AB Nashville die Mitte queren

1. Juni 2022

Mais, Bohnen, Getreide

Bis zur Querung des Tennessee River wählte ich die große Hauptstraße. Doch am Seitenstreifen lag viel Kies. Ich musste also auch die Autofahrspur benutzen. Zum Glück war wenig Verkehr. Bei der Brücke über den breiten Fluss sah ich unten ein paar Fischern auf einem Boot zu. Viel spielte sich dort nicht ab. Dasitzen und warten, war mein Eindruck von ihrem Tun.

 

Auf einem historischen Schild war “Memphis Bristol“ angeschrieben. Demnach war dies der erste Highway hier. Doch mich interessierten ohnedies mehr die schmalen Straßen durch die Felder. Auch wenn dort der Asphalt meist etwas rauer ist, so sind sie zum Fahren viel angenehmer. Kein Verkehr, und abwechslungsreich durch die Landschaft. Und öfters auch kleine Waldstücke. Der Unterschied zwischen dem Schatten des Waldes und der prallen Sonne im offenen Feld ist frappant. Ich habe die kühlende Wirkung der Bäume heute jedenfalls genossen. Denn es war ziemlich heiß.

 

Auch wenn die Landschaft hier weniger lieblich ist als die Tage zuvor, so gefällt mir das Radfahren mittendrin dennoch. Mal geradeaus, dann kurz links, nach dem nächsten Feld wieder rechts, eine Hügelkuppe hoch, mit Schwung dahinter runter, so schaute mein Tagwerk heute aus. Und Schalten immer wieder durch alle Gänge.

 

Das Land ist offen und weit. Es gibt viel Ackerbau. Mais, Bohnen, Getreide. Einige Felder liegen auch brach. Auf einem sehe ich einen Sattelzug mit Kunstdünger. Den Anhänger hat er seitlich am Feld für die Traktoren zum Abfüllen bereitgestellt. Auf der Straße liegen kleine blassblaue Kügelchen. Es wird wohl viele davon brauchen, wenn die riesengroßen Silos der einzelnen Farmen im Herbst dann mit Mais oder Weizen gefüllt werden sollen.

     

2. Juni 2022

Am Mississippi entlang

Gestern Abend und in der Nacht zogen Gewitter durch. Und heute Morgen die Polizei. Schon früh leuchteten ihre Autoscheinwerfer mein Zimmer aus. Es hat mich nicht gewundert. Das Motel war reichlich abgewohnt. Einige der Dauergäste kamen mir abends ziemlich suspekt vor. Ihnen galt anscheinend der morgendliche Besuch der Polizei. Für mich als Radfahrer interessierten sie sich nicht. Ich hatte freie Fahrt. Und die nahm ich dann auch schnurstracks auf.

 

Mittags gönnte ich mir eine Pause bei Burger King. Dort gibt es auch vegetarische Kost. Impossible Whopper nennen sie den Burger auf pflanzlicher Basis. Der Konkurrent McDonalds bietet hier am Land nur konventionelle Menüs an. Doch hie und da schaue ich dennoch dort vorbei, des freien Internetzugangs wegen. Um den bin ich unterwegs doch manchmal froh. So kann ich mögliche Unterkünfte an meiner Route checken. Die Netzabdeckung mit meiner amerikanischen Daten-Simkarte ist nämlich absolut unzureichend.

 

Am Nebentisch wollen zwei ältere Einheimische mit mir ins Gespräch kommen. Sie haben mich schon mit dem Fahrrad heranfahren sehen, und gleich neugierig geschaut. Doch aus der Konversation wird nichts. Sie haben ein so merkwürdiges Nuschelamerikanisch drauf, dass ich nur einzelne Wortfetzen deuten kann. Doch sie waren glaub dennoch zufrieden. Jedenfalls sind sie noch länger an ihrem Tisch sitzen geblieben, der schon leer war, als ich den Laden betrat.

 

Meine Route führte mich am Nachmittag entlang des Mississippi Flusses. Zuerst ging es nur weit entfernt von ihm durch das flache Vorland. Dort werden auf riesigen Feldern vor allem Mais und Sojabohnen angebaut. Als Düngemittel verwenden sie hier anscheinend blass-rosa Kügelchen. Ein Traktor mit hohen Rädern und einem seitlich weit ausladenden Gestell brachte es gerade auf einem der Maisfelder aus. Nah zur Straße fiel auch auf diese immer wieder etwas Düngemittel ab.

 

Irgendwann bin ich dann endlich am Ufer des riesigen Flusses. Eine Menge Wasser kann ich da bestaunen, träge dahinfließend. Farblich hebt es sich nicht sonderlich vom Wolkengrau ab. Meine Vorfreude auf den so berühmten Fluss war merklich größer als das eher unspektakuläre Bild, das er mir hier bietet. Doch ich bin ja noch länger am Weg. Da kann er seine Pracht vielleicht noch woanders zeigen. Heute war es ja auch sonst eher diesig grau. Und gesprenkelt grau zeigte sich nach kurzer Zeit auch mein weißes Shirt, als ich es zum Trocknen abends raushängte. Im Nu war es von einem Schwarm winzig kleiner Mücken besetzt. Wie ein grauer Netzschleier haben sie sich auf den weißen Stoff gelegt.

 

3. Juni 2022

Flach, geradeaus, und links und rechts Traktoren

Kaum auf die Straße eingebogen geht es nur noch geradeaus. Das Gelände ist flach. Ich fahre dem Mississippi entlang Richtung Norden. Von rechts vorne kommt mir die Sonne entgegen. Autos sind nur vereinzelt am Weg. Es gibt fast mehr Schildkröten als Autos auf der Straße. Doch deren Leben scheint gefährlich zu sein. Nicht alle schaffen die Querung der Fahrbahn. Ich genieße die feine Morgenstimmung. Und etwas später genieße ich auch die Gesellschaft beim Warten auf die Fähre, die sich lange Zeit lässt mit ihrem Kommen.

 

Wir sind zu viert. Eine Frau wartete bereits in ihrem Auto. Sie erklärte mir, dass der Kapitän bereits Bescheid wisse. Sie hätte den Warteknopf beim Hinweisschild bereits gedrückt. Hinten im Auto hatte sie einen großen Strauß Plastikblumen. Der sei für den Hund ihres Bruders. Sie würden ihn heute auf den Friedhof bringen. Er sei 17 Jahre alt geworden. Nicht sehr pietätvoll fielen mir sofort meine Erlebnisse mit anderen Hunden hier ein. Vielleicht hatte er auch einen Radfahrer gejagt, und sich dabei übernommen. Doch die Frau war sehr nett. Sie beteiligte sich dann auch am Gespräch mit einem auf einem Motorrad dazukommenden amerikanischen Paar.

 

Ben und Kim interessierten sich brennend für meine Route. Und mit Ben habe ich jetzt einen weiteren Pastor kennen gelernt. Er ist Baptist, leidenschaftlicher Banjospieler, begeisterter Motorrad- und auch Radfahrer. Wir tratschten recht lange über Gott und die Welt. Bei der Religion meinte er, dass der persönliche Bezug wichtig sei. Der äußere Rahmen, den viele Gemeinschaften so betonen, stehe bei ihm nicht im Vordergrund. Ich fand die Unterhaltung spannend. Er animierte mich gar, einen Psalm auf Deutsch zu rezitieren. Ich hatte ihm nämlich voll Stolz erzählt, dass ich den Psalm 23 kenne. Und bevor die Fähre dann am anderen Ufer des Mississippi anlegte, wusste ich auch über die beste Motorradstrecke Amerikas Bescheid. Zwischen Tennessee und North Carolina gäbe es eine Route, die hätte auf 11 Meilen satte 318 Kurven. Ben’s Pastorenaugen strahlten beim Reden übers Motorrad genau gleich wie beim Reden über seinen persönlichen Bezug zu Gott.

 

Ein paar Kurven nach der Fähre weiter begrüßte mich ein blaues Willkommensschild des Staates Missouri. Und das waren dann auch die einzigen weiteren Kurven des Tages. Durch das Farmland ging es nur noch geradeaus weiter. Links und rechts riesengroße Felder. Zum Teil waren sie bereits mit Mais, Getreide und Sojabohnen bepflanzt. Oder es war die Aussaat gerade im Gang. Oder die Äcker wurden mit großen Maschinen umgebrochen oder gedüngt. Links und rechts also Traktoren, in der Mitte ich am Rad. Und über mir zog für kurze Zeit sogar mal ein gelbes Flugzeug steile Kurven. Tieffliegend über dem Acker betätigte es immer wieder die Spritzdüsen. So flog es eine weiße Dunstschwade hinter sich herziehend über das matte Braun der Felder.

 

4. Juni 2022

Schotterpiste oder Asphalt

Nach einem morgendlichen Kurzbesuch bei einer Tankstelle an der Ortsausfahrt für ein paar Müsliriegel und etwas Saft suche ich die Abzweigung für meine Route. Nachdem ich gestern schon ungewollt auf Schotter unterwegs war, bin ich heute vorsichtiger. Doch nach einigen verlockenden Kilometern auf gutem Asphalt kommt prompt eine ockerfarbene Schotterpiste. Ich bleibe kurz stehen, und orientiere mich auf der Karte nach Alternativen. Doch dafür muss ich erst mal hier auf Kies und Schotter entlang. Manchmal ist es auch festgefahrener feinkörniger Sand. Es geht zum Fahren, doch Spaß macht es nicht. Zum einen bin ich langsam, zum anderen bedingt es eine höhere Konzentration. Und mit meinen Gepäcktaschen ist es jedenfalls fordernd. Als ich dann die erste Kreuzung mit einer asphaltierten Straße erreiche, fällt mir die Entscheidung leicht. Ich fahre auf Asphalt weiter. Lieber ein paar Kilometer mehr, und dafür einen gut fahrbaren Untergrund.

 

So genieße ich dann den pipifeinen Sonnentag auf einer breiten, leicht kurvigen Strecke durch waldiges Gebiet. Am Rand immer wieder etwas Schatten, die Straße super gut, der Himmel blau, kein Verkehr, dieses Missouri von heute findet meinen Gefallen. Ein Mal sehe ich zwei Westernreiter. Sie hatten ihren Pickup mit Hänger zwischen den Bäumen abgestellt, und ritten gerade los. Die Pferde am losen Zügel verschwanden sie auf einem Pfad im Wald. Die werden ihren Ritt heute wohl auch so genießen wie ich meinen am Rad.

 

Mittags schaue ich im Holmes Store, einem Lebensmittelladen im kleinen Williamsville vorbei. Würmer zum Fischen könnte ich hier kaufen, steht groß an der Türe. Und drinnen gibt es glaub noch mehr, was jemand an Grundversorgung zum Überleben am Land braucht. Doch außer Pommes kann mir die freundliche Verkäuferin nichts Vegetarisches anbieten. Dafür kommt dann ihre Mutter zu mir an den Tisch. Sie hat hinten im Laden gehört, woher ich komme. Und schon hat sie mir über ihre vielen Reisen erzählt. Als Krankenschwester beim Militär hat sie einige Länder kennen gelernt, auch in Europa. Griechenland sei traumhaft. Doch ihre Kinder hier, die würden nur Missouri kennen, und selbst da nur diesen einen kleinen Flecken rund um ihren Laden. Aber der sei schon auch wirklich schön.

 

Abends mache ich es mir auf einem Campingplatz gemütlich. Ich bin der einzige mit Zelt und Rad. Auf den anderen Plätzen stehen nur Allrad-Pickups und riesige Wohnanhänger oder Sattelauflieger. Dafür bleiben die dann glaub auch länger als nur für eine Nacht. Die Holzvorräte rund um die Feuerstellen lassen jedenfalls darauf schließen.

 

5. Juni 2022

Am Weg zur Sonntagsmesse

Als ich mein Zelt frühmorgens abbaue, höre ich plötzlich zunehmenden Lärm. Ich meine zuerst, es seien Enten im Fluss entlang des Campingplatzes aufgescheucht worden. Doch der Lärm kommt von oben. Ein großer Schwarm Gänse zieht schnatternd über mich und die Bäume dahin. Vielleicht gaben sie einander ihre Flugroute durch. Das wäre dann „Alle Richtung Clearwater-See“ gewesen. Dort wollte ich heute auch vorbei, nur nicht mit so viel Lärm.

 

Bei einer großen Wiese erschreckt eine Herde kohlschwarzer Rinder. Leise daherkommende Radfahrer sind sie anscheinend nicht gewohnt. Es gibt ein imposantes Bild ab, wie die Herde plötzlich zusammen davontrabt, und dann wieder stehen bleibt. Einige stampfen. Ich sehe und höre sie schnauben. Doch noch mehr beeindruckt mich, dass alle in einer Reihe aufgefädelt ganz aufmerksam ihre schwarzen Köpfe und Augen zugleich auf mich gerichtet haben. Ihre großen gelben Ohrmarken links und rechts schauen dabei lustig aus. Sie heben sich vom Schwarz der Körper und dem Grün der Wiese deutlich ab.

 

Als ich das Schauspiel mit dem Fotoapparat festhalten will, bleibt ein Auto neben mir stehen. Eine ältere Frau reicht mir eine Karte durch das Fenster. Sie sei am Weg zur Kirche, und da könnte mich die Karte vielleicht interessieren. Es stehen ein paar Bibelsprüche drauf, und Werbung für ihre Glaubensgemeinschaft. Ich erkläre ihr, wieso ich am Straßenrand stehengeblieben bin. Es sei die Rinderherde gewesen, die erschrocken sei. Da überrascht mich die Frau dann noch ein weiteres Mal. Sie steigt etwas behäbig aus dem Auto aus, und spielt dann total quirliges Cowgirl. Sie fuchtelt erregt zu den Rindern hin, und schreit ihnen dabei aus voller Kehle wie auf einer Alpe irgendwelche nicht wiederholbaren Laute zu. Zuerst brav im Auto sitzend am Weg zur Kirche, und dann voll in Action als Cowgirl vom Land. Einer aus ihrer Kirche sei Farmer, und deshalb kenne sie sich aus. Die Rinder schien ihr Auftritt mindestens so beeindruckt zu haben wie mich. Sie fingen jedenfalls wieder zu grasen an. Und ich steckte ihre Karte zum unlängst bereits erhaltenen Baptistenfolder in meine Lenkertasche.

 

Irgendwann später bin es dann ich, der mächtig erschrickt. Wie aus dem Nichts taucht plötzlich mitten auf meiner Fahrbahnhälfte eine Schlange auf. Sie sucht den Weg Richtung Gras an der Seite. Sie war von gleicher aschdunkelgrauer Farbe wie eine breite Verfärbung in der Fahrbahn. Wahrscheinlich habe ich sie deshalb nicht früher wahrgenommen. Mit einem Schlenker bei fast blockierendem Vorder- und seitwärts wegrutschendem Hinterrad kann ich ihr gerade noch ausweichen. Glück gehabt, denke ich mir, wobei ich uns beide meine, die Schlange und mich.

 

Der Rest des Sonntages ist dann schweißtreibendes Radfahren. Die vielen Hügel von Missouri haben es in sich. Zwar landschaftlich schön durch Wald und Naturschutzgebiet, doch mit gefühltem mehr Auf als Ab ziemlich schweißtreibend. Als ich in einem Laden meine Trinkflaschen fülle, schmunzelt die Verkäuferin wissend, und ergänzt: „hilly hills“.

 

6. Juni 2022

Regentag 

So schön das Wetter gestern war, so wolkenverhangen und nass zeigt es sich heute. Die Vorhersage kündigt tagsüber heftigen Regen an. Also bleibe ich unter Dach und mache Pause. Fahrradputzen nehme ich mir vor, falls ich in einem der vielen Autozubehörläden ringsum ein paar Putzlappen auftreibe. Doch gelandet bin ich in einem großen Walmart-Laden, und habe mit meinen wenigen Sachen fast nicht mehr herausgefunden. Dafür waren der Humus, die scharfen Pfefferoni und die saftigsüße Mango aber lecker.

 

7. Juni 2022

U.S. Route 66 gekreuzt

Nach dem gestrigen Ruhetag habe ich am Morgen flotte Beine. Es geht rasant dahin. Doch dazu trägt das Gelände entschieden noch mehr bei. Die Hügel und Wälder habe ich wohl hinter mir gelassen. Es ist offenes Farmland und nur leicht kupiert. Ich habe den Eindruck, als ob ich auf einer weiten Ebene unterwegs bin. Hie und da gibt es ein paar leichte Anstiege. Doch sonst ist es fast eben, windstill, und es sind nur wenige Autos am Weg.

 

Schon recht schnell hole ich zwei andere Radfahrer ein. Es sind Mark und Dave aus Amerika. Sie sind bereits etwas länger unterwegs und fahren die TransAmericana Richtung Oregon. Dave hat sein Gepäck auf einem Radanhänger. Doch er ist sich nicht sicher, ob das wirklich Vorteile hat zu Gepäcktaschen. Vielleicht weniger Luftwiderstand, doch treten müsse man ebenso. Mit Mark kann ich mich gar auf Deutsch unterhalten. Er war schon einige Male in Österreich, und erzählte vom letzten Urlaub in Südtirol. Ich merke an mir, dass ein bisschen Tratschen am Rad ganz toll ist. Wenn sonst allein, tut es einem gut. Doch den eigenen Rhythmus fahren können gefällt mir fast noch mehr. Und so fahre ich dann wieder zufrieden allein weiter, als die beiden zu einem ländlichen Straßencafé für ein spätes Frühstück abbiegen. Es war auf ihrer Karte eingezeichnet, und da wollten sie auch Pause machen. Sie hätten jedenfalls Erdnüsse mit, denn der Laden schaute noch geschlossen aus.

 

Ein paar Mal kam ich an Verkehrsschildern vorbei, auf denen eine Kutsche abgebildet war. Bei einem Sägewerk sehe ich Männer mit langen Bärten und breiten Hüten an der Arbeit. Und auf einem Feld mähte jemand mit zwei Arbeitspferden als Vorspann das Gras nahe zu einem großen Gemüsegarten. Das dürfte dann wohl eine Amish-Gegend sein, kam mir in den Sinn. Und wenn vorher rund um die Höfe jede Menge alter Maschinen und Pickups im hohen Gras dahinrosteten, so fehlten sie hier zur Gänze. Nirgendwo Maschinen. Doch die Kutschen vom Verkehrsschild sah ich ebenfalls nicht.

 

Nahe zu Springfield tauchten dann die ersten Schilder „Historic Route 66“ auf. Hier wurde vor fast 100 Jahren die Idee der ersten durchgehend befestigten Straßenverbindung zwischen Ost und West geboren. Sie führte über fast 4.000 Kilometer von Chicago nach Los Angeles. An einem dieser Straße gewidmeten Museum kam ich ebenfalls vorbei. Wahrscheinlich wird mich dieses Thema die nächste Zeit dann noch mehr begleiten. Denn Richtung Westen bin ja auch ich am Weg.

 

8. Juni 2022

Ein feines Café und interessante Geschichten

Am Morgen aus Springfield rausfahren war total spannend. Ich war recht früh dran. Es herrschte im Gegensatz zu gestern Abend nicht so viel Trubel. Doch zu beobachten, wie sich der Verkehr langsam ausdünnt, war interessant. Zuerst viele Spuren in beide Richtungen, Ampeln mit langen Phasen, Trucks, Pickups, Vans. Irgendwann dann nur noch zwei Spuren, weniger Lärm, Vororthäuserstraßen mit Gärten. Und wohl so erst nach einer Stunde Fahrzeit der Übergang aufs Farmland. Nur noch ganz wenige Autos, keine Häuser mehr, dafür Hasen die mit ihrem weißen Hinterteil im Gebüsch verschwinden, erfrischendes Vogelgezwitscher, Truckfahrer die einem zuwinken. Stadt und Land, ein reizvoller Gegensatz auch beim Radeln. Und mir gefällt das Ländliche eindeutig besser.

 

Gegen Mittag sehe ich am Horizont erste Windräder. Zuerst ganz klein, und mit dem Näherkommen größer werdend, und immer mehr und mehr. Zum Glück standen sie still. Das Gelände Richtung Kansas ist flach. Mit Gegenwind könnte es hier wohl weniger lustig sein zum Fahren. Doch auch ohne Wind gab es dann dennoch eine etwas trübe Stimmung: Dunkle Wolken waren nämlich aufgezogen, erste Tropfen fielen. Aber im Gegensatz zur Anzahl der Windräder wurden sie nach einiger Zeit wieder weniger. Ich kam ohne Regenkombi durch. Und das leicht feuchte Trikot trocknete schnell.

 

Irgendwann machte sich dann Hunger bemerkbar. Statt meiner Route am Navi weiter zu folgen, bog ich in Richtung eines Ortsschildes ab. Golden City war angeschrieben, und 651 Einwohner noch dazu. Auf eine Tankstelle hoffend, landete ich in einem Café. Dort waren alle bester Stimmung, und ich dazu. Denn der Dutch Strawberry Rhubarb-Kuchen war sensationell. Ich langte gleich zwei Mal zu. Und die anderen freuten sich über mich als Radler. Irgendjemand hat sogar meinen Kuchen bezahlt, unwissend wer. Da staunte ich dann sehr. Und natürlich habe ich ich mich mit Freude im Gästebuch des Cooky’s eingetragen. Das müsse jeder Radler hier tun, sei bei ihnen Tradition. Doch all die vielen Einträge vor mir habe ich gar nicht angeschaut. Der wunderbar saftige Rhabarberkuchen hat mich zu sehr abgelenkt.

 

Am Nachmittag holte ich dann drei andere Radfahrer ein. Es war ein Amerikaner ohne Gepäck, dessen Frau ihn mit einem Wohnmobil auf seiner Tour begleitete. Und die beiden anderen waren Toni und Ute aus München. Die hatten Spannendes zu erzählen. Beiden war etwas zeitversetzt ihr englisches Gepäckträgersystem gebrochen, und hatte jeweils das Schaltauge an ihren Simplonrädern zerstört. Ersatz war nicht aufzutreiben. Also kauften sie sich zwei neue Räder, damit sie ihre Tour über die Rockies nach San Francisco fortsetzen konnten. Die beiden Räder seien die einzig verfügbaren gewesen. Toni meinte schmunzelnd, dass sie deshalb auch auf Anhieb passten. Bei ihren eigenen hätten sie mehr als ein halbes Jahr rumgetüftelt. 

 

Ich selber musste auch schmunzeln. Denn ich hatte vor meinem Start das Tailfin-System ebenfalls in Überlegung. Die Obertasche hatte ich sogar gekauft. Sie wartet unbenutzt zu Hause. Denn bei der Montage auf meinen Tubus-Airy-Träger bin ich gescheitert. Und das filigrane, tailfin-eigene Racksystem hat mir nicht zugesagt. Doch vom Konzept her ist es dennoch genial. Vielleicht darf man nur nicht bei den ersten sein, die es im harten Einsatz erproben.

 

9. Juni 2022

Flach geradeaus und eine Friedhofswiese

Am Morgen beim Losfahren ist es noch etwas frisch. Ich ziehe ein Halstuch über, doch schon bald auch wieder aus. Der Himmel ist blau, die Luft nach nächtlichem Regen klar, und die Sonne tut ihr Bestes. Sie scheint von schräg hinten, während ich nach Westen am Weg bin. Für einige Zeit ist es wie ein Schattenspiel beim Fahren.

 

Meine Route führt heute durch flaches Gelände mehr oder weniger nur geradeaus. Ein paar rechtwinklige Kehren nach Norden und Westen mache ich zwar, doch die Streckenteile dazwischen sind alle gerade. Auf der Karte schaut es aus wie mit dem Lineal gezogen. Und beim Fahren dehnt sich die Gerade immer bis zum Horizont aus. Hie und da sind ein paar sanfte Hügel dabei. Als ich einen hochfahre, höre ich es dahinter lautstark brabbeln. Ein Truck kommt mir auf Scheitelhöhe entgegen. Das war lustig anzuschauen, wie zuerst ganz langsam seine beiden seitlich hoch in den Himmel ragenden Auspuffrohre erschienen. Erst später kam dann nach und nach das Führerhaus. Für kurze Zeit schaute es so aus, als ob mir da nur zwei Auspuffrohre entgegenkommen.

 

Und wegen der leichten Kuppen gab es noch was Lustiges zu sehen. Als nämlich ein Truck mit Getreidesilos weiter vorne die Straße querte. Ich konnte nur die Erhöhungen der Silos sehen. Der Rest des Fahrzeuges war vom Gelände verdeckt. Das schaute so aus, als ob eine Raupe aus einem Getreidefeld langsam die Straße überqueren würde und im anderen Getreidefeld wieder verschwindet. Als ich dann auf Höhe der Querstraße war, waren die Raupe wie der Truck auch tatsächlich weg.

 

Gegen Mittag überholt mich ein Wohnmobil. Es kommt mir bekannt vor. Und als ich es ein paar Kilometer weiter bei der Einfahrt zu einer Friedhofswiese sehe, winkt mir jemand zu. Es ist der Amerikaner von gestern Nachmittag. Und so lerne ich auch seine Frau, die Wohnmobilfahrerin kennen. Sie haben gerade zum Lunch angehalten, und laden mich ein. So ein Begleitfahrzeug hat schon seine Vorteile. Das Angebot an Getränken, Snacks, Obst oder anderem ist entschieden größer als ich in meinen Packtaschen je verstauen könnte. Und an so eine Mittagsjause auf einer ausgebreiteten Decke in einer grünen Wiese könnte ich mich auch gewöhnen.

 

Etwas komisch fand ich nur, dass die beiden einen Friedhof als Lagerplatz ausgewählt hatten. Doch das klärte sich dann recht rasch im Gespräch. Denn während er mit dem Fahrrad seine Kilometer auf der Straße abspult, besucht die Frau mit dem Wohnmobil die Friedhöfe an der Strecke. Dort macht sie Fotos von allen Grabsteinen. Oder sie suche nach ganz bestimmten. Das sei ihr Hobby. Ahnenforschung. Die Bilder lädt sie mit den Namen und den Koordinaten in eine Datenbank hoch. Dort könnten alle nach ihren Verwandten oder Vorfahren suchen, wo sie beerdigt seien. Oder nachforschen, ob es da irgendwo noch ein Grab von ihnen gäbe, wenn sie die jeweilige Kirchengemeinschaft oder eine Ortschaft wissen. Spannend, denke ich mir, womit sich Leute beschäftigen können. Und während ich danach wieder am Rad sitze, frage ich mich, ob das Geradeausfahren hier jemand anderer als ich auch spannend finden könnte.

 

10. Juni 2022

Ein lauter Tag mit bunten Trucks und einem langen Zug

In der Nacht hat es kräftig geregnet. Der unebene Vorplatz des Motels steht unter Wasser. Doch auf der Straße gibt es nur noch wenige Pfützen. Und die sind schnell wieder trocken. Ich entscheide mich für eine große Verbindungsstraße als Tagesroute. Am Seitenstreifen finde ich genug Platz, und ich fühle ich mich sicher. Für die kleinere Straße über Land hätte ich nochmals ein Stück zurückfahren müssen. So teile ich den heutigen Tag mit vielen Trucks. Es rumpelt, dröhnt und rauscht kräftig, auch wenn die Straße nicht sehr stark frequentiert scheint. Die Ruhe und das Vogelgezwitscher der vergangenen Tage sind dennoch dahin. Aber ganz so schlecht war das Fahren hier dann auch wieder nicht.

 

Die Weite der Landschaft gefällt mir mit ihrem Grün. Es ist ein angenehmer Kontrast zum leicht milchigen Blau des Himmels. Und die vielen bunten Trucks sind fein anzuschauen. Am besten passen die Roten in dieses Ambiente. Doch Blau schaute auch gut aus. Ein Mal kam ein Knallgrüner daher. Der wusste mit seinem vielem Chrom noch mehr zu glänzen. Ja, unter den vielen ganz biederen Arbeits-Trucks gibt es auch echte Schmuckkästchen zum Herzeigen. Die sind herausgeputzt und aufgemotzt. Auspuffrohre wie Wolkenkratzer ist natürlich eine Übertreibung, doch dick und hoch und glänzend waren sie jedenfalls.

 

Während auf den Nebenstraßen die Pickups das Sagen haben, gehen sie hier auf der autobahnähnlichen Straße bei den großen Trucks fast unter. Ihre breiten Reifen machen zudem einen Höllenlärm. Ihr Metier ist glaub eher die Landstraße. Oder die Wiese. Doch von den Wiesen scheinen auch einige der Trucks heute herzukommen. Zumindest der Ladung nach. Denn es sind recht viele Viehtransporter am Weg. Die ziehen eine stark nach Mist riechende Duftschwade hinter sich her, die auch mich am Seitenstreifen einhüllt. Andere Trucks ziehen dafür mich am Seitenstreifen mit ihrem Luftzug etwas mit, wenn sie nahe an mir vorbeirauschen.

 

Bei einer Tankstelle mitten im Grünen kaufe ich mir etwas zum Essen. Die Verkäuferin meint, dass die Müsliriegel mit Nüssen und Schokoladestückchen die besten seien. Die möge sie selbst am liebsten. Draußen schallt Countrymusik aus dem Lautsprecher. Es kommt mir stimmig vor, zur Landschaft, zu den Fahrzeugen, und auch zu den Leuten, die hier vorbeischauen. Kurz meinte ich sogar, dass womöglich Dolly Parton vor der Eingangstür tiefinhalierend an einer Zigarette zog. Doch weder Trucker- noch Pickupfahrer nahmen von ihr Notiz. Die zollten eher mir Respekt, weil sie, mein Rad mit den dicken Packtaschen betrachtend, im Vorbeigehen immer wieder meinten, dass ich wohl auf großer Tour sei. Doch eine große Konversation kam dabei nicht zustande. Ich hatte den Mund ja voll mit dem besten Müsliriegel, und konnte nur bejahend nicken.

 

Auf einer Brücke über eine Eisenbahntrasse bleibe ich kurz stehen. Ich wollte die zwei Diesellokomotiven näher anschauen, die soeben durchfuhren. Canadian Pacific hatten sie als Logo drauf. Doch aus dem Kurzstopp wurde ein langer. Ich begann nämlich die angehängten Waggons zu zählen. Es waren unglaubliche 117 Stück. Sie hatten alle Getreide geladen. Oben rund um die Einfüllöffnungen lagen noch Kornreste.

 

Am späten Nachmittag landete ich kurz vor Wichita unverhofft in einem Bistro. Edamame-Bohnen als Vorspeise, dann Rucola-Salat mit Mozzarella und Tomaten, und als Hauptspeise Linguine mit Olivenöl und Parmesan. Es schmeckte mir ausgezeichnet. Vielleicht sollte ich doch vermehrt auf der Autobahn fahren. Denn auf den kleinen Landstraßen fand ich bisher immer nur Fastfood-Angebote.

 

11. Juni 2022

Duft von Getreide und am Zahnfleisch daherkommen

Die Straßen in Kansas scheinen nur geradeaus zu gehen. Wenn es Abzweigungen oder Kurven gibt, dann nur solche im rechten Winkel. So lege ich heute in der Früh ein langes Stiegenmuster auf die Karte. Ein paar Kilometer geradeaus nach Westen, dann einige geradeaus nach Norden. Das wiederhole ich ungezählte Mal bis ich wieder auf meiner gewünschten Route angelangt bin. Dabei erwische ich manchmal auch lehmig-sandige Pisten. Bis auf die Kreuzungen sind sie ganz gut zu fahren. Nur dort wo die Fahrzeuge bremsen und wieder anfahren, gibt es ein paar wellige Löcher. Kurzweilig würde ich den Vormittag heute bezeichnen, mit den vielen Richtungsänderungen.

 

Irgendwann komme ich bei einem Schießstand im offenen Gelände vorbei. Viele Autos, Menschen, Zelte, Schießlärm. Ein Wurftaubenschießen ist im Gang. Aus fünf Maschinen sausen orange Teller in Richtung eines Maisfeldes. Ganz wohl ist mir beim Vorbeifahren nicht. Denn seitlich zur Straße gibt es keine besonderen Abschrankungen. Im Sekundentakt sind Schüsse zu hören. Sie hallen noch kilometerweit nach.

 

Gegen Mittag wird es zunehmend heißer. Noch meine ich, dass es zum Aushalten ist. Doch als das Thermometer am Nachmittag dann 39 Grad anzeigt, bin ich klatsch nass. Es weht zwar eine leichte Brise, aber anfühlen tut es sich wie ein warmer Föhn. Ich bin froh, dass ich durch ein paar Ortschaften komme. So kann ich meine Wasserflaschen wieder nachfüllen. Ganz ungewohnt mache ich dabei auch jeweils kurze Rast. Auf einer Bank und auf einer leeren Getränkekiste mache ich mich jeweils an der Hausfassade im Schatten schmal. Also wenn diese Verhältnisse ein Vorgeschmack auf den Süden sind, dann wird es herausfordernd.

 

Doch vielleicht habe ich mir heute auch nur zu viele Kilometer vorgenommen. Bei den letzten bin ich froh, dass mich der Rückenwind in die Ortschaft treibt. Wie am Zahnfleisch komme ich daher, ist mein Eindruck. Aber ausgepowert durch die Getreidefelder zu radeln, hatte dann doch auch wieder einen speziellen Reiz. Denn diesen trockenerdigen Duft des fast vollreifen Korns finde ich überaus wohltuend. Und wohltuend war dann auch das Ausziehen der nassen Kleidung. Nach dem Waschen groß auswringen musste ich sie nicht. Die tiefstehende Sonne und der warme Wind trockneten heute schneller als jeder elektrische Wäschetrockner.

 

12. Juni 2022

Ölförderung im Kleinen und Rindermast im Großen

Ich entscheide mich für einen früheren Start. Der Nachmittagshitze von gestern möchte ich entgehen. Um halb sieben sitze ich schon am Rad. Bei bewölktem Himmel ziehe ich den Getreidefeldern entlang. Das Korn ist hier niedriger, das Gras am Straßenrand noch nass. Und der Horizont ist ganz dunstig. Auf den Stromleitungen sitzen die üblichen Gäste. Doch kennen tue ich nur den Rotflügelstärling. Die begleiten mich hier jetzt schon länger.

 

Auf den riesigen Maisfeldern stehen immer wieder große, bewegliche Bewässerungssysteme. Sie kommen mir wie Riesenkraken vor. Sie bewegen sich nur ganz langsam. Entweder im Kreis rund herum, oder gerade über das ganze Feld entlang. Es giert, wenn sie die Räder wenige Zentimeter vorwärts drehen. Dann ist eine Zeitlang Pause, bis zum nächsten Ruckler. Ein konstanter Sprühnebel legt sich entlang der Bewässerungsarme auf die Pflanzen.

 

Nahe zu einer Bahnlinie läuft eine Hirschkuh über die Straße. Sie verschwindet in einem kleinen Busch. Als ich langsam vorbeifahre, sehen wir uns für einen kurzen Moment aus nächster Nähe an. Sie kauerte im grünen Gras, wollte dort wohl ausruhen. Doch als sie mich sah, ist sie blitzartig auf und in Richtung Getreidefeld davon. Mit imponierend hohen Sprüngen fliegt sie dahin, als ob sie Sprungfedern hätte. Erst weit weg hält sie inne, und orientiert sich ob der möglichen Bedrohung. Viele Sprünge musste sie gar nicht machen. Einige wenige genügten zum Überbrücken einer größeren Distanz. Edel anmutend schaute es aus. Und im Getreidefeld war sie dann farblich gut getarnt.

 

Entlang meiner Route sehe ich viele kleine Ölpumpstationen in den Feldern. Ohne Unterbrechung bewegen die Pumpböcke die großen Pferdeköpfe auf und ab. In einiger Entfernung zu ihnen stehen kleinere Tanks. Hie und da riecht es auch nach Öl. Bei einem kleinen Laden an der Straße informiere ich mich über die Ölforderung. In Kansas seien nur kleinere Firmen am Werk. Die Tanks würden täglich mit Sammeltrucks angefahren und das Öl zu einer großen Verteileranlage gebracht. Von dort würde es in eine Raffinerie gepumpt. Wenn ich mich mehr für Öl interessiere, dann müsse ich jedoch durch Oklahoma fahren. Denn dort wären große Anlagen. Das hier an meiner Route sei nur Kleinkram.

 

Der Inhaber des Ladens ist sehr gesprächig. Während seine Tochter die wenigen Kunden bedient, gibt er mir bereitwillig Auskunft. Und ich lasse mir dabei den selbst gemachten Apfelkuchen schmecken. Beim Zahlen sehe ich ein Glas mit eingelegten Eiern auf der Theke stehen. Neugierig frage ich nach dem Inhalt. “Pickeld Eggs“ sei hier eine Spezialität. Die müsse ich unbedingt probieren. Also lasse ich mich darauf ein, und setze mich wieder an den Tisch. Es belustigt den Geschäftsinhaber und auch ein paar Kunden, wie vorsichtig ich ans Werk gehe. Doch die große geschmackliche Überraschung blieb aus. Auch eingelegte Eier schmecken wie normal gekochte Eier, war meine Feststellung. Ich nahm sie mit Erleichterung auf.

 

Und weil wir schon breit am Tratschen waren, fragte ich auch nach den großen Rindermastbetrieben an der Strecke. Ich hatte nämlich zwei solcher Anlagen entdeckt. Noch bevor ich sie sehen konnte, konnte ich sie schon riechen. In abgetrennten kleinen Metallpferchen waren wohl tausende Tiere untergebracht. Die Fütterungströge aus Beton schienen gar kilometerlang zu sein. Sie waren mit breiten Straßen erschlossen. Brauner Erdboden, schwarze Tierleiber, dumpfes Muhen, am Horizont irgendwelche riesige Siloanlagen. Ich fand den Anblick beklemmend und trostlos. Im Laden sagte der Mann dazu, dass es weiter westwärts in Kansas viele davon gebe. Die hier hätten um die 10.000 Köpfe. Im Westen gebe es Betriebe mit 100.000 Tieren. Da kamen mir die vielen Eindrücke der vergangenen Wochen in den Sinn, mit Bildern von wenigen Tieren auf großen grünen Weiden. Doch im Land der markanten Gegensätze ist wirklich alles möglich.

 

13. Juni 2022

Heiß wie noch nie, und Wind fast noch mehr

Beim Losfahren schalte ich sicherheitshalber mein Rücklicht ein. Es ist zwar schon hell, doch gesehen werden ist immer gut. Die tiefstehende Morgensonne lässt die Farben der Getreidefelder ganz kräftig erscheinen. Ich genieße die ersten Kilometer. Es ist eine tolle Stimmung. Etwas Sorge macht mir nur der aufkommende Wind. Zuerst noch erträglich, wird er zunehmend stärker und böiger. Doch ich sitze fest im Sattel und habe gute Beine.

 

Nach einiger Zeit kommen mir zwei belgische Radfahrer entgegen. Sie meinten, dass sie nur kurz anhalten können. Lachend ergänzten sie, dass sie bei dem Rückenwind heute den Streckenrekord brechen wollen. In meine Richtung würden sie jedenfalls nicht fahren wollen. Einen guten Tipp hatten sie dennoch parat. Sie hätten in der nächstgrößeren Stadt genächtigt. Das Hotel können sie empfehlen. Damit hatte ich wenigstens ein Ausstiegsszenario für meinen Tag, falls der Wind so weitermacht.

 

Beim Fahren hatte ich zunehmend merklich Mühe, mich auf der Straße zu halten. Die starken Böen trieben mich immer wieder ungewollt seitlich ins Gras ab. Doch näher zur Straßenmitte fahren ging auch nicht. Denn dann kam ich den überholenden Trucks zu nahe. Ihr Luftzug rüttelte mich immer kräftig durch, ließ mich für kurze Zeit gar schwanken.

 

Aus den brachliegenden Feldern blies der Wind Sand in die Luft und trieb ihn weit übers Land. Wie eine Dunstwolke lag er dann über den Feldern. Hatte ich mir am Morgen noch einen langen Tag vorgenommen, so änderte ich schnell meine Meinung: Bis zum Hotel der Belgier, und dann ist Schluss. Denn zum Wind war auch die Temperatur merklich angestiegen. Es war total unangenehm zum Fahren. Ich musste immer wieder kurz vom Rad. Nur so hatte ich die Böen zumindest etwas im Griff.

 

Vor dem Hotel lud jemand gerade sein Fahrrad aus einem Auto. Er war am Morgen von hier los gestartet. Doch unterwegs entschied er sich zum Umkehren. Auch ihm war der Wind zu stark geworden. Er ließ sich ins Hotel zurückfahren. In der Lobby saßen dann noch drei andere gestrandete Radler. Sie waren erst gar nicht losgezogen. In Kansas müsse man mit solchen Tagen rechnen. Und als ich am Nachmittag zum Einkaufen ein paar Minuten die Straße entlang musste, war ich mir sicher: Der heißeste Tag, und Starkwind noch dazu. Absolut kein Radlerwetter. Schade.

 

14. Juni 2022

Eine Landesgrenze, eine neue Zeitzone, und ein langer Tag

Der Wetterbericht hatte für heute weniger Wind angekündigt. Und so war es dann auch. So machte es mir merklich mehr Spaß als der Tag gestern. Die Morgenstimmung mit der Stille rund herum und dem schönen Licht tat mir richtig gut. Ich hatte Lust aufs Radeln. Und diese steigerte sich noch, als der Wind langsam drehte. Jetzt kam er gar zart von hinten. Und das gab mir mächtig Vortrieb. Es war richtig toll zum Gleiten.

 

Das Schild mit dem Übergang in die Zeitzone von Denver flog wie im Flug vorbei. Das Schild mit dem Willkommensgruß von Colorado war mir jedoch einen Stopp Wert. Denn in Kansas hatte ich ein paar Mal wirklich zu kämpfen. Mit dem Wind, der Hitze, der Topografie. Also lebte die Hoffnung, dass es mit der Landesgrenze vielleicht anders wird. Doch das Topfebene setzte sich weiter fort. Links, rechts, hinten, vorne - alles eben und fast nur Getreidefelder. Die einzige Abwechslung boten die Getreidesilos. Die aus Beton waren riesengroß, und mit ihrer weißen Farbe immer schon von weitem zu sehen. An ihnen führte auch ein Bahngleis vorbei. Die kleineren, silberfarbenen Metallsilos gab es überall. Die standen bei jedem Hof und jeder kleinen Ortschaft. Oder sie waren über die Felder verstreut.

 

Am späten Nachmittag stärkte ich mich in einem Tankstelleladen mit Maccaroni mit Käse. Ich wollte nämlich noch ein paar Kilometer anhängen und den Rückenwind ausnutzen. Ich hatte auf der Karte einen Campingplatz ausgemacht. So ist es dann ein langer Tag mit 220 Kilometern geworden. Aber zum Feiern gab es am Abend nichts. Der Campingplatz war schon vor Jahren aufgelassen worden. Die Reste einer Sitzplatzüberdachung gaben mir dennoch Schatten. Und Platz für mein Zelt war mehr als genug.

 

15. Juni 2022

Topfebene Landschaft

Vollmondnacht und Wind. Schon beim Aufstellen des Zeltes gestern Abend hatte ich meine Mühe mit dem Wind. Dieser ließ mich dann auch in der Nacht immer wieder erwachen. Durch die Lüftungsöffnung am Zelthimmel konnte ich den Vollmond betrachten. Zumindest hie und da ganz kurz. Denn der Wind rüttelte kräftig am Gestänge, und drückte es hin und her. Erst gegen Morgen wurde es ruhiger. Doch da konnte ich nicht mehr einschlafen. Also fuhr ich schon mit Sonnenaufgang los.

 

Leider dauerte so eine frühe Morgenstunde auch in der neuen Zeitzone nur eine Stunde. Gerne hätte ich sie heute ausgedehnt, oder gar den ganzen Tag über genossen. Die Luft war klar und frisch. Das Morgenlicht streifte den Getreidefeldern und dem Himmel fantastische Farben über. Mir kam vor, schön wie selten zuvor. Doch die Sonne gewann rasch an Höhe. Und damit war das Sinnenspektakel wohl so nach einer Stunde wieder vorbei.

 

Was blieb war das Topfebene der Landschaft. Ich meinte gestern schon, dass es flach und eben sei. Doch heute kam es mir noch um eine Spur flacher und ebener vor. Ein paar Mal ist mir ein lautes Bah rausgerutscht, als ich mich im Sattel umdrehte und die Landschaft nach allen Richtungen betrachtete. Einfach nur flach und sonst Nichts. Vielleicht hie und da ein paar vereinzelte schwarze Kühe irgendwo am Horizont. Oder ein paar kleine Getreidesilos. Oder eine einsam gelegene Farm. Nicht mal Trucks waren mit mir am Weg. Ich fuhr heute tatsächlich allein durch eine menschleere, topfebene Gegend. Und das fast einen halben Tag lang, allein und nur geradeaus.

 

16. Juni 2022

Güterwagons zählen

Aus der Stadt raus war es fein zum Fahren. Mit der Morgenfrische fühlte es sich sehr gut an. Nur das Drumherum der Stadt war etwas schmuddelig und nicht so einladend. Auf einer langen Gerade kam mir am Gleis neben der Straße ein Güterzug entgegen. Drei Lokomotiven vorne dran, und dann Waggon um Waggon. Ich wollte anfangen zu zählen. Doch die Querrillen der Straße forderten meine Aufmerksamkeit mehr. Also blieb nur der Blick auf die Ladung: Es war Kohle, kohlschwarze Kohle. Und das auf jedem Waggon.

 

Als mich später ein grüner Sprühtraktor mit hohen schmalen Rädern überholte, hätte ich gerne mein Tempo erhöht. In Gedanken wäre ich gerne mitten unter ihm durchgefahren. Von der Höhe hätte es sich leicht ausgehen können. Und ein Foto vom verdutzten Fahrer hätte ich dann auch gemacht. Doch der Traktor war leider zu schnell. Vielleicht probiere ich es mal aus, wenn mir einer entgegenkommt. Mein Vorhaben müsste sich mit Handzeichen organisieren lassen.

 

Aber heute war es eher ein Tag der Eisenbahn. Als ich weit vorne das dumpfe Pfeifen einer Lok hörte, war ich bis zu ihrem Erscheinen bereit zum Zählen der Waggons. Es waren 137 Stück. Mehr als 100 davon hatten Sattelauflieger für Trucks geladen. Auf den hinteren Waggons waren große, lange Container, zweifach gestapelt. Hier sind die Dimensionen etwas anders als in Europa.

 

Zwischendurch lenkten mich die vielen Bewässerungskanäle neben der Straße ab. Ob Maisfeld, Kartoffelacker, Wiese für die Heuaufbereitung, oder Felder auf denen noch keine Pflanzen zu sehen waren, hier wird alles bewässert. Das Wasser dafür kommt vom Arkansas-River. Ihn hatte ich jetzt schon ein paar Mal gequert.

 

Einige Kilometer weiter sah ich dann wieder Güterwaggons. Mir scheint, dass ich als Sohn eines Lokführers da etwas vorbelastet bin. Doch wenn so viele, gleiche, schwarze, neu ausschauende Waggons in Dreierreihe kilometerlang dastehen, dann wird wohl jeder staunen. Ich tat es jedenfalls. Vielleicht waren es geschätzte 400 Stück. Und wenn meine Recherche zur Ladegutnummer 1267 stimmt, dann waren sie für den Roherdöltransport bestimmt.

 

Dass irgendwann das Radfahren wieder in den Fokus kam, lag an den langsam höher werdenden, grauen Erhebungen im Dunst am Horizont. Es waren die Rocky Mountains, die sich vorsichtig ankündigten. Auf sie steuerte ich zu. Vielleicht ist es dort oben auf den Pässen etwas kühler als hier herunten. Doch mit Gepäck muss man da auch erst mal hochkommen. Ich nehme es mir für morgen vor.

 

17. Juni 2022

Ein richtiger Pass mit Arbeit für die kleinen Gänge

Vor dem Losfahren dachte ich an das Race across America. Dessen Rennfahrer waren nicht weit von mir entfernt etwas weiter südlich am Weg. Die Berge hatten zumindest die Ersten bald geschafft. Die Weite von Kansas und die hohen Temperaturen dort aber noch vor sich. Bei mir war es gerade umgekehrt. Das Flache und die Hitze hinter mir, die hohen Berge Colorados gerade vor mir. Und vor den hohen Bergen hatte ich schon etwas Respekt, aber Freude auf sie auch. Denn von oben in die Weite sehen, das finde ich immer sehr schön. Und mit diesem Gedanken fuhr ich los.

 

Die Landschaft zeigte sich mit jedem Höhenmeter mehr gänzlich anders als die Tage davor. Rötliche Felsen, goldgelbe Grasebenen, dunkelgrüner Wald. Und das bisherige Grau des Asphalts ist einem hier gut in die Landschaft passenden, leicht rotem Ton gewichen. "Isabel National Forest" konnte ich auf einem Schild lesen. Die Route wand sich zwischen den Felsen in gleichmäßiger Steigung sanft hoch. Dennoch hatten auch die kleinen Gänge heute kräftig zu tun. Es gefiel mir ganz gut. Es war zwar recht warm. Aber eine leichte Brise sorgte immer wieder für ein angenehmes Gefühl.

 

Bei einer Baustelle sagte mir ein Straßenposten, dass ich heute der einzige Radler bisher sei. Und den letzten hätte er vor drei Tagen gesehen. Viele seien es nicht, die hier mit dem Fahrrad vorbeikommen. Ihm selbst gefalle es in Colorado am besten. Dass ich in New York gestartet und schon mehr als einen Monat am Weg bin, kommentiere er mit einem “crazy“.

 

Irgendwann gelangte ich dann mit verschwitztem Trikot auf die Passhöhe. Der Höhenmesser zeigte 2.750 Meter an. Eigentlich ging es ganz leicht hoch, hatte ich den Eindruck, und war auch etwas stolz. Denn es war ein richtiger Pass wie in den europäischen Alpen. Oben tat sich eine weite, grüne Ebene auf. Das war fein anzuschauen. Auf den Bergen ringsum waren sogar noch vereinzelt Schneereste zu sehen. Und Bäume bis ganz nach oben, viel viel weiter als in Europa. Mit leichtem Rückenwind flog ich dahin. Später ging es dann recht flott durch ein Tal hinunter zum Arkansas River.

 

Am späten Nachmittag erreichte mich auf Höhe Salida eine Gewitterfront. Im Nu ließ es der Himmel kräftig gießen, zum ersten Regen dieses Jahres, wie man mir sagte. Blitz und Donner gab es noch als Zugabe. Zum Glück fand ich ein ausladendes Vordach eines großen Gebäudes. Dort unterstehend sah ich zu, wie die Pickups mutig und rasant durch eine mit Regenwasser gefüllte tiefe Straßensenke pflügten. Nur wenige verringerten dabei ihr Tempo. Mit dem Fahrrad wäre ich da wohl stecken geblieben. Doch lange auf das Weiterfahren warten musste ich nicht. Das Blau des Himmels zeigte sich für kurze Zeit schnell wieder, jedenfalls in der Richtung wo ich hinwollte.

 

18. Juni 2022

Ein langer Aufstieg und ein Campingdesaster

Zu Hause hätte ich Pickel und Steigeisen gebraucht. Doch hier konnte ich ganz einfach mit dem Fahrrad hoch. Und dabei kam ich noch höher als der Piz Buin als höchster Berg Vorarlbergs es ist. Heute lag nämlich der Monarch Pass auf meiner Route. Stolze 3.448 Meter waren oben angeschrieben. Die erreichte ich auf einer langen Rampe mit angenehmer Steigung. Ein paar Skilifte waren auch zu sehen, und etwas Schnee ebenfalls. Laut Hinweisschild überquerte ich oben auch die Kontinentale Wasserscheide zwischen Atlantik und Pazifik.

 

Auf der Straße war ich heute nicht allein am Weg. Weil Samstag war, musste ich sie mit vielen Wochenendausflüglern teilen. Sie karrten alle nur möglichen Sportgeräte über den Pass hoch, und Campingtrailer sowieso. Fahrräder waren auch dabei, huckepack auf den Pickups oder einem Fahrradträger. Auf dem Pass oben war der Beginn eines Downhill-Trails für Mountainbikes. Ich blieb jedoch auf der Straße. Dort gefiel mir die rasante Abfahrt ebenso. Die Bremsen habe ich dabei gar nicht stark in Anspruch genommen. Die Notfallausfahrtsrampe für Trucks blieb daher auch von mir ungenutzt.

 

Ab Mittag begleiteten mich einige Regenschauer in den Bergen ringsum. Außer einigen Tropfen kam ich jedoch trocken davon. Beim Fahren hatte ich mir noch Sorgen gemacht. Schade war nur, dass es auch bei den drei großen Seen entlang meiner Route regnete. Das Ambiente mit den zerklüfteten Bergen mit ihren unterschiedlichen Gesteinsschichten war nämlich toll anzuschauen. An den Seen entlang gelb und grün, und dann das starke Rot der Felsen mit hellen Bändern dazwischen. Und darüber hinwegziehend das Grau der Regenfront. Das Colorado hier kann einem schon gefallen.

 

Doch am Abend wurde es dann gänzlich ungemütlich. Ich hatte einen Campingplatz mit Blick auf den See ausgesucht. Doch es war einer mit ungünstigem Untergrund. Es war ein Platz ohne einen Flecken Wiese. Er war glaub nur für Wohnmobile gedacht. Beim Zeltaufstellen war noch alles fein. Beim in den Schlafsack kriechen auch. Doch dann kamen Wind mit starken Böen und ein Gewitter auf.

 

Es schüttete volle Kanne. Der Wind riss die Zeltheringe aus dem Boden. Ich wusste nicht was tun. Zuerst mal im Zelt bleiben, denn sonst wäre es wohl weggeflogen. Doch irgendwann im Dunkeln musste ich raus, und die Heringe neu befestigen. Der Boden war lehmig nass. Ich kam kaum ums Zelt, so viel Lehm klebte an meinen Schuhen. Die nasse Regenjacke durchfeuchtete beim Reinkriechen den Schlafsack. Mir war zum Heulen. Schlafen konnte ich nicht. Nur dem Regen lauschen. Und hie und da den Boden auf Feuchtigkeit abgreifen. Natürlich nässte es herein. Die Zeltabspannung war vom Wind wieder gelockert. Auf der Luftmatratze bleiben, und mich möglichst wenig rühren, war die Devise. So wartete ich dösend und mit einem mulmigen Gefühl auf den Morgen.

 

19. Juni 2022

Lehmiger Gatsch und dann doch noch Glück 

Auch wenn ich meinte, kaum geschlafen zu haben, so war ich am Morgen dann doch halbwegs fit. Ich lauschte dem Regen und überlegte, wie ich am besten von hier wieder wegkomme. Und vor allem: Wie durch den Gatsch rund ums Zelt. Mit der Morgendämmerung wurde der Regen weniger. Es tröpfelte nur noch leicht. Und bis ich meinen Kopf mal aus dem Zelt zu strecken wagte, hatte der Regen aufgehört. Der Himmel zeigte sich wolkenverhangen. Über dem See ließen sich gar ein paar blaue Fenster erahnen. Die waren das ersehnte Zeichen für mich: Aufbruch, und zwar gleich.

 

Ich zog meine Radsachen an, und als Kälteschutz die Regenjacke drüber. Die Socken steckte ich in die Trikottasche. Nasse Füße tagsüber wollte ich keinesfalls. Und die Fahrradschuhe durften auch nicht gatschig werden. Noch im Zelt packte ich eine der beiden Satteltaschen fertig. Dann ging es raus. Barfuß rein in die lehmverschmierten, nassen Alltagsschuhe. Ich trug die Packtaschen und das Fahrrad bis zur befestigten Straße. Dann machte ich mich an den Zeltabbau.

 

Mit immer schwerer werdenden Lehmstollen an den Schuhen zog ich Zelthering für Zelthering heraus. Etwas entfernt war ein niedriger Busch. Der musste für das Reinigen der Heringe herhalten. Das Zelt schüttelte ich kräftig durch. Reichlich Wassertropfen fielen da auch für mich ab. Dann legte ich es über den kleinen Busch. So ließ sich das Gestänge herausziehen ohne dass der Zeltstoff allzu sehr mit dem Lehmboden in Berührung kam. Die Zeltunterlage trug ich ins Badehaus. Beim Duschen gestern kamen mir die zwei mal zwei Meter des Holzverschlages gemütlicher vor. Doch die Tröpfelbrause tat auch jetzt am Morgen ihren Dienst. Die Zeltunterlage war zwar nass, jedoch vom Lehm befreit, und damit verpackbar. Bei leicht aufklarendem Himmel stieg ich aufs Rad. Einfach nur weg von hier, und hoffentlich trocken möglichst weit. Bis zur nächsten Ortschaft waren es 60 Kilometer.

 

Nach einigen Kilometern fing es wieder an zu tröpfeln. Mit Regenjacke ging es weiter. Ich kam an weiteren Campingplätzen vorbei. Alle Zeltplätze lagen auf einem satten Grün. Ich wollte gar nicht hinsehen. Natürlich war es da auch nass, doch wenigstens hätte ich mir hier den Lehmgatsch erspart. Egal, ich wollte jedenfalls weiter in ein Motel in der nächsten Stadt und meine Sachen trocknen. Und je länger ich am Weg war, desto besser wurde auch das Wetter. Keine Ahnung, ob ich die Steigungen und Abfahrten auch bei Regen geschafft hätte. Ich war jedenfalls froh, dass es keinen gab, und dass auch die Straße auftrocknete.

 

Beim Erreichen der Stadt hatte ich mir in Gedanken das erste Motel am Weg vorgenommen. Doch dieses hatte nur einen zentralen Eingang. Das kam mir mit meinen lehmig grau verspritzten Sachen ungünstig vor. Ich kam dann zum Glück noch bei weiteren vorbei. Es hatte einen Metallzaun um den Pool im Garten. Der kam mir gelegen. Einchecken konnte ich ohnedies erst später. Also hatte ich genug Zeit, um all meine Campingsachen auszubreiten und in der Sonne am Zaun zu trocknen. Die Sonne tat so, als ob das Wetter hier gar nicht anders sein könnte. Und ich war damit dann auch zufrieden. Nochmals Glück gehabt, auch wenn es vorher ganz anders ausgeschaut hat.

 

20. Juni 2022

Gegenwind bergauf wie bergab und abends keine Bilder

Um 7 Uhr bin ich mit frisch geputzten Schuhen gestartet. Es hat 20 Grad, blauer Himmel, und die Sonne ist schon viel länger wach. Auf 1.800 Meter ist es ein kristallklarer Morgen. Es fühlt sich an wie der Aufbruch zu einer Bergtour. Die Berge sind auch schon zu sehen. Weit entfernt am Horizont lachen sie mir entgegen. Ich genieße den Morgen. Es ist total schön. Doch es zieht sich mächtig, bis die Berge auch nur etwas näher kommen.

 

War es anfangs noch windstill, so ändern sich die Verhältnisse mit dem Näherkommen der Berge kräftig. Und vor allem: Gegenwind macht sich stark. Der will mir gar nicht passen. Für die Trucks war die Steigung mit 8 Prozent angegeben. Sie wird für mich als Radfahrer wohl gleich gewesen sein. Nur der Wind ließ es mir viel steiler vorkommen. Irgendwann holte ich zwei Holländer ein. Sie waren vor einer Woche in Pueblo gestartet. Nach dem Flug bis Denver musste einer von ihnen gar drei Tage auf sein Fahrrad warten. Es hätte einen Umweg über Island genommen. Ihr Ziel ist San Francisco. Auch sie hatten mit dem Wind gleich zu kämpfen wie ich. Und als wir uns mittags bei einem Laden wieder trafen, waren die Kommentare ähnlich. Bergauf voll zu kämpfen und langsam am Weg. Und bergab nicht viel schneller. Doch die Landschaft gefiel uns total gut.

 

Meine weitere Route führte durch ein schmales Tal gleichmäßig ansteigend hoch. Ein rotbraunes Felsband in kräftiger Farbe begleitete mich links und rechts, ein kristallklarer Bach nur rechts. Dazwischen kamen immer wieder grüne Wiesen hervor, und oben Berge mit Schneerinnen. Ich machte viele Fotos. Es waren so schöne Farben, dass ich mich kaum sattsehen konnte. Das Rotbraun der Felsen unter dem kitschig blauen Himmel war ein Genuss.

 

Ein Skigebiet lag ebenfalls am Weg. Zumindest waren Hinweistafeln an der Straße zu sehen. Beim zweiten Pass tat ich mir merklich schwerer. Ich spürte den ersten anscheinend noch in den Beinen. So waren mir die Fotopausen eine willkommene Abwechslung. Die kurze Pause tat immer gut. Oben freute ich mich schon auf die Abfahrt. Doch der Gegenwind ließ mich weiter kräftig strampeln. Das war etwas mühsam.

 

Zum Zelten suchte ich mir einen Platz außerhalb einer Ortschaft. Viele Möglichkeiten gab es in dem Tal ohnedies nicht. Mit den letzten Sonnenstrahlen ging sich noch ein schnelles Foto vom Zeltplatz aus. Und ich freute mich schon auf die anderen Bilder von heute. Doch das war dann eine Enttäuschung: Die Speicherkarte war leer, und für den Kartenleser nicht erkennbar. Da fiel mir ein, dass ich gestern Schwierigkeiten beim Einlegen hatte. Möglicherweise hatte ich sie dadurch beschädigt. Nichts ist es also geworden, mit den schönen Bildern des Tages. Doch in Erinnerung behalten werde ich sie jedenfalls. Rotbraun mit Grün und oben knalle Blau, und das auf 3.000 Metern.

 

Kaum hatte ich diese Zeilen geschrieben, hörte ich ein Auto vor meinem Zelt stoppen. Ein Mann sagte mir recht direkt, ich soll gefälligst von hier verschwinden. Es sei sein privater Grund. Ich wollte keinen Ärger. Also packte ich meine sieben Sachen wieder ein und fuhr ein paar Kilometer weiter. Nicht so idyllisch gelegen, doch bei einem Nebenweg etwas weiter weg von der Hauptstraße fand ich dann doch noch einen Platz. Und in der Nacht freute ich mich an einem Sternenhimmel wie noch nie.

 

21. Juni 2022

Kalt am Morgen und heiß Richtung Utah

Vogelgezwitscher weckte mich recht früh. Von der Sonne war in dem engen Tal und im Wald aber noch nichts zu sehen. Kaum aus dem Schlafsack raus kam es mir ziemlich frisch vor. Und beim Einpacken des Zeltes friert es mich an den Händen. Das Thermometer zeigte 2 Grad an. Da wunderten mich die kalten Hände dann nicht mehr. Sommeranfang auf 2.600 Meter ist demnach etwas anders.

 

Nach gut einem Kilometer auf der Straße machte ich schon den ersten Stopp. Die Wintersachen mussten raus. Die dicke Jacke und die Handschuhe fand ich zuunterst in der Gepäcktasche. Es blieb auch weiter kalt, als die Sonne das enge Tal in ein feines Licht tauchte. Das dunkle Rotbraun der Felsen wirkte so noch kräftiger.

 

Irgendwann erschrak ich dann heftig. Ein Schwarzbär sprang unmittelbar vor mir über die Leitplanke, und dann quer über die Straße seitlich in den Graben runter. Ich wollte ein Foto machen. Doch sein Innehalten und Zurückschauen waren nicht lang genug. Er verschwand die steile Böschung hoch zwischen den Bäumen und dem Gestrüpp. Kakaobraunes Fell, gewandt und kräftig. Mein erster Bär in freier Natur. Vielleicht war er im Bach neben der Straße am Fischen. Frühstückszeit wäre es ja gewesen.

 

Mit dem Verlassen des engen, bewaldeten Tales tat sich eine große weite Hochebene auf. Schlagartig war die Temperatur gleich so, dass ich meine Wintersachen wieder einpacken konnte. Jetzt zeigten sich die Rocky Mountains nur noch entfernt als Gebirgszug im Hintergrund. Vor ihnen und mir lag die flache Ebene. Der Höhenmesser zeigte immer noch 2.200 Meter an. Dort wo nicht bewässert wurde, gab es nur rotbraune Erde. Es war ein Fest für die Augen, diese kräftige Naturfarbe und darüber ein blauer Himmel mit weißen Schäfchenwolken. Statt einem Bären gab es jetzt Erdhörnchen am Straßenrand und rund um die Viehgatter. Die waren wieselflink, oder erdhörnchenflink, wie sie in ihren Erdbauten verschwanden. Ein einsamer Radfahrer auf dem Weg Richtung Utah kam ihnen anscheinend nicht ganz geheuer vor.