Vom Nordkapp Richtung Süden

17.. September 2020

Ein Erholungstag mit Überraschungen

Nach dem Hochgefühl am Nordkapp bin ich gestern ganz zufrieden die 30 Kilometer bis nach Honningsvag zurück geradelt. Es war schon dunkel, als ich die Stadt erreichte. Doch im Hotel waren auch ohne Reservierung noch Zimmer frei. Und zum Essen gab es auch etwas. Feine Pasta mit Gemüse war der vegetarische Vorschlag des Kochs. Es schmeckte ausgezeichnet.

 

Beim Essen schon machte ich mir Gedanken über die Weiterfahrt. Vielleicht ein Erholungstag im Hotel, und dann erst weiter. Nur der Wetterbericht sagte für die nächsten Tage länger Regen an. Voll blöd. Nach Finnland konnte ich nicht, weil das noch coronabedingt gesperrt war. Und im Regen die gleiche Strecke im Norden wieder zurück, machte mich nicht an. Ich nehme Bus und Bahn bis Trondheim. Und dort steige ich dann wieder aufs Rad. Das war mein Plan. Doch wenn schon mit Bus, dann könnte ich ja gleich den nächsten nehmen, den um 7 Uhr in der Früh. Der Kellner bot an, dass er mir für das Frühstück ein paar Brote zum Mitnehmen richtet. Und dann erklärte er mir noch, mit welcher App ich das Busticket lösen muss. Ja, und so ging ich gestern nach dem Essen mit einem fixen Plan in mein Zimmer. Doch es gab gleich eine überraschende Änderung.

 

Eher aus Zeitvertreib denn Interesse schaute ich mir die Finnland-Infoseite zu den Einreisebestimmungen an. Und siehe da, die lasen sich plötzlich anders. Ab dem 19. September ist die Einreise aus Norwegen demnach wieder möglich. Das eröffnete mir ganz neue Perspektiven. Also keine Busfahrt, sondern Erholungstag im Hotel. Und dann schauen, wie ich trotz ungünstigem Wetter zur finnischen Grenze komme. Mit dieser Idee im Kopf schlief ich gestern ein.

 

Die für das Mitnehmen in den Bus gedachten Frühstücksbrote aß ich in meinem Zimmer. Dann besorgte ich mir in einem Laden Obst und Getränke, studierte mögliche Finnlandrouten, und vertrödelte etwas den Tag. Am Nachmittag ging ich dann länger raus. Ich schaute mir den kleinen Hafen und die wenigen umliegenden Geschäfte an. Und auch den Busplatz, wo mein Bus heute in der Früh ohne mich losgefahren ist. Visavis gab es ein Sportgeschäft. Intersport stand über der Tür. Warme Handschuhe könnte ich gebrauchen, und neue Regenschuhe auch, falls sie solche haben. Also gehe ich in den Laden rein. Tatsächlich war da auch eine Radecke eingerichtet. Ich fand die gewünschten Sachen. Und dann sogar noch mehr. Bei den Ersatzteilen sah ich eine passende Kette für mein Rad. Ich hatte meine vor ein paar Tagen gemessen und für verschlissen eingeschätzt. Den Austausch hätte ich in Trondheim geplant. Doch dort komme ich wegen meiner Routenänderung ja nicht mehr hin. Und hier, in diesem Fischerdorf, gibt es gerade eine. Die Gelegenheit zum Wechseln bot sich an. Ich fragte den Verkäufer, ob er mir die Kette tauschen könne. Kein Problem. Er mache es gleich, ich soll ihm das Rad bringen. Also zurück ins Hotel und mit dem Rad wieder in den Laden.

 

Feinmechaniker war er keiner, das sah ich gleich, wie er mein Rad anpackte und auf den Kopf stellte. Mit dem Kettennietwerkzeug löste er ruckzuck eines der Glieder. Ich hätte gerne noch den Schmutz aus den Führungsrollen entfernt. Doch er fädelte gleich die neue ein, und steckte das Kettenschloss durch. Dann stiegen leichte Schwindelgefühle in mir hoch. Er hatte nämlich kein Werkzeug, um das Schloss zu schließen. Mit 2 reingesteckten dünnen Inbusschlüsseln als Hebel wollte er das Schloss zum Einrasten bringen. Ich sah, wie seine Stirnadern anschwollen und der Kopf röter und röter wurde, wenn er mit den Händen zum Auseinanderziehen ansetzte. Und wie er es immer wieder probierte und probierte. Doch das Schloss rastete nicht ein. Verrückt dachte ich mir, was mache ich, wenn das jetzt nicht klappt. Und das dachte sich wohl auch der Verkäufer als Mechaniker.

 

Nach ein paar weiteren erfolglosen Versuchen sagte er mir, dass er es sich nicht erklären könne. Doch er müsse jetzt seine Kinder vom Kindergarten abholen. Er werde es am Abend probieren zu richten. Ich soll morgen in der Früh wieder kommen. Puhh, worauf habe ich mich da bloß eingelassen. In einem Fischerladen eine Fahrradkette wechseln lassen, das war glaub nicht die beste Idee. Bedrückt und mit Zweifeln schlich ich ohne Rad ins Hotel zurück. Das wird spannend, morgen Früh.

 

18. September 2020

Ein Radtag mit Überraschungen

Etwas unruhig saß ich beim Frühstück. Ich hatte auch keinen richtigen Hunger. Nur ein eher flaues Gefühl im Magen. Doch als ich zum Laden hinging, wollte ich Entschlossenheit zeigen. Ich zog meine Radsachen an. Denn weiter wollte ich jedenfalls, weg hier vom Regen. Im Laden erwartete mich der Verkäufer mit einem entspannten Gesicht, und einem Daumen nach oben. Hey, mir ging es schlagartig besser. Ich freute mich sehr. Der Regen draußen war mir jetzt auch egal.

 

Schnell noch die Packtaschen im Hotel abgeholt, und schon fuhr ich los. Ab jetzt Richtung Süden. Es nieselte mit unterschiedlicher Intensität. Und Wind gab es dazu, stetigen. Die Landschaft hatte nur ganz fahle Farben, wirkte eher düster. Sie war für mich auch nicht so spannend wie auf der Herfahrt. Die Tunnel kannte ich auch schon. Da war es wenigstens heute trocken drinnen, im Gegensatz zu draußen. Der Tunnel unterm Meer kam mir in diese Richtung zum Fahren leichter vor. Ich konnte den Schwung aus der Abfahrt etwas länger mitnehmen.

 

Oben rausgekommen setzte der Wind dann zu. Kräftiger Gegenwind, nicht gerade fein. Und nach dem letzten Tunnel blieb ich sogar ein paar Mal stehen. Es kamen so kräftige Böen auf, dass ich Angst hatte, über die Straße ins Meer gespült zu werden. Ich musste mich dagegenstemmen. Und wenn ich am Rad war, dann fuhr ich mit Schräglage. Dort wo der Küstenstreifen etwas steiler war, hatte ich ein bisschen Windschutz von den Felsen. Doch sobald sich eine Bucht auftat, war es eine Herausforderung. Ich hatte mich aus den Pedalen längst ausgeklickt. So konnte ich die Füße schneller auf den Boden bringen. Jetzt wusste ich auch, was sie im Besucherzentrum am Nordkapp meinten, als sie von Wind sprachen. Doch die Absperrschranken an der Straße waren weiter offen. Also musste es ja zum Fahren gehen. Zum Glück war kaum Verkehr. Die Autos von hinten konnte ich nämlich nicht mehr Näherkommen hören. So sehr tosten die Naturgewalten. In einigen Buchten war ich mehr im Schritttempo unterwegs, als im normalen Radtempo.

 

Kurz vor Olderfjord ließ der Wind dann nach. Dafür nahm der Regen zu. Ich war froh, als nur noch wenige Kilometer angeschrieben waren. Und dass diese dann schnell abnahmen. Ich wollte wie auf der Herfahrt im Touristcenter in einer der Hütten nächtigen. Doch als ich dort ankam, war alles zu. Die Rezeption war nicht besetzt. Am Telefon wurde ich nur auf die Mailbox geleitet. Bahh. Es regnet volle Kanne. Ich bin nass und durchgefroren. Und dann finde ich kein Zimmer. Nein zelten wollte ich so auch nicht, in Erinnerung an die Wetterprognose für diese Gegend.

 

In meiner Not sah ich dann Busschilder an einem Band über dem Parkplatz im Wind auf und ab schaukeln. Hier gab es einen Busknotenpunkt in mehrere Richtungen. Also googelte ich nach einer passenden Verbindung für mich. In Richtung Finnland würde einer fahren. Das wären dann gute 60 Kilometer bis zur nächsten Stadt. Und ein Hotel war dort auch ausgewiesen. Ja, und so saß ich eine Stunde später im Bus nach Lakselv. Das Rad im Gepäckfach unten drin war ich über diese Variante froh. Ich konnte gar die neu erworbene Ticket-App gebrauchen. Dennoch schaute ich mit etwas Wehmut nach draußen. Denn der Küstenstreifen wäre auch mit dem Rad fein zum Fahren gewesen. Es waren wieder die gelben Birken da. Und es ging überwiegend flach und etwas kurvig dahin. Mit mir waren etwa 20 Leute unterwegs. Doch als ich in Lakselv ankam, waren es nur mehr wenige. Am Weg sind immer wieder welche ausgestiegen. Das war dann dort, wo vereinzelt ein paar Häuser sich zwischen den Birken zeigten. Größere Siedlungen gibt es hier oben keine. Nur große Distanzen. Und eine davon habe ich ganz ungeplant mit dem Bus überbrückt. Auch gut gewesen, dachte ich mir, als ich zum beleuchteten Hotel dann abbog und meine nassen Sachen zum Trocknen ausbreiten konnte. Nach dem Regentag war ich richtig froh, doch noch ein warmes Zimmer gefunden zu haben.

 

19. September 2020

Finnische Grenze erreicht

Beim Aufsteigen aufs Rad merke ich, dass sich das Hinterrad schwammig anfühlt. Es hat Luft verloren. Doch Reifenwechsel mag ich jetzt am Morgen keinen machen. Lieber ein paar Kilometer vorankommen, solange das Wetter mitspielt. Also pumpe ich nach, und mache mich auf Richtung finnischer Grenze.

 

Kaum auf der Straße sehe ich vor mir einen großen Rucksack hin und her wackeln, mit 2 kurzen Beinen unten dran. Es ist ein junger Soldat, der zu seiner Militärbasis am Weg ist. Er sagt, es sei sein Training, mit der Ausrüstung zu laufen. Und er hat dabei ganz zufrieden dreingeschaut. Doch ich war als Radler mit meinem Gefährt und der Landschaft auch zufrieden. 

 

Es geht flach und gerade dahin. Berge sind keine mehr da. Dafür kleine, farbig bunte Birken in herbstlichem Gelb. Wunderbar anzuschauen. Und immer wieder Seen, Seen, Seen. Einsame Landschaft ohne Siedlungen. Hie und da steht ein Auto in einer Birkenschneise, oder ein Anhänger. Damit transportieren sie ihre geländegängigen Quads. Das braucht man hier. Denn es führt nur die eine Straße durch diese Gegend. Abseits von ihr braucht man wohl geländegängige Fahrzeuge.

 

Irgendwann komme ich dann mit leichtem Rückenwind zu einem Kreisverkehr. Kirkeness im Norden oder Karagasniemi über der Grenze in Finnland stehen zur Auswahl. Ich habe sie schnell getroffen. Ich will nach Finnland. Entlang eines Flusses mit vielen Biegungen geht es Richtung Grenze. Ich schaue mir die Kennzeichen der Autos an. Überwiegend norwegische, doch auch einige finnische kann ich ausmachen. Also wird man da wohl rüberkommen, ist mein Gedanke. Und dann komme ich zum Grenzfluss. Die blaue finnische Landestafel mit den gelben Sternen der Europäischen Union ist in Brückenmitte angebracht. Suomi steht drauf, dann noch Suopma, und natürlich auch Finnland. Damit es für Reisende wie mich klar ist, wo man jetzt ist. Es scheinen hier schon viele vorbeigefahren zu sein. Die Tafel ist voll mit bunten Aufklebern aus allen möglichen Ländern.

 

Die folgenden 200 Meter bis zum Zollgebäude war ich ziemlich angespannt. Klappt der Grenzübertritt, oder gibt es wegen Corona ein Theater? Ich habe mir am Vormittag schon überlegt, welche Argumente ich ins Treffen führen könnte. Doch es löste sich alles in Wohlgefallen aus. Einfach freie Durchfahrt. Das hat mir heute neben den üppigen Farben der Natur am meisten getaugt. Und damit war ich auch voll motiviert, mich an das Wechseln des Hinterreifens zu machen. Zum zweiten Mal auf der Tour. Er hat von Norwegens Südküste übers Nordkapp nur 3.600 Kilometer gehalten. Vorne schaut der erste mit 8.400 Kilometern immer noch ganz passabel aus.

 

Finnland ab Karagasniemi

20. September 2020

Gargegasnjargageaidu für einige Zeit

Es tröpfelt leicht am Morgen. Doch das bin ich jetzt ja schon gewohnt. Gleich nach der Ortschaft geht es mit ein paar Steigungen etwas hoch. Und dann den ganzen Tag flach geradeaus. Es gibt zwar immer wieder kleine Kuppen oder Senken. Doch die Landschaft rundherum zeigt sich flach. Der graue Himmel dämpft die Farben. Die Rottöne wirken eher bräunlich. Und das Gelb zieht sich im Laufe des Tages zurück. Es sind nur noch wenige Birken. Dafür umso mehr Kiefern mit ihrem dunklen Grün. Und dazwischen natürlich Seen, große und kleine. Oft gibt es auch stehendes Wasser im Brachland neben der Straße. Wenn es nicht zu groß ist, dann zeigt sich sogar ein leichter Eisschleier. Ja, bei Null Grad kann es das geben. Und kalte Finger auch, trotz der neu gekauften Handschuhe.

 

Mittags zieht eine Regenfront durch. Da kommt mir die einzige Tankstelle mit ihrem Restaurant gerade recht für eine Pause. Ich wäre dort auch zugekehrt wenn es nicht geregnet hätte. Der kalten Finger wegen. Die Kellnerin meint, ich hätte Glück. Nur Regen ist besser als Regen und Wind. Sie wird sich hier auskennen, denke ich. Dann schaue ich mir die anderen Gäste an. Alles Männer, und alle mit einem Jagdmesser am Gürtel. Ich bin der einzige Unbewaffnete im Raum. Dafür trage ich einen Helm. Zum Essen bekomme ich eine riesengroße Portion vom Hunter-Steak. Ich nehme es ohne Hunter und ohne Steak. Kartoffeln, Gemüse, und einen vegetarischen Burger mit Pilzsauce war die Kreation, wie die Köchin das Hunter-Steak für mich abgewandelt hat.

 

Am Nachmittag lässt der Regen nach. Es klart zunehmend auf. Die Sonne zeigt sich sogar mit ein paar Strahlen und trocknet die Straße. Das gefällt mir deutlich besser als im Nassen unterwegs zu sein. Irgendwann führt mich meine Route weg von der Hauptstraße. Von wenig Verkehr wechsle ich zu keinem Verkehr. Sicherheitshalber checke ich auf der Karte, ob ich auf diesem Abschnitt auch eine Unterkunft finden kann. 

 

Es zieht sich, bis ich reichlich spät in einem Hotel mitten im Wald an einem schönen See eintrudle. Es gibt ein improvisiertes Abendessen, weil das Restaurant zu hat. Dafür hätte ich am See ein Kajak ausprobieren können. Oder vor der Hütte ein Feuer machen. Das interessierte mich aber nicht. Mehr zog da schon der Hinweis, dass ich die Sauna benutzen soll. Da würde mir am schnellsten warm werden. Ja, finnische Sauna, das war dann der passende Abschluss des Tages. Ich habe ihn zum größten Teil auf einer Zungenbrecherstraße namens Gargegasnjargageaidnu verbracht. Und als i-Tüpfelchen sah ich in der Nacht dann noch das erste Mal Nordlichter. Grün und mystisch schön. Ich musste staunen und staunen.

 

21. September 2020

Froh um eine Hütte

Die Nacht war sternenklar. Auch gegen Morgen noch. Doch schon beim Aufstehen ziehen Wolken durch. Und beim Gang zum Haupthaus für das Frühstück ist alles grau in grau. Am Abend habe ich mir noch überlegt, ohne Frühstück loszufahren. Doch die geplante Strecke ist sehr lang. Also bin ich um ein Frühstück froh, auch wenn es erst spät serviert wird. Dafür schmeckt es mir umso besser. Vaasan Ruispalat, dünne Roggenbrotscheiben mit Butter. Genial. Das sei eine finnische Spezialität, lasse ich mir erklären. Es gäbe sie in vielerlei Variationen. Und dann noch, dass die Finnen Porridge ihr Leben lang essen, und nicht nur ihr erstes Lebensjahr wie in Österreich. Tatsächlich schnappt sich jeder Gast zuerst eine Schüssel mit Porridge, und sucht nicht die Schüssel für den Kaffee. Andere Leute, andere Sitten.

 

Zu meiner Etappe meint die Köchin, dass das sehr weit sei. Und der Wetterbericht sei schlecht. Es gäbe an der Strecke keine Ortschaft oder Häuser. Hier heroben sei es ganz einsam. Erst nach 80 Kilometern gäbe es eine kleine Tankstelle mit einem Kaffee, sonst nichts. Ok, denke ich mir, dann weiß ich wenigstens was mich erwartet.

 

Kaum auf der Straße fängt es schon zu tröpfeln an. Zuerst unergiebig, doch schnell nimmt der Regen zu. Ich ziehe meine Regensachen an. Und ziehe bald auch die Neoprenhandschuhe über die normalen Handschuhe. Es ist kalt. Einige Wasserlöcher entlang der Straße tragen gar eine dünne Eisschicht. Wind kommt auf, bläst mir den Regen ins Gesicht. Es geht zwar flach dahin, doch mit dem Gegenwind komme ich nur langsam voran. Die Landschaft trägt rostigbraune Farben. Ich schwitze unter den Regensachen. Die Kälte zieht mir in den Kragen und den feuchten Rücken runter. Hals- und Kopftuch sind bald nass. Wenigstens halten die neu erworbenen Gamaschen dicht.

 

Alle 10 Kilometer sind die nächsten beiden Orte mit den Entfernungen auf einer blauen Tafel angeschrieben. Doch die Zahlen gehen nur langsam runter. Im Regen ist es ziemlich zähe. Noch bevor die Tankstelle mit dem Kaffee in Sichtweite kommt, ist die Motivation zum Weiterfahren äußerst gering. Ich habe in den nassen Sachen keine Lust, die gleiche Distanz noch einmal im Regen weiterzufahren. Ich habe mir für heute wohl zu viel vorgenommen. Oder auf besseres Wetter warten sollen. Und jetzt hoffe ich, dass ich was zum Zukehren finde.

 

Der Wirt lacht, als er mich in meinem Aufzug sieht. Er ahne, was ich jetzt fragen wolle. Ja, er hätte eine Hütte. Es sei eine einfache Unterkunft, jedoch mit Dach und Ofen. Ob ich denn Feuer machen könne? Holz hätten sie nämlich genug. Da werden meine Kleider schon trocknen bis morgen. Und so knistert wenig später der Ofen. Die Regensachen hängen an einer Wäscheleine quer durch das Zimmer. Glück gehabt, denke ich mir, dass ich hier untergekommen bin. Draußen bläst der Wind. Blätter fliegen. Hunde bellen. Wasser steht in Schlammpfützen in den Wegen. Bäume biegen sich, sobald sie eine Böe erreicht. Am Hüttendach rütteln sie auch. Hie und da fährt ein Auto zu einer der anderen Hütten. Es sind Männer in groben Stiefeln, manche in Tarnanzügen. Radfahren können sie vielleicht gar nicht, wahrscheinlich nur mit Waffen umgehen, denke ich mir. Oder Schneemobil fahren. Denn solche stehen einige rund um die Hütten. Doch was will man hier in dieser einsamen Gegend denn auch schon mit einem Fahrrad? Da geht wohl nur Durchfahren. Doch ich bin um den Stopp jetzt mal froh. Und um die Wärme am Rücken, das Knistern im Ofen. Die Komposttoilette könnte etwas näher sein. Doch sonst passt es mir, so wie es ist.

 

22. September 2020

Einsame Gravelpiste

In der Nacht war es windig. Sterne waren keine zu sehen. Doch vielleicht haben mir die vielen Bäume auch nur den Himmel verdeckt. Am Morgen war ich mir jedoch sicher. Es schaut gar nicht so schlecht aus. Jedenfalls regnet es nicht.

 

Als ich um die mit Gras umwachsenen Bezintanks und die beiden Zapfsäulen rumkurvte, war es bereits 8 Uhr. Finnland hat osteuropäische Zeit und ist eine Stunde früher. Rechts ab, und dann gerade aus, sagte ich zu mir. Und es ging tatsächlich nur gerade aus. Doch der Untergrund war nach einem Kilometer plötzlich ein anderer. Statt Asphalt war es jetzt eine sandig lehmige Piste. Die paar Autos, die mit mir auf dieser einsamen Straße am Weg waren, sind sie wohl gestern auch schon gefahren. Denn hinten sahen alle gleich grau aus. Mit Lehm bespritzt waren weder Nummerntafel noch Lichter oder Scheiben zu erkennen. Das ist dann gestern wohl eine Matschpartie gewesen. Heute ging es ganz gut, trotz der kleinen Wellen und immer wieder auftauchenden Schlaglöcher.

 

Ein paar Rentiere querten den Weg. Im Wald sind sie mit ihrem gemusterten, dunkel-graubraunen Fell nur schwer auszumachen. Manchmal sah ich auch ihre Fußspuren im weichen Grund am Straßenrand. Andere Tiere bekam ich nicht zu Gesicht. Nur manchmal flatterten noch ein paar Rebhühner auf. Ich staunte, wie zielsicher und schnell sie zwischen den Bäumen durchfliegen können. Dort wo ich auf offenes Land kam, war die Straße meist mit hölzernen Schneefangzäunen gesichert. Den Wind vermögen sie aber nicht aufzuhalten. Eher machte er diesen Zäunen zu schaffen. Zumindest sah es so aus. Und mir machte er auch zu schaffen, mit seinem Rütteln an meinen Taschen.

 

Je näher ich zu Levi kam, dem bekannten Wintersportort, desto öfter waren im Wald oder bei den Seen auch Häuser zu sehen. Auf Levi war ich besonders gespannt. Doch es war nicht mehr als ein mittelgroßer Hügel mit einigen Liftanlagen auf all seinen vier Seiten. Skifahrer waren natürlich noch keine da. Dafür aber mächtig Schnee, zumindest stellenweise. Auf den flacheren Teilen der Schneisen waren zahlreiche große Schneedepots angelegt. Wahrscheinlich brauchen sie für die Rennen im November gar keinen Neuschnee. Womöglich finden die noch mit den im Frühjahr schon angelegten Reserven das Auslangen.

 

Am Abend habe ich dann die Seehöhe nachgeschaut. Skifahren ist von 200 bis 530 Meter möglich. Und Schneemobilfahren auch. Das wird hier an jeder Ecke angepriesen. Oder es stehen an jeder Hausecke ein paar dieser Geräte auf steinigem Untergrund, und warten auf den Winter. Für mich kann sich dieser noch etwas Zeit lassen. Ich will gerne noch etwas weiter Richtung Süden, bevor er hier mit seinem Weiß dann kommt.

 

23. September 2020

Gustav ist Spitze

Beim Frühstück schon treibt es mich auf die Straße. Der Morgenhimmel zeigt sich brennend rot. Das ist mir einen Schnappschuss mit vollem Munde wert. Danach geht es flach und gerade nach Rovaniemi. Die Landschaft ist ohne großen Reiz oder Abwechslung. Es fehlt mir die Aussicht auf die Weite des Landes. Nirgends ist ein Hügel um sich etwas über die Umgebung orientieren zu können. So sehe ich den ganzen Tag nur das gleiche Bild. Links und rechts der breiten Straße lichter Wald. Ein paar gelbe Birken lockern auf. Und ein Fluss ist ebenfalls mit mir am Weg. Das Wasser zeigt sich schwarz. Ohne erkennbare Strömung fließt er breit dahin, und gewinnt mehr und mehr an Größe. Hie und da führt die Straße nahe an seinem Ufer.

 

Entlang der von mir gewählten Strecke sind viele Häuser und Anwesen aufgegeben. Bei einigen nagt der Zahn der Zeit schon lange. Verfallen präsentieren sie dennoch etwas von ihrem Reiz, den sie sicher einmal hatten. Und dann gibt es zwischendurch wieder ganz schöne, große und gepflegte Häuser. Oder wunderbare Plätze am Fluss mit ganz eigener Anziehungskraft. Doch eine zusammenhängende Ortschaft sehe ich den ganzen Tag keine. Bei einem der einzelnen Häuser grasen Rentiere im Garten. Die Kinderschaukel interessiert sie nicht. Auch mein Stehenbleiben scheint sie nicht zu irritieren. Die Lust am grünen Gras überwiegt. Doch sonst sind sie eher scheu. Wenn sie nahe zur Straße sind, nehmen sie gleich Reißaus. Dann traben sie eilig davon, den Kopf gerade nach vorne streckend. Und mit Sicherheitsabstand drehen sie sich dann wieder um, checken interessiert die Lage neu.

 

Als ich nach 150 Kilometern Rovaniemi erreiche, bin ich ziemlich müde. Wenn die Landschaft immer gleich ausschaut, finde ich das Radfahren anstrengender als sonst. Froh bin ich auch, dass der Nieselregen erst kurz vor der Stadt einsetzte. Dort sehe ich erstmals seit langem wieder eine Ampelanlage an der Straße. Das kommt mir reichlich ungewohnt vor. Auch ist der Kontrast zur Einsamkeit der Tage davor groß. Die Leuchtreklame ist mir eigentlich nirgends abgegangen. Entsprechend auffällig finde ich sie jetzt. Und dann fällt mir noch auf, dass die Leute ebenfalls dick eingemummelt sind, so wie ich. Ich bin heute mit fast leeren Taschen gefahren. Denn ich hatte alles angezogen, was ich an Reserve mitgenommen habe. 

 

Das Restaurant im Hotel ist geschlossen. Dafür empfehlen sie mir das Gustav am Ende der Straße. Und das war dann den Besuch wert. Hatte ich in der Hütte am Tag davor meine Spaghetti noch selbst gekocht und aus dem Topf gegessen, so war der Genuss heute entschieden exklusiver. „Die wahre Art des Kochens ist Neugier“, konnte ich auf der Speisekarte lesen. Und so habe auch ich mich neugierig auf den vegetarischen Menüvorschlag eingelassen: Homemade bread with cheese selection, grilled carrot with chimichurri sauce, pea and lemon risotto, olive oil cake. Es schmeckte exquisit, war fantastisch. Und dabei musste ich an meinen Sohn Simmi denken. Was der wohl dazu sagen würde? Na ja, eine Einladung ins Tian nach Wien hat er mir ja versprochen. Doch für heute war das Gustav top. Es gab dem langen Tag einen stimmigen Abschluss.

 

24. September 2020

Neue Übersetzung, ein Ritzel mehr

Gut gelaunt startete ich in den Tag. Es soll wärmer werden, sagten sie an der Rezeption. Und tatsächlich war es ganz erträglich. Die Winterhandschuhe legte ich nach einigen Kilometern schon ab. Und dann probierte ich es auch ohne Jacke. Nur das war dann etwas zu mutig. Doch stehen geblieben bin ich nicht nur wegen der Jackenwechsel. Nein, auch die Landschaft lud am Morgen dazu ein. Es zeigten sich einige schöne Seen entlang der Straße. Und im Licht der etwas zaghaft hinter den Wolken hervorschauenden Sonne ergab es eine imposante Dramatik am Himmel. Sie spiegelte sich im glatten Wasser wider. Oder es zeigten sich die Birken und Kiefern auf den Kopf gestellt doppelt in den Seen. Der Tag begann also recht kurzweilig.

 

Mittags kehrte ich in einer Raststätte an der Straße zu. Eigentlich wollte ich nur eine Trinkpause einlegen. Oder meinem Hintern mal etwas anderes als den Fahrradsattel unterschieben. Doch am Buffet schöpfte jemand vor mir aus einem Topf mit Kartoffelpüree. Da hatte ich das gute Ruispalat-Brot und den Käse samt Spitzpaprika in meinen Packtaschen als Jause schnell vergessen. Kartoffelpüree musste es heute sein. Und zwar eine Riesenportion. Das Zucchinigemüse fand daneben nur noch wenig Platz am Teller. Ich sei mit dem Rad unterwegs, erklärte ich etwas verlegen an der Kassa. Und dann ließ ich mir das Kartoffelpüree herzhaft schmecken. Es erinnerte mich an den Herbst vergangenen Jahres. Da gab es zum Radeln in Russland und der Ukraine gar jeden Tag Kartoshka.

 

Doch neben der Landschaft, dem Himmel und dem Essen beschäftigte mich heute auch meine neue Übersetzung am Rad. Ich probierte sie zum ersten Mal. Vorne fahre ich ja schon länger ein richtig großes Blatt. Es ist eine 6-er Scheibe. Hinten legte ich die Kette heute vom 2-er auf das 3-er Ritzel. Statt der Zweiundsechziger- also eine Dreiundsechziger-Packung. Für den ersten Tag war ich damit ganz zufrieden. Es ging gleich flott dahin. Nicht nur weil es flach war. Wahrscheinlich wäre ich damit noch schneller vorangekommen, wenn ich nicht durch das Telefon immer wieder abgelenkt worden wäre. Nur das hat mich heute jedes Mal sehr gefreut. Ja, ich bin zwar hier allein am Weg auf meinem Rad. Doch manchmal fahren noch ganz viele Freunde mit mir mit und melden sich. Das war ein richtig gutes Gefühl, Geburtstag zu feiern am Weg von Rovaniemi nach Kemi, auf der Fahrt Richtung Süden.

     

Der POHJANLAHTI-KÜSTE ENTLANG NACH SÜDEN

25. September 2020

Interpretationsvielfalt beim Wetterbericht

Am Morgen beim Aufstehen schaute der Himmel draußen reichlich wolkenverhangen aus. Doch es war noch dunkel. Also warf ich einen Blick auf den Wetterbericht. Der stimmte mich zuversichtlich. „Fair weather in the morning and troughout the day“, konnte ich freudig lesen. Und bei den Symbolen war eine Sonne für den ganzen Tag eingezeichnet. Ich lasse mir dennoch etwas Zeit, genieße erst mal das Frühstück, denke ich mir. Vielleicht mache ich heute etwas weniger Kilometer. Genieße es, dass ich die Ostsee wiedersehe, am Bottnischen Meerbusen ganz oben, zu dem die Finnen Pohjanlahti sagen. Und dass das Regenwetter des Nordens endlich vorbei ist, die Sonne sich zeigen wird.

 

Etwas später beim Frühstück sehe ich, wie sich die großen Birken vor den Fenstern biegen. Wind ist aufgekommen, weht schubweise gelbes Laub herab. Und beim genauen Hinsehen, kann ich auch Regen erkennen. Upps, „fair weather“ schaut eigentlich anders aus. Also studiere ich die Prognose bei meiner zweiten Wetter-App. Die schreibt was von „drizzle in the early morning“, und zeigt dann auch ein Sonnensymbol für den Tag. Etwas irritiert vom Unterschied zwischen Prognose und Verhältnissen frage ich an der Rezeption um eine persönliche Einschätzung nach. Wenn ich wolle, könne ich ruhig später auschecken, war die Antwort. Wind und Regen seien nicht gerade ideal zum Radfahren. Doch es werde sicher besser. Nur wann, das bleibe heute wahrscheinlich offen. Ok, dann muss ich mich wohl in Gelassenheit üben, ging mir durch den Kopf. Und statt auf meinem Rad, machte ich mich daraufhin gemütlich auf dem Sofa im Foyer breit. Wieso erst am Abend das Tagebuch schreiben? Das geht doch auch jetzt gleich in der Früh. Dann habe ich danach vielleicht Sonne zum Radeln.

 

Und das Warten hat sich gelohnt. Es waren zwar fast 3 Stunden. Doch dann kam die Sonne durch. Die Straße war schnell trocken. Auf einer alten Straße fuhr ich Richtung Süden, durch herbstlich bunt gefärbte Wälder. Bunt waren auch die einsam an der Straße gelegenen Holzhäuser. Meist gehörte zu den Häusern auch noch ein Schuppen dazu. Und ein in derselben Farbe gehaltener überdachter Briefkasten. Hie und da war auch nur der Briefkasten allein zu sehen, mit einem Zufahrtsweg in den Wald hinein. Das Radeln gefiel mir hier ganz gut. Angenehme Temperatur und mit Sonnenspot auf die Farben neben der Straße. Später gab es jedoch nur die Hauptstraße als Wegvariante. Sie war sehr stark befahren und ging nur geradeaus. Ich musste mich am Seitenstreifen behaupten. Die einzige Abwechslung gab es nur, wenn ein Fluss zu überqueren war. Mit etwas dann erhöhter Perspektive tat es richtig gut, auf das Wasser, auf kleine Inseln oder einzelne Hütten zu schauen. Vielleicht war dies auch der Unterschied zum Fahren sonst. Dass ich hier innehielt und stillstand, während ich sonst meist in Bewegung bin während des Schauens.

 

26. September 2020

Regnerisch, und das immer wieder über den ganzen Tag

Am Morgen spritzen die Regentropfen auf den Holzrost vor dem Eingang. Auch die Glastüre bekommt was ab. Einzelne Tropfen perlen daran langsam runter. Ein Tropfen nimmt den anderen mit, und beide hinterlassen eine nasse Spur am Glas. Mein Frühstück dauert daher etwas länger. Bei solchen Verhältnissen zieht es mich nicht sehr nach draußen.

 

Doch kaum habe ich die Regensachen angezogen und einige Kilometer gemacht, geht der Regen in ein Nieseln über. Und einige Zeit später hört es gänzlich auf. Das passt mir viel viel besser. Auch wenn es leicht an die Füße spritzt, ohne Regenhose und Regenjacke macht das Radfahren mehr Spaß.

 

Unterwegs spricht mich ein finnischer Rennradfahrer an. Er fährt auf einer kurzen Samstagsrundtour zurück in seine Heimatstadt. Die Gegend rund um Oulu sei das finnische Radmekka. Hier gebe es die meisten und besten Radwege. Er selbst habe 5 Räder. Und im Winter fahre er natürlich mit Spikes. Nur auf ein E-Bike will er noch nicht umsteigen. Solange er mit eigener Kraft gut vorankomme, gefalle ihm das besser. Mit dieser Einstellung ist er mir natürlich sehr sympathisch. Gerne hätte ich mit ihm noch länger getratscht beim Fahren. Doch er musste abbiegen. Die Großeltern hätten heute nur kurz Zeit um auf die Kinder zu schauen.

 

Und damit bin ich wieder mit mir allein beschäftigt. Oder mehr beschäftigt mit Regensachen anziehen, und im Halbstundenintervall dann wieder auszuziehen. Doch es ging wenigstens zum Fahren. Es waren nur ganz wenige Autos am Weg. Die Straße hatte einen neuen Belag. Und mit den Gamaschen hatte ich auch trockene Füße. Also alles bestens. Trotz des Regens, der heute mit mir am Weg war Richtung Süden.

 

27. September 2020

Nebelsuppe den halben Tag

Am Wetterradar erkenne ich, dass es nur noch eine schmale Front ist, die nach Norden zieht. Der Regen am Morgen stört mich also nicht besonders. Bis zum Nachmittag soll es besser werden. Und so stellt es sich dann auch ein. Beim Frühstück fragt mich einer, wieso ich denn gerade Finnland zum Radfahren ausgesucht habe. Hier sei es im Herbst bei Regen richtig grauslich. Und es regne oft. Ich musste schmunzeln. Ganz so schlimm empfinde ich es nicht. Denn es sind ja auch schöne Tage dabei.

 

Auf das dunkle Brot habe ich zum Frühstück Butter gestrichen. Und vor dem Losfahren streiche ich weiter. Keine Butter, doch Öl auf die dunkle Kette an meinem Rad. Dann stelle ich noch das Lenkkopflager ein. Es hatte etwas Spiel. Und dann geht es los. Im Slalom raus aus der Stadt, den Pfützen ausweichend. Doch kaum habe ich die letzten Häuser hinter mir, liegt dichter Nebel vor mir. Er hängt schwer in den Wäldern. Es ist ein trüber Sonntag. Statt der Hauptstraße wähle ich eine Route etwas abseits von ihr. Sie führt von der Küste weg ins Landesinnere, und dann parallel zu ihr nach Süden. Was zuerst gut zu fahren war, geht später ganz unerwartet in eine nasse Sand- und Schotterpiste über. Das zehrt an meiner Motivation. Zwar ist der Nebel etwas lichter geworden, doch recht vorwärts kommen tue ich nicht.

 

Ich entscheide mich, die Etappe zu verkürzen. Die fehlenden Stunden am Vormittag kann ich sowieso nicht mehr wett machen. Und bis in den Abend hinein mag ich auch nicht fahren. Da kommt mir ein Badeort auf halbem Weg gerade recht. Ein breiter Sandstrand zieht sich der Küste entlang. Er ist schön anzuschauen. Doch die Bauten und Appartementhäuser dahinter sind es absolut nicht. Sie kommen mir wie die Faust aufs Auge vor. Dennoch bleibe ich. Eine Nacht ist es hier auszuhalten. Mit Balkon und Blick auf die Ostsee, die sich am Horizont im Nebel auflöst, und der gegen Abend wieder zum Strand hereinkriecht. Ich schaue seinem Schauspiel von der Sauna aus zu. Danach kommt noch mein Fahrrad unter die Dusche. Ich bin der einzige Gast. Also fällt es nicht auf. Ich mag den Sand und Schmutz von heute und der letzten Tage abspülen. Ich stelle mich auf besseres Wetter ein, ist die Hoffnung. Die teile ich wohl mit dem Finnen beim Frühstück von heute Morgen. 

 

28. September 2020

Von Gerüchen und schönen Plätzen

Der heutige Tag hat mir voll getaugt. Ein Frühstück mit weitem Blick auf den Strand und die Ostsee, die noch etwas mit Nebel kämpfend auf die Sonne wartete. Dazu ein Tipp, welche Route ich an der Küste fahren soll, um nicht die Hauptstraße nehmen zu müssen. Dann ein zunehmend freundlicher werdender Tag mit recht viel Sonne und angenehmer Temperatur am Nachmittag. Und vor allem eine abwechslungsreiche Landschaft mit einigen Gustostückchen.

 

Irgendwann überholt mich ein Lastwagen mit Anhänger. Er hat Kiefernholz geladen. Den Geruch der wahrscheinlich frisch gesägten Baumstämme zieht er lange hinter sich her. Das macht mich aufmerksam, was ich denn sonst noch an Gerüchen wahrnehmen kann. Ein Auto hat Asphalt geladen. Ein anderes verrät schon an seinem Äußeren, wonach es riechen wird, und dann auch tut. Es ist Hausmüll. Doch mein Spiel währt nur kurz. Ich biege von der Hauptstraße ab, und bin damit weg vom starken Verkehr.

 

Ich fahre an einem großen Kartoffelfeld vorbei. Die Ernte ist gerade im Gange. Ein Traktor zieht die Erntemaschine hinter sich her. Seitlich wirft er über ein Förderband feinkrümelige, leicht rötliche Erde aus. Ich bleibe stehen. Der Geruch von frisch aufgeworfener Erde zieht an. Für die Arbeiter am Erntewagen wird dies sicher anders sein. Durch einen Spalt kann ich erkennen, wie sich mehrere Hände ohne Unterbrechung ständig hin und her bewegen, Erntegut sortieren. Ihr Rhythmus wird vom Traktor und seinem Fahrer bestimmt. Da bin ich in meinem Tun bedeutend freier.

 

Die Fahrt ist heute sehr kurzweilig. Nach Waldstücken mit Holz- und Moosgeruch kommen immer wieder große offene Weideflächen. Und damit auch Bauernhöfe. Dort riecht es meist nach Gärfutter vom Silo. Bei einem riesigen Feld mit Blaukraut schaue ich kurz bei der Ernte zu. Ein Traktor hat hinten eine Holzkiste geladen. Links und rechts schneiden 2 Arbeiter Krautköpfe am Feld ab. Sie werfen diese dann 2 Helfern zu, die die Holzkiste damit füllen. Das Schneiden und Werfen geschieht äußerst rasant. Eine Pause gibt es nur, wenn einer der Helfer den Traktor wieder ein Stück weiter nach vorne fährt. Ob das wohl Erntehelfer aus der Ukraine sind?

 

Mit der Sonne am Nachmittag ist es viel wärmer als die Tage davor. Als mir 2 Rennradfahrer in kurzer Hose entgegenkommen, überlege ich, es ihnen gleich zu tun. Doch zumindest den Pullover lege ich ab, und auch das Kopftuch. Auch die Ärmel schiebe ich etwas zurück. Fast ein Sommerfeeling. Und das ist es auch an Eindrücken, wenn ich von den Brücken auf das weite Ostseewasser sehen kann. Die Sonne spiegelt das Ufer mit den Herbstfarben der Bäume wider, zeigt verwunschen schöne Plätze, bunte Holzhäuser, Stege und Boote. Da dachte ich bis heute, dass es in Finnland nur Wälder gibt beim Radeln. Doch heute war noch etwas Meer dabei, und das von einer ziemlich schönen Seite.

 

29. September 2020

Ein Hafen zum Hin- und Farmen zum Wegschauen

Am Weg Richtung Süden biege ich zu einem kleinen Hafen ab. Die Ostsee liegt ganz ruhig da. Neben vielen kleinen Booten sehe ich am Steg auch ein Fischerboot. An Bord der MS Charlott sind viele Plastikwannen gestapelt, und jede Menge Fässer, vollgestopft mit Netzen. In einem stecken Bojen mit Wimpel. Für mich ist es ein Durcheinander. Doch wer auf dem engen Raum arbeiten muss, wird sich sicher auskennen. Außer mir ist sonst niemand da. Die Orientierungstafel am Strand ist mit etwas Moos besetzt, das Glas von der Nacht noch mit Tau beschlagen. Auf einem Foto sind Hütten im Hafen abgebildet. Sie schauen gut erhalten aus. Doch jetzt sind sie am Verfallen. Der Hafen strahlt mit den vorgelagerten Inseln und dem ruhigen Wasser Beschaulichkeit aus. Gerade recht für einen gemächlichen Start in den Tag.

 

Etwas weiter im Landesinneren steht ein Traktor quer zur Straße. Er soll vom Weiterfahren abhalten. Doch es wäre ohnedies nicht gegangen. Denn vorne liegt ein Baum auf der Straße. Ein Windwurf. Ein Mann ist damit beschäftigt, ihn zu zersägen. Ich komme mit einem Wartenden ins Gespräch. Er ist aus der Gegend hier. Voll Stolz erzählt er, dass sie hier an der Küste Schwedisch sprechen. Und dass der nächste große Ort Vaasa nach dem schwedischen König benannt sei. Und dass dies weltweit die einzige Stadt sei, die den Namen ihres Gründerkönigs trage. Doch merken kann ich mir weitere Details nicht. Denn bald ist der Baum beseitigt, die Straße wieder frei.

 

Ich fahre heute einige kleine Nebenstraßen. Diese sind meist nicht asphaltiert. Am Vormittag habe ich es damit ganz gut getroffen. Nur am Nachmittag war ein langes Stück mit losem grobem Schotter dabei. Das war ziemlich zähe. Ich wunderte mich nicht, dass mir bei solchen Verhältnissen auch kein Auto begegnete. Die Straße führte in ein kleines Dorf. Am Ortseingang war gleich der Friedhof. Aha, dachte ich mir. Dann ist denen wohl dieser Schotterweg zum Verhängnis geworden, und sie haben es nicht mehr weiter geschafft.

 

Je weiter ich nach Süden komme, desto offener und weiter wird die Landschaft. Es gibt sogar einige große Getreidefelder. Und Mähdrescher auch, und rote Getreidesilos dazu. Doch nachhängen tun mir noch die Pelztierfarmen vom Vormittag. Ich habe die letzten Tage immer wieder welche gesehen, im Hinterland. Doch heute bin ich mal zu einer hingefahren. Ich wollte aus der Nähe sehen, was es denn mit diesen niederen Stallungen und Käfigen auf sich hat. Es waren Blaufüchse, die hier ihres Felles wegen in kleinen Käfigen auf Spaltenböden schändlich gehalten werden. Ein trostloser Anblick. Am Abend habe ich dann zur Pelztierzucht nachgelesen. In Skandinavien ist sie noch immer weit verbreitet, wird als Wirtschaftszweig gesehen. Demnach gibt es auch eine Nachfrage nach Pelzen. Eigentlich unglaublich und beschämend, wie der Mensch in seiner Dekadenz mit Kreaturen umzugehen vermag.

 

Ab Vaasa

30. September 2020

So ein Senf, das Wetter

Nach einer Regennacht sind die Straßen am Morgen noch nass. Doch der Himmel schaut ganz freundlich aus. Das flache Licht der tiefstehenden Sonne lässt die Farben der Bäume total intensiv erstrahlen. Das Goldgelb der Birken harmoniert mit den Stoppeln auf den Getreidefeldern. Es machte Spaß, da mitten durch zu fahren. Einzutauchen in diese herbstlich bunte Stimmung. Ich genoss es, sah wie die Straße im Gegenlicht beim Auftrocknen leicht dampfte. Doch die Freude währte nur kurz. Es kamen mehr und mehr Wolken auf. Die Farben wurden wieder matter. Und es dauerte gar nicht allzu lange, fielen die ersten Tropfen.

 

Zuerst meinte ich noch, unter dem Vordach eines Gebäudes den ersten Schütter trocken überstehen zu können. Doch das Warten zahlte sich nicht aus. Der Regen wollte bleiben. Kräftiges Nieseln wechselte sich mit leichtem Regen ständig ab. Wenn ich eine Ortstafel sah, hoffte ich auf ein Kaffee oder einen Laden. Doch es kamen immer nur ein paar einzelne Wohnhäuser. Mit Einkehren spielte sich heute auf meiner Route nichts ab.

 

Dafür fand ich ein kleines, abgelegenes Ferienhaus mit überdachter Veranda. Sie war willkommener Schutz für meine Mittagsjause. Es gab Schwarzbrot mit Sojawurstscheiben, Käse und Paprika. Gestern am Abend war ich noch schnell was einkaufen. Bei einem der Regale sah ich auch Senf. Dem konnte ich nicht widerstehen. Und wenn das Wetter heute schon ein Senf war, dann wollte ich den Senf jetzt auch mit am Brot haben. So habe ich mittags gleich die ganze Tube aufgebraucht. Er schmeckte gut. Doch eher war es die Unlust, wieder in den Regen raus zu müssen, dass meine Jause heute etwas üppiger ausgefallen ist als sonst.

 

1. Oktober 2020

Nebel und Sonne

Noch vor dem Frühstück habe ich 2 Fahrradflaschen voll mit Wasser runtergespült. Beim Fahrrad meine ich, und damit den gröbsten Schmutz von gestern am Rahmen entfernt. Der Regen und die sandigen Forststraßen haben Spuren hinterlassen. Nicht dass ein sauberes Rad besser läuft, doch die Lust es anzufassen ist bedeutend größer. Danach machte ich mich über den Haferbrei her. Er schmeckt mir jetzt nach fast 2 Wochen Finnland immer noch ausgezeichnet. Und er stärkt glaube ich gut für den Tag.

 

Beim Losfahren ist es noch etwas dunkel. Ich schalte mein Rücklicht ein. Doch weniger wegen der Dunkelheit, sondern viel mehr wegen des Nebels. Er liegt dick und schwer über der Landschaft. Zwar ist zwischen den Baumwipfeln die Sonne als runder, leicht rötlicher Ball zu erkennen. Doch der Nebel will am Morgen gar nicht weichen. Schnell setzt sich an meiner schwarzen Hose und den Handschuhen ein grauer Schleier an. Vom Helm tropft es gelegentlich runter. Die Brille habe ich längst abgezogen. Ich bin mit Wischen nicht nachgekommen. Mit der Zeit sind auch die Rahmenrohre nass, ebenso wie die Überziehschuhe. Hmm, vielleicht eine Stunde zu früh gestartet. Doch jetzt bin ich schon unterwegs. Oder die Finnen sind nicht nur bei der Uhrzeit eine Stunde früher, sondern auch beim Kalender einen Monat früher dran. Zum Novemberbeginn könnte der Nebel nämlich gut passen, doch nicht zum Oktober.

 

Irgendwann biege ich auf eine Nebenstraße ab. Sie führt kurvig zwischen ein paar Straßenhäusern durch. Und dann geht sie in eine sandige Forststraße und in den Wald über. Mit dem weichen Untergrund wird mein Tempo deutlich langsamer. Schnell ist nur der Farbwechsel an meinen Schuhen und am Fahrradrahmen. Der aufgewirbelte feine Sand bleibt wegen der Nässe daran kleben. Da habe ich am Morgen mein Rad noch schnell geputzt. Und keine Stunde später ist es über und über mit Sand verkrustet. Na ja, bei einem richtigen Gravelbike darf ich wohl nicht so zimperlich sein. Also störte mich der Sand und das Aussehen vorerst mal nicht. Ich kurbelte weiter auf der Forststraße durch den Wald.

 

Als ich dann wieder auf die offenen Felder kam, setzte sich allmählich die Sonne durch. Dieser Übergang war fein anzuschauen. Da waren noch graue Holzhütten irgendwo schemenhaft in der Weite. Und einige Zeit später zeichneten sie sich markant mit ihren sonnenbeschienen Konturen im Gelände ab. Oder es verschwammen entfernt Bäume und Gebüsche im Nebel. Und kurze Zeit danach zeigten sie ihre herbstliche Farbenpracht mit der Sonne. Diese hat sich dann für den Rest des Tages auch endgültig durchgesetzt. Gestern ab Mittag mieser Regen, heute ab Mittag Sonne pur. Auch wenn es nur geradeaus ging, weil ich der Forstwege satt auf der Hauptstraße geblieben bin, mit Sonne geht auch diese deutlich besser zu fahren.

 

2. Oktober 2020

Stehen bleiben und staunen

Schnell bin ich aus der Stadt draußen. Auf dem breiten Radweg geht das gut. Die Straßenquerungen sind deutlich markiert. Ich bin jedes Mal überrascht, wie rücksichtsvoll die Autofahrer hier sind. Sie überlassen einem bereitwillig den Vorrang. Oder bremsen frühzeitig, und warten auch beim Abbiegen. Und wenn ich an Schulen vorbeikomme, dann stehen dort jede Menge Fahrräder. Hier geht man anscheinend nicht zur Schule, sondern hier fährt man zur Schule, mit dem Rad.

 

Der Morgen ist leicht nebelig. Über den Feldern hält er sich recht lange. Wie ein Schleier liegt er auf den meist nassen Äckern. Hie und da glitzert es auch ein wenig, wenn ein Sonnenstrahl stärker durchkommt.

 

Das eindrucksvollste Erlebnis hatte ich gleich in der Frühe. Ich bin in einem Waldstück unterwegs. Von weit entfernt höre ich ein „tit, tüüt“, das sich ständig wiederholend schnell näher kommt. Ich kann es nicht zuordnen. Doch plötzlich ist das „tit, tüüt“, ganz nah über mir. Ich blicke nach oben. Es sind 4 weiße, große Gänse. Es hört sich so an, als ob nur eine am Rufen ist. Ich glaube nicht, dass ihr „tit, tüüt“ mir gegolten hat. Sie fliegen schnell über mich hinweg nach Osten. Dorthin, wo die Sonne als zartroter Ball über den Baumwipfeln den Nebel durchdringt. Für ein paar kurze Flügelschläge sind die großen Vögel mitten im Kreis des Gegenlichts der Sonne. Und für diesen einen kurzen Augenblick wirken sie wie schwarz eingefärbt, flügelschlagend im rötlichen Sonnenkreis. 

 

Gerne hätte ich diesen einen Moment festgehalten. Ich fand ihn wunderbar. Doch allein schon der Gedanke ans Stehenbleiben war zu lange. Die Vögel waren mit ihrem „tit, tüüt“ schon über den Baumkronen leiser werdend wieder verschwunden. Ich habe dann dennoch angehalten. Nur um ergriffen zu Staunen. Mit mächtigen Flügelschlägen haben die Vögel erhaben in der Luft ein herrliches Bild in den nebeligen Morgenhimmel gezaubert. Mir wird das sicher in Erinnerung bleiben.

 

Der restliche Tag ist schnell erzählt. Es ging kurzweilig dahin, sogar ohne lange Geraden. Mit leichtem Auf und Ab kurvig durch eine mehr von offenen Flächen denn von Wald geprägte Landschaft. Viele einzeln an der Straße liegende Häuser. Ein paar dichtere Siedlungen gab es auch. Und obwohl der Küste entlang fahrend bekam ich das Wasser nur ganz selten zu Gesicht. Ein paar Mal bin ich abgebogen, weil ich die Ostsee sehen wollte. Doch meist führte der Weg nur in einen dichten Schilfgürtel.

 

3. Oktober 2020

Schnelle Feuerwehr und richtige Sauna

Heute war es etwas eintönig zum Fahren. Von ein paar wenigen Richtungsänderungen abgesehen, ging es den ganzen Tag fast nur geradeaus. Selbst als ich durch die Stadt Turku fuhr, bin ich auf einer geraden Linie geblieben.

 

Die fast einzige Abwechslung boten die Feuerwehr und die Polizei. Irgendwann hörte ich deren Folgetonhorn. Ganz entfernt sah ich ein Fahrzeug mit Blaulicht. Es war ein schweres Feuerwehrfahrzeug. Es kam mir mit Sirene und Höchstgeschwindigkeit auf der unebenen Straße entgegen. Der Lastwagen hob auf den kleinen Wellen fast ab, und federte in den Senken voll ein. An der Vorderfront hatten sie ihre blaue Lichtorgel eingeschaltet. Es waren sicher an die 10 Lampen, die in unterschiedlicher Reihenfolge immer wieder aufblinkten. Das Fahrzeug war weder zu überhören noch zu übersehen. Mit einigem Abstand folgte dann ein Minibus der Polizei. Ebenfalls mit Höchstgeschwindigkeit, Sirene und einem blauen Lichtbalken am Dach. Ich weiß nicht, ob sie hinter der Feuerwehr her waren, um deren Fahrt zu stoppen. Oder ob sie auch zum selben Einsatzort fuhren. Und weil es eine richtig lange Gerade war, konnte ich das Schauspiel mit dem Aus- und Einfedern ziemlich lange verfolgen. Es kamen dann mit jeweils einigem zeitlichen Abstand noch weitere 3 Feuerwehrautos einzeln nach. Und jedes Mal auch ein Bus der Polizei. Für eine Viertelstunde war also etwas los auf der Straße.

 

Doch es sind mir noch andere Fahrzeuge aufgefallen. Es waren Rallyautos. Lauter und bunter als die anderen Autos, und ohne Nummerntafel, schwammen sie im normalen Verkehr mit. Immer wieder tauchte so ein farbiger Vogel zwischen den anderen Autos auf. Fahrer und Beifahrer mit Overallanzug und Vollvisierhelm. Etwas später sah ich dann ein Rallyauto auf einem staubigen Feldweg daherdonnern, und bei einem Posten stoppen. Dann fuhr es langsamer weiter, und ordnete sich bei einer Kreuzung in meinen Gegenverkehr ein. Das sah etwas komisch aus. Zwischen den normalen Autos immer wieder so ein aufgemotztes, lautes Rennfahrzeug. Irgendwo im Wald entlang meiner Route muss es die Sonderprüfung gegeben haben. Denn von dort hörte ich es später kräftig rumoren.

 

Als Etappenziel hatte ich mir heute die Stadt Salo ausgesucht. Auf der Suche nach einem Hotel landete ich etwas außerhalb der Stadt. Es war das Fjalar, und am Teppich vor dem Eingang stand „Feel like home“. Die Inhaberin war äußerst gastfreundlich und zuvorkomend. Es stellte sich heraus, dass das Haus mal dem Gründer von Nokia als Wohnhaus gehörte, Fjalar Nordell. Und dass in der Stadt Salo die ersten Nokia-Telefone entwickelt und gebaut wurden. Und dass es im Haus eine Schauvitrine gibt, mit allen je gebauten Nokia-Modellen. Da habe ich dann geschaut und gestaunt.

 

Der Abend hatte dann noch ein weiteres Gustostückerl parat. Sauna und kalter Pool wären gut für die Radfahrerbeine, war nämlich die Empfehlung an der Rezeption. Zuerst war ich etwas zögerlich. Doch dann packte ich die Badehose doch aus. In der Sauna war bereits ein Finne, und wie sich herausstellte, ein Saunaexperte. So kam es mir im Gespräch jedenfalls vor. Er erklärte mir, dass das Haus hier eine richtig gute Sauna hätte. Doch besser als die elektrischen Öfen wären noch die mit Langholz beheizten. Das sei wie bei der Pizza. Die Holzofenpizza sei auch besser. Es käme auch darauf an, wie und wieviel Wasser man wo auf die Steine gieße. Und ein See sollte ebenfalls in der Nähe sein. Das wäre im Winter das Beste. Da könne die Arbeitswoche noch so anstrengend sein, mit 6 Saunagängen und einer Abkühlung im kalten See käme er sich an einem Freitagabend immer wie neu geboren vor.

 

Und dann gab er mir die Schöpfkelle in die Hand. Ab jetzt sei ich der Saunameister. Ich hätte seine Einweisung erhalten, und er hätte seine 6 Runden schon gemacht. Da kam ich mir dann mächtig stolz vor. Erst kurz in Finnland, und eigentlich nur des Radfahrens wegen, und schon zum Saunameister ernannt. Doch ich machte die empfohlene Anzahl an Durchgängen nicht. Denn die 2 mit dem Experten waren mir heiß genug. So schnell haben sich meine Hautporen glaub noch nie geöffnet, selbst beim steilsten Bergauffahren nicht.

 

5. Oktober 2020

Finnish Nightmares als Tipp

Gestern hatte ich etwas unvermittelt einen Ruhetag eingeschoben. Die positiven Auswirkungen der Sauna am Abend davor konnte ich nicht für das Radfahren nutzen. Der Wetterbericht hatte eine Regenfront angekündigt. Und die wollte ich nicht am Rad erleben. Also machte ich mir einen gemütlichen Sonntag mit einer kleine Vormittagsrunde in Salo. Ich schaute mir ein Herrenhaus in der Nähe an, machte ein paar Bilder mit dem Rad als Motiv. Abends genoss ich nochmals die Sauna, und ließ es dann draußen weiter prasseln.

 

Ausgeruht machte ich mich heute gleich schon in der Frühe auf den Weg Richtung Helsinki. Die Straße war regennass. Sie wollte lange nicht auftrocknen. Es war noch leicht dunkel. Also zog ich meine gelbe Warnweste an. Doch außerhalb der Stadt ließ der Verkehr merklich nach. Ich fuhr auf einer breiten Straße übers Land. Und über mir am Himmel zogen die Wolken noch viel schneller dahin. Am späteren Vormittag kam dann die Sonne durch. Blaue Flecken machten sich am Himmel breit. Es wurde angenehm mild, und es war fein zum Fahren.

 

Immer wieder waren am Himmel Zugvögel zu sehen. Es war total spannend, ihrem Flug zuzuschauen, ihre unterschiedlichen Formationen zu verfolgen. Manchmal meinte ich, dass sie rasend schnell unterwegs sind, vielleicht vom Wind getrieben. Doch dann schienen sie wieder fast still zu stehen. Und im nächsten Moment hatten sie ihre Flugbahn schon wieder geändert, oder auf den Kopf gestellt. Doch zu einer V-Form schienen sie immer wieder zurückzukehren.

 

Bei einer Auffahrtsschleife auf eine andere Straße traf ich auf eine junge Studentin. Es war Maria, ebenfalls am Weg nach Helsinki, heimwärts vom Wochenendhaus kommend, wie sie mir erzählte. Und sie war mit einem englischen Single-Speed-Rad unterwegs. Das faszinierte mich sehr. Sie meinte, dass es für sie ideal sei. Minimalistisch und dennoch überall gut zu fahren. Sie war recht flott unterwegs. Ich musste mein Tempo erhöhen um mithalten zu können. Wir tratschten über finnische Besonderheiten, die mir in den 2 Wochen aufgefallen sind. Das Nichtgrüßen auf der Straße, oder das bewusste Wegschauen zum Beispiel. Maria meinte, dass die Finnen schon etwas anders seien, doch ganz ok. Es gäbe im Internet die „Finnish Nightmares“ als Webcomics. Die würden die Eigenheiten gut charakterisieren. Und der Tipp war ein Volltreffer. Ich habe den Abend mit Schmunzeln verbracht. Und mich dann gefragt, mit welchen Cartoons die Autorin wohl meine Eigenheiten darstellen würde?

 

6. Oktober 2020

Letzter Tag in Skandinavien

Wenig überraschend war das Wetter heute wieder trüb. Am Vorabend noch mit angenehmer Sonne, zeigte sich der Himmel jetzt am Morgen grau und wolkenverhangen. Schnelle Wetterwechsel gibt es hier anscheinend oft. Doch der große Regen war schon in der Nacht durchgezogen. Es blieb bei einzelnen Tropfen und nur leichtem Nieseln. Mich sollte es nicht weiter stören. Ich hatte die Fähre nach Deutschland gebucht. Ich war jetzt 2 Monate und fast 6.000 Kilometer allein in Skandinavien am Weg. Klingt in Summe nach viel. Doch es war einfach bloß Radla jeden Tag. Nur für das Heimkommen möchte ich mich etwas beeilen. Es muss ja nicht Winter werden. Daher die Fähre nach Travemünde.

 

Der Weg über die baltischen Staaten entlang der Ostseeküste schien mir zu gewagt. Die Unsicherheit wegen deren Corona-Bestimmungen hielt mich davon ab. Da waren mir zu viele Grenzen. Und auch Angst, bei den damit verbundenen Kontrollen etwas Ungewissem willkürlich ausgesetzt zu sein.

 

Ich freute mich also, als ich zur riesigen Fähre geleitet wurde. Ein Auto mit Blinklicht fuhr mir im Hafengebiet vor. Allein hätte ich den weiten Weg durch das Gewurrle an Lastautos, Kränen und zwischen den Eisenbahnschienen, Absperrungen, Ampeln und Kreisverkehren vielleicht gar nicht gefunden. Beim Abstellen des Rades sagte ich zum Angestellten der Fähre, dass er ziemlich flott gefahren sei. Ich sei mir fast wie bei einem Radrennen vorgekommen. Er meinte lachend, dass ich ja auch ein Rennrad hätte. Und immer nur Autos vorfahren, mache nicht so viel Spaß. Außerdem könne ich jetzt lange genug ausruhen. Die Überfahrt dauere 29 Stunden.

 

Auf der Fähre staunte ich, wie Container und Lastwagen dicht an dicht standen. Ich war auf einer Fähre mit Schwerpunkt Fracht. Mit meinem Fahrrad war ich da ein Exot, genauso wie die paar wenigen anderen Autos auch, die noch irgendwo dazwischen geparkt waren. Als das Schiff dann langsam zwischen den Inseln Richtung Südwesten durchfuhr, schaute ich wehmütig auf die kleiner werdende Küstenlinie Finnlands zurück. Das Radabenteuer im Norden ist dann wohl vorbei, waren meine Gedanken. Vielleicht hätte ich ein paar Schlenker mehr einlegen sollen. Denn speziell ist der Norden jedenfalls.

 

7. Oktober 2020

Ein Tag am Schiff

Ich hatte mir überlegt, was ich während der Überfahrt machen werde. Sicher die Fahrt mit Notizen beschreiben. Da war viel Zeit. Worte finden, wie das Schiff bei rauer Ostsee im Dunkeln unterwegs ist. Oder im Regen. Wie es mir geht. Wie es an Deck ist. Wie der Tag anbricht. Das Meer durchs Kabinenfenster betrachtet. Wie stark der Wind ist. Anderen Schiffen zusehen. Menschen an Bord. Das leichte Schaukeln. Die Schiffsgeräusche. Wasser oder Land am Horizont. Nur es blieb beim Aufklappen des Notebooks. Sätze wollten sich heute von selbst keine formen. Doch zuhören ging wunderbar. Daher ist mein Resümee zu meiner ersten Schiffsreise: Wenn Radfahren nicht geht, dann sind Hörbücher ideal. Mit diesen gelangte ich gut und ohne Langeweile über die Ostsee.