Ab Utah Richtung Pazifik

22. Juni 2022

Wetterbericht schauen und Landschaft riechen

Für heute und morgen waren Regen angekündigt. Das verunsicherte mich etwas in meinem Tun. Dennoch losfahren und mich nass überraschen lassen? Oder es besser vorsichtig angehen und zuwarten? Am besten ist glaub eine Mischung irgendwo dazwischen. Denn mit dem Wind in der Region ist die Vorhersage anscheinend nicht immer ganz zutreffend. Es schaute am Morgen jedenfalls nicht so schlecht aus. Bewölkt und diesig. Der Regen war wahrscheinlich irgendwo anders. Doch es mal gemächlich angehen und nur wenige Kilometer bis zur nächsten Stadt machen, das war auch verlockend. Und so bin ich dann erst spät los, und habe mir gar nicht viel vorgenommen.

 

Für die Straße waren teilweise breite Einschnitte in die Landschaft gegraben worden. Das bot ein tolles Farbenspiel der vielen Schichten. Mintgrün samtig, salbeirau, eierschalensandig, ockerbraunfelsig, blassgrau verwaschen, nahm ich im Durchfahren an den Böschungen wahr. Vielleicht noch ein Mal zurückfahren und die Farben genauer anschauen? Details besser aufzeigen können? Ach, ich bin mit dem zufrieden was mir in der Erinnerung einfällt. Oder meine Sprache als Schilderung zulässt. Denn der wahre Genuss ist das unmittelbare Eintauchen in so etwas am Rad. Das Genießen des einen Moments, und das offen sein für den Nächsten.

 

Später am Nachmittag gab es dann den angekündigten Regen. Nicht viel. Es war nur ein kurzer Schütter. Doch er reichte aus, um die Landschaft auch riechen zu können. Vorher habe ich sie nur mit den Augen und ein wenig mit den Ohren wahrgenommen. Nach dem Regen kam plötzlich für kurze Zeit ganz intensiv ein weiterer Sinn dazu. Ockerbraun lag einem betörend in der Nase, und das sehr angenehm.

 

23. Juni 2022

Ein genialer Tag im Farbentopf

Für den heutigen Tag habe ich mir einiges vorgenommen. Ich wollte die 220 Kilometer von Blanding bis Hanksville durchfahren. Denn dazwischen gibt es keinen Laden oder eine Übernachtungsmöglichkeit, und auch kein Wasser. Ein großes Sandwich und die doppelte Menge Wasser müssen reichen. Mein Zelt kann ich ja immer noch irgendwo aufstellen falls es nicht klappt.

 

Die Sonne ist schon da als ich losfahre. Es ist ein schönes Morgenlicht. Ich bin allein am Weg, und bleibe das auch bis auf ein paar wenige Motorradfahrer und Autos den ganzen Tag. Rund um mich ist es still. Ich höre nur das Mahlen der Reifen auf dem Asphalt. Hie und da auch das Surren des Freilaufs wenn es etwas abwärts geht.

 

Mir gefällt die Landschaft mit ihrem rotbraunen Ton über alle Maßen. Und mit Fortdauer des Tages wird sie immer spektakulärer. Ich lasse einen Juchzer um den anderen, bleibe immer wieder stehen und staune. So was von schön. Und kaum geht es um eine Kurve oder über eine Kuppe hinweg, tut sich schon das nächste Felswunder auf. Es ist ein Baden mit allen Sinnen in einem rotbraunen Farbentopf unter blauem Himmel. Ich mache jede Menge Fotos. Ein paar Mal checke ich auch, ob sie abgespeichert werden. Denn Bilder vom heutigen Tag möchte ich jedenfalls als Erinnerung haben.

 

Bei der Brücke über den Colorado River mache ich kurz Halt. Es ist nur eine trübe Suppe, die sich unten langsam vorwärts bewegt. Doch Respekt habe ich schon. Denn wenn ein Fluss eine Landschaft so gestalten kann, dann hat er was drauf.

 

Etwas weiter oben sehe ich neben der Straße einen Bus mit Leuten. Ich denke, es ist ein Aussichtspunkt und fahre hin. Doch kaum nähere ich mich auf der Seitenstraße, fangen die Leute an zu rufen und wild zu winken. Ich soll weg von der Straße, denn es sei eine Landepiste für Flugzeuge. Und tatsächlich tauchen gleich drei Kleinflugzeuge auf und stellen sich neben mir auf. Sie machen Ausflugsflüge über den Colorado River und den Glen Canyon. Einer der Piloten meint, dass es am späten Nachmittag ein Gewitter gebe. Ich solle vorsichtig sein. Es sei viel Regen angekündigt.

 

Und irgendwann türmen sie sich dann auf, die Wolken. Zuerst als weiße Himmelkratzer, wunderbar zum Anschauen vor dem blauen Himmel. Doch sie ändern bald das Weiß in Grau. Ich wünsche mir, dass ich es aus dem Canyon raus schaffe. Denn ein Gewitter zwischen diesen Felsen rund herum stelle ich mir nicht gerade kuschelig vor. Eine Zeit lang schaut es so aus, als ob meine Fahrtrichtung regenfrei bleibt. Doch als ich die Hochebene erreiche, werden die Tropfen größer und größer. Ziemlich schnell habe ich meine Regenkombi angezogen. Denn der Himmel ließ es kräftig gießen. Und im Nu flossen seitlich der Straße rotbraune Bäche, oder suchten in der Ebene ihren Lauf. War es vorher überall staubtrocken, so schaute es jetzt deutlich anders aus. Doch es war nur ein Gewitter. Es klarte wieder auf. Über den Bergen im Hintergrund bot sich ein tolles Schauspiel der Grautöne des Regens. Dort ließen es die Wolken weiter gießen.

 

Am Abend zog ich freudig Bilanz: Der Tag hat mir voll gefallen. Es war zwar fordernd zum Fahren wegen der Distanz und der vielen Höhenmeter. Doch in dieser gigantischen Landschaft war es Genuss pur. Ocker, oder Rotbraun, oder Utahrot, ich habe darin gebadet, einen ganzen langen Tag. Und an den Felsformationen konnte ich mich kaum satt sehen, weil so beeindruckend. Dieser Tag war ein Fest.

 

24. Juni 2022

Andere Farben und müde Beine

Ein Regenbogen begrüßt mich nach den ersten paar Kilometern auf der Straße. Kurze Zeit später kommt noch ein zweiter dazu. Sie erheben sich über einer grauroten Felsformation und verlieren sich im Blau auf der anderen Talseite. Die Landschaft zeigt sich heute in anderen Farben. Zumindest jetzt am Morgen. Statt dem dunklen Braunrot dominiert ein dezentes Grau mit einem leichten Einschlag von Braun. Und die Felsen sind nicht mehr so markant. Sie wirken eher sandig, aber sind dennoch zum Staunen.

 

Nach einiger Zeit sehe ich jemanden sein Rad aus dem Gelände auf die Straße schieben. Die Spur führt von den Felsen weiter hinten her. Es ist ein junger Amerikaner aus Ohio mit recht viel Gepäck. Er hat hinten gezeltet. Er sei jetzt schon fast ein Jahr auf Tour, und dies sei sein letzter Monat. Doch er hätte sich auf den Westen beschränkt. Ab Denver nehme er dann den Zug nach Hause. Und dann schwärmt jeder dem anderen vom gestrigen Tag vor. So freuen wir uns beide aufs Weiterfahren. Denn es wird demnach wieder beeindruckend werden. Später ist er mir immer wieder in den Sinn gekommen. Er hat mich mit seiner Art und Gelassenheit beeindruckt. So ein Jahr am Rad und im Zelt, das macht was mit einem.

 

Je näher ich zum Zentrum des Nationalparks komme, desto markanter wirken die Felsen und desto intensiver werden ihre Farben. Und irgendwann kommt es mir so vor, als ob es wieder ähnliche Farbformationen sind wie gestern. Nur dass hier die Felsen plattiger und höher sind. Ohne Vorsprünge ziehen sich die Wände hoch. Jetzt kann ich endlich mal so eine braunrote senkrechte Felswand hautnah bestaunen, an der sich Kletterer den Rissen entlang emporarbeiten. Zumindest sind mir solche Bilder bekannt. Doch Kletterer sehe ich keine, nur viele Routen, die man wahrscheinlich hier machen könnte.

 

Meine Route führt zwar nicht einem Riss entlang, und senkrecht geht sie auch nicht hoch, doch anstrengend ist sie dennoch. Ich habe noch etwas müde Beine von gestern. Und das Sitzen fällt mir heute auch etwas schwer. Gleichmäßig steigend schlängelt sich die Straße durch bewaldetes Gebiet hoch. Am Nachmittag sehe ich die bunte Landschaft nur noch weit hinten. Bei einem Hinweisschild zum Singletree Campground biege ich kurz entschlossen ab. Mir reichen die heutigen Höhenmeter. Ich mag nicht mehr weiter. Die Park-Aufseherin empfiehlt mir den Platz mit der Nummer 12. Ich soll ihn mir mal anschauen und dann wieder kommen. Doch schon beim Hinfahren bin ich mir sicher, dass ich ihn nehmen werde. Denn die Nummer 12 habe ich auch zu Hause. Als ich meine Sachen auspacke, kommt mir die Frau mit ihrem Golfplatzwagen nachgefahren. Wenn ich schon müde vom Radfahren sei, dann wolle sie mir das Zurücklaufen ersparen. Wir können die Formalitäten auch hier erledigen. Ich muss herzhaft lachen. Ja, ich bin wirklich müde heute.

 

25. Juni 2022

Utah lässt einem farbenfroh staunen

Am Morgen weckt mich die Sonne im Zelt. Etwas entfernt höre ich den kleinen Wasserfall rauschen. Vögel zwitschern. Ich fühle mich wohl. Als erstes mache ich mich an die Reparatur des Sattels. Im vorderen Bereich hat sich die Polsterung gelöst und ist gebrochen. Ich frage die Camp-Aufseherin um ein Stück Panzerband. Ich hatte es gestern bei ihr am Auto gesehen. Bereitwillig gibt sie es mir, und macht sich über meine Radlerbeine lustig. Ohne Radlerhose würde ich wie ein braunweißes Zebra ausschauen. Doch die Oberschenkel klebe ich deswegen nicht auch noch ab. Ich belasse es mit ein paar Streifen an der Nase meines Sattels, und hoffe, dass es hält.

 

Die Straße steigt ziemlich steil hoch. Gestern wäre ich hier wohl gescheitert. Doch jetzt am Morgen geht es ganz gut. Ich habe gar noch Zeit, mich etwas auf den Parkplätzen umzusehen. In Tarnanzügen laden Männer ihre Allradfahrzeuge von den Pickup-Anhängern. Vielleicht gehen sie hier auf die Jagd. Diese Fahrzeuge scheinen hier überhaupt ein großes Hobby zu sein. Ich sehe sie fast überall. Am Wochenende sowieso. 

 

Das Gelände ist als offene Weidefläche gekennzeichnet. Viele Weideroste trennen die Gebiete ab. Einige der schwarzen Kühe und Kälber haben sichtlich Respekt vor mir. Radfahrer scheinen sie nicht zu kennen. Ich selber habe dann etwas später Respekt. Denn am Straßenrand mustert mich ein kräftiger Stier mit beeindruckendem Nacken. Da lasse ich ziemlich viel Abstand. Und etwas Abstand lasse ich auch von der frischen Kuhscheiße auf der Straße. Nur die Autos scheint das hier weniger zu stören. Die pflügen mutig durch.

 

Während ich den Aufstieg auf den Pass gut geschafft habe, tat ich mir bei der Abfahrt richtig schwer. Gegenwind machte mir das Leben sauer. Und die Ebene weit unten wollte und wollte einfach nicht näher kommen. Die wunderbare Landschaft ist da fast etwas in den Hintergrund geraten. Doch gestaunt habe ich auch heute wieder. Denn dieses Utah hat so viele verschiedene Geländeformationen und Farben drauf, dass ich mich nur wundern kann. Und ich tat es trotz Gegenwind ausgiebig.

 

26. Juni 2022

Sonntagsradeln in wunderbaren Nationalparks

Es ist Sonntag, und ich radle schon ganz früh los. Doch jemand ist noch früher aufgestanden. Es ist der Wind. Und zwar der Wind von vorne. "Headwind" nennen sie ihn hier, und unangenehm, denke ich mir. Wenn das den ganzen Tag so anhält, dann wird es anstrengend. Doch dafür habe ich jetzt am Morgen die Straße und die Landschaft für mich allein. Halt mit dem Wind muss ich sie teilen.

 

Die Farben sind etwas dezenter als die letzten Tage. Cremefarben dominieren. Und am Morgen schauen sie noch nicht so ganz spektakulär aus. Es ist frisch. Auf der Hochebene auf 2.200 Metern hat es 8 Grad. Doch es ging noch höher hinauf. Und bis ich ganz oben war, ist mir fein warm geworden. Zum Glück hat sich der Wind rasch wieder gelegt. Oder er hat eine andere Route genommen als ich. Das war mir mehr als nur recht.

 

In den großen mageren Wiesen grasen einzelne Kühe. Oder besser, zwischen den einzelnen grünen Gräsern bewegen sich schwarze Kühe. Nach viel Futter schaut es nämlich nicht aus. Doch die Tiere machen einen zufriedenen Eindruck. Weil auch Stacheldraht dazwischen, schenken sie mir keine große Aufmerksamkeit. Nur hie und da trotten kleine Kälber staksig ein paar Meter mehr auf Distanz. Dafür sind die Streifenhörnchen viel agiler. Die warten irgendwie am Straßenrand bis ich ganz nahe bin, und dann rauschen sie spielerisch weg ins Gebüsch. Sie sind schneller als die Hasen. Deren weißes Hinterteil kann ich viel länger sehen.

 

Irgendwann werden dann die Autos mehr. Und auch die Farben intensiver. Ich bin in der Region des Bryce Canyon angelangt. Nach oben spitz zulaufende rote Felsformationen dominieren die weitläufige Landschaft. Ich kann sanft ansteigend mitten durch. Ich staune, wie vielfältig die Natur sich zeigen kann. Es ist fast wie im Theater. Am Morgen den Vorhang aufgezogen gibt es Programm den ganzen Tag. Und selbst während meiner Pausen läuft die Vorführung weiter. Einfach rundum schauen und staunen. Oder kräftig pedalieren und staunen. Oder auch mal nichts tun am Rad, und dennoch staunen.

 

27. Juni 2022

Pizza im Park

Die Sonne kommt gerade mit den ersten Strahlen über den Bergkamm des Bryce Canyons als ich losfahre. Halb sieben also. Und es ist mit 3 Grad ideal für warme Handschuhe. Die Morgenstimmung gefällt mir immer sehr. Obwohl allein am Weg, sehe ich rechts von mir an der Böschung den Schatten eines Radfahrers. Er hält konstant mein Tempo. Ich winke ihm zu. Aber zum Fotografieren ist es mir zu kalt. Den treffe ich die nächsten Tage sicher wieder.

 

Die Straße zweigt irgendwann nach rechts ab. Es geht auf eine Hochebene hoch. Im Winter scheint es hier turbulent zuzugehen. Jedenfalls sehe ich jede Menge Warnschilder wegen starker Steigung, Schneeverwehungen, Räumungszeiten, Eisglätte und Wildwechsel. Rundum ist Wald und es geht Hügel um Hügel hoch. Beim Fahren rumpelt es hie und da kräftig. Denn es gibt jede Menge Querbrüche in der Fahrbahn. Die Vertiefungen sind zwar mit schwarzem Asphalt gefüllt und ausgebessert, doch plan ist die Straße deswegen nicht. Diese Füllungen bilden spannende Muster über viele Kilometer. Vielleicht fahre ich gerade durch eine Kunstinstallation der Straßenmeisterei von Utah.

 

Auf halbem Weg zum Pass sehe ich eine Tafel mit der Aufschrift „Strawberry Ridge“. Hey, Erdbeeren, das wäre jetzt gerade fein, denke ich mir. Und diesen Gedanken trage ich dann viele Kurven und Hügel mit. Denn der Weg zieht sich kräftig bis ich oben bin. Immer wieder meine ich, dass der Hügel vorne die Passhöhe sein muss. Doch es schließt sich Hügel um Hügel an. Und vor dem Pass kommt noch eine weite Ebene. Doch dann habe ich den wahrscheinlich letzten 3.000er hier am Weg zum Pazifik geschafft. Die lange Abfahrt genieße ich daher umso mehr.

 

In Cedar City angekommen sehe ich einen Park mit schattenspendenden Bäumen. Gleich daneben entdecke ich Papa Murphy’s Take ‘N‘ Bake Pizza. Das passt für mich gut zusammen. Eine leckere Pizza in der Wiese unter den Bäumen macht mich an. Also biege ich ab und betrete den Laden. Ich schaue dem jungen Mitarbeiter zu, wie er meine Wunschpizza belegt. Doch als er sie ungebacken in Folie einwickelt und mir geben will, checke ich das Konzept des Ladens. Ich muss lachen. Auch er begreift, dass ich auf meiner Radtour keinen Backofen mit dabeihabe. Und im Laden hier haben sie auch keinen. Es gibt daher keine Pizza unter Bäumen. Diese Bestellung ging voll daneben. Ein paar Ecken weiter komme ich aber doch noch zu einer kleinen Pizza. Statt unter Bäumen genieße ich sie unter dem Lüfter einer Klimaanlage.

 

Der Nachmittag wird dann zum Fahren ziemlich zäh. Es hat 37 Grad und der Wind bringt statt kühler Luft nur noch heißere Luft. Und weil ich bei den Tageskilometern wieder kräftig zugreife, fällt mir das Sitzen zunehmend schwer. Dennoch finde ich es spannend, wie schnell sich der Wechsel der Landschaft vollzogen hat. Oben am Pass auf 3.000 war alles grün mit Bäumen und angenehmer Temperatur. Hier herunten auf 2.000 findet sich kein einziger Baum. Und das Grün gibt es nur unter den Sprinklern der Bewässerungsanlagen. Richtung Nevada zeichnen sich also fordernde Bedingungen für mich ab.

 

28. Juni 2022

Eine spannende Begegnung

Beim Rausfahren aus der kleinen Ortschaft signalisiert ein Schild, dass die nächsten 130 Kilometer keine Services an der Straße sind. Das heißt dann Vorsicht, es geht durchs Niemandsland. Man ist auf sich allein gestellt. Doch meine drei Wasserflaschen sind gefüllt, etwas Brot und Käse habe ich auch dabei. Und motiviert bin ich sowieso. Das sollte reichen, hoffe ich.

 

Beim nächsten Schild erschrecke ich etwas mehr. Es zeigt eine auf dem Rücken liegende Kuh, die die Beine nach oben streckt. Die obere Befestigung der Tafel als Hinweis auf offenes Weideland war ausgerissen. Sie hing deshalb verkehrt rum. Doch in mir sind sofort die Bilder von gestern hochgekommen. Denn am Nachmittag in der brütenden Hitze bin ich tatsächlich an zwei solchen auf dem Rücken liegenden schwarzen Kühe vorbeigekommen. Im Straßengraben liegend mit aufgeblähten massigen Körpern die Beine starr nach oben streckend boten sie einen schrecklichen Anblick. Kadaver verendeter Tiere auf der Straße oder daneben im Graben sehe ich jeden Tag. Es sind meist Kleintiere, oder in den letzten Tagen auch Hirschkühe. Je nach Verwesungsgrad riecht man sie schon von weitem. Doch die schwarzen Kühe von gestern, da bin ich doch sehr erschrocken und verstört vorbeigefahren.

 

Die Landschaft ist karg und trocken. Etwas Gegenwind erschwert das Fahren. Es gibt mehrere Anstiege, und lange, weite Ebenen dazwischen. Hie und da frage ich mich, wieso es sich so zieht, beim Vorwärtskommen. Doch mit stetig Pedalieren mache ich Meter um Meter. Und irgendwann passiere ich auch die „Halfway Hills“. Die hatte ich auf der Karte entdeckt und deren Namen für kreativ empfunden. Als Orientierung dienten sie mir jedenfalls. Gegen Mittag spendete dann eine große Wolke etwas Schatten. Das war richtig wohltuend. Und weil es später auch flach dahin ging, konnte ich ordentlich Tempo machen.

 

Kurz vor der ersehnten Ortschaft in Nevada hält ein Kleinwagen meine Höhe. Durchs offene Fenster ruft mir ein Mann zu: “You won the lottery. Dou you want a coffee? I invite you“. Etwas verblüfft sage ich zu. Es klang spannend. Im Schatten eines Baumes in der Ortschaft sehe ich dann den roten Honda am Straßenrand stehen. Auf einem Campingkocher macht Steve aus Vermont daneben Kaffee. Und die Begegnung war spannend ohnegleichen. Er war als junger Bursch mehrmals in Dornbirn bei seiner Großmutter. Da staunte ich ein erstes Mal. Und dann sagt er mir, dass er nicht jeden zum Kaffee einladen würde. Da staunte ich dann fragend ein zweites Mal. Hier würde nämlich nicht jeder in diese Richtung wie von mir gewählt fahren. Dem Gegenwind würden alle ausweichen. Mein Fahren hätte ihm imponiert. Ich fühlte mich zugegeben etwas geschmeichelt. Ja, fordernd ist das Fahren hier in dieser Gegend schon.

 

Auf dem Autodach hatte Steve ein Kajak. Im Heck hatte er sein Mountainbike verstaut. Am Beifahrersitz war eine Angelrute zu sehen. Und im weiteren Gespräch stellt sich heraus, dass Steve so ziemlich alles in Amerika schon mit dem Fahrrad abgefahren ist, Nordafrika mit dazu. Über meine beiden Packtaschen musste er schmunzeln. Er meinte, dass ich sie heimschicken soll. Die Amerikanische Post würde das schon schaffen. Mit möglichst wenig Ballast fahre es sich am Rad deutlich leichter. Ja, da war ich mit ihm einig.

 

Und dann schwärmte er mir vom Wheeler Peak vor. Zu dem ginge es hier um die Ecke gleich hoch. Es sei eine der besten Auffahrten Nevadas, und könne sich auch in den Staaten sehen lassen. Oben käme man sich wie in der Schweiz vor. Total schön. Er sei erst gestern dort hoch. Und meinen Beinen würde er es auch zutrauen. Ich war baff. Der Typ gefiel mir. Dann erzählt er mir noch von einer Studie seiner Frau Elizabeth Withaker:  “The Bicycle Makes the Eyes Smile“. Er will mir Material dazu mailen. Ich war von den Socken. Ok, auch ohne Studie meine ich, ein ähnliches Gefühl zu kennen. Oder es immer wieder zu erfahren, Tag für Tag.

 

Vielleicht waren es 20 Minuten im Schatten eines Baumes in Baker Nevada. Mir kamen sie unglaublich vor. Steve hatte seinen Kocher schnell wieder eingepackt. Beide fuhren wir unseres Weges weiter. Ich mit einer Programmänderung und einem fixen Vorhaben für den nächsten Tag: Zum Wheeler Peak, da will ich ebenfalls hoch. 

 

29. Juni 2022

Spritzfahrt zum Wheeler Peak

Mit einer langen geraden Rampe gleich aus der Ortschaft raus startete ich meine Auffahrt zum Wheeler Peak. Es soll bis auf 3.100 Meter hochgehen. Und dieselbe Strecke dann wieder runter. Meine Gepäcktaschen ließ ich im Motel. Ohne sie fühlte sich das Rad zuerst ganz ungewohnt an. Doch das legte sich bald. Und als ich meinen Rhythmus gefunden hatte, gingen mir die Taschen wirklich nicht mehr ab. Mit der Sonne im Rücken ging es gleichmäßig ansteigend hoch.

 

Bald erreichte ich die Abzweigung zur Bergstraße. Da war die Umgebung plötzlich anders. Es gab niedere Bäume. In ihrem Schatten zu fahren war wunderbar. Am Straßenrand wuchsen hellgrüne Gräser. Schmetterlinge flogen mit mir mit. Der Wind ließ die Blätter der Birken kräuseln. Und dann gab es noch ein plätscherndes Geräusch, das ich zuerst gar nicht zuordnen konnte. Ich blieb stehen und schaute. Da floss tatsächlich ein kleines Bächlein mit klarem Wasser über Steine und zwischen Büschen durch. Vorher alles trocken, und dann plötzlich dieser Bach. Wohltuend zum Zuhören und zum Zuschauen.

 

Der Aufstieg war gut zu fahren. Eigentlich wartete ich immer darauf, dass es irgendwann mal kräftig zur Sache geht und steil wird. Doch es ging gleichmäßig und mit einigen weit ausholenden Kehren hoch. In den Kurven gab es auch die beste Aussicht auf die weite Ebene des Tales. Oben waren dann gar Schneefelder im Bergrücken und dessen Flanken zu sehen. Dazu ein stolzer Gesteinsturm auf dem Grat, und eine steile Felswand dazu. Ja, Steve hatte gestern schon recht. Das sieht irgendwelchen Schweizer Bergen tatsächlich ähnlich. Und mir hat es auch gefallen.

 

Weniger gefallen hat mir dann, dass binnen kurzer Zeit Wolken aufzogen. Noch ehe ich mich an die Abfahrt machen konnte, prasselten schon die ersten dicken Tropfen. Zum Glück blieb es bei einem kurzen Schütter. Beim Zurückblicken nach den ersten Kehren zeigte sich der Wheeler Peak gleich wieder mit Sonne. Und Sonne hatte ich auch, als ich meinen Hinterreifen wechseln musste. Er war wohl von einem scharfen Stein aufgeritzt worden. Nur den Schlauch flicken war mir zu riskant. Der Reifen war mit gut 6.000 Kilometer ohnedies schon reichlich abgefahren. So düste ich dann den Rest der Abfahrt mit einem frischen Conti den Berg hinunter. Ich glaube, gleich schnell wie mit dem alten Schwalbe davor.

 

30. Juni 2022

Füchse, Elche und Fliegen

Noch vor Sonnenaufgang habe ich die erste lange Gerade schon hinter mir. Und mit den ersten Strahlen sehe ich vor mir einen Prairiefuchs die Straße entlang huschen. Ich verfolge ihn im Gelände. Er läuft schnurstracks zu einem großen Erdwall. Gut getarnt beobachten mich von dort mehrere andere Füchse, aufgerichtet und mit aufgestellten großen Ohren. Als ich stehen bleibe, kauern sie sich nieder. Sie sind mit ihrer Fellkennzeichnung kaum von der Umgebung zu unterscheiden. Erst als ich weiterfahre, scheint sich für sie die Situation zu entspannen. Sie richten sich wieder auf, und schauen mir nach.

 

Weiter vorne kreuzt irgendwann eine Elchkuh die Straße. Es schaut wie Spazierengehen aus. Doch als sie mich sieht, jagt sie schnell davon. Den hohen Stacheldraht der Weideeinzäunung überspringt sie ohne Mühe und elegant. Ein Satz und schon ist sie darüber hinweg. Stehenbleiben oder Zurückschauen tut sie nicht. Erst in großem Abstand wird sie etwas langsamer und trottet weiter von mir weg.

 

Am Sacramentopass zieht es mich zum Rastplatz hin. Doch schon beim Anlehnen des Rades an die Sanitäreinrichtung erwehre ich mich kaum der Fliegen. Und beim Öffnen der Tür wusste ich sofort, dass ich lieber noch ein paar Kurven weiterfahren will. Der weiß getünchte Raum schaute zwar sauber aus. Doch er war übervoll mit Fliegen. Meine Störung der Ruhe in ihrem Domizil ließ sie hektisch durcheinanderfliegen. Türe zu und schnellstens weg, auch wenn der Platz rundum sich sehr idyllisch zeigte. Keine Ahnung, welche Lösung die dort übernachtenden Camper in ihren Wohnmobilen für die Fliegen haben.

 

Bei der Talquerung vor dem zweiten Pass kam ich an einer Windparkanlage vorbei. Ich zählte 65 Windräder. Zeit zum Zählen hatte ich genug. Denn das Tal war weit. Als ich sie von der Ferne sah, standen alle noch still. Doch zu früh freuen durfte ich mich auch nicht. Wahrscheinlich hatten sie erst später Schichtbeginn. Denn tatsächlich kam später etwas Wind auf. Und als ich von weiter oben am Pass auf das Tal zurückblickte, drehten sich alle munter drauf los. Eine Talquerung mal ohne Wind tat mir jedoch gut.

 

Etwas vor Ely, der einzigen Stadt am Weg, habe ich noch ein lustiges Verkehrsschild mitten im Nirgendwo gesehen: "Autostoppen verboten", oder vielmehr das Mitnehmen von Autostoppern ist verboten. Gleich davor war das Schild mit der Aufschrift “State Prison“.

 

1. Juli 2022

Fein zu fahrende Pässe und fordernde Weiten

Gegen halb 8 Uhr erreichte ich den Robinsonpass auf 2.300 Meter Seehöhe. Keine Ahnung wie der Übergang zu seinem Namen kam. Vielleicht war es eine Anlehnung an Crusoe. Denn auf der Straße hier könnte einem schon ein Robinson Crusoe-Feeling überkommen. Einsame Gegend und niemand am Weg. Vielleicht eine Hand voll Fahrzeuge jede Stunde. Kein Wunder, dass sie diese Strecke hier als "The Loneliest Highway" nennen. Doch mir hat es gepasst. Etwas kühl noch am Morgen, auch weil die Straße anfangs im Schatten eines Tales war. Doch das änderte sich schnell. Frühstücken auf der Passhöhe konnte ich jedenfalls schon in der wärmenden Sonne.

 

Schneeketten anlegen musste ich übrigens nicht. Es hätte dafür jedoch immer wieder genügend Ausweichbuchten und Hinweisschilder gegeben. Im Winter sind die Verhältnisse hier glaub nicht so ideal fürs Radfahren. Denn man ist auch in der Ebene immer über 1.800 Meter Seehöhe.

 

Beim zweiten Pass war es ein superfeines Radfahren. Nur leicht ansteigend, und das gleichmäßig. Dazu kurvig durch eine sanfte Hügellandschaft. Mir hat es gefallen, auch der Farben wegen. Das Gestein oder die Hügel waren in einer angenehmen Cremefarbe. Die vielen niederen Bäume oder einzelnen Sträucher kamen einem wie grüne Farbkleckse vor. Dazu ein kitschig blauer Himmel und einzelne schneeweiße Wolken. Passend zu dieser Komposition der Natur waren auch die gelben Verkehrsschilder. Kurven anzeigend, Geschwindigkeiten regulierend, Überholverbote markierend, und das in einem die Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Gelb. Ein Gelb, das mir als willkommener, kontrastreicher Farbtupfer in der Landschaft vorkam.

 

Doch die Pässe, es kamen noch zwei weitere diesen Tag dazu, waren nur über die Talebenen dazwischen zu erreichen. Und diese Ebenen hatten es für mich in sich. Eine gerade Straße, ohne Anfang und Ende. Man hat die andere Talseite immer vor sich. Doch näherkommen wollte sie nicht. Und wenn mich ein Fahrzeug überholte, so konnte ich ihm ewig lang nachschauen. Zwar rasch kleiner werdend, doch stetig als Punkt Richtung Horizont erkennbar. Unglaublich, die Weite hier in Nevada. Und etwas gewöhnungsbedürftig auch die Temperaturunterschiede. Mittags hatte es nämlich schon wieder 37 Grad. Und die hielten sich dann bis in den späten Nachmittag hinein. Etwas viel, wenn es die Ebenen zu überbrücken gilt. Und fast zu viel, wenn es die Pässe aufwärts geht. Doch das ist Jammern auf hohem Niveau. Denn die Landschaft hat wegen ihrer Kargheit einen ganz eigenen, durchaus anziehenden Charme.

 

2. Juli 2022

Kalte Ohren und Heuschreckeninvasion

Langsam auf zwanzig zählen, und schon bin ich auf der Hauptstraße aus dem kleinen Ort draußen. Es geht am Anfang abwärts. Ich rolle flott dahin. In der Frische des Morgens ist dies absolut toll. Mühelos mache ich so Kilometer um Kilometer. Ich höre den Reifen zu. Oder dem Surren der Speichen im Wind. Der Asphalt ist etwas rau. Daher sind die Geräusche stärker. Ich mache mich auf dem Rad lang, verlagere den Schwerpunkt nach hinten. So werde ich noch schneller, auch weil es kräftig abwärts geht.

 

Doch das Ausrollen zeichnet sich rasch wieder ab. Ich mache vorne eine Hügelkette aus. Mittig ist ein schmaler Einschnitt. Dort scheint ein Tal durchzugehen. Während die Hügel schon in der Sonne sind, liegt das enge Tal im Schatten. Und je näher ich zum Eingang des Tales komme, umso stärker bläst mir der Wind entgegen. Er scheint durch das kurvige Tal durchzurauschen. Vorher noch Sonne im Rücken und Freude vom Dahingleiten im Gesicht, ändert sich die Stimmung schlagartig. Es ist plötzlich bitter kalt. Ich ziehe die langen Handschuhe an, und ein Schlauchtuch über den Kopf. Ein paar Meter mache ich so, oder ein paar langgezogene Kurven. Doch das eine Tuch ist zu wenig an den Ohren. Ich ziehe zittrig noch ein zweites über. Und ankämpfend gegen den Wind schaffe ich es so durch. Auf der Ebene oben, in der Sonne, frage ich mich, wieso ich denn so dick angezogen bin. Die Morgensonne wärmt. Ich brauche weder Handschuhe noch Ohrenschützer oder Jacke. So passt es mir weitaus besser wieder.

 

Weiter vorne wird die Straße aus schlichtem Grau plötzlich kohlrabenschwarz. “Fresh Oil“ ist angeschrieben. Und das dann für die nächsten 50 Kilometer lang. Auf dem rauen Kieselasphalt ist es unangenehm zum Fahren. Da die Markierung der Fahrbahnen noch fehlt, kann ich auch die seitlichen “Rumble Strips“ schlecht ausmachen. Diese quer zur Fahrbahn eingefrästen Rüttelstreifen sind sowieso ein absolutes Übel. Sie reduzieren die Breite des Seitenstreifens. Als Radfahrer muss ich mich so eher mehr zur Straßenmitte hin orientieren. Es bleibt immer ein bisschen ein mulmiges Gefühl, wenn sich Fahrzeuge von hinten nähern. Zum Glück herrscht kaum Verkehr. Und mit dem Übergang auf einen anderen Verwaltungsbezirk endet dann auch die “Fresh Oil-Misere“ und der Straßenbelag ist wieder gut fahrbar.

 

Bei einer leichten Steigung sehe ich am Seitenstreifen einen Mann mit riesigem Rucksack mir entgegenkommen. Nein, er sei kein Alien, ist seine Begrüßung. Er sei ein ganz normaler Wanderer quer durch Amerika, der seinen Rucksack schon um die Hälfte des Gewichtes reduziert hat. Er hätte jede Woche etwas mehr nach Hause geschickt. Im Moment ginge es ganz gut. Mir gefällt der kurze Tratsch am Seitenstreifen. Am meisten hat mir sein Plan imponiert: “I touched the water of the pacific in San Francisco. And at least in a year I will touch the water of the atlantic on the other side“. Großartig, denke ich mir, eine Idee im Kopf haben, und sie dann auch umsetzen, egal was es ist. Und so wie er über sein Wandern erzählte, erfüllte es ihn ganz.

 

Irgendwann gegen Mittag wundere ich mich, wieso Teile der Straße plötzlich einen rostbraunen Farbton angenommen haben. Die Fahrspuren sind in beide Richtungen farblich auffällig, und auch merklich uneben. Fast so als ob irgendwelche geringfügige rotbraune Erdreste auf der Fahrbahn kleben würden. Doch es stellt sich dann als etwas ganz Anderes heraus. Es wurlt im Kies und Sand neben der Straße. Irgendwelche rotbraunen Insekten kriechen auf langen Beinen umher, oder hüpfen wie Heuschrecken herum. Und natürlich auch auf der Straße. Es ist eine Heuschreckeninvasion. Und die Tiere, die nicht rechtzeitig vor den Autos weghüpfen, bilden dann den rostbraunen Belag. Nur halb überfahrene Insekten locken weitere Insekten an, die sich kannibalisch über sie her machen. Später recherchiere ich, dass es “Mormon crickets“ sind. Und dass sie eine absolute Plage für die Region darstellen, und man sich ihrer kaum erwehren kann.

 

Auf der Suche nach einem Motel im einzigen Ort im Umkreis von 100 Kilometern treffe ich nachmittags zufällig auf Peter. Er ist ein junger, ungarischer Kanadier, und vor einer Woche mit dem Rad in San Francisco gestartet. Er will nach New York. Beide interessieren wir uns daher für die Geschichten und Erfahrungen des anderen. Genügend Zeit zum Erzählen haben wir dann auch. Denn wegen einer großen Veranstaltung ist im kleinen Ort alles ausgebucht. Im städtischen Park mit dem kleinen Schwimmbad finden wir jedoch einen Zeltplatz. Sogar der örtliche Sheriff, der unser Herumfragen mitbekommen hat, war damit einverstanden und gab die Empfehlung dafür.

 

Unser gemeinsamer Nachmittag und Abend waren dann richtig fein. Keine Ahnung, wo ich ohne Peter gelandet wäre. Doch miteinander hat es mir auf der Wiese im kleinen Park hinterm Schwimmbad und unterm Sternenhimmel gut gepasst.

 

3. Juli 2022

Ein autofreier Sonntag

Am Abend gestern war es eine Zeit lang vom örtlichen Fest her etwas laut. Dafür war es am Morgen dann umso stiller. Die Düsen der Rasensprinkler hatten wir noch rechtzeitig entdeckt. Als sie ihr Werk begannen, waren unsere Zelte schon eingepackt, und wir beim Frühstücken. Bei Peter gab es Nutella. Auch interessant, welche Vorlieben jeder so hat, und zum Mitschleppen bereit ist. Ich griff blind im Müsliriegelsack zu. “Clif Bar Chocolate Chip“ war die getroffene Auswahl. Zum Starten in den Tag musste es reichen. Bei mir ging es zuerst ja noch ein Stück abwärts. Und Peter konnte den erhöhten Kalorienbedarf mit seinem bevorstehenden langen Aufstieg rechtfertigen.

 

Mit der wärmenden Sonne im Rücken strampelte ich bald zufrieden durch eine grüne Talebene. Dass die Straßen in Nevada absolut gerade sind, und dass die Talebenen immer ganz lang sind, das war ich ja schon von den bisherigen Tagen gewohnt. Und dass es nach den Kettenanlegeplätzen immer erst bergauf geht, bevor die Abfahrt dann kommt, das wusste ich auch schon. 

 

Ich war mit dem Morgen jedenfalls ganz zufrieden, und mit dem Tag dann auch. Es war ein klarer Sonntagmorgen. Und der Vormittag sollte auch so bleiben. Dass nur hie und da einzelne Autos unterwegs waren, freute mich noch umso mehr. Eine Zeit lang dachte ich gar, dass es vielleicht ein autofreier Sonntag ist. Aber dieser Gedanke kam mir für Amerika dann doch reichlich verrückt vor, egal ob es denn ein Sonntag oder anderer Tag der Woche wäre. Denn später tauchten sie auch auf, die Personenwagen, Pickups, Wohnmobile, und auch ein paar bunte Trucks. Doch viele waren es nicht. Ich behielt meinen Gedanken vom autofreien Sonntag für den Rest des Tages also bei. So hatte ich die Straße für mich allein, auch wenn ich sie teilen musste. Denn ganz allein ist man auch auf diesem Teilstück des Highway 50, "The loneliest road in America" nicht.

 

4. Juli 2022

Ein Feiertag mit ein paar Fahnen

Am 4. Juli wird in den USA gefeiert, habe ich gehört, und das seit 1776. Damals wurde die Unabhängigkeitserklärung unterschrieben. Doch vom "Independence Day“ habe ich heute am Weg nicht so viel mitbekommen. Ein paar Autos waren mit Nationalflaggen unterwegs. Einzelne Pickups waren deutlich lauter. Sie hatten glaub Mühe, die großen Fahnen im Fahrtwind flatternd hinter sich herzuziehen. Und die Harleyfahrer fuhren Formation. Doch das tun sie in Gruppen auch an anderen Tagen. Einzig in den jetzt wieder vorfindbaren Einkaufszentren war mehr los. Also doch ein sichtbares Zeichen, dass hier heute Feiertag ist.

 

Die Strecke selbst war eher unspektakulär. Verwöhnt von den Tagen davor war ich auch viel zu sehr vom ungewohnt starken Verkehr abgelenkt. Es ging flach dahin. Und je näher ich zur Hauptstadt Nevadas kam, desto breiter wurden die Straßen, und desto mehr gab es an Verkehr. Schon spannend, dieser schnelle Wechsel von der Einöde in den Trubel, oder zumindest in eine gemäßigte Variante davon.

 

5. Juli 2022

Faszinierender See und unmöglicher Verkehr

Aus Carson City raus ging es ganz gemächlich. Ein sonniger Morgen. Klarer Himmel. Ich gut drauf. Doch bei der Ampel mit der Abzweigung zum Lake Tahoe häufte sich der Verkehr. Nach dem gestrigen Feiertag ist hier im Westen Ferienbeginn. Also bin ich nicht allein am Weg.

 

Das "Höhentraining" und die vielen Kilometer der letzten Wochen haben sich scheinbar bezahlt gemacht. Denn die Steigung zum Lake Tahoe ging mühelos. Das Tempo der Autos, die mich zweispurig überholten, konnte ich zwar nicht mitmachen. Doch mit mir selbst war ich zufrieden. Und im Intervall der Ampelschaltung im Tal hatte ich für einige Zeit die Straße immer wieder kurz für mich allein. Die Autolawine rollte in Schüben daher. Ein voller Kontrast zu den letzten Wochen, unglaublich.

 

Und unglaublich war auch die spektakuläre Aussicht am Pass oben auf den Lake Tahoe und die Berge ringsum. Kitschig blaues Wasser in verschiedenen Tönen, hellblauer Himmel, auf den Bergen der anderen Seeseite einzelne weiße Schneefelder. Wunderbar. Dazu noch hohe Pinienbäume, und dazwischen immer wieder große Steine oder Felsen. Einmalig.

 

Einmalig war natürlich auch der Ferienrummel. Am See entlang Kolonnen. Die vielen Geschäfte und Zentren rammelvoll, die Straße fast noch mehr. Am Nachmittag dröhnte mir der Kopf. Denn ohne Seitenstreifen war die lange Abfahrt ziemlich fordernd. Rücksichtsvoll waren sie hier nicht gerade am Werk. Waren die wenigen Autos in der Wüste beim Überholen immer mit Respektabstand auf die Gegenfahrbahn ausgewichen, so ging das hier mit dem vielen Verkehr natürlich nicht mehr. Es war ein paar Mal recht eng, aber es ist sich dann doch immer wieder gut ausgegangen.

 

Und scheinbar auch gut ausgegangen ist es hier für die meisten Ferienhäuser bei einem Waldbrand. Fast 50 Kilometer lang waren weiträumig verkohlte Bäume zu sehen. An vielen der Holzhäuser hingen Banner mit der Aufschrift “Thank You firefighters“. Das Feuer hatte eine Spur der Verwüstung durch die Wald- und Berglandschaft gezogen. Manchmal waren ganze Talabschnitte verkohlt. Die Bäume standen wie schwarze Mahnmale auf ihrem felsigen Untergrund. Und über die ganze Strecke waren Aufräumarbeiten des Holzes im Gang. Im Wald schwere Maschinen, und auf der Straße dann auch welche, wenn sie die Bäume mit den Trucks ins Tal fuhren. Doch ich war mit meinen beiden Taschen wohl ähnlich schwer beladen.

 

6. Juli 2022

Idyllischer Radweg und hektische Autobahn

Der Morgen war echt lässig. Mühelos abwärts rollen durch den Wald. Hie und da links und rechts die Häuser zwischen den Pinien anschauen, und sich über den Verlag rund herum wundern. Selten ein paar Pedaltritte tun, um eine Kuppe zu überwinden. So ging es über viele Kilometer dahin, während die Höhenmeter kräftig abnahmen, und sich die Landschaft leicht veränderte. Die Routenwahl abseits der Hauptstraße hat sich jedenfalls gelohnt.

 

Obst- und Weinbau konnte ich jetzt plötzlich bestaunen. Bei einem Verkaufsstand musste ich stehen bleiben. Eine Schale Brombeeren machte mich an, und die rotbackigen Äpfel ebenfalls. Das gab es die letzten Wochen nirgends zu kaufen. Oder ich habe es jedenfalls nicht gesehen. Mein Obstfrühstück in der Sonne schmeckte echt lecker. Später gönnte ich mir dann nochmals Brombeeren, frisch von der Hecke an der Straße.

 

Ja, der Vormittag war fein zum Fahren. Einen langen Radweg gab es auch. Er schlängelte sich angenehm flach dahin. Eine ehemalige Eisenbahntrasse gab die Richtung vor. Später ging es dann durch weiträumiges Siedlungsgebiet. Oleander in Weiß und in Rot bildeten den Aufputz entlang meines Weges. Doch das chillige Dahingleiten änderte sich dann doch noch. Denn ich wollte durch Sacramento durch. Das ging natürlich nicht ohne mehr Verkehr. Irgendwie muss eine Hauptstadt ja ihre Wichtigkeit untermauern. Und die hier war demnach von großer Bedeutung. Doch Radfahrer gab es auch. Rund um das State Capitol patrouillierten Polizisten auf schwarzen Bikes. Das hat mich beeindruckt.

 

Negativ beeindruckt haben mich dann die letzten Kilometer. Der Radwege führte mich nämlich entlang eines Freeways. Unglaublich, welche Verkehrsdichte da am Weg war. Es rauschte und dröhnte, dass einem fast schwindlig wurde. Und weil die Straße über einige Kilometer auf Pfeilern angelegt war, war es mit dem Betonuntergrund noch lauter. Rechts von mir ein idyllisches Schutzgebiet, und links von mir der motorisierte Wahnsinn. Ich bin gespannt, ob sich das bis zum jetzt schon ziemlich nahen San Francisco noch weiter steigern wird. Denn weit bis zur Pazifikküste ist es nämlich nicht mehr.

 

7. Juli 2022

Ein forderndes Finale und eine geniale Skyline

Gleich in der Früh, mit noch etwas Rasiercreme im Gesicht, freue ich mich über den Videoanruf meiner Tochter gemeinsam mit meinem Vater. Ich soll bald umkehren, war sein Wunsch. Ja, weit ist es heute ohnedies nicht mehr bis zur Küste am Pazifik.

 

Den schrecklichen Freeway von gestern sehe ich vorerst nur kurz. Ich finde eine Route quer übers Land. Links, geradeaus, rechts, geradeaus, in diesem Muster fahre ich nach Südwesten. Knallgelbe Sonnenblumen strahlen auf großen Feldern um die Wette. Ich finde sie wohltuend für mein Gemüt. Obstbau gibt es auch dazu. Und Hubschrauber auch. Einer holt gerade frisches Spritzmittel ab, als ich bei einer Lagerhalle am Weg vorbeifahre. Dann setzt er seinen niederen Flug über die Bäume wieder fort.

 

Irgendwann am späten Vormittag holt mich dann der Gegenwind ein. Oder vielmehr, er empfängt mich, und begleitet mich zur Küste. Spaziergang ist es also keiner mehr. Eher etwas fordernd das Fahren. Dazu führt die Route wieder auf einer eigenen Straße entlang des Freeways. Er hat zwischenzeitlich zwei Spuren mehr. Es wurlt und dröhnt wie gestern. Doch die Landschaft federt die Geräusche hier etwas ab. Und weil die Fahrbahnen sich manchmal um jeweils andere Hügel winden, ist es doch irgendwie erträglich.

 

Auf einer Kuppe tut sich dann erstmals die Sicht auf eine weite Bucht auf. Zwei lange Juchzer sind mir der Blick wert. Ich freue mich. Denn ganze 8 Wochen habe ich vom Start in New York bis hierher gebraucht. Und 6.900 Kilometer gesammelt. In Vallejo an der Fähre gibt es aber keinen großen Empfang. Etwas verlegen erzähle ich dennoch beim Ticketkauf stolz von meiner Tour bis hierher. Ein freundliches “Congratulations“ vom Mann mit Maske hinter Glas am Schalter ist der Lohn. Dazu bekomme ich noch ungefragt Seniorenrabatt für den Fahrschein. Wahrscheinlich hat der Gegenwind heute also doch etwas Spuren in meinem Gesicht hinterlassen.

 

Die Fahrt auf dem Katamaran bis San Francisco war der Höhepunkt des Tages. Zuerst etwas verhalten aus der langen Bucht hinaus, dann merklich Fahrt aufnehmend mit Vollgas eine weiße Gischt hinter sich herziehend auf die Küstenmetropole zu. Im Lee hinter der Kabine auf dem Oberdeck ließ es sich aushalten. Von dort machte ich dann auch den ersten Schnappschuss von der Golden Gate Bridge am Eingang zur Bucht. Im Luv hat es mich fast umgeblasen. Und von den Socken war ich auch, als die Skyline der Stadt näherkam. Ein faszinierender Anblick mit dem Wasser im Vordergrund, und im Hintergrund die daraus emporragenden Hochhäuser in unbeschreiblich schönen Formen. Und mit dem Licht der Nachmittagssonne war es eine wunderbare Farbkomposition Ton in Ton noch dazu. Meinen Ausruf hat der Wind verschluckt. Ich schreibe ihn daher hier: Awesome. San Francisco. So was von schön, unglaublich. Und die Fahrt bis hierher natürlich auch, nicht nur mit der Fähre.