22. September 2024
Eine Sonntagsfahrt mit der Fähre
Heute bin ich noch vor Sonnenaufgang losgefahren. Kurz vor sieben Uhr lag das Meer ruhig da. Nur ein leichtes Kräuseln des Wassers war zu sehen. Und zu hören waren vereinzelt kurze Möwenschreie weit entfernt. In der Ortschaft war es ebenfalls ruhig. In der Bäckerei schien jedoch schon Betrieb zu sein. Zumindest im Backraum. Ein Duft nach etwas süß Gebackenem lag angenehm in der Luft. Doch zukehren wollte ich nicht. Ich hatte ein fixes Programm. Ich wollte möglichst schnell nach Reggio Calabria kommen, und dort auf die Fähre nach Messina. Für den Nachmittag war Regen angesagt. Also hieß es vorher kräftig Kilometer machen.
Auf der Schnellstraße kamen mir einige Rennradler entgegen. „Ciao“, und ein freundliches Winken gab es sicher mehr als zwanzig Mal. Am Sonntag trifft man sie, während unter der Woche kaum welche zu treffen sind. Als es nach der untersten Ecke von Kalabrien erstmals nach Norden ging, zeigte sich vis-á-vis schemenhaft Sizilien. Ich freute mich, und war gut gelaunt. Sizilien hatte ich mir schon lange Mal vorgenommen. Aber die Wolken hingen tief. Ein halber Regenbogen ragte aus dem Meer. Und Siziliens Hügel oder Berge waren nicht zu sehen. Unglaublich, dass es dort einen Dreitausender geben soll. Noch dazu höher als der Piz Buin in Vorarlberg, und ein aktiver Vulkan zudem.
Doch zuerst hieß es auf die Insel rüberkommen. Mein erster Anlauf ging daneben. Ich meinte, in Reggio Calabria eine Fähre nehmen zu können. Nur ging das mit dem Fahrrad nicht. Erst weiter nördlich auf der Hauptroute klappte es dann ohne langes Warten. Eine großes, schmuckes Schiff in knalligem Zitronengelb und dunklem Blau hatte für drei Euro Platz. Bei der Abfahrt vom Festland schien die Sonne, und blendete an Deck. Doch mit hinüber nach Messina wollte sie nicht. Dort ließ sie den Wolken den Vortritt. Vielleicht störte sie auch der viele Verkehr. Ich empfand ihn fast unangenehm. Es staute sich in allen Straßen. Und ohne Hupen fährt anscheinend niemand über Kreuzungen.
Erst weit außerhalb der Stadt wurde es auf meiner Straße etwas ruhiger. Da waren die meisten dann schon auf die Autobahn abgebogen. Doch durch die Ortschaften war es immer eher zäh. Schmale, verparkte Einbahnstraßen, und drängelnde Rollerfahrer, da wollte keine große Freude bei mir aufkommen. Dazu wurde es in meiner Fahrtrichtung vorne irgendwann mal richtig finster. Doch der Regen wollte nicht auf mich warten. Ich fuhr ihm zu langsam. Den nassen Straßen nach hatte er Vollgas gegeben. Und mit Grau in Grau war dann auch in den Touristenhotspots an der Küste nichts mehr von Mittelmeerromantik zu spüren.
23. September 2024
Radeln am Fuße des Ätna
Die Fischer sind noch früher aktiv als ich. Ihre Angelruten sind im Gegenlicht der sich sehr zaghaft zeigenden Morgensonne nur als fadendünne Stäbe auszumachen. Kerzengerade ragten sie in die Luft. Kein Wind. Am Wasser ist es fast spiegelglatt. Meine Straße ist es küstennah dafür weniger. Es rüttelt mich kräftig durch. Und in einer Ortschaft sind die großen Pflastersteine fast unfahrbar. Ich suche Nebenwege in schmalen Gassen, und bin entsprechend langsam unterwegs.
Etwas später schaut dann der Ätna, der größte aktive Vulkan Europas, kurz zwischen den Wolken hervor. Ich vergewissere mich mit Nachfragen bei einer Joggerin, ob er es tatsächlich ist. Denn ausschauen tut er recht unspektakulär. Ein paar Dampf- oder Gasfahnen steigen aus dem Gipfelkrater zwar empor. Doch sie vermengen sich mit den weißen Wolken rundum, und gehen unter.
Oben pustet er derzeit also weißen Dampf aus, doch die Ablagerungen auf den Straßen sind kohlschwarzer Sand. Hie und da sind sie vom Regen seitlich an den Rand gespült. Doch manchmal bedeckt das schwarze Vulkanaschensandgemisch auch die ganze Straße. Bei den Abfahrten bin ich jedes Mal vorsichtig. Denn oft ist der Sand ganz weich, und etwas heikel zum schnell durchfahren. Das Schwarz passt jedoch gut zur Landschaft. Es ist ein schöner Kontrast zum saftigen Grün der Blätter und Früchte in den Zitronenhainen.
Eine Zeit lang bin ich auf einer Nebenstraße ohne viel Verkehr unterwegs. Doch in Catania holt mich dann die Autowelt wieder ein. Die Straßen sind verstopft. Ein Mal verpasse ich eine Abbiegung. Umkehren und Wechseln auf die andere Straßenseite waren fast unmöglich, obwohl ich es auf einem Zebrastreifen versuchte. Mit zögerlichem Warten ist man verloren. Mutig trotz anbrausender Kolonne queren ist am sichersten. Der „Indian-Style“ hilft auch bei Kreuzungen und Kreisverkehren. Nie stehen bleiben, sondern immer drauflosfahren, ist die Devise. Denn groß ist die Geschwindigkeit ob des sich stauenden Verkehrs ohnedies nicht. Und umfallen ist zwischen den Fahrzeugen auch nicht möglich. Ich war dennoch froh, als ich aus diesem großstädtischen Verkehrsgewusel wieder raus war.
Sonderlich attraktiv fand ich die weitere Strecke bis nach Syrakus aber nicht. Es war nur ein flottes Rollen in einer Landschaft ohne großen Reiz. Dazu wollte die Industriezone mit riesigen
Raffinerieanlagen an der Küste ebenfalls nicht enden. Die Petrochemie dürfte hier das große Sagen haben. Zum Radfahren war es heute eher nicht so interessant.
24. September 2024
Ein freudiger Juchzer bei Kilometer 67
Es ist ein strahlendklarer Morgen heute. Über mein Handy trudeln Girasole ein. Ich freue mich. Am Thermometer kann ich 24 ablesen. Das Kalenderblatt zeigt den Monat 9, und mein Navi einen Akkustand von 57. Ich muss über diese Kombination schmunzeln. Gut gelaunt packe ich meine Taschen. Ich habe ein schickes Zimmer in einer Privatwohnung. Sie ist mit viel Geschmack eingerichtet. Außen schaut das Haus mit vier Stockwerken zwar sanierungsbedürftig aus. Doch innen ist alles pikobello. Schöne Bilder, viele Bücher, reichlich Deko, und sonst noch allerlei. Wahrscheinlich zu viel der Ablenkung für mich. Ich hatte alle meine Sachen nach draußen gebracht, die Türe ins Schloss fallen lassen, doch meinen Helm in der Wohnung vergessen. Reichlich verlegen klingle ich den Besitzer aus dem Bett. Claudio nimmt den frühen Anruf nicht weiter tragisch. Barfuß und im Pyjama trägt er mir gar die Taschen das Stiegenhaus hinunter, ich das Rad tragend voraus. Ein besonderer Morgen also heute.
Aus der Stadt raus ist im Gegenverkehr dichte Kolonne. Am Land wohnen und in der Stadt arbeiten gibt es auch hier. Doch wohl nach dem x-tem Kreisverkehr sind die Autos plötzlich alle weg. Sie kamen aus einer anderen Richtung. Ich bin fast allein auf der schmalen Straße. Es gefällt mir. Flach geht es Trockensteinmauern entlang kurvig dahin. Die Felder liegen alle brach. Doch die Bewässerungssysteme sind bereits vorbereitet, Schläuche und Rohre ausgelegt. Gemüseanbau dominiert. Später sehe ich viele Gewächshäuser mit Tomaten, und einzelne Weinberge dazwischen. Die Erde ist dunkelrotbraun mit viel kleinem Gestein darunter. Öfters tauchen auch Oliven- oder Zitronenhaine auf. Bei den Olivenbäumen staune ich, wie groß ihre Früchte sind. Nahe zu einem Haus haben ein paar Männer gar schon mit der Ernte begonnen. Am Boden sind grüne, feinmaschige Netze ausgelegt. Mit Akkumaschinen, an denen an einem langen Stab ein vibrierender Rechen montiert ist, kämmen sie die Zweige durch, und schütteln so die Oliven herunter. Die Tschikstummel im Mund sorgen wohl für hohen Ertrag.
Mittags erreiche ich kurz nach Kilometer 67 meinen südlichsten Punkt von Sizilien. Ich lasse nicht nur deswegen einen kräftigen Juchzer. Ganz zur Spitze vorfahren kann ich aber nicht. Die Radaranlage der Guardia Costiera ist mit Stacheldraht gesichert. Als meine Route dann Richtung Westen weist, erwartet mich kräftiger Gegenwind. Direkt an der Küste ist das Fahren zeitweise anstrengend. Auch weil es den Sand vom Strand auf die Straße bläst, und mir öfters auch ins Gesicht. Dafür sind das Heranrauschen der Wellen und die viele Gischt schön anzuschauen. Und im Schutz von Häusern oder dem hohen Schilfgras und Hecken mache ich dann doch meine Kilometer. Ich meine, der Tag hat gepasst.
25. September 2024
Foliengewächshäuser und ein Gewitter das sich gewaschen hat
Ein angenehmer Morgen. Ich starte etwas später. Der Hotelinhaber war sehr gesprächig, und ich wahrscheinlich auch. Dazu habe ich mir beim Frühstück Zeit gelassen. Die Sonne stand schon hoch, als ich endlich losfahre. Die ersten Kilometer gehen gut. Alles geradeaus. Doch dann verzettle ich mich bei einer Abbiegung. Mein Navi führte mich in eine Sackgasse. Es ging kein Weg weiter. Und dort wo einer sein sollte, versperrt ein Gittertor die Einfahrt. Es gibt also gleich am Morgen schon eine kleine Extrarunde. Ich trage mein Rad über eine Böschung runter, fahre kurz auf einer Motocross-Strecke, ignoriere mutig ein fehlendes Wegstück, und gelange auf einer Privatstraße zwischen Steinmauern und Kakteen in einem weiten Bogen wieder zur Abzweigung zurück. Die Orientierung nach der nächsten Ortschaft ist dann der Schlüssel für eine erfolgreiche Weiterfahrt.
Irgendwann verläuft dann meine Route recht lange direkt am Meer. Das hat mir gefallen. Es war schön zum Fahren, zum Schauen, und zum Lauschen. Ein unaufdringliches Smaragdgrün fällt mir als Bezeichnung ein, wie das ruhige Meer sich zeigte. Und später geht es dann in wunderbare Pastelltöne über, die weit draußen mit dem zarten Blau des Himmels verschmelzen.
Weil ich die vorherigen Orte eher am Rand umfahren habe, kam ich leider an keinem Laden vorbei. Mittags packte ich daher meine Notreserve aus: Eine Dose Bohnen in Tomatensauce, gekauft irgendwo in Griechenland. Mit Resten eines Brotes, das auch schon länger in der Packtasche mitgefahren war, genoss ich mein Picknick am Strand. Nur das Wasser aus der Trinkflasche hätte etwas kühler sein können. Doch sonst war es hier am Strand ganz gut zum Aushalten.
Foliengewächshäuser gab es die letzten Tage jede Menge an meiner Route. Doch heute wurde die Anzahl getoppt. Ich meinte, dass es die ganze Küste lang nur solche Gewächshäuser gibt, und dass bloß die Straße nicht mit Plastikfolie abgedeckt ist. Tomaten und Paprika waren zu erkennen, in allen Größen des Wachstums. Manche Gewächshäuser waren verwahrlost oder wurden aufgegeben. Das waren meist solche mit Gerüsten aus Holz. Doch drum herum sind neue aus Metall entstanden. Ein paar Mal gab es kurze Anstiege auf unmerkliche Hügel. Da war dann beim Rundumschauen nur weißliche Plastikfolie zu sehen. Gestört hat mich der viele Müll entlang des Weges. Kaum eine Ausweichbucht oder Feldzufahrt, die nicht zugemüllt war. Ich fand das sehr irritierend.
Ein paar Kilometer vor meinem Etappenziel kam mir ein bombastisches Gewitter entgegen. Die dunklen Wolken waren schon von weitem zu sehen. Beeindruckend, welche Stimmung sich am Meer ergab. Zuerst meinte ich, dass ich trocken durchkomme. Doch als bald heftige Tropfen fielen, und der Donner unmittelbar auf die Blitze folgte, kehrte ich zum Unterstehen um. Das Vordach einer Restaurantruine am Weg bot mir Schutz. Ich war richtig froh, nicht weitergefahren zu sein. Es war ein Wolkenbruch, der selbst Autos langsam fahren ließ. Da wäre ich auf offener Straße wohl verloren gewesen. Mir fiel das Gespräch von heute Morgen ein. Der Hotelinhaber hatte mir nämlich erklärt, welchen Vorteil Trockensteinmauern hätten. Da könne das Wasser von den Feldern ungehindert ablaufen. Probleme mit Regen und Staunässe gäbe es nur dort, wo man bei den Mauern mit Beton gearbeitet habe. Die vor meinen Füßen vorbeifließenden Wassermassen bestaunend ertappte ich mich bei einem verspätet zustimmenden Nicken.
26. September 2024
Ein heißer Tag und gehörig Durst
Dass es gestern ein kräftiges Unwetter gegeben hat, war den Straßen anzusehen. An manchen Stellen waren sie teilweise verschlammt. Ich bin ein paar Mal auf die andere Seite ausgewichen. Ich wollte nicht unbedingt im Morast stecken bleiben. In den Äckern war auch noch Wasser zu sehen. Es stand in den Furchen zwischen den Folientunneln. Satt feucht, war mein stiller Kommentar. Doch drinnen schien alles bestens zu sein. Die Zucchiniblüten streckten sich nach oben, und zeigten freudig ihr kräftiges Gelb. Wahrscheinlich freuten sie sich wie ich ob der strahlenden Sonne.
Meine Route brachte gleich ein paar längere Anstiege. Der Lohn war der weite Blick zum blauen Meer. Oder zurück über ein weißes Plastikmeer an Folien. Sie glitzerten in der Morgensonne. Doch mit den Hügeln wurden die Gewächshäuser weniger. Eine Zeit lang wurden sie von Weingärten abgelöst. Die waren schon alle abgeerntet. Auf einigen Hängen waren Olivenbäume zu sehen. Das schaute gut aus, wie sie in gleichen Abständen schachbrettartig gepflanzt waren.
Mittags suchte ich in einer Ortschaft nach einem Laden. Ich hatte Hunger, doch noch größer war der Durst. Es war heute unerwartet heiß. Und die vielen Hügel brachten mich ordentlich zum Schwitzen. In den engen Gassen war die Orientierung gar nicht so einfach. Doch irgendwann entdeckte ich Arbeiter auf einer Brüstung sitzend, in Papier eingeschlagene Panini essend. Und gleich dahinter gab es sie, in einem Geschäft ohne große Reklame, dafür mit einem Fliegenvorhang an der Eingangstür. An einer Theke gab es Brot. Die war von einer Frau bedient. An der anderen wurden Käse und Wurstwaren aufgeschnitten, dem Verhalten nach möglicherweise vom Inhaber. Die Kasse war im Eck zwischen den beiden Theken. Dort staute es sich. Ich musste auf meine Jause etwas länger warten. Stammkunden schienen Vorrang zu haben. Die wurden freudig begrüßt, und bekamen ihr Panini, ohne dass sie es bestellen mussten. Wie in einem Dorfgasthaus, wo das Bier schon auf den Tisch gestellt wird, bevor der Gast sich hingesetzt hat.
Während ich am Vormittag abseits der Hauptstraße am Kurbeln war, musste ich später mit der Schnellstraße Vorlieb nehmen. Dort ragten die Büsche und hohen Gräser immer wieder weit in die Fahrbahn hinein, jedenfalls über den Seitenstreifen hinaus. Das war zum Fahren manchmal gar nicht so angenehm. Zum Glück war die Verkehrsdichte erträglich. Eine Pflege oder ein Mähen der Böschungen scheint es hier nicht zu geben. Die Wurzelballen drängten schon seitlich in den Asphalt, und manche Pflanzen wuchsen auf der Innenseite der Leitplanken. Die Straße war vom Meer etwas weiter weg. Doch von den Brücken über die Taleinschnitte war es immer wieder zu sehen, als blau gefülltes, gefälliges V zwischen den braunen und mit Gestein durchsetzten Hängen.
27. September 2024
Jede Menge Hügel und Olive Oil & Olives
Im Hafengebiet weht die italienische Flagge. Die Sonne lässt sich davon jedoch nicht beeindrucken. Und auch nicht, dass ich mit dem Fotoapparat warte, bis sie ein paar Strahlen durch das kleine Loch überm Wasser in einem mächtigen Felsausläufer sendet. Vielleicht hätte ich länger warten sollen. Oder zum Strand hinuntergehen und es dann mit einer anderen Perspektive probieren. So fahre ich unverrichteter Dinge weiter. Es gibt kein Foto vom Felsloch mit Sonne. Und die bunten Häuser von Sciacca, die sich beim Hafen eines überm anderen an den Felsen schmiegen, wirken ohne Sonnenspot ebenfalls ziemlich fad.
Stadtauswärts wartet gleich eine kräftige Steigung. Oben komme ich an vielen Gemüseständen vorbei. Sie sind schon gut besucht. Am Morgen gibt es demnach wohl frische Ware. Doch auch bei den Bäckereien stehen die Autos in Zweierreihen davor. Der Duft nach süßen Backwaren erfüllt die Straße. Die Gehsteige füllen dagegen Schülerinnen und Schüler, am Weg zur Bushaltestelle. Sie sind zu Fuß am Weg, während ich mit leicht angeschwitztem Nacken mit dem Rad westwärts unterwegs bin.
Hügel gab es heute am Vormittag jede Menge. Zum Teil auch mit gar giftigen Anstiegen, die mich ziemlich forderten. Ich war jedes Mal recht froh, wenn am Display meines Navis der Text „Anstieg abgeschlossen“ aufpoppte. Diesen Text lese ich mir selber dann meist laut vor. Wirkt motivierend, und ist wie eine Belohnung. Es waren keine langen Steigungen, jedoch recht steil, und rhythmusbrechend. In den Hügeln wurde Wein angebaut. Viele der Weinberge zeigten schon braun angewelktes Laub. Trauben habe ich keine mehr gesehen. Dafür einige der schmalen Traktoren. Sie waren mit Bodenarbeiten beschäftigt. Ein paar von ihnen hatten Raupenantriebe.
Später kamen Olivenbaumkulturen dazu. Zumeist waren es welche mit schmalen Stämmen. Die Früchte waren dennoch riesengroß. In der Sonne waren sie wie grüne Perlen in den Blättern wahrzunehmen. Bei einem Hain knieten nah zur Straße zwei Männer über großen Kisten. Sie waren die gerade geernteten grünen Früchte am Sortieren. Boah, dachte ich mir, eine Heidenarbeit, wenn die Oliven von Hand geerntet werden, und es Bäume gibt, soweit das Auge reicht. Wahrscheinlich waren es Premiumoliven. Denn später kam ich an einem großen Firmenareal vorbei. Rundum waren nur Edelstahltanks zu sehen. In einem Hof waren Unmengen von Plastikfässern gestapelt. Und auf der Straße begegneten mir mehrere Tankwägen. Olive Oil & Olives stand am Firmenschild. Bei einer so großen Anlage werden wohl nicht nur von Hand verlesene Oliven zum Pressen angeliefert werden.
28. September 2024
Gefälliges Radfahren und ein spannendes Palermo
Früher Morgen, bewölkter Himmel, fahle Farben, glattes Meer, kaum Verkehr. Am Nachmittag möchte ich Palermo erreichen. Die Joggerinnen und Jogger an der Uferpromenade geben sich wahrscheinlich mit einer kürzeren Distanz zufrieden. Und die, die mir schon entgegenkommen, sind sicher nicht in Palermo gestartet. Doch bis dorthin warten auf mich noch ein paar Steigungen.
Kaum habe ich die westliche Spitze von Sizilien umrundet, zeigt sich die Landschaft in einem ganz anderen Stil. Aus dem Meer ragen plötzlich schroffe Felsen steil empor. Oder sie türmen sich gegen das Landesinnere weiter auf. Mir wollen sie sich dort noch nicht ganz zeigen. Wolkenschleier und dahinziehende Nebel verhüllen ihre Spitzen. Imposant schaut es dennoch aus.
Bei einer sich lange hinziehenden Taldurchfahrt sehe ich auf der anderen Seite mehrere Steinbrüche. Markante, glatte, weißliche, senkrechte Gesteinsflächen zieren etagenförmig die Hänge. Den Staubwolken nach wird in einigen gerade gearbeitet. Auf der Straße überholen mich Lastwagen beladen mit Marmorbruch. Auf meiner Talseite drehen sich auf der Hügelkette Windräder. Manchmal sind nur ihre Sockel zu sehen, und dann wieder nur die rot-weiß-roten Spitzen der sich langsam drehenden Rotorblätter. Die Nebelfetzen treiben ein Versteckspiel.
Mein spätes Frühstück oder die frühe Pause mache ich an einem Strand. Ich bin zufrieden. Die Steigungen davor hatte ich gut gemeistert, und in den Abfahrten hat es mir getaugt. Auf der breiten Straße gab es kaum Verkehr. Dafür zahlreiche Kurven, und imposante Felsen oder Landschaftsformen. Die Küste konnte mit etwas anderem glänzen: Ein zartblaues Meer, das mit kaum wahrnehmbaren Wellen sanft auf feinem Sand ausrollt. Dazu ein paar bunte Farbtupfer der Badenden, oder deren Sonnenschirme als willkommener Aufputz zum Hinschauen. Herrlich, auch wenn das Käsebrot noch von gestern war, und in der Wärme der Packtaschen etwas gelitten hat.
Am Weg näher zu Palermo verdichtet sich der Verkehr. Das städtische Fahren unterscheidet sich von jenem an Land. Doch ich komme klar. Bei einer mächtigen, steil aus dem Meer aufragenden Bergformation bin ich mit offenem Mund am Staunen. Es schaut aus, als ob sich der Berg eine weiße Wolken- oder Nebelbank wie eine Mütze bis tief in die Stirn hinein gezogen hat. Lustig und beeindruckend zugleich.
In Palermo schaute ich am späten Nachmittag noch bei einem Fahrradladen vorbei. Ich brauchte unbedingt ein neues Shirt. Das alte war bei den hinteren Taschen eingerissen. Meine Näherei konnte es nicht retten. Und ausgebleicht war es noch dazu. Ich wurde fündig. Ab morgen trage ich ein blaues Santini-Shirt. Die Schaltung ließ ich auch gleich nachjustieren. Der Wechsel vorne vom kleinen aufs große Kettenblatt sollte jetzt wieder einwandfrei funktionieren.
Bei der abendlichen Ausflugsrunde in meinem Unterkunftsviertel bin ich recht bald wieder umgedreht. Fasziniert von den Eindrücken war mir klar, dass diese engen, dreckigen Gassen voller Müll und desolaten Häusern nicht recht zu meiner heilen Radelwelt mit schöner Landschaft und Wohlfühlatmosphäre passen wollen. Doch pulsierendes Leben gab es auch hier, nur halt in anderer, mir bisher nicht so geläufiger Form.
29. September 2024
Sonntägliches Küstenschauen
Am Morgen staunte ich, dass der Platz vor meiner Unterkunft mit anderen Händlern belegt war als noch am Abend. Es schien mir jetzt mehr nach Flohmarkt. Doch die Sachen schauten eher so aus, als ob sich da wohl selten Käufer finden. Es war jedenfalls ein faszinierendes Treiben am Abend, und ein lautstarkes auch in der Nacht. Ein Teil der Unmengen an Müll rund um die Sammelstellen schien jetzt am Morgen beseitigt. Doch neuer war schon wieder dazugekommen.
Stadtauswärts war es dann etwas freundlicher als in der engen Altstadt zuvor. Ich war dennoch froh, dass ich wieder am Rad saß und Palermo Ciao sagen konnte. Das Reinschmecken war schon ok. Damit habe ich zumindest eine Ahnung erhalten, welche unglaublichen Welten es in Europa sonst noch gibt, abseits von meiner eigenen Blase.
Weil Sonntag, begegneten mir viele Rennradler, meist in kleinen Gruppen. Man grüßt sich, und einen mit Packtaschen sowieso. Es war ein bunter Mix an Sportlern. Einige fuhren Renntempo, und der Ausrüstung nach andere schon seit Jahrzehnten das gleiche Rad. Bei etlichen Kleingruppen ging es während des Fahrens lautstark zu. Die waren sich untereinander irgendwas am Erzählen. Irgendwann gab es dann der Küste eine recht lange Gerade. Während ich mit Rückenwind Gas geben konnte, waren ein paar der Entgegenkommenden schon leicht angezählt. Ich dachte mir jedenfalls, dass ich die Richtung nicht tauschen möchte. Denn Tage mit Gegenwind sind schon zäh.
Der Wind sorgte an der Küste für prächtige Stimmung. Während es am frühen Vormittag noch leicht diesig war, klarte es bald auf, und ließ Sizilien sich von der schöneren Seite zeigen. Es hat mir gefallen, das Rauschen des Meeres, und das Anrollen der Wellen, und ihr Aufspritzen an den Felsen. Dazu die verschiedenen Blautöne, die mich immer wieder von neuem faszinieren. Bei der Steilküste einer kleinen ins Meer hinausragenden Halbinsel zählte ich zehn Paraglider, die nah zu den Felsen und gar nicht so hoch entlang soarten. Doch das Starten schien etwas heikel zu sein, weil der Wind böig. Mich trieb er dennoch flott voran. Weil kaum Verkehr, war es mit dem Fahren und dem Schauen ein lässiger Sonntag.
Die Stimmung wurde dann jedoch abends getrübt, als ich mich über das Wahlergebnis daheim in Österreich informierte. Unglaublich, dass sich ein Drittel mit einer Partei identifizieren, die für Rechtsextremismus, Korruption und Sozialabbau steht, und die gesellschaftliche Spaltung und kulturellen Rückschritt in ihrem Programm festgeschrieben hat.
30. September 2024
Türkisblauer Montag
Es war ein vorsichtiger Start in den Tag heute. Meine Unterkunft war etwas oberhalb der Stadt. Das Rad hatte ich gestern hochgeschoben, weil die Straße zu steil, und noch dazu mit groben Pflastersteinen. Die Abfahrt am Morgen ging ich daher mit angezogenen Bremsen und lautem Scheppern der Packtaschen an, bis ich die Hauptstraße erreichte. Dort warteten viele Schülerinnen und Schüler an den Bushaltestellen. Und kaum war ich ein paar Kilometer aus der Stadt draußen, überholten mich die Busse. Ich fragte mich, ob sie in den Bussen auch so wie ich ein Auge auf die Äolischen Inseln vor der Küste hatten, oder mehr aufs Handy schauten. Aber wenn man die Strecke jeden Tag fährt, ist sie wahrscheinlich nicht mehr so interessant. Ein paar der Inseln ragten nämlich wie Gugelhupf aus dem Meer.
Mir hat das Fahren an der Küste jedenfalls gefallen. Wunderbar. In der Früh fuhr ich noch etwas im Schatten der Hügel. Doch als die Sonne höher war, entfaltete die Küstenlandschaft ihren Reiz. Das Wasser ein herrliches Türkis. Die Wellen mit viel Gischt sich an den Felsen brechend. Das Aufklatschen des Wassers ein stetig gleichbleibender Rhythmus. Ich am Rad von Kurve zu Kurve staunend, wie sich neue langgezogene Buchten auftaten. Es war klasse heute. Ein Radtag mit kitschig blauem Himmel und faszinierenden, weißen Wolkenformationen, feinem Fahren, schöner Fernsicht von den Hügeln, und einem türkisblauen Element, das einem ob der Einzigartigkeit des Farbenspiels vereinnahmte.
Vielleicht ist es verfänglich, nach dem Wahlergebnis von gestern heute von Türkisblau zu schwärmen. Doch wenn man es nicht mit Politischem assoziiert, dann ist es für mich wunderbar. Wie dies auch ein prägnanter Artikel von Franzobel zum gestrigen Geschehen war, oder der Kommentar von Anna Baar. Der türkisblaue Montag also wirklich wunderbar.
1. Oktober 2024
Sizilien umrundet und in Kalabrien weitergemacht
Ein mächtiges Wolkenband im Osten und über den Hügeln vor mir hindert, dass die Sonne schon frühmorgens mit mir am Weg sein kann. Ich ziehe ein Halstuch über. Im Nacken kommt es mir frisch vor. In einer langen, tunnelartigen Unterführung steht noch die Hitze vom Vortag. Das Durchfahren ist wie Eintauchen in ein Wärmebad. Im Frühverkehr quere ich ein größeres Industriegebiet. Auch die kleinen zusammenhängenden Städte danach sind an der Durchzugsstraße wenig attraktiv. Nur der Duft aus den Bäckereien ist hingegen unabhängig von der Umgebung eine Bereicherung.
Vor einer Schule macht mich ein Polizist freundlich darauf aufmerksam, dass es eine Einbahnstraße sei. Obwohl es bis zur nächsten Ecke nicht mehr weit war, muss ich umkehren. Die Autos der Eltern, die ihre Kinder vor dem Schuleingang abladen, haben Vorrang und Polizeischutz. Währenddessen hat die Sonne das Wolkenband ausgetrickst. Sie ist einfach hinter ihm weiter hochgestiegen, und lässt das Blau des Meeres jetzt voll entfalten. Dort tauchen zwei weitere Gugelhupf auf, als kleine, vulkanische Erhebungen, ähnlich denen von gestern. Nicht unweit davon kann ich ein großes Kreuzfahrtschiff ausmachen. Gugelhupfschauen wird dort gerade das Unterhaltungsprogramm sein. Mich an Land werden sie wohl nicht ausmachen können.
Irgendwann erreiche ich am späten Vormittag die nordöstliche Landspitze von Sizilien. Und schon ist der Blick frei auf die Straße von Messina. Das Festlandufer von Kalabrien ist gegenüber fast zum Greifen nah. Eine Zeit lang kann ich im Windschatten das Tempo einer Pensionistenrennradtruppe halten. Dann muss ich aber dennoch abreißen lassen. Mit den Taschen ist mir das Bolzen zu anstrengend und auch zu riskant. Doch das kurze Stück hat sich gelohnt. Denn die gelbe Fähre zum Festland erreiche ich gerade rechtzeitig. Ich bin zufrieden. Gut 1.000 Kilometer war meine Route rund um Sizilien von Messina zu Messina. Und während das Rausfahren aus der Hafenstadt am Sonntag vor einer Woche stressig war, so war das Reinfahren heute am Dienstag recht unbeschwert.
Und überaus fein ging es dann in Kalabrien weiter. Kaum Verkehr, eine kurvenreiche Straße nah zum Meer mit herrlichem Türkis, und etwas später ein schöner Anstieg auf 500 Meter Höhe mit wunderbarer Aussicht und genussvoller Abfahrt. Nah zum Meer tauchten dann Olivenhaine auf. Die Bäume waren überraschenderweise riesengroß, vergleichbar mit Hochstammbirnbäumen daheim. Am Boden waren sorgfältig orange und dunkelgrüne, feinmaschige Netze ausgebreitet. Offensichtlich wurde die Olivenernte gerade vorbereitet. Ganz zum Schluss ärgerte ich mich ein wenig über die gewählte Strecke. Denn statt ohne Probleme weiter auf der Hauptstraße zu bleiben, folgte ich dem Navi-Vorschlag in irgendwelche verwachsenen Feldwege, wo ich nicht mehr weiterkam und umkehren musste. Doch ein großes Problem ist daraus nicht entstanden. Nur wenn man schon etwas müde ist, dann ist so etwas schnell ein Anlass zum Rumnörgeln.
2. Oktober 2024
Rote Zwiebeln und smaragdgrünes Meer
Gleich nach dem Losfahren ging es kräftig zur Sache. Eine Steigung wartete, und forderte mich sehr. Denn seit dem Mechanikerbesuch in Palermo habe ich Probleme beim Schalten auf das größte Ritzel hinten. Die Kette will nicht hochspringen, tut so, als ob es dieses Ritzel mit zwei Zähnen mehr nicht geben würde. Aufgefallen ist es mir gestern schon. Und heute Morgen wäre mir dieser eine kleine Gang sehr willkommen gewesen. Zum Glück schalten die anderen Gänge normal. Denn Werkstatt gibt es hier in der Gegend keine. Selbst komme ich mit Nachjustieren nicht klar. Ich habe erfolglos an der Stellschraube gedreht. Wahrscheinlich ist das Gewinde bei der Seilzugjustierung überdreht und verschlissen. Denn ich kann die Seilspannung nicht verändern. Bei den steilsten Stellen kam ich heute nur im Wiegetritt hoch. Und mein Puls kletterte schneller hoch als ich.
Die Belohnung war dafür oben ein wunderbarer Blick auf das ruhige Meer. Es schaute aus, als ob ein matter Schleier überm Wasser liegt. Mit der Morgensonne gab es satte Farben. Das Hühnergegacker und Hundegebell waren davon wohl unabhängig. Die Straße verlief später weiter ansteigend dem steilen Hang entlang. Ich kam mir wie auf einer Galerie vor. Beim Runterschauen hatte ich Respekt, wenn ich bis an die Leitplanke heranfuhr. Annähernd senkrecht kam es mir vor. Doch wie gewonnen, so zerronnen, hieß es bei de Höhenmetern danach. Denn nach einer rasanten Abfahrt ging es meist auf Meereshöhe weiter.
Die Gugelhupf im Meer weit draußen konnte ich heute von einer anderen Seite bestaunen. Sie gefielen mir weiterhin. Und an der Straße gab es eine Zeit lang jede Menge Zwiebeln. Entweder auf den Feldern, in den Gewächshäusern, oder an den Verkaufsständen. „Cipolla rossa di Tropea“ war angeschrieben, anscheinend eine spezielle, rote und milde Sorte als Spezialität aus Kalabrien. Ich interessierte mich nicht weiter für sie. Mehr schaute ich auf das küstennahe Wasser und dessen Farbenvielfalt. Bei einer Bucht sah ich von oben zwei Schwimmern zu. Einer von ihnen hatte Flossen an Füßen und Händen. Mir hat gefallen, wie er gleichmäßig ruhig und langsam seine Bewegungen im türkisen oder smaragdgrünen Wasser machte. Es war glasklar, der Grund gut zu erkennen, weil auch nicht sonderlich tief, doch atemraubend in der Farbe.
3. Oktober 2024
Ein Schattenmann und Wellengeräusche
Der Morgen war heute nicht so klar wie gestern. Schade. Und mit Fortdauer des Tages setzte sich dann zunehmende Bewölkung fest. Doch die ersten paar Stunden waren ganz angenehm. Hie und da brach für kurze Zeit die Sonne zwischen den Wolken und vor allem den Hügeln durch. Auf diesen waren immer irgendwelche Türme, Ruinen oder Stadtmauern zu sehen. Das grelle Licht der Sonne ließ neben mir als Schatten einen zweiten Radler auf dem Asphalt mitfahren. Herrlich, diesem Schattenmann beim Pedalieren zuzuschauen. Flottes Tempo, aerodynamisch leicht nach vorne gebückt, gleichmäßige Bewegungen, ein Grinser im Gesicht.
Doch ich musste auch auf die Straße und den Verkehr achten. Ich war zumeist auf der küstennahen Hauptstraße unterwegs. Ganz am Rand fahren ging eher nur selten. Denn hohes Gras oder Oleanderbüsche ragten oft weit in den Seitenstreifen hinein. Gefallen hat mir, dass die Lastwagenfahrer öfters ein kurzes Hupsignal gaben, wenn sie sich mir schnell von hinten näherten. Die Straße wurde dadurch zwar nicht breiter, doch ich war damit auf ein Vorbeifahren mit wenig Abstand vorbereitet.
Ein paar Mal bin ich auch Richtung Meer ausgewichen, und dort auf einer Nebenstraße weiter. Oder ich bin durch die Ortskerne durch. Doch die vielen Geschwindigkeitsbarrieren dort sind mit dem Rad mühsam zum Fahren. Auch mit langsamem Drüberfahren macht es immer einen rechten Holperer. Und die oftmaligen Rhythmuswechsel mag ich eher nicht. Mir gefällt das gleichmäßige Kurbeln mehr.
Bei einer längeren Pause am Strand genoss ich das Anrauschen der Wellen. Es war eine offene, mit großen Steinen künstlich geformte Badebucht mit einem eher schmalen Sandstreifen. Das Wasser rollte immer an einem Eck beginnend an, und breitete sich dann etwas zeitverzögert dem Strand entlang zur anderen Ecke aus. Wusch, kurze Pause, Wusch, kurze Pause, Wusch, immer im gleichen Rhythmus, Sand und Steine anschiebend, und beim Zurückfließen wieder mitnehmend. Unermüdlich. Es waren kleine, sanfte Wellen mit nur wenig Gischt, und doch ihre Dynamik und Kraft zeigend. Ich fand es auf einem großen Stein sitzend spannend, dass einem solche Naturgeräusche und unspektakulären Vorgänge faszinieren können. Zwar nicht tagesfüllend, doch für eine Pause beim Radfahren immer willkommen.
4. Oktober 2024
Hasardspiel der Mauereidechsen
In der Nacht gab es ausgiebig Regen. Die Spuren davon waren am Morgen noch auf der Straße zu sehen. Und vom Meer her war ein fast bedrohliches Rauschen zu hören. Der Wind sorgte für eine etwas rauere Stimmung. Die war auch bei mir anders als gestern. Denn schon nach wenigen Kilometern versperrte ein Gitter die Weiterfahrt. Die Umleitungshinweise davor hatte ich wohl gesehen, doch meinte ich, mit dem Fahrrad durchkommen zu können. Dass bei diesem Streckenteil aber nichts ging, merkte ich dann beim weiteren Versuch eine Etage tiefer unmittelbar an der Küste. Auch dort war die schmale Nebenstraße mit Gittern abgeriegelt. Also folgte ich missmutig der Umleitung, die mich recht weit und mit zusätzlichen Höhenmetern ins Landesinnere führen sollte.
Die Straße folgte stetig steigend und kurvenreich einem bewaldeten Tal entlang. Dunkle Wolken hingen über den Felsflanken, die hie und da das dichte Grün durchbrachen. Ein paar Regentropfen gab es auch. Doch in meiner Richtung schaute es am Himmel heller aus. Irgendwann konnte ich die breite Schnellstraße nach einem kurzen Verfahrer verlassen. Und ab da war mein Radfahren purer Genuss. Schmale Straße, wenig Verkehr, kurvig, kräftig ansteigend, nicht einsehbar wohin sie führt, den Puls hochhaltend, mich beim Kurbeln fordernd. Nach dem Scheitelpunkt eine steile Serpentinenabfahrt Richtung Meer. Hey, diese Umleitung mit gut 30 Kilometern hatte es in sich. Und in der ersten Stadt unten am Meer schmeckten die beiden Panini mit Buffalo, Pomodoro und Rucola vorzüglich.
Beim Blick auf die Karte musste ich dann feststellen, dass es entlang der Küste wohl gleich weitergehen wird wie bisher. Auch dort warteten Steigungen und Abfahrten, garniert mit wunderbarem Ausblick auf herrliches Türkis. Ich staunte ob der Landschaft, und ob des Straßenbaus in den steilen Felsflanken zum Meer. Bei zwei Landzungen führte die Straße über anspruchsvolle Hügel im Landesinneren. Mit der Sonne im Rücken wurde es mir richtig warm. Und die Wärme auf dem Asphalt genossen auch wohl tausende Mauereidechsen entlang der Straße. Sie machten sich ein Spiel mit mir. Gut zwei Meter vom Straßenrand entfernt sonnten sie sich auf dem grauen Straßenbelag. Erst im letzten Augenblick flitzten sie von der Straße weg, irgendwo eine Mauer hoch, ins Gebüsch, ins Gras, in ein Beton- oder Erdloch. Ein paar Mal war es arschknapp, dass ich sie mit dem Vorderrad nicht traf. Hasardieren, ist mir als Begriff für ihr Tun eingefallen. Also in der Sonne dösen durften sie auf der Straße jedenfalls nicht. Die mussten am Seitenstreifen hellwach sein, dass es nicht ihr letzter Ausflug war, unwissend, wie viele Radfahrer da unterwegs sind. Gesehen hatte ich heute immerhin eine Handvoll.
5. Oktober 2024
Auf und Ab und dann flach geradeaus
Was ich irgendwann in der Nacht als leichten Regen interpretierte, zeigte sich am Morgen auf der Straße dann anders. Viele Pfützen, in den Orten oft straßenbreit, dazu Sand und Schlamm mit Laub und Kiefernnadeln, wenn irgendwo ein abschüssiger Weg hangseitig in die Straßen mündete. Es muss also nicht nur getröpfelt haben, sondern doch kräftig gegossen. Laut Wetterbericht sollte ich trocken durchkommen. Nur rumtrödeln darf ich nicht, weil für den späten Nachmittag die nächste Regenfront angekündigt ist. Doch der bewölkte Himmel und die etwas kühle Temperatur sorgten ohnedies dafür, dass ich mich gern bewegte.
Der Küste entlang heißt hier, dass es immer wieder Steigungen gibt. Zwar waren es heute keine langen Anstiege, doch warm geworden ist mir dabei jedenfalls. Als der Weg ein Mal wieder zurück zur Hauptstraße führte, war es im Schatten eine richtig steile Passage, noch dazu schmal und unübersichtlich. In einer Kurve standen ein Rettungsauto und viele Fahrradfahrer. Eine Frau aus der Gruppe war offensichtlich bei der Abfahrt gestürzt und wurde gerade auf einer Liege versorgt. Ich merkte beim Hochfahren, dass das Hinterrad zum Durchrutschen neigte. Der Belag war nass und leicht schmierig. Ganz komisch. Später hatte ich nach der Kuppe in der Abfahrt ein ungutes Gefühl. Irgendwas stimmte da mit dem Straßenbelag nicht. Gut, dass ich davor schon darauf aufmerksam wurde.
War der Vormittag noch von einem Auf und Ab in den Hügeln geprägt, ging es danach flach und nur noch geradeaus der Küste entlang. Der Westwind schob das Wasser kräftig an. Am flachen Strand war es in kurzen Schüben ein langes Ausrollen mit reichlich Gischt. Etwas davon meinte ich gar in der Luft wahrnehmen zu können. Die Badebetriebe und Restaurants hatten alle geschlossen. Hie und da sah ich Leute noch am Aufräumen. Die Badesaison scheint hier gelaufen zu sein. Jene der Fischer geht glaub ganzjährig. Denn kurz vor Salerno waren einige am Ufer zu sehen. Und in den verwinkelten Gassen der Altstadt dann viele Touristen. Vielleicht schon eine Einstimmung auf den morgigen Tag, wenn es Richtung Amalfi-Küste geht.
6. Oktober 2024
Amalfi-Domenica - kurvenreich und Sahne pur
Wow, denk ich mir am Morgen. Was für ein schöner Tag. Sonntag, und die Sonne scheint sich selbst auch zu freuen. Ihr tiefstehendes Licht taucht alles in satte Farben. Am Hafen schauen die Kräne wie neu bemalt aus, die Container am Terminal wie bunte Spielzeugschachteln, und ein großes Frachtschiff lässt seine ganze lange Seite weiß spiegeln. Ich habe schon nach wenigen Minuten einen guten Ausblick von oben. Das wird den ganzen Tag so sein, an der Küste geht es auf und ab.
Es ist ein besonderer Küstenabschnitt heute. Die Amalfi-Küste bildet für die ersten 50 Kilometer meine Route. Steil aufragende Felsen, zerklüftete Ufer, weiße oder bunte, meist pastellfarbene Häuser, elegante Villen, so zeigt sie sich mir. Und vor allem: Kurven, Kurven, Kurven, dass einem schwindlig werden könnte. Dazu eine schmale Straße erhöht zum Meer, mitten in den Felsflanken mit oft senkrecht abfallender Kante. Atemberaubend schön, der kitschig blaue Himmel, das etwas dunklere Blau beim Meer, das helle Grau der Felsen, und das dunkle Grün der Bäume und des Buschwerks an den Hängen.
Auf der Strecke waren ausgesprochen viele Rennradler unterwegs. Und weil die Amalfi-Küste als italienisches Schmuckstück weltberühmt ist, gab es natürlich noch viel viel mehr Autos als Radfahrer, Roller und Motorräder ebenso. Und dazu kleine und größere Busse für all die anderen Menschen, die wie ich Küste schauen wollten. Das Fahren ging aber super gut. Das hat mir gefallen. Herrliches Radfahren mit recht viel Höhenmeter einen ganzen Vormittag lang. Menschenansammlungen und Staus gab es nur in den paar wenigen Orten an der Küste. Sie störten mich nicht. Doch ohne sie wäre es auch klasse gewesen.
Ganz anders war dann der Nachmittag. Kaum hatte ich die Amalfi-Küste verlassen und war bei Sorrent zum Golf von Neapel eingebogen, gab es nur noch Kolonnenverkehr und Autostau. Es war fast stressig zum Fahren. Das andauernde Gehupe der zwischen den Autos Slalom fahrenden Motorroller nervte ebenso wie das Kopfsteinpflaster, das nicht enden wollte. Nur hie und da bot sich eine Möglichkeit zum Entspannen. Das waren dann meist die Uferpromenaden, die von Spaziergängern übervölkert waren.
Der Vormittag hat mir heute absolut gepasst. Der war mit der Amalfi-Küste genial. Den Nachmittag hätte ich gern anders gehabt. Doch ich bleibe bei meiner Überschrift zum Tag, die mir schon beim Fahren eingefallen war: Amalfi-Sonntag, kurvenreich und mit viel Sahne.
7. Oktober 2024
Wiederkäuende Wasserbüffel und eine reiselustige Glasscherbe
So früh wie heute bin ich noch nie für eine Radtour aufgewacht. Es war kurz nach Mitternacht, als jemand im Innenhof nebenan ein längeres Böllerfeuerwerk zündete. Dass ich deswegen gleich aufbrechen würde, kam mir aber nicht in den Sinn. Auch wenn es der Startschuss zu meiner letzten Tagesetappe des Giros der Nase nach hätte sein können. Denn bis nach Formio war der heutige Plan. Dort wo ich im Frühjahr umgedreht hatte.
Ein paar der Autos fuhren noch mit Licht, als ich mich am Morgen bei bewölktem Himmel auf mein Rad schwang. Während ich ansonsten immer recht ambitioniert die ersten Kilometer anging, ließ ich es heute gemächlich angehen. Und recht gesteigert hatte ich mich im Laufe des Tages nicht. Irgendwann kam ich bei einem riesigen landwirtschaftlichen Betrieb vorbei. Große, schwarze, schwere Tiere mit gebogenen Hörnern standen an den Futterrampen: Wasserbüffel. Ich war etwas enttäuscht, denn ich hatte sie bisher nie mit einem industriellen Mastbetrieb in Verbindung gebracht. Doch etwas später sah ich dann welche auf offener Weide in einem Wasserloch. Voll zufrieden wiederkäuend, wobei nur der Kopf aus dem Wasser schaute. Die haben es drauf, ging es mir durch den Kopf, das chillige Leben.
Doch mir ging es am Rad ja auch nicht so schlecht. Flach, ohne große Anstrengung, flüssiges Pedalieren. Etwas mehr Sonne wäre noch willkommen gewesen. Und vielleicht auch eine andere Umgebung. Keine Ahnung, wieso es in diesem Landstrich nach Neapel an der Küste so ausschaute. Unattraktiv, viel Leerstand, jede Menge Haus- und Industrieruinen, vermüllte Straßenränder, desolate Bauten. Dann wieder ganze Orte ohne jedes Lebenszeichen, vielleicht Feriensiedlungen während des Badesommers. Erst gegen Mittag und weiter nördlich wurde es lebendiger, und freundlicher, weil jetzt auch die Sonne durchkam. Da hat es mir dann wieder gefallen.
Irgendwann tauchte das Ortsschild Formia auf. Ich streckte die geballte Faust in die Höhe. Yeah, es ist sich ausgegangen, das Schließen der Runde meines Giros, der einige Überraschungen mit sich brachte. Den letzten Kilometer hoch zum Bahnhof kannte ich schon vom Frühjahr her. Die Schalterhalle auch. Mein Zug nach Rom ging erst eine halbe Stunde später. Vermeintlich also jede Menge Zeit. Doch beim Blick auf mein vis-á-vis vom Bahnhof abgestelltes Fahrrad schnellte ich jäh auf: Das Hinterrad war platt. Ein schneller Check. Eine Glasscherbe wollte offensichtlich ebenfalls mit mir nach Hause. Zwanzig Minuten zeigte die Stoppuhr dann für den Schlauchwechsel, und danach am Bahnsteig die Anzeigetafel für die Verspätung des Zuges. Ich hätte das Flicken des Plattfußes "numero tredici" also auch ganz chillig angehen können.
8. Oktober 2024
Ein Tag mit Überraschungen
Heimfahren hatte ich mir für heute vorgenommen. Von Rom mit dem Bus bis Bozen, und dann mit dem Zug nach Hause. Gekommen ist es dann jedoch anders. Schon der Morgen war aufregend. Es trieb mir den Puls kräftig in die Höhe, als ich beim Herrichten des Rades wieder einen platten Hinterreifen bemerkte. Von meiner Unterkunft ohne Luft ganze 5 Kilometer durch Rom zur Bushaltestelle fahren ging jedenfalls nicht. Und fürs Flicken unter Zeitdruck war ich zu nervös. Ich entschied mich für Nachpumpen. Damit verliere ich am wenigsten Zeit, und ich kann es später beim Umsteigen auch immer wieder machen, waren meine Gedanken.
Den Flixbus in Rom hatte ich damit rechtzeitig erreicht. Nur der meinen Zug in Bozen dann nicht. Die vielen Baustellenstaus, die große Verkehrsdichte, und der strömende Regen ergaben fast eine Stunde Verspätung. Das Heimfahren mit dem letzten Zug konnte ich damit abschreiben, und mein schon gekauftes Sparschienenticket auch. Ärgerlich. Nach dem Aussteigen aus dem Bus stand ich in meiner Regenjacke und dem Rad daher wie ein begossener Pudel im strömenden Regen. Anschlusszug versäumt, noch kein Hotel organisiert, am Rad einen Platten, da ist einem normal nicht zum Lachen. Doch ich konnte nicht anders. Denn während ich Luft nachpumpte, bildeten sich mehr und mehr weiße Schaumbläschen an den Seitenflanken des Hinterreifens. Es schaute nach üppigem Schaumbad aus. Ich hatte den Reifen nämlich gestern an der Seite mit Duschgel eingeschmiert, damit er beim Montieren besser ins Felgenbett springt. Und jetzt im strömenden Regen entfalteten dessen Reste auf dem nassen Reifen ihre Wirkung. Einmalig, so noch nie gesehen, und voll lustig anzuschauen.
Die Hotelsuche im unbekannten Bozen brachte nur Ergebnisse außerhalb der Stadt. Die wollte ich im Dunkeln und im Regen nicht anfahren. Ich entschied mich für ein langes Warten auf einen Zug nach Innsbruck. Mit einer Pension in der Nähe des Bahnhofs hatte ich wegen der späten Ankunft telefonisch Kontakt aufgenommen. Sie würden mir die Zimmerschlüssel legen, war die Zusage. Doch da gab es die nächste Überraschung des Tages. Der Zugangscode zum Haupteingang passte zwar, nur am detailreich beschriebenen Platz für die Schlüssel im ersten Stock waren sie nicht hinterlegt. Der Tisch war abgeräumt. Die vielen Sachen, die auch am Tisch stehen hätten sollen, sah ich hinter einer versperrten Glastüre auf einem anderen Tisch. Daher kam ich auch gar nicht auf die Idee, die Zimmerschlüssel hinter einer kleinen Blumenvase zu suchen, die auf einem Regalbrettchen in einem Winkel des Ganges stand. Dort kramte sie der Pensionsinhaber später hervor, nachdem er zum Glück doch spätabends noch telefonisch erreichbar war. Sachen gibt’s, unglaublich.
Das Rad nahm ich mit aufs Zimmer. Nach dem aufregenden Tag wollte ich wissen, was es mit dem platten Hinterreifen auf sich hat, und ob da tatsächlich noch Reste der Glasscherbe drinsteckten. Doch beim Abgreifen fand ich nichts. Die Ursache war eine andere. Als ich den Schlauch im Waschbecken nach einem Loch absuchte, stiegen zarte Luftbläschen neben einem alten Flicken auf. Ich hatte also entweder einen nie korrekt geflickten Schlauch montiert, oder mir in Rom einen winzigen Einstich zugezogen, den ich beim Fahren nicht bemerken konnte. Mit der Erkenntnis war ich gar ein bisschen enttäuscht. Denn die Reste der Glasscherbe hätte ich gerne als Andenken an die Tour mit den meisten Patschen aufbewahrt.
9. Oktober 2024
Heimfahrt als Finale
Es war ein versöhnlicher Morgen nach dem Regentag. Zwar kalt, auf der Straße gänzlich ungewohnt nur Leute mit Jacken und Mützen zu sehen, dafür am Himmel sich abzeichnende blaue Flecken in klarer Luft. Bis zum Bahnhof waren es nur wenige hundert Meter. Ich hatte sie im Radlerdress und auf dem Rad genossen. Noch mal ein bisschen pedalieren, zum Finale meines Giros. Schön. Später hatte ich auf der Vorarlberger Seite des Arlbergs Schneereste auf den Bergen entdeckt, und herbstgefärbte bunte Blätter auf den Bäumen auch. Und dann zum Schluss das neugierige Fahren auf bekannten Straßen bis nach Hause. Ist noch alles gleich, was hat sich verändert, was ist neu? Und was ist mit mir, nach all der Zeit allein am Rad, wie geht es da jetzt weiter?
Obwohl nur in einem Teil von Europa unterwegs gewesen, habe ich dennoch 23 Länder durchquert. Und dabei entdeckt, wie groß die Unterschiede zwischen den einzelnen Staaten sind. Das war wahrscheinlich die wichtigste Erfahrung bei meinem Giro: Die große Vielfalt innerhalb dieses Kontinents zu erleben. Nord und Süd sind fast wie Tag und Nacht. Kulturell, klimatisch, sprachlich, landschaftlich. Doch auch innerhalb der Länder habe ich eine große Vielfalt erlebt. Ich habe gestaunt, auf wie viele Arten man Brot backen kann, und wie unterschiedlich es im Geschmack sein kann. Wie verschieden die Leute wohnen, sie ihren Alltag leben, mit der Natur umgehen, auf Radfahrer im Verkehr achten.
Das gefällt mir beim Radfahren über längere Strecken. Es ist ein langsames Eintauchen in etwas Neues, das zum Bekannten, zum Gewohnten wird, und von etwas Anderem, etwas Neuem wieder bald abgelöst wird. Pedalieren und Schauen, herrlich. Und es auf meine Art zu tun, mit Notizen und Fotos machen, an eigene Grenzen herantasten, Unbekanntem zu vertrauen, einen Plan haben, und doch mit Abweichungen spielen.
Mein „Giro der Nase nach“ war eine mich fordernde Radtour. Das Fahren im hochsommerlich heißen Süden fast grenzwertig, die übervölkerten Badeküsten fürs Radfahren wenig ideal, manch urbane Gegenden mit ihrem dichten Verkehr eine Zumutung, die vermüllten Straßen in Albanien und Italien eine Groteske. Auch am Anfang war es etwas zäh, als die Achillessehne nicht recht mitmachen wollte. Oder danach, wenn ich den Weg verloren, oder auf schlechten Straßen und Wellbelchpisten unterwegs war, sich Sand und Lehm in der Kette und im Zahnkranz oder an den Reifen festsetzten, sich Hunde für mich und mein Rad interessierten, ich so oft den Schlauch flicken musste, bei den Pizzen die Vorfreude meist das Beste war.
Doch die Enttäuschungen oder nicht erfüllten Erwartungen und Probleme sind schnell vergessen, weil es daneben so viele schöne Erlebnisse, Eindrücke und Begegnungen gibt. Oder die gewählte Route jenem Radfahren entsprach, wie ich es gerne mag. Es hat mir auf den Radwegen in Hessen gefallen, unerwarteterweise, oder entlang des Gotakanals in Schweden, mit der Weite in Estland, oder in den Wäldern von Lettland, und an den Seen in Litauen. Eindrucksvoll waren auch der eine anstrengende Tag mit Schieben im feuchten Lehm von rumänischen Hügeln, oder die Bergetappen in Griechenland mit Glücksgefühlen pur, die abenteuerliche Abfahrt auf einem felsigen Viehtriebweg, das Queren des Vratnikpasses in Kroatien mit einer Aussicht zum Niederknien. Und natürlich das Radeln an der unverwechselbaren Costa dei Trabocchi, im malerischen Nationalpark Gargano, oder an der bezaubernden Amalfiküste.
Dankbar war ich für die mir oft auf wundersame Weise zugekommenen Hilfen. Einmalig das verständnisvolle Verhalten der Schaffner im Trenitalia-Zug Frecciarossa. Und unglaublich wie die Radreparatur im Laden von Ideal Bikes in Patras abgelaufen ist. Oder die Ersatzteilbeschaffung für meine Schuhe im Cussigh-Shop in Triest.
Wenn es ein schnelles „Best of Giro“ aufzuzählen gilt, dann erinnere ich mich jedenfalls an meine Sightseeingtour in Rom, an den Duft bei der Heuernte entlang des Weges, an den Geruch nach Erde bei umgeackerten Feldern, an Leute im Bademantel beim morgendlichen Baden in Dänemark oder Schweden, an das Schlafen im Zelt, an die ersten Radkilometer in der Morgensonne. Ich erinnere mich natürlich an die vielen Störche in Lettland und Litauen, an die Sonnenblumenfelder in Moldawien, an das oft unglaubliche Türkis und das wunderbare Smaragdgrün des Meeres, an die tausenden Olivenhaine und deren Steinmauern, an die alles dominierenden Foliengewächshäuser des Südens, und an bunte Oleanderhecken. Gefallen haben mir auch das Pflücken von frischen Feigen vom Rad aus, das Jana-Mineralwasser mit den weisen Sprüchen auf den Etiketten, die bunten Sonnenschirme und Liegen an den unendlich langen Stränden, die flinken Mauereidechsen, das unbeschreibliche Palermo, die kleinen und großen Motorroller in Griechenland und Italien, oder die Gastfreundschaft in der Masseria Fabrizio im italienischen Otranto.
In einem schnellen Rückblick fallen mir noch drei spezielle Begegnungen ein, an die ich mich gerne bleibend erinnern mag. Es ist dies der Hinweis einer Pensionsinhaberin aus Tirano auf ein italienisches Sprichwort, als ich ihr von Problemen mit meiner Achillessehne erzählte: „Chi va piano, va sano e va lontano“. In Ungarn war es die Haltungsweise des Fährmanns beim Überqueren des Flusses Szamos, wofür ich keine Forint dabeihatte: „Nein, er nimmt keine zwei Euro, weil sie doppelt so viel ausmachen wie sein üblicher Fahrpreis. Dann führt er mich eben gratis auf seiner Seilfähre rüber“. Und das Highlight par excellence war für mich das gemeinsame Frühstück mit den türkischen Jandarma auf deren Kontrollposten im Niemandsland. Geteilte einfache Köstlichkeiten und neugieriges Unterhalten über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg, unglaublich. Zu meinem Giro 2024 sage ich: "Vielfältig gsi".