ob ich Wasser brauche. Vielleicht hat er mir schon von weitem angesehen, dass mein Tritt müde und lustlos wirkte. Die drei Flaschen Wasser nahm ich gerne an. Er hatte sie in einem Kühlschrank in seinem Auto gelagert. Ich freute mich, auch wenn ich mit dem Trinken zuwarten musste. Denn das Wasser war so wie angepriesen, eiskalt, nur noch nicht gefroren.

 

2. Juli 2023

Topfeben und gerade

Als ich in der Nacht nach draußen schaue, lacht mich der Mond vom Sternenhimmel an, so als ob er gleich platzen würde. Es ist bald Vollmond. Viel runder kann er wohl nicht mehr werden. Es ist ganz still. Kein Wind ist mehr zu hören oder zu spüren, was mich sehr erstaunt. Denn noch beim Aufstellen des Zeltes war es ganz böig. Ich habe das Zelt nicht nur am Boden, sondern mit den Leinen auch noch an erreichbaren Ästen in der Nähe verankert. Doch das war wohl keine so gute Idee. Es stand damit nahe und leicht windgeschützt zu den Büschen. Am Morgen war das Außenzelt taunass. Ein offener Platz im Wind wäre vielleicht besser gewesen.

 

Mit wärmender Sonne im Rücken packte ich meine Sachen ein. Und pünktlich zum Losfahren wollte auch der Wind mit. Oder vielmehr, kam er mir entgegen. Leichter Gegenwind ließ mich kräftig strampeln. Die Mütze und den Pullover hatte ich bald wieder ausgezogen. Doch ganz so schlimm wie gestern war der Wind nicht. Ich kam voran. Und gegen Mittag nahm die Straße einen mehr westlichen Verlauf. Damit hatte ich ihn nun von schräg hinten. Welch Freude. Es kam mir fast wie Fliegen vor, allerdings ohne abzuheben.

 

Beim Sandfire Roadhouse machte ich Pause. Es ist die einzige Tankstelle zwischen Broome und Port Hedland. Entsprechend lang war die Schlange bei der Zapfsäule. Auch die Caravans brauchen für die 600 Kilometer ordentlich Sprit. Und ich kaufte ebenfalls ordentlich ein. Orangensaft, Limo, Wasser, Snickers, Sandwiches und Dosenspaghetti in Tomatensoße standen am Zettel zum Mitnehmen. Und zum gleich Verputzen ein Veggieburger mit Hot Chips. Die Rechnung warf ich sofort weg. Den Betrag wollte ich nicht noch einmal sehen. Die Roadhouses wissen um ihre Sonderstellung auf den Straßen im Outback und langen kräftig zu.

 

Die Landschaft war topfeben. Weit, weit, weit, und nach hinten, von wo ich hergekommen bin, schaute es auch weit aus. Unglaublich. Als sie in Broome zu mir sagten, dass auf dieser Strecke nichts sei, hatte ich noch keine Vorstellung. Doch jetzt weiß ich es, was man damit meint. Oder sie hier damit meinen. Eine gerade Straße mit hellem Belag, in der Mitte eine unterbrochene, an den Rändern zwei durchgezogene weiße Linien als Begrenzung, und links und rechts leicht abfallend, breite, rote, steinigsandige Flächen als Übergang zum Busch oder zum Grasland. Die paar wenigen Seitenstraßen zur Küste hin waren alle nicht asphaltiert. Wenn Fahrzeuge dort unterwegs waren, zogen sie eine weite Staubfahne hinter sich her, und waren gut zu lokalisieren. Ich war es wohl auch. Denn jedes entgegenkommende Fahrzeug winkte oder hupte mir freundlich zu. Hier mit dem Rad unterwegs zu sein, scheint nichts Alltägliches zu sein. Und so kam es mir selbst auch vor. Einfach tolles Kurbeln in die Weite hinein. Das gleichmäßige Surren der Reifen und das monotone Geräusch der gespannten Kette hören, wunderbar. Dazu die Kühle vom Wind im leicht feuchten Nacken. Und in den nach vorne gestreckten Armen die eigene Körperspannung und den Vorwärtsdrang des Fahrrades spüren. Ein Wohlgefühl zum Juchzen. Natürlich auch, weil der Wind mich von hinten kräftig vorantrieb.

 

3. Juli 2023

Mit ein paar Juchzer am Rad

Mit meinem Zeltplatz war ich zufrieden. Ich bin einfach in einen kurzen Seitenweg eingebogen, der wahrscheinlich einmal eine Zufahrt zu einer Weide war. Doch diese war mit Stacheldraht abgetrennt. Der Weg endete vor diesem. Von niederem Buschwerk war ich zur Straße abgeschirmt. Ich hatte den Platz für mich allein, den Sonnenuntergang und Aufgang ebenso. Herrlich, in so einer Umgebung zu zelten. Nur die Fliegen waren lästig. Doch sobald die Sonne weg ist, sind auch sie weg. Und dann wieder da, wenn die Sonne scheint. In einigen Regionen gehören sie zu Australien dazu, sind allgegenwärtig. Sie machen nichts, sind einfach nur lästig, wenn sie einem rund ums Gesicht schwirren, in die Nase und die Ohren wollen, in den Augenwinkeln kitzeln.

 

Die Landschaft setzte sich ähnlich fort wie die letzten Tage. Flach, und doch ein paar leichte Kuppen. Auf ihnen sah man, wie es weiter ging. Natürlich, welch Überraschung, immer gerade. Es ist nicht schwer, hier die Spur zu halten. Mir gehört der linke weiße Seitenstreifen. Und hie und da auch die ganze Straße, um die Weite ganz auszukosten, wenn kein Verkehr ist. Dann gibt es auch ein paar Juchzer dazu.

 

Beim Pardoo Roadhouse blieb ich stehen, genauso wie alle anderen auch. Der Zyklon vom Frühjahr hatte es zerstört. Ilsa hatte ganze Arbeit geleistet. Das wollten wohl alle sehen. Und ringsum war die Landschaft ebenso verwüstet. Alles Gebüsch war am Boden. Einige Caravanfahrer waren mit ihren kleinen Motorsägen am Feuerholz sammeln. Genug davon gab es jetzt hier jedenfalls. Ich hätte in meinen Taschen auch schon wieder etwas Platz gehabt. Denn einige der Baked Beans-Dosen waren schon wieder weg.

 

Morgen werde ich dann wohl wieder bei einem Laden vorbeikommen und meine Vorräte auffüllen. Angeblich soll es noch einige Hundert Kilometer ohne Zivilisation so weitergehen wie bisher. Zum Fahren ist es super. Es gefällt mir. Diese schier endlose Weite zu spüren ist ein unglaublich schönes Gefühl. Herrlich. Doch Verpflegung einfach so unterwegs nach Lust und Laune ohne große Vorsorge kaufen zu können, hat auch seinen Charme. Das geht mir hier etwas ab.

 

4. Juli 2023

Ein feiner Morgen und Hafenstadthektik

War der gestrige Zeltplatz ein absoluter Hit, so war der heutige eher ein Fehlgriff. Ich hatte mich für einen offiziellen 24-Stunden-Rastplatz entschieden. Er lag am De Grey River, war groß, doch rammelvoll. Es waren wohl mehr als 50 Wohnwagen, die hier auf der Fahrt nach Norden nächtigen wollten. Die vielen Parkbuchten und Kieswege waren bei meinem Eintreffen alle schon belegt. Ich entschied mich für einen sandigen Platz in der Mitte, mit Grasbüscheln rundum. Und kaum hatte ich mein Zelt aufgestellt, kamen neben mir noch zwei Caravans dazu. Am Abend nervten sie mich kräftig.

 

Während sich die beiden Männer beim Lagerfeuer unterhielten, und wie ich den Vollmond bestaunten, bereiteten die Frauen das Abendessen zu. Und dafür hatten sie Stromaggregate gestartet. Rund um die anderen Caravans war es still. Doch die beiden neben mir sorgten für eine gute Stunde nach dem Eindunkeln für kräftigen Lärm. Als sie die Geräte wieder ausschalteten, hörte ich Applaus von woanders her. Ganz so gut scheinen sich manche der Caravanfahrer mit jenen vom Generatorclub wohl nicht immer zu verstehen.

 

Am Morgen war ich bei den Ersten, die den Platz wieder verließen. Mein Zelt war taunass. Ich wollte es auf dem sandigen Platz nicht verstauen. Also trug ich es mit den anderen Sachen auf den kiesigen Weg. Mit der wärmenden Sonne im Rücken, einer wunderbaren Stille am Platz, und dem Drängen nach raschem Aufbruch packte ich meine Sachen.

 

Und dann war es auf der Straße ein Morgen erster Sahne. Ein flaches Licht, eine gerade Straße, eine fahlgelbe Graslandschaft mit etwas rotfarbigem Sand, blassblauer Himmel, kein Verkehr, gute Beine, gute Laune, hie und da ein Juchzer. Toll. Als mir ein Road Train begegnete, grüßten wir zeitgleich mit Zuwinken. Es war wie abgemacht. In dem Moment gemeinsames Verständnis.

 

Ungefähr 30 Kilometer vor Port Hedland nahm dann der Verkehr zu. Aus den Seitenstraßen bogen immer wieder Road Trains von den Minen auf die Hauptstraße ein, oder kamen mir dort entgegen. Jeder zog vier schwere Muldenanhänger. Ich zählte 98 Räder je Lastwagen. Unglaublich. Und hie und da war es auf dem Rad auch ein banges Warten bis der letzte rotstaubige Anhänger vorbei war. Denn die Straße hatte hier keinen Seitenstreifen.

 

Kurz vor Port Hedland wusste ich, dass es mit der Einsamkeit vorbei war. Zumindest für die Gegend rund um diese Hafenstadt. Dort mussten oder wollten alle Road Trains vollbeladen hin, und leer wieder raus. Draußen auf dem Ozean waren große Schiffe zu sehen, im Hafen große Kräne. Es herrschte kräftiger Umtrieb. Australische Rohstoffe wohl für die ganze Welt. Ich sehnte mich wieder nach meiner einsamen Straße im Nirgendwo.

 

5. Juli 2023

Am Costal Highway unterwegs

Heute bin ich spät wie noch nie los. Es war bereits halb zehn, als ich losfuhr. Der Grund: Das Hochladen meiner Fotos dauerte länger. Oder vielmehr hatte ich erst am Morgen wieder Internetzugang. Der war nur während der Bürozeiten des Caravanparks möglich. Doch es passte mir so ganz gut. Zur Abwechslung mal ein kürzerer Tag am Rad ist auch ok.

 

Doch er wurde dennoch fordernd. Denn der Gegenwind hatte mich wieder mal entdeckt. Später sagte mir jemand, dass der Wind und das Wetter eher ungewöhnlich wären für diese Jahreszeit hier. Nur mehr als der Wind störten mich fast die vielen Road Trains. Erst nach gut 30 Kilometer wurde ich sie los. Es war eine Weggabelung. Sie fuhren links ins Landesinnere zu ihren Minen weiter, ich rechts auf den Costal Highway. Und dort war es dann ohne Verkehr richtig toll. Mit dem Wind hatte ich mich bereits arrangiert.

 

Irgendwann erschreckte ich acht Rosenkadadus neben der Straße. Sie flogen zeitgleich auf, und parallel zur Straße bodennah davon. Es war ein wunderbarer Anblick. Ihre blassroten Bäuche über dem kräftigen Rot des Bodens dahingleiten zu sehen. Und dazu das Schwingen ihrer blassgrauen Flügelunterseiten. Jedes Mal wenn ich diese Kakadus sehe, muss ich staunen. Der einzelne Vogel ist eher unscheinbar. Doch gemeinsam in Aktion sind sie in dieser Landschaft unbeschreiblich schön anzuschauen. Ein paar wenige Augenblicke paradiesischer Natur. Obwohl ich diese und andere Vögel immer öfters auf ähnliche Art sehe, bin ich immer wieder total fasziniert.

 

Mittags gerate ich auf einen Rastplatz bei einem ausgetrockneten weiten Flussbett. Einzelstehende Eukalyptusbäume bieten Schatten. Wunderbar. Die paar wenigen Wohnwagen halten Siesta. Mit ausgefahrener Markise stehen sie verstreut unter den Bäumen. Es ist ruhig. Wahrscheinlich sind die Fahrer auf ihren Campingstühlen eingenickt. Es sind nur ein paar Vogelrufe zu hören. Am überdachten Sitzplatz bin ich allein. Kurz überlege ich gar, hier zu bleiben. Doch dann wird der nächste Tag wieder allzu lange. Noch muss ich die Distanzen und meine mitgeführten Vorräte kalkulieren. Denn ich bin hier weiter im einsamen Niemandsland unterwegs.

 

Abends gerate ich auf einen Rastplatz bei einem aufgelassenen Hotel. Zur Überraschung treffe ich dort zwei Caravan-Paare, die ich vor drei Wochen schon mal gesehen hatte. Ihre Rituale waren immer noch dieselben. Die Männer beim Feuerholz und rund um ihre Autos am Werken, die Frauen im Schatten in ihr Memory-Spiel vertieft. Wir müssen alle lachen. Und freuen uns über das Wiedersehen und das aufkommende Abendrot.

 

6. Juli 2023

Wunderbares Radfahren

Mein Zelt hatte ich vor den ehemaligen Wohncontainern des Hotels aufgestellt. Ein Dach, Windschatten, und ein fester Boden hatten mich dorthin gezogen. Am Morgen war ich schon früh wach. Doch bis ich meine Sachen geordnet hatte, schaute auch schon die Sonne hinter einem Hügel hervor. Toll, wie der Tag anbricht. Auf einer Betonstufe genieße ich die Wärme der Sonne. Ein Müsliriegel, eine Banane und eine Packung Soyamilch müssen zum Start genügen. Dann düse ich los.

 

Kein Verkehr und eine für mich traumhafte, einsame Gegend. Sie erinnert mich an eine Hochebene, mit all dem spärlichen Grasland und ein paar wenigen, flachen Hügeln rund herum. Der Höhenmeter zeigt jedoch nur 50 Meter an. Hochebene kann es also keine sein. Eher der Küste vorgelagertes Flachland. Es gefällt mir sehr. Und der Wind meint es heute auch gut mit mir. Sanft von hinten angetrieben ist es ein feines Pedalieren.

 

Statt Kakadus sind es heute ganz kleine, hellgrüne Vögel, deren wundersames Flugspektakel mir fotografisch einzufangen nicht gelingen will. Nach mehreren erfolglosen Versuchen gebe ich auf. Es steht daraufhin das Genießen der Weite im Vordergrund. Ich mache es in vollen Zügen, und das den ganzen Tag. Die wenigen Road Trains tun dem keinen Abbruch. Hier sind sie um einen Anhänger kürzer. Das Radfahren in dieser Gegend ist ein absoluter Hit, ist meine Bilanz am Abend. Wohl auch, weil ich gefühlt schon mehr als einen Monat unter ähnlichen Bedingungen unterwegs bin. Es hat fast schon Suchtcharakter angenommen, mein Kurbeln in einsamer Landschaft.

 

7. Juli 2023

Morgenbier und Erfindergeist

Heute hatte ich erstaunlich gut geschlafen. Am Abend dachte ich noch, dass es vielleicht etwas schwierig wird. Denn am großen Caravanpark mit Restaurant langte ich beim Dinner kräftig zu. Das angepriesene „All you can eat“ war zu verführerisch. Die Kürbissuppe und das vegetarische Reiscurry gehörten nur mir allein, und mussten weg. Bei den Fleischgerichten sorgten alle anderen dafür, dass das Buffet bald aus war. Und die vielen Ananasscheiben als Nachtisch waren zusammen mit den grünen Melonenschnitten ebenfalls lecker.

 

Mit Sonnenaufgang war ich bereits abfahrbereit. Ich wollte vor den Kilometern quer übers Land unbedingt noch zur Küste hin und das Meer sehen. Auf der Karte war der Seacliff-Lookout der beste Punkt. Dort traf ich auf Franc, Pete, und Lawrence. Sie gönnten sich nach ihrer Nachtschicht noch ein kleines Bier mit Aussicht. Es war einer der besten Morgenchats auf meiner Runde. Die drei ganz unterschiedlichen Typen waren klasse Burschen. Wir standen tratschend zu viert in unserer Arbeitskluft vor der grandiosen Bucht. Drei im australischen Workeroutfit, einer mit Radlerhose und Shirt. Wir hatten es voll lustig miteinander. Ein toller Start in den Tag. Und irgendwann mussten wir dann weiter. Ich mit dem Rad, und die drei anderen zu ihrem Frühstück und ins Bett.

 

Bei einer Pinkelpause querten zwei Mountainbikefahrer meine Straße. Sie kamen von einem roten, grobschottrigen Feldweg daher. Es war ihre Morgenrunde. In Australien würden alle nur frühmorgens Radfahren. Spätestens in zwei Monaten hätte es hier um 9 Uhr meist schon mehr als 36 Grad. Da will niemand mehr aufs Rad. Ich fand ihre Begründung lustig: „You loose more than a bottle just to get on the bike“. Als ich von meinem Radfahren hier schwärmte, nickten beide zustimmend und meinten, der Nordwesten sei ein „Beautiful Nothing“.

 

Am frühen Nachmittag traute ich dann meinen Augen kaum: Mir kam ein Radfahrer entgegen. Seinen Surly Long Haul Trucker hatte er schwer bepackt. Es war ein Pensionist, der sich jährlich eine Teilstrecke rund um Australien vorgenommen hatte. Dieses Jahr von Perth nach Broome. Radfahren sei toll. Und so wie seine Jahrgangskollegen nur im Campingstuhl vor dem Caravan sitzen, das wolle er keinesfalls. Wir mussten beide herzhaft lachen.

 

Lustig fand ich auch seinen Sattelüberzug: Er hatte eine gequetschte Petflasche längs über den Sattel geklebt. Etwas Wasser war noch drin. Leider sei sie ihm heute geplatzt. Da er meist Sitzbeschwerden habe, sei ihm die Idee mit dem Wasserbettsattel gekommen. Funktional sei der Prototyp seinen Bedürfnissen entsprechend, in der Ausgestaltung jedoch noch nicht serienreif. Ich musste schmunzeln. Er war stolz auf seine Idee, und ich auf meine: Nämlich auf die mit einer zweiten gepolsterten Innenhose. So sorgt halt jeder Radfahrer ganz individuell dafür, dass die vielen Kilometer im Sattel gut zu sitzen sind.

 

8. Juli 2023

Unglaubliche Weite

Schon bei den ersten Sonnenstrahlen stehe ich abfahrbereit am Platz. Für einen Schnappschuss mit Fotoapparat lehne ich mich an die weiße Wand des Sanitärgebäudes. Es ist alles etwas heruntergekommen. Vielleicht war ich auch deshalb allein hier. Doch die Nacht im Zelt war ok, und der Morgen jetzt auch. Die Sonne lacht und wärmt. So kann es losgehen.

 

Zuerst meinte ich schon, mir die ganze Strecke bis zum nächsten Roadhouse vornehmen zu können. Denn der Wind schien günstig. Doch bald änderte ich meinen Plan. Ich mache nur ein Teilstück, war die neue Idee. Denn sonst ist es zu anstrengend. Wasser und Essen sollten auch für zwei Tage reichen. Und so gehe ich es etwas langsamer an. Die Strecke ist flach. Niederes Buschwerk und kurzes Stoppelgras überwiegen. Dazwischen ist immer viel rote Erde zu sehen. Ein paar sanfte Hügel gibt es auch. Von den Kuppen wirkt die Weite unglaublich. Ein paar Mal denke ich, das gibt es doch nicht, so weit, und so gerade. Und rundum vor allem Nichts. Diese Landschaft beeindruckt mich sehr. Betört.

 

Bei einem Rastplatz mache ich eine längere Pause. Ich schaue einem Trucker zu, wie er zwei zusätzliche Anhänger an sein Gefährt kuppelt. Ganz so einfach scheint es nicht zu sein. Er muss mehrmals ansetzen, bis auch der zweite Wagen angehängt ist. Und als er dann langsam auf die Straße einbiegt, staune ich, wie lang seine 53 Meter sind. Ein mächtiges Trumm, so ein Road Train.

 

Irgendwann später passiere ich ein Minenareal. Hier wird großflächig gebaggert. Staubfahnen hängen in der Luft. Das Rot der Erde ist noch intensiver als sonst. Von einer Überführung habe ich einen guten Rundumblick. Unter mir passiert ein Lastwagen die Brücke. Er bleibt stehen, und winkt mir freudig zu. Daumen oben, zeigt er mehrfach, sich weit aus dem Fenster lehnend. Anscheinend ist er von einem hier vorbeikommenden Radfahrer ebenso erstaunt wie ich von der Dimension des Areals.

 

Danach verliere ich mich wieder mit Kurbeln in der Weite. Unglaublich, wie intensiv die Landschaft hier wirken kann. Ich staune und juchze. Ich schaue rundum und genieße. Ich tauche in das blassgelbe Stoppelgras und das steinige Rot der Landschaft ein. Ich bin glücklich. So was von intensiv. Unglaublich.

 

9. Juli 2023

Im Mittelpunkt stehen

Statt beim ausgewiesenen Rastplatz bei einer Straßenabzweigung Richtung Küste hatte ich mein Zelt etwas weiter weg aufgestellt. Beim Rastplatz stand schon ein Caravan mit laufendem Stromaggregat. Dem wollte ich keine Gesellschaft leisten. Mein Platz war von der Straße durch Buschwerk geschützt. Ich fühlte mich hier wohl. In der Nacht meinte ich gar, der Sternenhimmel gehöre nur mir allein. Wunderbar, das Funkeln am nächtlichen Himmel. Und wunderbar wie immer auch das Anbrechen des Tages. Der erste zarte Vogelruf ist für mich meist das Zeichen zum Zusammenpacken. Bis ich fertig bin, steht die Sonne dann schon so hoch, dass sie mich wärmt.

 

Bei leichtem Gegenwind zogen sich die Kilometer bis zum Roadhouse. Dort angekommen hatte ich einen richtigen Hunger. Und ich musste auch für die nächsten Tage etwas einkaufen. Doch noch vor dem Absteigen und Abstellen des Rades war ich schon von einigen Leuten umringt. Es war Sonntag. Offensichtlich machten auch viele Ausflügler hier Rast. Und alle wollten von mir wissen: Woher? Wohin? Wann gestartet? Wie viele Kilometer am Tag? Wann fertig? Um dann mit den besten Wünschen fürs Weiterkommen und einem Kopfschütteln wieder in ihre schweren Geländewagen einzusteigen, und Platz für die Nachkommenden zu machen. Hier mit dem Fahrrad unterwegs zu sein ist für die meisten eine Sensation. Umso mehr freut es mich, wenn sich einzelne ebenfalls als begeisterte Radfahrer outen. Das Gespräch nimmt dann einen anderen Verlauf als nur beim sensationsgierigen Fragenstellen. Einer erkannte in meinem Fahrrad gar das Radmodell seines Vaters. Dem musste er dann gleich ein Foto senden.

 

Beim Weiterfahren gingen mir dann ein paar Varianten durch den Kopf, wie ich auf immer die gleichen Fragen denn am besten antworten könnte. Doch zu einem Ende oder überzeugendem Ergebnis bin ich nicht gekommen. Außer vielleicht, mich einfach jedes Mal gerne dem Interesse stellen, und auch selbst Ähnliches nachfragen. Daraus sind bisher die kurzweiligsten Gespräche entstanden. Und vor allem: Auch ich kann etwas über die Leute und ihre Interessen erfahren.

 

10. Juli 2023

Es ist ein Radfahren mit allen Sinnen

Was mich hie und da spät am Abend oder ganz früh am Morgen beeindruckt, sind die von Fahrzeugen auf der Straße ausgehenden Geräusche. Um diese Zeit sind nur ganz wenige unterwegs. Rundum ist es hier im Outback ganz still. Irgendwann ahnt man, dass weit entfernt etwas am Herannahen ist. Zuerst ist es ein kaum wahrnehmbares Rauschen. Lange Zeit bleibt es gleich. Und irgendwann wächst es dann langsam an. Je nachdem, ob es nur ein Auto, ein Wohnwagengespann, oder ein Road Train ist, ist die Intensität stärker. Zum einen sind es die Abrollgeräusche der Reifen. Doch vielmehr ist der Luftstrom zu hören, den die Fahrzeuge vor sich her- oder von sich wegschieben. Wenn die Fahrzeuge auf gleicher Höhe sind, ist es am lautesten, und mächtig beeindruckend. Das danach, oder die Geräusche beim Entfernen, sind viel leiser und auch schneller wieder vorbei. Untertags nehme ich sie nie in dieser Intensität wahr wie in der Nacht.

 

Untertags ist es immer die Intensität der Landschaftsfarben, die Ausdehnung in die Weite, der Horizont, der nicht näherkommen will, was mich beschäftigt und beeindruckt. Es ist ein geniales Radfahren hier. Ich muss zwar genauso kurbeln wie anderswo, und geschenkt sind die Kilometer auch nicht, doch intensiver in der Wahrnehmung sind sie für mich jedenfalls. Öfters als nur ein paar Mal höre ich mich „Wow, unglaublich“ sagen. Dann stehe ich meist vom Sattel auf, strecke mich, und lasse das Rad rundum schauend ausrollen. Und nehme danach mit aufgetanktem Elan wieder freudig Fahrt auf. Faszinierend, was auf so einer einsamen Strecke und beim Schauen in mir abgeht.

 

Als ich heute bei einem Farmbetrieb mit großen Zelt- und Caravanplatz eincheckte, hatte ich, nach meinen Eindrücken beim Radfahren hier in Westaustralien gefragt, es so beschrieben: Es ist unglaublich. Beim Radfahren bin ich mit allen Sinnen empfänglich. Ich kann die unendliche Weite sehen. Ich kann die Natur hören. Ich kann die Landschaft riechen. Ich kann mich selber und die Anstrengung spüren. Und selbst das Essen unterwegs schmeckt nach der Umgebung. Obwohl hier irgendwie im Nichts unterwegs, ist es von allem ganz viel. Wahrscheinlich spielt auch der Zeitfaktor eine Rolle. Lange in so einer Umgebung unterwegs zu sein macht empfänglicher, oder empfänglicher für mehr. Und prägt dann wohl auch intensiver.

 

11- Juli 2023

Das Meer wieder gesehen

Der Farmstay und Zeltplatz, bei dem ich gestern gelandet war, war gut organisiert, doch auch sehr touristisch ausgerichtet. Bei Musik, einem Geschichtenerzähler, Lagerfeuer und ähnlichem machte sich der Abendhimmel breit. Und das mit einer gigantischen Wolkenstimmung. Meine eigene Stimmung war zuerst etwas getrübt. Auf dem Platz gab es keinen Laden. Sie verkauften nur Fleischstücke zum Grillen. Ich hingegen war auf ein dringliches Auffüllen meines Proviants eingestellt. Doch ein Angestellter checkte meine Situation, und deckte mich mit Früchten und Wasser aus eigenem Vorrat ein. Da dachte ich mir dann, dass die hier ihr Service schon draufhaben, so abgelegen und einsam sie auch gelegen sind.

 

Auf ein Frühstück im Lagercafé hätte ich am Morgen länger warten müssen. Also genügte ein Müsliriegel um loszustarten. Ich fuhr nach Norden. Alle hatte mir Exmounth auf einer Halbinsel empfohlen. Auf halbem Weg machte ich einen Abstecher zum Meer. Wow, dachte ich mir. Das ist schon auch schön. Am flachen Sandstrand sitzen und dem leisen Rauschen des Meeres zuhören. Einfach nur dasitzen und schauen. Das Meer hatte ich jetzt schon lange nicht mehr gesehen. Ich freute mich, ob der Farben des Wassers, und der Stimmung. Es war ruhig. Zahm und still kamen die Wellen daher.

 

Zahm und still wurde dann ich bei der Einfahrt in Exmouth. Auf einer Hinweistafel war zu lesen, dass alles voll ist, da Schulferienzeit. Man müsse sich im Visitor Center anmelden. Diese Info kam mir bekannt vor. Ich hatte sie gestern von Dean am Farmstay erhalten, doch nicht auf ihn gehört. Nur das Visitor Center öffnete die Overflow-Buchung erst am Nachmittag. So fasste ich einen schnellen Entschluss: Essen für ein paar Tage einkaufen, und Fahrtrichtung ändern. Ich fahre einfach heute noch ein Stück zurück, anstatt morgen oder später. Hier mich in eine lange Schlange schon Wartender einreihen wollte ich mich nicht. Und allzu viel touristischen Rummel brauchte ich auch nicht. Ich suche glaub Anderes in meinem Urlaub als die Auto- und Caravanfahrer.

 

Für mich war das Einkaufen im Supermarkt schon ein Erlebnis. Oder vielmehr das Verpacken des Eingekauften. Denn ich hatte mich reichlich eingedeckt. Ich musste einen Teil oben auf die Seitentaschen packen, damit ich alles unterbringe. Ja, so kann es einem gehen, wenn man nach zwei Wochen wieder in einen Laden mit normalem Angebot landet.

 

12. Juli 2023

The best truck

Ich hatte mein Zelt auf dem Sandweg vor einem Weidegatter aufgestellt. Ich dachte, dass spät abends oder zeitig in der Früh da sicher niemand durch muss. Doch mit dem Schlafsack noch über den Ohren hörte ich am Morgen Geräusche am Gatter. Es gierte leicht, so als ob jemand das Schloss oder einen der Flügel öffnen wollte. Ich war irritiert, denn Auto sah und hörte ich keines. Und zu Fuß ist in dieser Gegend sicher niemand am Weg. Als es wieder gierte, rief ich ein lautes Hello. Und da meldete sich der Besucher: Es war ein Rabe als Zaungast, der auf meinen Gruß mit einem längeren Krächzen antwortete. Lustig, so eine Morgenbegrüßung.

 

Ich ließ mir Zeit mit Zusammenpacken. Es war kälter als die letzten Tage. Erst spät startete ich in den Tag, und in eine baumlose Gegend mit viel freiliegender, roter Erde zwischen den strohfarbenen, stoppeligen Grasbüscheln. Termitenbauten waren der einzige Landschaftsschmuck. Von dem gab es jedoch ausgesprochen viel. Wie große Hinkelsteine standen sie braunrotfarbig in der Gegend.

 

Mittags machte ich bei einer Küstenzufahrt Pause. Ich hatte dort einen Strauch entdeckt, an dessen Fuß ich Schatten fand. Die gestern erstandene Schale mit Mediterranem Nudelsalat schmeckte ausgezeichnet. Es war eine Familienpackung. Also gerade ausreichend für mich als hungrigen Radfahrer. Die vorbeikommenden Geländewagenfahrer reduzierten vor der Weiterfahrt auf dem Offroadstück alle den Luftdruck ihrer Reifen. Dann ließe es sich auf der Wellblechpiste besser fahren, war die Begründung.

 

Mittags zeigte das Thermometer heiße 34 Grad an. Also schob ich eine weitere Pause ein. Im Schatten eines abgestellten Lastwagenanhängers aß ich Brot mit Humus. Es schmeckte. Und kaum fertig gegessen, kam auch schon der Truck daher, um den Wagen bei sich anzuhängen. Es war ein mächtiger weißer Kenworth mit langer Schnauze. Der Fahrer stellte ihn als „the best truck on the road“ vor. Da fragte ich natürlich gleich, ob ich mal hinters Lenkrad darf. Emporgeklettert entwich mir ein lautes Boah: Unglaublich, so ein Cockpit, und unglaublich diese Perspektive auf die Straße. Gleichzeitig war es auch ein martialischer Bock im Retrodesign. Ich kam mir darin reichlich unbeholfen und verloren vor. Keine Ahnung, wie man mit diesem Ungetüm sicher fahren kann. Jetzt habe ich noch mehr Respekt, wenn mich so ein Road Train überholt.

 

13. Juli 2023

Ein hartes Stück Arbeit

Am Morgen war das Zelt leicht taunass. Ich hatte wieder einen Platz bei einem Weidezaun ausgewählt. Leider war er sehr sandig. Beim Zusammenpacken klebte der rote Sandstaub an den nassen Teilen. Das wollte mir gar nicht gefallen. Und noch mehr Mühe hatte ich dann mit dem aufkommenden Gegenwind auf der Straße. Es war richtig anstrengend zum Kurbeln.

 

Irgendwann überholte mich ein Auto mit Bootsanhänger und hielt die gleiche Höhe. Bei heruntergelassenem Seitenfenster unterhielt sich der Fahrer mit mir. Seine Eltern seien aus den Niederlanden. Dort könne man auch gut Radfahren. Ich musste grinsen. Doch bei Gegenwind sei es dort auch schwierig. Er wünschte mir Glück, und ein gutes Vorankommen. Mit Daumen nach oben zeigend kurbelte er das Fenster wieder hoch, und ich die Straße weiter.

 

Ein entgegenkommender Road Train sah wohl meinen unrunden Tritt. Er hupte und winkte freudig, oder heftig. Ok, dachte ich mir, das motiviert, und trat für ein paar Kilometer wieder kräftig in die Pedale. Doch gegen den Wind ankommen war unmöglich. Beim Roadhouse auf halbem Weg hatte ich glaub die Energie für den ganzen Tag schon verpulvert. Ich machte eine lange Pause. Heute war das Fahren ein hartes Stück Arbeit. Doch eigentlich hatte ich bisher ja auch viel Glück mit dem Wind. Vielleicht ist es morgen schon wieder anders. Und dann passt es wieder, das leichte Kurbeln auf der Straße, in einer Gegend, die einem nur staunend macht. Baumlos am Vormittag, buschig am Nachmittag, rot den ganzen Tag, und unendliche Weite sowieso.

 

Am Abend gab es dann noch eine feine Überraschung. Die Caravan-Nachbarn, ein australisches Paar aus Perth, luden mich zum Abendessen ein. Spaghetti mit Linsen und Tomatensauce, und dazu ein bisschen Tratsch vor ihrem Wohnwagen. Wahrscheinlich hatten sie beim Auspacken meiner Taschen gesehen, dass da nichts zum Essen mehr drin ist, außer ein paar Müsliriegel. Ihrem Sohn wollen sie auch vor mir erzählen, nahmen sie sich vor. Der sei nämlich gerade in Kanada unterwegs, auch mit dem Rad. Sie selbst bevorzugen das Reisen mit ihrem Wohnwagen. Der biete mehr Komfort, und eine vollausgestattete Küche. Mit der ließe sich gut kochen. Dem konnte ich nur beistimmen. Das Nudelgericht schmeckte lecker.

 

14. Juli 2023

Morgennebel und viel Verkehr

Am Abend dachte ich noch, dass es eine super Idee war, das Zelt auf dem Betonboden unter dem überdachten Sitzplatz aufzustellen. Dann bleibt es trocken, und wird nicht wieder taunass. Nur irgendwann in den Morgenstunden wache ich auf. Draußen funkeln die Sterne, doch auf mein Zelt tropft es. Nicht fest, doch regelmäßig. Und am Morgen sehe ich dann die Misere: Das Dach des Sitzplatzes ist wohl nur als Sonnenschutz gedacht. Taunässe kann es nicht abhalten. Bei den Schrauben des Wellblechdaches rinnt Wasser durch. Es ist zwar alles nass, doch Sandstaub hängt keiner dran. Also doch nicht so übel.

 

Als ich die Packtaschen einhänge, ist die Morgensonne plötzlich weg. Es ist gleich um einiges kühler. Und dazu ist Nebel aufgezogen. Unglaublich. Nebelsuppe wie in den Alpen, fällt mir als Kommentar ein. Doch zum Glück klart es nach einer guten Stunde langsam auf. Ich kann die feuchte Mütze und die an den Ärmeln nass gewordene Jacke wieder ausziehen.

 

Die Vormittagspause nutze ich zum Trocknen meiner Sachen. Bei einem Radiosendemast hänge ich die Jacke und die Zeltsachen samt Schlafsack über den Zaun. Wind und Sonne sorgen dafür, dass alles im Nu trocken ist. Eigentlich wäre mir nur Sonne allein lieber gewesen. Denn der Wind stellt sich danach beim Weiterfahren als Gegenwind heraus. Und er war richtig lästig. Gar stärker als gestern. Das Fahren wurde anstrengend. Dazu war auch noch ziemlich viel Verkehr. Eine Caravan-Karawane zog wie ich Richtung Süden. Vor zwei Wochen war sie mir auf der anderen Straßenseite begegnet. Viele Leute aus Perth und Umgebung verbrachten die Schulferien mit ihren Kindern im warmen Norden und an der Küste. Und die sind jetzt am Heimweg.

 

In Carnarvon an der Küste angekommen biegen sich die Palmen im Wind. Zum Weiterfahren habe ich keine Lust mehr. Ich bin froh, es bis hierher geschafft zu haben. Und nach zwei Wochen im Zelt checke ich wieder mal in einem Motel ein. Wäschewaschen steht schon länger auf der To Do Liste. Und Wifi gibt es auch, gar ordentlich schnell. Das Hochladen der vielen aufgestauten Bilder der letzten Tage geht ruck zuck.

 

15.  Juli 2023

Mit Wind ein anstrengender Tag

Am Morgen zieht es mich zum Hafen hin. Wohl auch, weil die Straße quer zur Windrichtung verläuft. Es ist nur ein kleiner Bootshafen. Doch ein paar größere Fischkutter dümpeln dennoch am Kai. Blau und Weiß gestrichen warten sie auf die Ausfahrt. Bei einigen Gebäuden riecht es im Vorbeifahren nach Fisch. Obwohl es sonnig ist, bin ich mit Mütze und Pullover unterwegs. Es ist frisch. Die Palmen wackeln. Ihre langen Blätter zeigen nach Norden. Kein so gutes Zeichen für mich, am Weg nach Süden. Als ich wieder auf der Hauptstraße bin, habe ich den Wind frontal von vorne. Headwind nennen sie es hier. Und dieser begleitete mich den ganzen Tag.

 

Die Strecke hatte ich gestern auf der Karte noch genau angesehen. Sie war nicht schwer zu merken. Zwei lange Geraden, und so in der Hälfte zwei langgezogene Kurven. Die erste leicht nach links, die zweite leicht nach rechts gebogen. Doch keine der beiden Kurven wollte bald kommen. Mir schien, als ob die Zehn-Kilometeranzeigen seitlich der Straße heute in viel größeren Abständen angebracht waren. Und wenn ich von Weitem eine der kleinen grünen Tafeln entdeckte, lag ich beim Erraten der aufgedruckten Zahl gehörig daneben. Wie die Vortage machte mir nämlich der Wind zu schaffen.

 

Dank kräftigem Kurbeln kam ich zwar voran, doch es ging nur langsam. Bei den Pinkelpausen wechselte ich die Straßenseite Die Lee-Seite schien mir dafür geeigneter. Sicher ist sicher, war die Überlegung. Böig zog der Wind übers Land. Er konnte ja auch mächtig Anlauf holen. Kein Hügel, Berg, Busch oder etwas anderes war zu sehen, das ihn hätte ein wenig einbremsen können. Dafür bremste er mich ein. Ich hatte mir als Tagesziel das nächste Roadhouse vorgenommen. Doch als ich gut 40 Kilometer davor an einem Rastplatz vorbeikam, war der Entschluss zur Änderung des Zieles schnell gefasst: Ich bleibe hier. Das Roadhouse liegt dann halt morgen am Vormittag auf meinem Weg. Das passt mir auch.

 

Dass die Strecke bis zum Rastplatz heute fordernd war, konnte ich an meinem Hunger erkennen. Zwei meiner Vorratsdosen an Spagetti und Bohnen waren sofort weg, ein halber Sack Brot mit dazu. Als Nachtisch gab es noch einen Apfel, und von einem Caravanfahrer zwei geschenkte Orangen. Dabei hatte ich am Vormittag schon eine große Essenspause gemacht, und eine Schüssel Nudeln mit getrockneten Tomaten vertilgt. Das angestrebte Tagesziel hatte ich zwar nicht erreicht, dafür beim Essen mehr als nur kräftig zugelangt. Und falls der Wind morgen wieder zu Gast sein sollte, so fährt es sich mit leichteren Taschen sicher weniger anstrengend. Also irgendwie bin doch zufrieden mit dem Tag, auch wenn ich unterwegs meine Zweifel hatte.

 

16. Juli 2023

Sonntagsüberraschung

Ein gigantischer Sternenhimmel überspannte die Landschaft in der Nacht. Oder wurde in der Nacht sichtbar. Und eine schnelle Sternschnuppe mit dazu. Erstaunlicherweise wurde es mit der Zeit gar windstill. Das leichte Rütteln am Zelt hatte aufgehört. Dafür machte mir etwas anderes Sorgen. Meine Matratze verlor Luft. Irgendwann merkte ich nämlich, dass ich ganz hart lag, und es mich um das Becken zu frieren begann. Ein rascher Check mit dem Fahrradlicht brachte Klarheit. Ja, das gute Stück lag geschrumpelt da. Vielleicht war das Ventil undicht. Mit ein paar Mal nachpumpen schaffte ich es bis in den Morgen. Durchschlafen geht anders.

 

Mit langer Hose, Pullover und Mütze startete ich in den Tag. Es war erfrischend kühl. Auch wenn die Sonne rasch an Höhe gewann und mich wärmte, ausgezogen hatte ich die warmen Sachen erst spät. Ich wollte die Gunst der Stunde mit der unerwarteten Windstille nutzen und Kilometer machen. Das ging gut. Denn die Landschaft lenkte nur wenig ab. Karg und mit recht viel Steinen lag sie da. Etwas niederes Buschwerk war die einzige Zier, von der unendlichen Weite mal abgesehen.

 

Irgendwann fuhr ich zu einem Aussichtspunkt auf einer erhöhten Felsterrasse. Eine wunderbare Aussicht auf das Meer am Horizont und die Umgebung ringsum tat sich auf. Der Highway war ebenfalls gut zu sehen. Er schlängelte sich hier als helles Band zwischen den erdfarbenen Hügeln durch, und verlor sich in der Weite.

 

Auf der Straße lagen im Gegensatz zu den früheren Tagen heute wieder recht viele tote Kängurus. Das macht mich immer sehr betroffen. Schade, denke ich mir. Ich fahre dann meist mit einem großen Bogen um die Tiere rum und versuche, nicht hinzusehen. Bei einigen schaut es zwar so aus, als ob sie nur schliefen. Doch viele sind übel zugerichtet. Dann haben sich meist auch schon Raben oder Krähen an den Kadavern zu schaffen gemacht.

 

Am Nachmittag hatte ich dann große Freude mit einer Ziege. Solche waren den ganzen Tag über schon nahe zur Straße im Buschwerk zu sehen. Autos schienen sie nicht zu stören. Doch bei mir flohen sie immer recht rasch. Einige Böcke waren auch dabei, mit großen Hörnern. Doch zumeist waren es Muttertiere. Und jede mit einem schon großen Kitz zur Seite. Am Nachmittag hatte ich dann wohl eine Zwillingsgeburt um eine kurze Zeit verpasst. Zwei kleine Zicklein, teilweise noch blutverkrustet und mit hängender Nabelschnur, versuchten sich tapsig auf den Beinen zu halten. Ihr Meckern war kaum zu hören, als die Alte sich um ein paar Meter von ihnen entfernte. Ich ließ sie in Ruhe. Eine feine Sonntagsüberraschung, dachte ich mir, auch wenn gleich neben der Straße und zwischen Gestrüpp und groben Steinen auf die Welt gekommen.

 

17. Juli 2023

Dornengestrüpp und Dichtmilch

Gestern am Abend zog sich ein langer, schmaler, oranger Streifen am Horizont über das flache Land. Abendrot über schwarzem Boden und Trennlinie zum noch blauen Himmel. Faszinierend. Doch ich war auch auf den Morgen gespannt. Denn bei der Suche nach einem guten Zeltplatz bin ich unvorsichtigerweise ins Dornengestrüpp reingefahren. Und als ich die spitzen Dinger an meinen Beinen spürte, sah ich am Vorderrad auch schon Dichtmilch als kleine Blasen auf der sandigen Reifenoberfläche austreten. Es waren gar drei Stellen. Ich trug das Rad daraufhin auf den Weg zurück und verfolgte das Geschehen am Vorderrad. Es schaute so aus, als ob die Dichtmilch den Reifen abdichten könnte. Und so war es dann auch. Der erste Griff am Morgen nach dem Reifendruck ließ mich aufatmen. Alles in Ordnung.

 

Die Straße führte mich auch heute wieder geradeaus. Doch es waren einige Wellen dabei. Oder leichte Erhebungen. Manchmal dachte ich, ich sei allein unterwegs. Und dann tauchten bei den Kuppen doch immer wieder Autos auf, oder Road Trains und Caravans. Das war lustig anzuschauen, wie sie langsam größer wurden, wenn sie den höchsten Punkt erreichten, und wir uns dort begegneten. Da kam dann plötzlich ein Boot scheinbar auf der Straße daher, oder ein Fahrrad ohne Radfahrer, oder irgendwelche wild verpackte unförmigen Gepäckstücke. Alles Sachen, die auf den Dächern der Autos transportiert wurden.

 

Bei einem Roadhouse am Weg sprach mich einer der Angestellten auf das Radfahren an. Es war Anton aus Deutschland. Ein junger Bursch, der mit seiner Freundin per Working-Holiday-Visum im April mit dem Fahrrad in Perth gestartet war. Sie arbeiten nun für eine Zeit lang als Aushilfen im Billabong Roadhouse, und wollen so ihren Urlaub hier finanzieren. Die Freude am Radfahren habe er erst vor gut einem Jahr entdeckt, als er sich in Griechenland als Mountainbike-Guide versuchte. Davor sei er nur ein Mal im Jahr aufs Rad gestiegen, nämlich dem Vater zuliebe immer am Vatertag. Schräg.

 

18. Juli 2023

Kalte Nacht und kräftiges Kurbeln

In der Nacht war es grimmig kalt. Ich hatte fast alle meine warmen Sachen im Schlafsack angezogen. Darauf vorbereitet war ich ja. Denn am Vortag hat mir ein Caravanfahrer schon berichtet, dass er sich in der Nacht eiskalte Füße geholt habe. Doch seiner Meinung nach sei der Winter jetzt gebrochen, oder am Weg dazu. Er fahre nur nach Norden, weil er das schon viele Jahre immer um diese Jahreszeit mache. Ganz vertrauen könne man auf das Wetter im Süden nie. Die kalten Füße hatte ich mir heute jedenfalls auch geholt, und beim Zusammenpacken am Morgen gehofft, dass die Vorhersage mit dem Winterbrechen hält. Denn auf den ersten paar Kilometern am Rad holte ich mir auch noch klamme Finger.

 

Bei der Vormittagspause landete ich auf einem immer noch mit Caravans vollen Rastplatz. Die Leute saßen dort in ihren Campingstühlen und genossen Sonne und Kaffee. Wahrscheinlich wärmten sie sich nach der kalten Nacht die Zehen auch noch auf. Ich wurde gleich mal angesprochen. Sie hätten mich schon ein paar Mal auf der Straße überholt. Und mein Motorradfreund Chris von vor drei Wochen habe auch schon von mir erzählt. Der sei grad kurz vor meiner Ankunft hier abgefahren. Lustig, welcher Tratsch sich in einsamer Gegend ergeben, und wie lange er sich halten kann.

 

Als Route hatte ich den Weg an der Küste im Sinn. Also musste ich irgendwann mal abzweigen. Bei der Weggabelung stand ein Schild mit großer Ankündigung: „You will love it“. Und so war es dann auch. Denn kaum hatte ich den Lenker nach rechts gehalten, bekam ich gleich frontalen Gegenwind. Unglaublich, wie anstrengend das Fahren dann wird. Die 70 Kilometer bis zur Küste wurden mir nicht geschenkt. Es war harte Arbeit gegen den Wind. Einige Höhenmeter kamen ebenfalls noch dazu. Und bei der Ankunft gab es noch die frohe Botschaft, dass ich rechtzeitig zum Regen hier an der Küste angekommen sei. Doch ganz umgehauen hat mich diese Ansage nicht. Denn der Blick auf die Gischt der Wellen und die Landschaft ringsum hatten mich zu sehr abgelenkt. Und die Botschaft auf dem Schild bei der Abzweigung hatte ich auch noch im Kopf. Hoffentlich hält sie.

 

19. Juli 2023

Fast nur am kleinen Blatt unterwegs

In der Nacht zog die angekündigte Regenfront durch. Geblieben ist auch am Morgen jedoch der Wind. Er blies kräftig aus Richtung Süden. Am Meer war es schön anzuschauen, wie er die Wellen voran und ans Ufer trieb. Doch am Rad war es alles andere als schön. Denn ich wollte ja nach Süden. Also runterschalten auf das kleine Kettenblatt, und los. Nur selbst das Losfahren war schon anstrengend. Und noch anstrengender war, dabei die Spur zu halten. Danach gab es einige Anstiege, die ich bloß schwankend bewältigte. Heftiger Wind von vorne, lästig.

 

Motivierend war dafür die Gegend auf der rechten Straßenseite: Das Meer. Blau in verschiedenen Tönen. Und hörbar auch in solchen. Von meinem Tagesziel bin ich schnell abgerückt. Der Gegenwind war zu stürmisch. Wenn ich die halbe Strecke schaffe, dann bin ich auch zufrieden, hörte ich mich laut zu mir sagen. Die 10.000-er Marke hatte ich ja schon gestern geknackt. Kein Bedarf also, heute unbedingt viele Kilometer zu schaffen. Nur einen sicheren Ort erreichen, und die Nacht windgeschützt verbringen, das war das neue Ziel.

 

Irgendwann erreichte ich staunend einen See, den Pink Lake. Darf ein See auch eine pinke Farbe haben? Unglaublich, was die Natur so alles fabriziert. Vielleicht wirkt die Farbe mit blauem Himmel noch intensiver. Denn bei mir zogen ein paar Regentropfen durch. Ich sah die Front von der Seite kommen. Doch mit Gegenwind und am kleinen Kettenblatt macht man wenig Meter. Da geht sich davonfahren einfach nicht aus. Dafür war ich auf der anderen Uferseite schnell wie der Wind. Bis zum kleinen Hafenort ging es nämlich ein paar Kilometer zurück nach Norden. Das war dann wohl die Belohnung für das anstrengende Kurbeln bis hierher.

 

20. Juli 2023

Modeschau und pipifeine Kilometer

Im kleinen Hafenort war am Morgen niemand zu sehen. Alles war wie ausgestorben, oder jedenfalls verschlafen. Vielleicht mag bei kaltem Wetter niemand raus. Oder es hat zu wenig Wind. Zu meinem Erstaunen war es nämlich fast windstill. Und der Pink Lake hatte ohne Wind viel von seinem anziehenden Pink verloren. Er lag still und wie ein normalblauer See in der Landschaft. Gefallen hat er mir dennoch. Und gefallen hat mir auch, dass der Wind anscheinend einen Ruhetag eingeschoben hatte. Es war ein feines Radeln.

 

Etwas später formulierte ich es gar als „pipifein“. Denn es gab viele grüne Wiesen entlang der Straße. Getreideanbau mit üppigem Grün. Ein ungewohnter, doch angenehmer Kontrast zu den Tagen davor. Das viele Grün teilten sich unzählige Schafe und auch ein paar Rinder.

 

Irgendwann am Vormittag übte ich mich als Modell auf einer Modeschau am Straßenrand. Ich probierte nämlich alle meine Kleidungsstücke durch, bis ich das zur Temperatur passende Outfit gefunden hatte. Das waren für lange Zeit Knielinge, eine ärmellose Weste, ein Halstuch, und ein Kopftuch. Damit machte ich Kilometer um Kilometer in einer kurvigen, hügeligen, und lieblichen Landschaft. Mit Meeresrauschen im Ohr zog ich an einzelnen aus Stein gebauten Farmhäusern vorbei. Später waren es mitten im Grün liegende Höfe. Oder einzelne Bäume auf einer grünen Hügelkuppe. Oder gelbe Zwischenfrucht auf großen Äckern.

 

Das Auge fuhr mit, und hatte viel zum Schauen. Es war ein ungewohntes Landschaftsbild mit viel Grün. Ich genoss es in vollen Zügen. Ein Hinweisschild führte mich durch das Chapman Valley. Hey, war das schön. Hatte ich den letzten Monat nur von Geraden in roter Erde geschwärmt und geträumt, so waren es heute die Kurven und Hügel in sattem Grün. Und am Morgen und am Abend im Wettbewerb dazu das Meer.

 

21. Juli 2023

Ratschen übern Zaun

Ich hatte es bereits in der Nacht gemerkt. Doch am Morgen konnte ich sie auch greifen: Taunässe am Zelt. Leider war mein Platz etwas im Schatten. Also packte ich meine Sachen ein paar Meter weiter, und ließ die Sonne wirken. Nur ganz geduldig war ich dann auch wieder nicht. Leicht feucht verstaute ich alles in meine Taschen, und fuhr eilig los. Ich wollte die Nähe zur Stadt nutzen und mal wieder ein richtiges Frühstück haben.

 

Das heiß ersehnte Sandwich erfüllte die Versprechungen der Vorfreude nicht. Gestärkt hat es mich dennoch. Denn die nächsten Kilometer gingen wie von selbst. Das lag wohl auch am feinen Straßenbelag. Fast lautlos glitt ich dahin, hörte dem Surren der Reifen zu, und düste Richtung Süden. Rechts von mir begleitete mich eine riesige Düne den ganzen Weg. Nahe zur Stadt war es nur cremiger Sand. Später war die Düne teilweise mit Gras bewachsen, oder auch mit niedrigem Buschwerk.

 

Im Gegensatz zu gestern war ich nicht allein am Weg. Es herrschte reger Verkehr, zumindest bis in den frühen Nachmittag hinein. Ich kam immer wieder an Hinweisschildern vorbei, die auf historische Siedlungen an der Strecke verwiesen. Das waren dann zumeist Steinbauten.

 

Gegen Mittag winkte mir eine Farmersfrau freundlich zu. Sie war gerade mit dem Mähen ihrer Zufahrtsstraße beschäftigt. Ich blieb gerne stehen. Denn ein paar offene Fragen hatte ich: Die gelbblühenden Pflanzen waren Raps. Das üppige Grün waren Weizen und Hafer. Die Frau hatte selbst nur eine kleine Farm. Sie seien mit ihren paar wenigen Kühen und Schafen Selbstversorger. Und Fisch gäbe es auch reichlich dazu. Dann erfuhr ich noch, dass es heuer wenig Niederschlag hatte. Das Gras sei nicht gut gewachsen. Und im Sommer verwandle sich das Grün zu einem flächendeckenden Creme. Ich erzählte mit Lust von meinen Farben. Dass mir das Rot im Norden so gefallen habe, doch jetzt seit gestern auch das tolle Grün. Die Frau war ganz stolz. Rot und Grün seien die Nationalfarben Australiens. Der Tratsch übern Zaun hatte uns beiden gefallen. Sie gab mir noch den Hinweis, dass ich in der nächsten Stadt unbedingt bei Poppies am Park vorbeimüsse. Dort gäbe es den besten Kaffee.

 

Diesem Tipp ging ich natürlich nach. Statt Kaffee bestellte ich einen Jasmine-Tee. Der schmeckte auch. Und auch das zusätzliche Mango-Smoothie war vorzüglich. Doch am besten geschmeckt hat mir der kurze Austausch mit einem Motorradfahrer vor dem Café. Er fuhr eine Royal Enfield. Sie war als Café-Racer hergerichtet, und hatte neben viel Chrome auch ein paar Tuningteile verbaut. Für ihn sei die Maschine ideal. Er fahre sowieso nur rund um die Stadt. Die langen Geraden seien nichts für ihn. Dass ich hingegen Freude mit ihnen habe, nahm er mir nur verwundert ab. Mit dem Fahrrad seien die Geraden ja unendlich lang.

 

22. Juli 2023

Zeltplatz am Meer und Sand am Rad

Mein Zeltplatz lag erste Reihe fußfrei am Meer. Oder ein paar Meter davon entfernt, damit ich auch etwas Grasboden habe. Mich auf den Sonnenuntergang freuend hatte ich die Rechnung ohne das Wolkenband gemacht, das sich gerade zu diesem Zeitpunkt knapp über dem Meer festsetzte. Doch dem akustischen Genuss tat dies keinen Abbruch. Der war wunderbar. Etwas Rauschen, eher sanft, dann ein kräftiges Anrollen des Wassers, dem folgend ein langes Auslaufen lassen, mit kurzer Stille danach, und einem Start von neuem. Am Abend war es intensiver als am Morgen. Da lag das Meer ruhig da. Es hatte kaum Wellengang.

 

Und ruhig lag auch mein Zelt da. Es hatte schwer zu tragen. War es gestern taunass, so war es heute tropfnass. Oder klitschnass. Und innen drinnen fühlte sich auch alles eher feucht an. Das gehöre zu dieser Gegend und zu dieser Jahreszeit hier dazu, meinte mein Wohnwagennachbar. Er schien ein erfahrener Camper zu sein, und den Platz gut zu kennen. Denn sein Wagen stand prächtig in der Sonne. Ich musste meine nassen Sachen noch im Halbschatten einpacken. Ich wollte nicht zuwarten, bis alles abgetrocknet war. Denn dann käme ich wohl nie vom Fleck. Eher am Nachmittag zeitig einen Platz suchen und die Sachen beim Aufstellen trocknen lassen, war meine Überlegung. Die fehlenden Kilometer vom Morgen hole ich später selten auf, ist meine Erfahrung.

 

Die Strecke führte entlang der Küste nach Süden. Der Indische Ozean gab sich ruhig. Er lag zur rechten Seite, und zeigte nur sein schönes Türkis, ohne große Wellen. Auf der linken Seite dehnte sich das Land mit Buschwerk und Sand scheinbar unendlich ins Landesinnere aus.

 

Mittags putzte ich bei einer Pause den morgendlichen Sand vom Rad. Die Zufahrtsstraße zur Küste war eine Sandpiste gewesen. Und der dort beim Fahren aufgewirbelte Sandstaub war am taunassen Rad haften geblieben. Das wollte mir nicht gefallen. Denn auch in der Kette und im Schaltwerk war Sandstaub sichtbar. Ich musste an den Nachbarn vom Morgen denken, und legte ihm einen Kommentar in den Mund: Das gehört in dieser Gegend zum Radfahren dazu.

 

23. Juli 2023

Eine Bucht zum Staunen

Das Trocknen meiner Zeltsachen hatte gestern gut geklappt. Ich wählte die volle Stufe: Nachmittagssonne ungefiltert auf die Wäscheleine scheinen lassen. Damit war alles im Nu trocken. Und anscheinend gar mit Langzeitwirkung. Denn zur Überraschung fühlten sich die Sachen auch am Morgen noch so an.

 

Was ich gestern jedoch vergessen hatte, war das Einkaufen. Am Abend hatte der Laden schon zu. Also war ich um 8 Uhr der Erste vor der Eingangstür. Zum Verstauen des Gekauften schob ich das Rad am Gehsteig in die Sonne, und lehnte es an eine Gebäudemauer. Eine Möwe schaute mir zu. Sie hoffte, dass etwas von meinem Frühstück auch für sie abfällt.

 

Mit einem Heißhunger schlang ich Bananen, Brot, Creme Cheese und Sojamilch hinunter. Nebenbei packte ich das Essen für unterwegs und für morgen in meine Taschen. Am Gehsteig war ich natürlich ein Hindernis, auch wenn am Sonntag in der Früh nicht viel los war. Zwei Männer, die im Gegenlicht an mir vorbei wollten, kommentierten es launisch: Wieso ich denn am Gehsteig vor dem Haus frühstücke, wenn hinterm Haus der Ozean zum Verweilen einlade. „Enjoy the ocean“. Da war ich baff. Vor lauter Hunger und Drang aufs Rad war mir dieser Gedanke tatsächlich nicht gekommen. Ich wollte aufs Rad, und nicht schon frühmorgens am Wasser rumtrödeln.

 

Mit etwas Rückenwind startete ich in den Sonntag und meine Etappe. Das Rad fühlte sich etwas schwerer an. Oder war schwerer in Gang zu bringen. Doch wenn mal Schwung aufgenommen, lief es gut. Die paar Kilo mehr vom Einkauf waren schon zu spüren. Die Strecke führte durch mehrere Naturreservate. Immer wieder waren mächtige Dünen zu sehen. Heller Sand in Hülle und Fülle.

 

Irgendwann kam ich zu einer Weggabelung. Alle Autos und Caravans fuhren links zur Pinnacles Desert. Dieses Naturjuwel hatte man mir auch empfohlen. Doch ich entschied mich, dem Hinweis der beiden Männer vom Morgen folgend, rechts für die näherliegende Hangover Bay. Und die war der Hammer. So was von schön, unglaublich. Eine, große, wunderbare Bucht mit türkisem Wasser zum Staunen. Ich war hin und weg. Die Bucht allein für mich, das Wasser, der Himmel, der Sand, die Flora, die Farben. Hey, war das ein Sonntagvormittag. Ich dehnte meine Pause gerne aus. Kein Drang aufs Rad mehr, nur dasitzen, schauen, und mit offenem Mund staunen. Eine Stimmung und Farbe zum Eintauchen, und Verweilen. Wunderschön. "Enjoy the ocean" geht glaub so.

 

24. Juli 2023

Anfahrt auf Perth

Die Badehose und die Regenkombi hatte ich als Reserve in den Taschen belassen. Doch sonst zog ich alles an, was ich im Dunkeln finden konnte. Ich fand es saukalt, diese Nacht. Daher freute ich mich, als die Sonne das Zelt frühmorgens etwas wärmte. Doch da war ich schon mit dem Frühstück fertig. Ich hatte den gestern am Abend schon gekauften Veggie-Burger verputzt. Richtig delikat sah das vom Gemüsesaft durchnässte Brot nicht mehr aus. Doch im Schlafsack eingewickelt und am Boden sitzend mundet einem alles, wenn man Hunger hat.

 

Beim Losfahren rief mir der Wohnwagennachbar nach, dass ich ein Glückspilz sei. Er meinte, dass ich Rückenwind haben werde. Richtung Süden müsse ich wahrscheinlich gar nicht in die Pedale treten. Ganz traf seine Vermutung zwar nicht zu. Doch flott voran kam ich jedenfalls. Auch die kurzen Steigungen gingen wie von selbst. Doch ich war recht spät gestartet. Mittags war ich daher noch gar nicht so weit gekommen. Alles kann der Rückenwind auch nicht wettmachen.

 

Bei einer Tankstelle kaufte ich mir ein Ei-Sandwich und Snickers. Notgedrungen, denn die Auswahl gab für mich nichts anderes her. Auf dem Vorplatz zurrte ein Mann in weißen Gummistiefeln eine Gasflasche auf seinem Pickup fest. Mein danebenstehendes Fahrrad interessierte ihn auch. Und meine Route ebenso. „You must have a strong mind“, war sein Kommentar, den er wegen der vielen Geraden aussprach. Ich musste schmunzeln. Ei-Sandwich und Snickers seien der Turbo, hielt ich dagegen. Und Rückenwind so wie heute hilft auch.

 

Bei der Anfahrt auf Perth wurde schon weit davor über viele Kilometer das Gelände großflächig um gebaggert. Neue Vororte waren im Entstehen. Überall war Werbung für Landkauf zu sehen. Doch die zum Teil schon fertigen Häuser waren alle im gleichen, einfallslosen Stil. Mir gefielen sie trotz ihrer Lage an der Küste nicht. Doch das änderte sich, je näher ich zu Perth kam. Da gab es gepflegte Grünstreifen, schicke Villen, unterschiedliche Bauten, Zentren mit Flair. Zumindest empfand ich es beim Durchfahren an der Uferstraße so. Spannend, dachte ich mir, der Übergang vom unbewohnten Niemandsland zur großen Küstenmetropole. Und wunderbare Radfahrwege gab es plötzlich auch.