8. Oktober 2020
Regen und Anderes volle Kanne
Durch Hamburg durch ist mein heutiger Plan. Und dann schauen, wie weit ich komme. Eine laute Begrüßung in Deutschland bekomme ich schon nach wenigen Kilometern. Es wird gehupt, und zwar gleich mehrfach. Radfahrer gehören auf den Fahrradweg. Da kann dieser noch so viele Löcher und Verwerfungen haben. Die deutschen Autofahrer halten es kaum aus, wenn jemand auf der Straße radelt. Dabei würden sie mit ihren Geländewagen viel besser auf die holprigen Radwege passen. Zumindest ich lasse ihnen dort ja Platz.
Einige Kilometer vor Hamburg fängt es an zu regnen. Und zwar volle Kanne. Meine Stadt- und Hafenrundfahrt wird zur Regenfahrt. Irgendwie schade, denke ich mir. Denn die Stadt hat mit ihren Backstein- und modernen Bauten am Wasser viel Charme. Gerne hätte ich mich beim Hafen mit den vielen Kränen etwas länger aufgehalten. Oder Fotos gemacht. Nur es war mir eindeutig zu nass. Und mit dem Regen habe ich dann auch die Radwege benutzt. Das war zwar mühsam, aber weniger stressig.
Beim Rausfahren aus der Stadt fange ich mir irgendwo einen Glassplitter ein. Das Vorderrad wird plötzlich schwammig. Zum Regen also auch noch Mist dazu. Ich entscheide mich für Nachpumpen. Und das muss ich dann gleich mehrmals machen. Es rächt sich, dass ich keinen Ersatzschlauch gekauft habe. Ich habe das unterwegs immer wieder aufgeschoben. Auch weil ich in Finnland nie ein Fahrradgeschäft auf meinem Weg gesehen habe. Und so geht es mir auch heute. Erst in Lüneburg finde ich einen Laden. Doch der hat schon zu. Meine Stadtbesichtigung hat zu lange gedauert, und die Pumperei unterwegs wohl auch. Zum Glück hat der Laden einen Schlauchautomaten. Nur nimmt dieser ausschließlich Münzen. Das ist dann nochmals ein Hindernis heute. Denn ich habe bisher auf der ganzen Tour immer nur mit Karte bezahlt. So kann ich erst spät am Abend im Hotelzimmer einen Schlauch am Vorderrad montieren. Und neue Bremsbeläge am Hinterrad ebenso. Da war nur noch blankes Metall.
Mit Entsetzen lese ich dann später noch, dass Deutschland die Corona-Bestimmungen verschärft hat. Das Reisen innerhalb oder zwischen den Bundesländern soll ab morgen erschwert werden. Hotelnächtigungen sind demnach nur noch mit negativem Covid-Test möglich. Und der darf maximal 2 Tage alt sein. Da war ich jetzt 2 Monate in Skandinavien ohne Maske und ohne Probleme unterwegs. Und kaum nach Deutschland übergesetzt, wird das Weiterradeln fast verunmöglicht. Vielleicht wollten mich die Autofahrer mit ihrer Huperei davor warnen, und nicht zum Radeln am Radweg animieren.
9. Oktober 2020
Princesskartoffeln
Es war eine unruhige Nacht. Ich hatte schlecht geschlafen und war schon früh wach. Die Info von gestern ließ mir keine Ruhe. Ich las sie am Morgen gleich nochmals. Da tat sich dann plötzlich etwas Hoffnung auf. Nicht alle Bundeländer würden mitmachen und das Reisen einschränken, konnte ich jetzt lesen. Also schaute ich mir mal erst die Deutschlandkarte an. Durch welche Bundesländer führt meine angedachte Route durch. Vielleicht geht statt Zugfahren doch noch Radfahren.
Am Abend konnte ich bei Tisch dann erfahren, dass das Zugfahren in Deutschland nicht so einfach sei. Und die Fahrradmitnahme auch eine Herausforderung. Ich bekam sogar den humorigen Rat, mich vorher eher noch mit dem Zelt bis in den Süden durchzuschlagen. Oder gleich bis nach Hause in einem durchzuradeln. Doch nachdem das Thema jetzt am Tisch war und eifrig diskutiert wurde, ergab sich dann noch eine weitere Sichtweise. Für mich eine, die ich jedenfalls hören wollte. Die Einschränkungen betreffe nur jene Personen, die aus einem Risikogebiet kommen. Diese Erklärung schmeckte mir zu den Pellkartoffeln mit Käse am besten. Da war ich dann ganz zufrieden. Ich kann ja sagen, dass ich aus Finnland komme.
Hätte ich das mit den Risikogebieten schon am Morgen gehört, wäre mir der viele Verkehr unterwegs vielleicht nicht so störend vorgekommen. Doch so ließ ich mich in der flachen Landschaft dann doch ein bisschen beeinflussen. Ich fand die vielen Autos nervig. Ich hatte gar keine Augen für die Felder und Wiesen der Lüneburger Heide. Kartoffeln blieben mir in Erinnerung. Es sei die beste Erde hier, ließ ich mir am Abend mit Stolz erklären. Und die Princess-Sorte mit den ovalen Knollen gäbe es auch in jedem kleinen Garten, nicht nur auf den großen Feldern. Ja, eine Kartoffel muss man haben, dachte ich mir als Redewendung. Und damit vergaß ich mal die Gedanken ans Zugfahren. Ich wollte weiterradeln, war mein Entschluss von heute.
10. Oktober 2020
Mittelgebirge Harz
Beim Aufwachen regnet es leicht. Ich höre die Tropfen am Dachfenster. Doch bis ich nach dem Frühstück die ersten Meter auf der Straße mache, hat es längst wieder aufgehört. Nur der Feldweg entlang eines kleinen Baches, den mir mein Navi vorgeschlagen hat, ist noch ziemlich nass und gar leicht matschig. Es ist aber nur ein kurzes Stück. Dann bin ich mit meiner Routenwahl zufrieden. Am Vormittag zumindest eher kleinere Straßen. Oder Radwege durch die Felder. Und dazu kleine Abstecher durch die ländlich geprägten Weiler.
Ich sehe Backsteinhäuser überall. Auch Neubauten werden mit diesen Ziegeln verkleidet. In den Dörfern schauen die Gebäude einander ähnlich. Nur die Bauernhöfe fallen etwas aus dem Rahmen. Sie haben neben den roten Steinziegeln hie und da auch noch einen alten Teil als Fachwerk ausgeführt. Oder Firste, die durchhängen, Mauern, die schräg sind, Ziegel, die abbröckeln. Die Höfe liegen meist mitten im Dorf. Bei vielen riecht es nach Pferden. Das gefällt mir, wenn der Brotgeruch aus der Bäckerstube in den Geruch der Bauernhöfe übergeht. Und danach der Blumenladen kommt, der visuell für Anregung und Abwechslung sorgt. Nett und aufgeräumt zeigen sich hier die Dörfer. Und die kleinen Städte sowieso.
Irgendwann wird es dann leicht hügelig. Schon von weitem kann ich den Brocken sehen, den höchsten Berg Norddeutschlands. Ich bin im Nationalpark Harz angelangt. Und siehe da, ich mache seit langem wieder ein paar Höhenmeter mehr als sonst. Doch groß ins Schwitzen komme ich nicht. Die 3 Grad auf 800 Meter Höhe finde ich ziemlich frisch. Nicht ganz frisch schaut dafür der Wald in diesem Teil des Harzes aus. Er bietet einen erschreckenden Anblick. Überall abgestorbene Fichten. Das machte mich etwas nachdenklich. Da gibt es die schöne heile Welt in den kleinen Dörfern und Städten, doch drum herum zeigt die Natur ein anderes Bild. Oder sie stimmt uns auf etwas ein, das vielleicht noch stärker kommen wird.
11. Oktober 2020
Sonntagshighlight Brocken
Noch vor dem Frühstück plane ich meine heutige Etappe um. Es war ein schneller Entschluss. Jetzt wo ich schon mal in der Nähe des höchsten Berges Norddeutschlands bin, möchte ich die Chance am Schopfe packen. Mitnehmen was am Wege liegt, war das Motto. Und so mache ich mich kurz nach 8 Uhr auf den Weg. Ich habe gar etwas Sonne bei der Anfahrt. Doch diese zieht sich schnell wieder zurück. In der Hälfte der Steigung setzt Nebel ein. Ein Wanderweg quert hie und da die Straße. Doch sehen tue ich niemanden. Nur im Wald höre ich manchmal ein paar Stimmen. Sonntagmorgen, und niemand am Weg? Mir gefällt es so ganz gut. Mit dem Nebel ist es eine einzigartige Stimmung.
Erst kurz vor der letzten Kehre mündet ein anderer Wanderweg in die Brockenstraße. Er bringt etwas mehr Leute. Ein Jogger aus Hannover hängt sich mir an. So machen wir die Bergwertung zu zweit, kommen gemeinsam oben an. Doch bei Null Grad, Nebel und etwas Wind dauert unser Gespräch nur kurz. Der Nebel ist anscheinend etwas ganz Normales hier. Es soll 300 Nebeltage geben pro Jahr, kann ich am Abend nachlesen. Und an den anderen Tagen dafür eine gigantische Weitsicht.
Als ich mich, warm angezogen, an die Abfahrt mache, kommen mir Scharen von Wanderern entgegen. Die sind demnach etwas später aufgestanden als ich. Das war lustig anzuschauen, wer da wie unterwegs ist. Leicht bekleidet oder dick eingemummelt. In schickem Sportdress oder Knickerbocker. Allein oder in Großgruppen. Keuchend joggend oder langsam flanierend. Mit und ohne Hund. Den Rucksack vorne oder hinten. Verwegen gipfelstürmend oder nach Pausenbank suchend. Eintageswanderer oder Brockenprofi. Auf den höchsten Berg Norddeutschlands müssen einfach alle rauf, sonntags sowieso. Ich denke, dass sie dann beim Brockenwirt oben einkehren werden, auf eine Erbsensuppe mit Bockwurst, oder ein Harzkäsebrot mit Schmalz. Bei mir hatte er noch zu. Doch das war mir egal. Das Hochgefühl gab heute ja ohnedies der mystische Brocken selbst.
12. Oktober 2020
Auf der Rodelbahn
Große Felder und weite Ackerflächen prägen das Bild am Vormittag. Meine Route führt mich auf Nebenstraßen und Feldwegen durch sie durch. Es ist Thüringen, ein kleines Bundesland in der Mitte von Deutschland. Als ich die Hauptstadt Erfurt erreiche, werden am Domplatz gerade die Zelte von einem Fest abgebaut. Ein buntes Riesenrad steht noch, und will gar nicht zu den Fachwerkbauten und Bürgerhäusern rund herum passen.
Ich habe den Fahrradweg gewählt. Es ist ein Zickzack-Kurs durch die Stadt. Immer wieder grobes Kopfsteinpflaster, enge Gassen, kleine Plätze, schmale Holzbrücken, mit Autos verstopfte Straßen.
Weiter südlicher wird es dann hügeliger. Die Waldflächen und Steigungen nehmen zu. Ich habe den Thüringer Wald erreicht. Er ist gut zu fahren. Als ich auf seinem Kamm ankomme, radle ich durch das Wintersportzentrum Oberhof. Dort bin ich dann für einige Zeit mit dem Biathleten Martin Fourcade am Weg. Zumindest kommt es mir so vor. Denn immer wieder lacht er mir von einer Reklamewand entgegen. Oder zielt gerade mit seinem Gewehr auf eine Scheibe. Oder sprintet als Erster über die Ziellinie. Natürlich immer knapp vor mir.
Sportlich geht es auch bei der Abfahrt ins Tal dann zu. Ich sause auf der Naturrodelbahnstrecke hinunter. Die 12 Prozent Gefälle fordern meine Bremsen. Doch laufen lassen tue ich es nicht. Denn die schmale Straße ist nass. Und mit dem Laub auch etwas rutschig in den Kurven. Im Winter müssen die 2 Kilometer sicher lässig zum Rodeln sein.
13. Oktober 2020
Ein Kammerjäger am Nebentisch
Das Zimmer in der kleinen Pension über dem Stadt-Kaffee war bisher meine günstigste Unterkunft. Doch Freundlichkeit und Service waren absolut top. Und das Frühstück maßgeschneidert. Ich wählte den Grüntee bio statt aromatisiert, das Ei gerührt statt gespiegelt, das Brot mit Korn statt weiß, das Joghurt mit Früchten statt Natur. Und dazu gab es noch gratis eine Artistikeinlage eines anderen Gastes.
Eine Wespe flog plötzlich durch den Raum, träge von einem Tisch zum anderen, sich wohl im Nest irrend. Vielleicht hätte sie sich mit etwas Honig beruhigen lassen. Doch stattdessen wirbelten überall Hände abwehrend durch die Luft, gab es vereinzelt ängstliche Ausrufe. Das motivierte einen Gast am Nebentisch, sich als Kammerjäger zu versuchen. Der Wespe hinterher, jagte er mit Serviette durchs Kaffee. Es war zwar nur eine kurze Aufführung, doch als spontane Einlage ohne Probe durchaus sehenswert. Die Wespe hatte ob der ungelenken Zugriffsversuche bald Mitleid mit ihrem Jäger. Sie ergab sich freiwillig. Eingepackt in eine zerknitterte Serviette ließ sie sich an die frische Luft setzen. Dann frühstückten alle zufrieden weiter. Der Wespenjäger mit Dank überhäuft ebenso.
Ich setzte mich zufrieden auf mein Rad, um dann schon nach wenigen Kilometern wieder abzusteigen. Mit Winterhandschuhen statt der fingerlosen Radhandschuhe, und mit Neoprenschuhen als Überzieher, so wollte ich der unerwartet niedrigen Temperatur trotzen. Der Nebel hing schwer in den Hügeln und drückte mehr und mehr herab. Ich fuhr währenddessen durch kleine Orte. Die Radwege gingen hinter und vor den Häusern durch, den schmucken und den weniger schmucken. Und immer wieder durch weite offene Felder. Die Route war angenehm zum Fahren. Obwohl mitten durch Wiesen und Äcker, waren die Wege gut asphaltiert. Hie und da war mein Navi sogar mutiger als ich. Denn die vorgeschlagenen Trampelpfade habe ich umfahren. Ich bin auf befestigtem Untergrund geblieben.
Am frühen Nachmittag kam die Sonne langsam durch. Es wurde deutlich milder, gar ein feiner Tag. Die vielen Windräder an der Route standen alle still. Nur meine Laufräder bewegten sich, und das mit feinem Surren. Die Landschaft zeigte sich in prächtigen Farben. Hellbraun bis ocker die Äcker, zart- bis dunkelgrün die Wiesen, milchig bis üppig blau der Himmel. Und ich fuhr mittendrin, kreuz und quer Richtung Süden, mit leichter Tendenz auch ein bisschen nach Westen.
14. Oktober 2020
Der Duft von feuchter Erde
Kaum auf dem Rad und im Frühverkehr aus der Stadt rausgefahren, fängt es leicht zu nieseln an. Und so bleibt es dann den ganzen Tag. Das Fahren ist etwas anstrengend. Ich habe mich für Radwege entschieden. Und die führen im Zickzack-Kurs durch viele kleine Orte durch. Immer wieder gibt es Abbiegungen oder Untergrundwechsel, die meinen Fahrrhythmus brechen. In den Waldstücken liegt nasses Laub auf dem Weg, das mich die Abfahrten eher vorsichtig angehen lässt. So bin ich zwar fleißig am Pedalieren, doch der Kilometerzähler geht es eher nur gemächlich an. Erst am Nachmittag kommen ein paar längere Passagen, bei denen ich Tempo machen kann.
Auf den Äckern sind viele Bauern mit ihren Traktoren bei der Arbeit. Entweder bringen sie Saatgut aus, oder sie brechen die Erde um. Bei einem großen Feld neben meiner Straße sind 2 Traktoren im Einsatz. Sie ziehen schwere Ackermaschinen hinter sich her, die die Erde feinkrümelig machen. An ihren breiten Rädern haften große Klumpen nasser roter Erde. Doch was mich mehr fasziniert, ist der Geruch der frisch umgebrochenen Erde. Der Seitenwind trägt ihn zu mir her. So ist es nicht nur ein kurzes Eintauchen in diesen erdigen Duft, sondern gar ein längeres Fahren in ihm. Dieser Acker hätte ruhig noch länger sein können. Denn den Geruch von frischer Erde mag ich sehr.
15. Oktober 2020
Frühstück mit Stoppuhr
Ich bin früh wach. Die Wettervorhersage habe ich gestern schon gecheckt. Sprühregen hieß es, und das den ganzen Tag. Also wollte ich so unangenehme Nachrichten gar nicht mehr ein zweites Mal hören. Mich interessierte mehr, was Angela Merkel mit den deutschen Landeschefs am Abend ausgehandelt hat. In der Süddeutschen Zeitung konnte ich dann lesen, dass es erst nach 22 Uhr einen Kompromiss gegeben habe. Und der lautete Verschärfung der Corona-Maßnahmen.
Diese Verschärfung ereilte mich dann gleich schon beim Frühstück. Ich hatte mich für den ersten Zeitblock einteilen lassen. Der Hotelangestellte erwartete mich mit Maske und einem Notizblock. Nach dem Guten Morgen-Gruß kam er gleich zur Sache. Bitte gründlich Hände desinfizieren, wurde ich instruiert. Die Maske dürfe ich nur bei Tisch abnehmen. Dann bekam ich eine Tisch-Nummer zugewiesen. Es gäbe ganz aktuell eine Verschärfung der Corona-Maßnahmen. Sie müssten jetzt die Bewegungen der Gäste aufzeichnen. Für das Frühstück hätte ich eine halbe Stunde Zeit. Sie sei schon angelaufen. Na habidere, dachte ich mir, schaut ganz so aus, als ob der Typ gestern bei den Verhandlungen mit Merkel auch dabei gewesen ist. Er war zwar sehr freundlich, doch pflichtbewusst bestimmt. Hier in seinem Hotel haben sich alle rigoros an die ausgegebenen Regeln zu halten. Die Vorgabe mit der halben Stunde konnte ich gut einhalten. Ich wollte ja raus in den Sprühregen. Und nicht ewig lang frühstücken bis es noch stärker zu regnen beginnt.
Der leichte Regen hielt wie angekündigt den ganzen Tag über an. Meine Route führte durch kleine Weinbauorte. Doch viel von deren Lieblichkeit bekam ich nicht mit. Ich folgte nur dem lilafarbenen Strich auf meinem Navi. Hie und da lenkten mich ein paar zermatschte Äpfel oder Birnen auf dem Radweg ab. Streuobstwiesen gab es nämlich auch. Mit anderem Wetter wäre es heute wahrscheinlich ganz nett gewesen. Doch so wollte ich nur vorwärtskommen, so gut es mit dem Regen halt ging.
16. Oktober 2020
Einkauf "just in time"
Die Strecke heute nach Freiburg war landschaftlich nicht sehr spektakulär. Es war eine Rolleretappe am Radweg neben der Hauptstraße. Doch wenigstens war es trocken. Der Himmel war bedeckt. Nebel hingen über den Hügeln. Mir gefiel es dennoch. Kein Regen, da ist meine Stimmung gleich entschieden besser.
Entlang meiner Route lagen einige kleine hübsche Orte. Der Breisgau wusste zu gefallen, die Schwarzwaldnähe ebenso. Auf den Feldern wurde viel Mais angebaut. Immer wieder lagen Stroh- und kleine Kolbenreste von der Ernte auf der Straße. Bei den großen Erdbeerkulturen lockten halbreife Früchte zum Naschen. Doch der Seitenstreifen und der Feldrand waren ziemlich gatschig. Ich ließ es bleiben.
Bei einer Wiese mit Obstbäumen hörte ich das Motorengeräusch eines Generators. Ums Eck war ein Mann mit Baumschneiden beschäftigt. Ein dünner blauer Schlauch lag quer über dem Weg. Der Mann deutete mir an, dass das Passieren schon ok sei. Doch ich blieb neugierig stehen. Und so bekam ich eine Gerätevorführung. Es war eine pneumatische Baumschere an einer Teleskopstange. Voll Stolz zeigte mir der Mann, dass er damit selbst dicke Äste mühelos kappen kann. Und kaum am Boden machte er mit ein paar weiteren Schnipsern gleich Häckselgut daraus. Mit der langen Stange sei es ungefährlich. Doch sonst müsse man schon auf die Finger aufpassen. Es sei ein italienisches Produkt und schaffe 3 Schnitte pro Sekunde. Nur bei Minusgraden neige das Druckventil zum Vereisen. Ich staunte, welche Details man über Baumscheren erzählen kann.
Wie gestern schaute ich auch heute wieder bei 2 am Weg liegenden Fahrradläden vorbei. Mein Hinterreifen ist schon ziemlich abgefahren. Ich sollte ihn dringend ersetzen. Nur meinen Wunschreifen hatten sie auch heute nicht lagernd. Der eine Händler meinte, dass der Alte schon noch eine Zeit lang halten werde. Davon war ich selbst auch überzeugt. Doch zumindest einen Ersatzschlauch hätte ich sicherheitshalber kaufen können, wenn schon im Laden. Keine Ahnung, wieso ich es nicht tat.
Denn prompt hatte ich am späten Nachmittag einen Platten. Meinem Tubolito-Schlauch ging ziemlich schnell die Luft aus. Zum Nachdenken blieb mir nicht viel Zeit. Etappe abkürzen, im nächsten Ort ein Hotel nehmen, Rad reparieren, war mein rasch gefasster Entschluss. Und mit Nachpumpen schaffte ich es bis in den Ort. Zwar nicht bis zu einem Hotel, dafür aber bis zu einem Fahrradladen. Ich war ziemlich baff, als just am Ortseingang ganz unerwartet ein kleiner Fahrradladen auftauchte.
Ja, Glück muss man haben, beim Radeln, und einen Schlauch dazu. Einen gleichen Reifen hatte auch dieser Laden nicht vorrätig. Doch ich war mit einem neuen Schlauch mehr als nur zufrieden. Und der Kauf war „Just in time“. Unglaublich. Das muss einem erst mal gelingen.
17. Oktober 2020
Schwarzwald von der feinsten Seite
Gleich schon im Ort begann die Straße leicht anzusteigen. Gleichmäßig machte ich Höhenmeter um Höhenmeter. Ein ganz ungewohntes Gefühl, dass es länger aufwärts gehen kann. Kurvig und mit nur wenig Verkehr kam ich so auf über 1.000 Meter Höhe. Und dann bog ich von der Hauptstraße ab. Ein Radweg war ausgewiesen. Mit Ausblick auf leicht mit Nebel gefüllte Täler fuhr ich einen Höhenweg entlang. Der Schwarzwald lag vor mir. Bauernhöfe, Weidewiesen und Waldstücke wechselten sich ab. Und immer wieder ein Auf und Ab beim Weg, doch gut zu fahren.
Irgendwann ging es dann links in den Wald hinein. Lange Allee war angeschrieben. Ich zögerte erst, denn der Weg war von Holzarbeiten und Traktorspuren ziemlich gatschig. Doch je weiter ich fuhr, desto mehr entpuppte sich der Forstweg als absolut tolle Strecke. Leicht abfallend ging es ohne großes Mittreten in angenehmer Fahrt über viele Kilometer fast gerade durch den Wald. Hie und da ging ich aus dem Sattel. So konnte ich leichter die Balance und das Tempo halten, und den Pfützen und groben Steinen besser ausweichen. Es schüttelte mich manchmal durch, und die Packtaschen klapperten. Doch auf diese Art ziemlich schnell durch den Wald zu rollen, machte mir ungeheuren Spaß. Dieser Teil des Weges war erste Sahne.
Doch auch die Passagen danach hatten mir gefallen. Schmale Straßen zogen mit leichten Kurven durch grüne Wiesen und gelbe Äcker. Nur die Maisfelder waren etwas blass. Irgendwann war dann schon Konstanz angeschrieben. Doch davor ging es noch kräftig bergab. Im Nu waren die Höhenmeter dahin. Ein breiter Radweg führte Richtung Untersee, als Teil des Bodensees. Aber schnell zeigen wollte sich dieser nicht. Ein breiter Schilfgürtel war ihm lange vorgelagert.
Der Radtag hat mir heute sehr gefallen. Dennoch kam ich am Abend im Hotel etwas in Rage. Nur wegen meines österreichischen Ausweises und meiner Sprache wurde ich sofort als Gast aus einem Risikogebiet eingestuft. Es war ein längeres Hin und Her mit allen möglichen Hierarchieebenen des Hotels, ob sie mir ein Zimmer geben können. Die Angst vor einer Behördenstrafe war riesengroß. Fast wollte ich schon beleidigt abziehen, als sie dann doch ein Einsehen hatten. Später ärgerte ich mich, dass ich mich überhaupt auf eine Diskussion eingelassen habe. Wahrscheinlich wäre ich in einer kleinen Bude ohne Probleme untergekommen.
Vielleicht ist es aber auch gut, dass sich meine Kreisel-Tour langsam dem Ende zuneigt. Denn so toll das Radfahren selber ist, das Drumherum beim Reisen wird zunehmend mühsam. Doch wenn ich die Nachrichten in den Medien verfolge, dann spielt derzeit nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt verrückt.
18. Oktober 2020
Schon wieder daheim
Konstanz war am Morgen ohne Verkehr. Auch Leute waren nur vereinzelt zu sehen. Anscheinend ist hier an einem Sonntag lang Schlafen das angesagte Programm. Eine freiwillige Ausgangssperre wird es wohl noch nicht gewesen sein. Eher hat wohl der Hochnebel die Leute nicht aus den Häusern locken können. Er legte über den See und die Landschaft rundherum einen tiefen grauen Schleier.
Die Grenze zur Schweiz war offen. Freie Durchfahrt, keine Kontrolle. Das hat mir gepasst. Im Thurgau war dann etwas mehr los. Vielleicht auch weil es schon späterer Vormittag war. Ringsum waren Kirchenglocken zu hören. Auf den Wiesen grasten Kühe. Es war zwar kein üppiges Gras mehr, doch anscheinend finden sie überall etwas zum Zupfen, oder suchen danach.
Etwas weiter im Appenzell kamen mir die Wiesen noch grüner vor. Vielleicht es war der Kontrast zu den Häusern und Höfen, die alle sonntäglich rausgeputzt ausschauten. Die Anzahl der Kühe je Wiese war geringer. Und viele hatten auch Hörner. Ein ungewohntes Bild. Ungewohnt war auch der Anblick des Schnees auf den Bergen. Säntis und Churfirsten waren mehr als nur leicht angezuckert. Das hat mir gefallen. Ich freute mich schon auf den Anblick der Berge dann bei mir zuhause. Denn weit hatte ich es nicht mehr. Die Abfahrt ins Rheintal hinunter ging flott. Oben hatte ich mir noch die Jacke und ein Stirnband angezogen. Doch in der Ebene unten kam gar die Sonne durch.
Es war nur noch ein Grenzübergang vor dem Heimkommen zu passieren. Und dieser war offen. Nur am Weg dorthin hatte die Schweizer Grenzwacht einen polnischen Lieferwagen angehalten. Auf österreichischer Seite stand niemand. Fein dachte ich mir, als ich an der blauen Tafel mit den gelben Sternen und der Tafel mit der Aufschrift Vorarlberg vorbeifuhr. Dann bin ich ja bald daheim.
In Feldkirch gab es unerwartet noch eine freudige Überraschung am Weg. Ein Auto hinter mir machte hupend auf sich aufmerksam. Und auf das Zurufen meines Namens vor der Ampel schaute ich mich dann um. Es waren Freunde, die genauso verdutzt und ungläubig dreinschauten wie ich. Und dann stieg gar noch meine Tochter lachend aus dem Auto aus. Hey, das hat mir getaugt.
Da war ich davor beim Radeln noch mit Gedanken beschäftigt, wie das wohl sein wird, beim Heimkommen. Und dann wird das Heimkommen vorweggenommen. Einfach so am Weg. Da bin ich fast 4 Monate unterwegs und wähle für die letzten Meter irgendeinen kleinen Grenzübergang. Und bei einer Ampel treffe ich dann zeitgleich auf gut gelaunte Freunde, die denselben Weg gewählt haben. Das nennt man dann wohl wirklich Zufall. Und wenn alle von etwas überrascht werden, auf das man sich sonst auch gefreut hätte, sind die Emotionen noch viel intensiver. Und die Begrüßung und Umarmung meiner Tochter war richtig schön. Mir ging sie unter die Haut.
100 Radtage mit 11.500 Kilometern und 102.000 Höhenmetern ist die Bilanz meiner Tour in Zahlen. Österreich, Deutschland, Dänemark, Norwegen, Finnland und die Schweiz waren die durchreisten Länder, mit einer Ecke Liechtensteins dazu. Das Ziel Nordkapp hat sich erst unterwegs verfestigt. Es war lange Zeit unerreichbar weit weg. Die Route dorthin hat sich genauso wie der Weg zurück mehr zufällig als gezielt planend ergeben. Das Improvisieren hat mich nicht abgeschreckt. Es ist immer alles gut ausgegangen. Ich denke, da habe ich sicher auch Glück gehabt. Und mich auf etwas einlassen können, das sich erst mit dem Einlassen entwickelt, gab meiner Reise eine besondere Note. Und auf die Art war es auch eine wichtige Erfahrung für mich.
Ab September war es häufig regnerisch. Einige Tage musste ich ziemlich kämpfen. Da staunte ich über meine Zähigkeit und Robustheit. Ohne Sprachbarriere und mit gut ausgebauter Infrastruktur war das Reisen dieses Mal weniger Abenteuer als letztes Jahr im Osten. Das Abenteuer war mehr landschaftlicher Art, Norwegen genial. Das Unterwegssein in Lappland beeindruckte mich jeden Tag, mit Wildnis, Kargheit, Einsamkeit, dem Kontrast zu Österreich oder Deutschland sowieso. Skandinavien ist jedenfalls anders. Und das mal über einen längeren Zeitraum direkt erfahren zu haben, war ein Erlebnis. Wie die Reise es für sich selbst auch war, nicht nur der Rahmenbedingungen wegen.
Im Norden war Corona weit weg, nicht präsent. Jetzt ist dafür leider der Norden weit weg, und Corona wieder sehr präsent. Als Coronaler Kreisel habe ich meine Tour im Frühjahr beim Start genannt. Jetzt, im Herbst, bin ich gesund und mit vielen Erlebnissen wieder zum Ausgangspunkt zurückgekommen. Vielleicht gerade noch rechtzeitig genug. Denn das Reisen ist je nach Land bereits drastisch eingeschränkt, oder die Einreise zum bloß Radeln nicht mehr erlaubt. Verrückte Welt.
Meine Taschen waren schnell ausgepackt. Viel brauche ich nicht, wenn ich mit dem Fahrrad am Weg bin. Eigentlich gar nur das Rad selbst. Und im Norden auch ein paar wasserfeste Sachen. Meinen Coronalen Kreisel habe ich gesund und glücklich zu Ende geführt, das Rad zufrieden abgestellt. Nur der Kreisel rund um Corona scheint sich weiter zu drehen, schneller und verrückter als je zuvor. Diesen Spuk lasse ich jetzt mal vorbeiziehen. Und dann ziehe ich das Rad wieder hervor. Mag bald wieder Radla, radla, radla - lang, weit und bsundrix.