Ab Brest südwärts

22. August 2021

Brombeerenetappe

Ein genialer Morgen mit Sonne. Und dazu das Meer ganz ruhig. „C’est superbe“ sagte ein französischer Rennradfahrer, der mit mir von einem Aussichtspunkt des Radweges auf den Hafen und die Bucht bei Brest zurückschaute. So lässt sich fein in den Tag starten.

 

Und es geht für alle Radler gut weiter. Die Querung des Meeresarmes nach der großen Bucht geht über eine breite Brücke. Sie war wahrscheinlich früher mal die Einzige. Jetzt gehört sie Radfahrern und Fußgängern allein. Die Autos fahren etwas weiter weg über eine große, lange Hängebrücke mit 2 Pfeilern. Im Gegenlicht der Morgensonne wirken die Spannseile wie Spinnweben.

 

Heute habe ich eine Route eher im Landesinneren gewählt. Sie führt mich auf guten Landstraßen ohne Verkehr quer übers Land Richtung Süden. Es ist Agrarland mit vielen Wiesen und Maisfeldern. Etwas hügelig ist es auch. Das gibt immer schöne Ausblicke über die Gegend und rasante Abfahrten. Doch damit verbunden natürlich auch viele Steigungen, jedoch überwiegend moderate. Die werden die Teilnehmer der Tour de France sicher in anderem Tempo angegangen sein als ich. Auf der Straße sehe ich nämlich immer wieder Embleme der Tour de France aufgesprüht. Es war die erste Etappe, die entlang meiner Route gefahren wurde. Und Peter Sagan hat sie im Sprint gewonnen, lese ich abends nach.

 

Um das Rennen zu sehen, bin ich leider 2 Monate zu spät dran. Dafür bin ich rechtzeitig für die Reifezeit der Brombeeren unterwegs. Bei einem Pinkelstopp in einem Feldweg entdecke ich sie. Und dann bleibe ich auch unterwegs immer wieder stehen. Denn es hat gleich gar viele davon. Nicht dass schon alle Früchte eines Strauches reif gewesen wären, aber doch so viele, dass sich das Stehenbleiben gelohnt hat. Tiefschwarz in der Farbe, fest in der Konsistenz, leicht vom Strauch zu lösen, und dazu fein süß im Aroma. Diese Brombeeren waren heute echt lecker.

 

23. August 2021

Handarbeit im Hafen

In der Nacht liege ich länger wach. Vollmond war, da kann ich meist weniger gut schlafen. Ich hole es dafür am Morgen nach, und starte erst später. Es gefällt mir gleich schon beim Losfahren. Frisch aufgepumpt rolle ich flott dahin. Der Straßenbelag ist gut, Verkehr ist wenig.

 

Irgendwann biege ich dann auf einen lokalen Radweg ab. Er bringt mich zur Küste und die kleinen Ortschaften dort, mit den Häfen und den Sandstränden in den Buchten. Sommerfeeling. Das Meer zeigt einen niedrigen Wasserstand. In den kleinen Meeresarmen, die ins Land hineinragen, fließt nur spärlich Wasser aus den Flusszuläufen. Der Boden ist meist von Algen bewachsen. Einen der Flussläufe suchen 2 Männer ab. Der eine stochert immer wieder mit einem Spaten im Boden. Der andere hat Gummihandschuhe an und hebt dann hie und da etwas auf und gibt es in einen Eimer. Sie sammeln Flusskrebse als Köder fürs Fischen.

 

Mittags kann ich bei einer Bäckerei nicht widerstehen, zuzukehren. Sie hat ein einladendes Schaufenster und der Backraum ist ebenfalls einsehbar. Ein Sandwich macht mich an, doch sie haben keine vegetarischen. Ich frage dennoch nach, und bekommen auch eines. Und das noch mit einem super Service. Obwohl hinter mir einige Leute nach und nach eintrudeln, nimmt sich die Verkäuferin ausgiebig Zeit. Ihr ist es sichtlich ein Anliegen, dass ich nicht hungrig aus dem Laden gehe. Also zählt sie alles auf, womit sie denn das Sandwich belegen könnte. Ich weiß nicht, ob die Leute hinter mir dann auch so ein tolles Sandwich bestellt haben. Denn mir hat es jedenfalls geschmeckt, in der kleinen Bucht gleich nach der Ortschaft.

 

In einem größeren Ort liegen auch Kriegsschiffe im Hafen. Alle in einheitlichem Grau. Vielleicht ist es ein Schiffsverband, denke ich mir, weil es so viele und auch verschiedene sind. Auf den Decks sind einige Männer zu sehen. Und am Kai wird auch gearbeitet. Mir ging dann die Frage durch den Kopf, wie lange es wohl dauert, bis so ein Schiff einsatzbereit ist, mit allem Drum und Dran. Doch vielleicht unterscheidet sich die Marine da gar nicht von der anderen militärischen Infrastruktur.

 

In einer Werft ein paar Hafenstraßen weiter bleibe ich kurz stehen. Ein Arbeiter ist mit dem Anstreichen einer Ankerkette beschäftigt. Es sind richtig große Glieder, die da am Boden als Schlange ausgelegt sind. Ganze 240 Meter sei sie lang, und sie sei für 2 Anker vorgesehen. Und dann erfahre ich noch, dass sie in Handarbeit 3 Anstriche bekommt. Die rote Farbe sei giftig, habe ich verstanden, und werde dann mit der gelben, und zum Schluss mit der schwarzen Farbe überstrichen. Das Wetter sei ideal, die Farben würden gut trocknen. Na dann wird das Wetter wohl auch für mich gut passen, denke ich mir. Denn bei der Länge der Kette ist er sicher noch länger dran mit Streichen.

 

24. August 2021

Tratsch übers Segeln und Radeln

Ich lasse mir mit Aufstehen Zeit. Das Zelt ist vom Tau der Nacht noch nass. Erst als die Sonne schon recht hoch steht, mache ich es mir vor dem Zelt bequem. Eine Banane und einen Apfel gibt es zum Frühstück. Da bekomme ich unerwartet Besuch. Ein älterer Mann mit Stock und in Gummistiefeln biegt um das Waldstück. Dann mustert er mich aus der Weite. Ich bin selbst auch etwas überrascht, doch ich winke im freundlich zu. Also kommt er näher. Ich frage ihn, ob es seine Wiese sei, auf der ich mein Zelt aufgeschlagen habe. Nein, nein, sagt er, das sei schon ok für ihn. Die Wiese gehöre seinem Nachbarn. Doch der hätte sicher auch nichts dagegen. Das Land sei ja groß. Dann überrascht er mich noch mit einem netten Satz: „Und ein Zimmer unter freiem Himmel könne man aufstellen wo man will.“ Keine Ahnung, ob dies ein französisches Sprichwort war. Doch mir hat es jedenfalls imponiert.

 

Bei einer kleinen Bucht machte ich Pause. Der Radweg führte etwas weiter oben vorbei. Ich hatte einen schönen Blick aufs Meer und das Geschehen am Strand. Dort war eine Segelschule aktiv. Vielleicht gibt es hier in Frankreich auch Schulen, die bestimmte Sportarten fördern. Wenn es nicht das Skifahren ist, dann ist es am Meer vielleicht das Segeln. Es waren jedenfalls etwas größere Kinder. Sie wurden auf kleinen Jollen aufs Meer hinausgezogen. Und segelnd unter Anleitung mit lauten Zurufen vom motorisierten Begleitboot kamen sie wieder ans Ufer zurück. Dann begann eine gleiche Runde von neuem. Mit den orangen Segeln, den weißen Booten, dem blauen Meer, dem roten Schlauchboot der Lehrer und dem cremefarbigen Sand am Ufer war es ein buntes Bild zum Gefallen.

 

Beim Blick auf die Karte entdecke ich, dass ich vielleicht schon etwas früher wieder von der Hauptstraße zur Küste hin abbiegen kann. Also nahm ich die nächste schmale Straße, die mit einigen Kehren in einer Bucht endete. Dort ging nur doch ein Fußweg weiter, der emporsteigend in ein Waldstück führte. Zum Glück sah ich dort 2 Leute ihre Räder runterschieben. Also wagte auch ich mich auf dem Fußweg über die Brücke der Bucht hinüber. Ich komme mit den Entgegenkommenden ins Gespräch. Es ist ein französisches Paar. Es macht gerade einen Landausflug mit dem Rad. Denn eigentlich sind sie Segler. Ihr 10 Meter langes Boot sei mal ein Rennboot gewesen. Sie sind mit ihrer Segeltour einen Tag früher als ich mit meiner Radtour gestartet. Sie segeln auch von oben nach unten der französischen Küste entlang. Fahrräder zum Ausleihen seien hier in der Hafengebühr gratis mit dabei. Und so tratschen wir auf Englisch dann noch über Fahrräder weiter. Er zeigt mir dabei ein Foto seines eigenen Gravel-Rades, auf Tour mit großer Sattel- und Rahmentasche. Und dann auch noch ein Foto seines Segelbootes. Hmm, denke ich mir, ja, sowas könnte mir auch gefallen. Doch jetzt gefällt mir erst mal das Weiterradeln hier an der Küste.

 

25. August 2021

Megalith-Parcours

Am Ausgang der Ortschaft sehe ich an der Hauptstraße einen größeren Einkaufsmarkt mit Tankstelle. Solche Märkte finden sich hier überall gleich. Doch was mir ins Auge springt ist die Waschstraße. Nicht die gewohnte für Autos, sondern eine mit großen Waschmaschinen für Kleidung. Da staune ich, dass es Waschmaschinen nicht nur indoor gibt, sondern auch Outdoor. Vor dem Einkaufen die Wäsche einwerfen, und danach getrocknet mit nach Hause nehmen. Bei einem Großeinkauf wird es sich sicher ausgehen. Doch für meine Radlersachen hat bisher ein Handwaschbecken auch immer gereicht. Ich lasse die Waschstraße links liegen.

 

Denn mein Vorhaben am Morgen sind die großen Megalith-Steine vor Carnac. Riesengroße Findelsteine, vor einigen tausend Jahren von Menschenhand in verschiedenen Anordnungen platziert. Es führt ein Wanderpfad rund um die Fundorte. Ich konnte ihn zum Teil mit dem Fahrrad abfahren. Doch ganz so spannend fand ich die weiteren Steine dann auch wieder nicht. Nur das erste Sehen der vielen großen, auf einem Feld zusammengestellten Steine war jedenfalls beeindruckend.

 

Am weiteren Weg werde ich von Brombeeren aufgehalten. Die schmecken hier einfach sensationell gut. Oder sind gerade richtig reif und munden köstlich. Und köstlich fand ich auch das Zuschauen bei den Gymnastikübungen am Strand von Carnac. Per Lautsprecher waren die Anweisungen des Animateurs schon von weitem zu hören. Ich fand es ein bisschen komisch. In einer wunderbaren Landschaft mit Sandstrand und Meereswind wissen sich die Leute nicht selbst zu beschäftigen oder sich frei zu bewegen. Na ja, ich hock halt auf meinem Rad. Das finden andere vielleicht auch ein bisschen eigen, oder könnte so sein.

 

Im Hafen von Auray zieht es mich wieder zu den Rennbooten. Die sind leicht zu finden. Ich schaue einfach, wo die größten Masten sind. Und wenn diese dann bald doppelt so hoch als die anderen sind, dann liegt dort ein Renntier im Hafen. Ich habe zwar keinen Bezug zum Segeln, und kenne mich bei diesem Sport auch nicht aus. Oder weiß auch nicht welche verschiedenen Bootstypen oder Klassen es gibt. Doch die großen, breiten Ungeheuer anzuschauen, finde ich absolut beeindruckend. Beim Boot IDEC-Sport waren die Daten angeschrieben: 31 Meter lang, 22 Meter breit, Masthöhe 33 Meter. Und die gefahrenen Rekorde auf diversen Routen waren auch erwähnt. Ein Foto des Bootes in vollem Renntempo war auch noch in einem Schaukasten. Ich gebe zu, da können Radrennen nicht so ganz mithalten.

 

Pays de la Loire

26. August 2021

Fruchtsaft zum Vergessen

Gestern abends war ich noch lange am Meer. Ich hatte davor schon einen Zeltplatz ausgesucht, und war dann noch ein paar Kurven weiter bis ans Wasser. Gegenüber war ein kleiner Steg. Dort waren die Austernzüchter geschäftig. Sie verluden Metallkäfige auf ein kleines Arbeitsschiff mit Kran, soweit ich es aus der Entfernung erkennen konnte. Ein paar Segelschiffe fuhren mit Motor den Meeresarm entlang in den Hafen weiter oben. Und dazwischen senkte sich die Sonne immer weiter Richtung Westen. Das Wasser glitzerte in ihrem Licht. Es war fein anzuschauen. Nur der entfernte Lärm eines Traktors störte hie und da. Er fuhr ein riesiges Feld ab, und lockerte die Erde auf oder bereitete sie für die nächste Aussaat feinkrümelig vor. Immer wenn er über die Geländekuppe kam, war er zu hören. Das Feld abwärts fahrend war er eher leise. Nur aufwärts hatte er dem Geräusch nach etwas Mühe und war entsprechend laut. Doch die Idylle mit dem Sonnenuntergang konnte er nicht stören.

 

Am Morgen bin ich bin ohne Frühstück losgefahren. Ich wollte mich in der nächsten Ortschaft mit frischen Sachen eindecken. Doch die einzige Boulangerie im Zentrum hatte zu. Und in den Großmarkt am Ortseingang wollte ich nicht. Also fuhr ich weiter. Erst kurz vor mittags kam ich in die nächste Stadt. Das Einkaufen dort war jedoch ein Volltreffer. Ich sah links eine Boulangerie und rechts gegenüber eine Fromagerie. Also zwei Fliegen auf einen Streich. Und gleich anschließend war noch ein Laden mit Fruchtsäften. In Erinnerung bleiben wird mir jedenfalls der Käseladen. Ich freute mich ob der großen Auswahl und fragte nach einer Empfehlung. Da meinte der Inhaber galant, dass er mir das auch in Englisch erklären könne, falls es für mich mit dem Französisch zu schwierig wäre. Seine Mutter wäre Amerikanerin, daher könne er beides ganz gut. Je nachdem was mir lieber wäre. Und so bekam ich auf Englisch einen Tipp für einen feinen Hartkäse, dessen Namen ich mir jedoch nicht merken konnte. Er passte hervorragend zu meinem Baguette, und war dann Frühstück und Mittagessen in einem.

 

Nur die Fruchtsäfte waren ein Reinfall. Vom großen Schild durstig angelockt, hatte ich gar nicht aufgepasst, in welchen Laden ich reingestürmt bin. Es war nämlich nicht der Laden mit den beworbenen Fruchtsäften, sondern ein Gewürz- und Teeladen mit der Tür nebenan. Doch in der Kühlvitrine hatten sie auch eine kleine Auswahl an Säften. Es seien spezielle Kombinationen, erklärte mir die Verkäuferin. Und so ließ ich mich zu Ingwer-Irgendwas und einer Flasche Karotten-Mixtur überreden. Nach dem ersten Schluck schon wusste ich, wieso da nur so wenig davon in der Vitrine vorrätig war. Denn das kaufen wahrscheinlich nur Leute wie ich, die sich in der Eingangstür irren. Die beiden Säfte waren nämlich zum Vergessen.

 

27. August 2021

Weiß, Ocker, Türkis und Blau - feine Farben

Die Landschaft hat sich zwischenzeitlich längst verändert. Es ist alles mehr oder weniger flach. Weingärten gibt es auch schon. Und die Häuser zeigen ebenfalls einen anderen Stil. Alle sind weiß, haben helle, ockerfarbene Tonziegeldächer, und sind fast nur noch eingeschossig. Ich bin weiter im Süden, und entsprechend südlicher wirkt auch das Ambiente. Auch die Kirchen wirken einladender in ihrem Stil, sind nicht so abweisend kalt und gotisch dominiert wie in der Bretagne zuvor. Und den Schatten spenden jetzt Kiefern.

 

Am Morgen hat es mir heute absolut toll gefallen. Ich bin durch eine weite, flache Marschlandschaft gefahren. Dabei war es fast windstill, und noch angenehm frisch. Das monotone Surren der Reifen auf dem abschnittsweise guten Asphalt, oder das Brechen des Windes in den Speichen, und dazu hie und da das leise Rattern des Freilaufs, das sind endorphineträchtige Geräusche. Jedenfalls dann, wenn es in flottem Tempo dahingeht. Links und rechts der Straße waren Wassergräben. Sie schienen sich unendlich zu verzweigen, wenn ich in die Landschaft schaute. Auf der Karte am Navi schaute es gar so aus, als ob durch diese fein ziselierte Wasser- und Wiesenlandschaft kein Weg führen könnte. In den Gräben oder Tümpeln zeigten sich hie und da große Bisamratten, oder schlüpften scheu ins Schilf mit den Rohrkolben zurück, oder glitten von dort ins Grün des Wassers. Und einige waren auch als Kadaver überfahren im Straßengraben.

 

An der Küste dominierten die Sandstrände. Groß, weit, und angenehm anzuschauen in der Farbe als Kontrast zum schönen Türkis des Meeres und zum Blau des Himmels. Überlaufen waren die Strände nicht. Es war viel Platz für die eher wenigen Leute. Dafür zeigte die Infrastruktur an Land, dass es da in der Hochsaison sicher mehr Besucher gibt. In jeder Ortschaft war ein großer Rummelplatz mit allerlei schrillen Attraktionen. Vom Ringelspiel bis zum Riesenrad, von der Schießbude bis zur Zuckerwatte, einfach alles, womit man sich im Urlaub gerne ablenken will, weil einem sonst vielleicht fad ist. Und als Radfahrer muss man da mitten durch, sofern man am Radweg bleiben will. Die Küstennähe mit der Schönheit der Natur hat halt diesen Preis. Doch kommt sie mir dann meist noch schöner vor, wenn ich aus den Ortschaften und dem Rummel wieder draußen bin. Wobei ganz so schlecht wohnen lässt es sich hier glaub nicht.

 

Nouvelle Aquitaine

28. August 2021

Genialer Tag

Ich wache schon früh auf. Als erstes checke ich den Wetterbericht. Ui, der schaut gar nicht gut aus. Wahrscheinlich sogar Regen. Doch es ist der Wetterbericht für das Engadin in der Schweiz. Dort findet heute der Bike-Marathon statt. Also bin ich froh, dass hier in Les Sables d’Olonne schon blauer Himmel ist und die Sonne scheint. Dafür drück ich der Freundin in der Schweiz ab 7 Uhr dann die Daumen, oder beide.

 

Von Möwengeschrei begleitet fahre ich durch die Stadt Richtung Meer. Es sind nicht sehr viele am Weg. Ich sehe nur ältere Männer, und alle mit einem Baguette unterm Arm. Die jüngeren treffe ich dann an der Küste. Dort joggen sie die Strandpromenade entlang. Ohne Baguette. Und manche wirken gar etwas abgehetzt. Schauen gar nicht zufrieden drein, nicht so wie ich. Denn ich freue mich ob der tollen Kulisse. Der Strand ist jetzt am Morgen viel kleiner. Das Meer beansprucht ihn fast bis zur Straße hin. Es dürfte also gerade Flut sein.

 

Meine Route zieht sich lange nur der Küste entlang. Hie und da biege ich auch zum Strand ab. Kitschig schön, diese Weite und der Kontrast zwischen dem Ocker und dem Blau. Und toll ist auch das Klatschen der Wellen, wenn sie am Strand aufschlagen. Das Meer ist zwar ruhig, doch so alle 20 bis 30 Sekunden klatscht es kräftig. Dann rollt mit Gischt eine Welle am Ufer aus. Ja, die Region Vendée hat schon ihren Reiz. Vor allem hier mit der Küste. Den Rest kenne ich leider nicht. Doch auf den Orientierungstafeln sind viele Radwege über das ganze Gebiet eingezeichnet. Es dürfte also wohl auch dort passen.

 

Radfahrerisch kommt jedoch am Nachmittag das für mich beste Stück auf meiner bisherigen Tour. Extra Klasse. Der Weg führt flach von der Küste weg in Richtung Landesinneres. Es ist viel Schotterpiste dabei. Und dann wieder entlang von Kanälen abwechselnd auf Asphalt. Und das bei leichtem Wind, blauem Himmel und Sonne pur. Die Felder sind riesig. Manchmal mit Mais, öfters noch mit Sonnenblumen, und dann auch schon umgebrochen und mit brach liegender Erde. Der Weg geht oft nur geradeaus. Und doch gibt es immer wieder Biegungen, oder kleine Brücken über die Kanäle. Keine Ortschaften, nur hie und da einzelne Bauernhöfe, oder Lagerhallen, die dafür übergroß.

 

Wenn der Wind von hinten kommt, oder leicht von der Seite, dann ist es in dieser Landschaft und mit dieser Stimmung einfach genial, mit dem Rad dahin zu rollen. Weite am Land und am Himmel genießen. Rund pedalieren und Fahrtwind spüren. Den Nacken von der Sonne warm. Den Kopf frei von Gedanken. Vielleicht noch einer Möwe oder einem Reiher beim Fliegen nachschauen, und sich selbst wie ein Vogel fühlen beim Gleiten.

 

Kurz vor der Ortschaft Marans treffe ich auf Dominique aus Nantes. Er ist auch auf größerer Tour unterwegs, doch erst vor einigen Tagen gestartet. Er kennt die Gegend gut. Zum Einkaufen für das Abendessen empfiehlt er mir, doch in die Ortschaft reinzufahren. Nur dort hat alles zu. Offen ist nur der große Supermarkt. So klein der Ort auch ist, das Einkaufszentrum ist riesengroß. Während Dominique draußen auf die Räder aufpasst, verirre ich mich fast in dem Laden.

 

Für das von ihm gewünschte kühle Bier aus dem Kühlschrank mache ich gar ein paar Extrarunden um alle Regale. Dafür finde ich das Käseregal gleich. Und das dazu mit einer tollen Überraschung: Wäldergold „Tomme aux Fleurs“ steht auf den 180 Gramm Hartkäse. Und als Erzeuger ist Käse Moosbrugger und Firma Fessler aus Mäder in Vorarlberg angegeben. Als ich Dominique davon erzähle, muss auch er lachen. Da geht ein Vorarlberger in einem kleinen Nest irgendwo in Frankreich in einen riesengroßen Supermarkt. Und mit dem ersten Griff ins Regal zieht er ein Stück Heimat hervor, ebenfalls aus einem kleinen Nest. Genial. Genial war jedenfalls heute das Radeln. Und das Wäldergold das i-Tüpfelchen beim Genial, und am Abend dann auch beim Essen.

 

29. August 2021

Schneidersitz am Morgen

Das Zelt ist am Morgen noch etwas nass vom Tau der Nacht. Ich habe es recht nahe zu einer Gebüschgruppe aufgestellt. Also rücke ich es jetzt ein paar Meter nach vorne in die Sonne. Auf dem Feldweg bläst auch der Wind etwas mehr. Er bauscht das leere Zelt auf und lässt es schnell trocknen.

 

Ich setze mich davor im Schneidersitz auf den Boden. Den Frühstücksapfel schneide ich in 4 Teile. Rund herum ist es still. Die eine Seite des Weges ist wahrscheinlich mal ein Getreidefeld gewesen. Es wurde bereits umgebrochen. Die Erde sonnt sich grobschollig, und ist entsprechend braun. Auf der anderen Seite des Weges beginnt ein riesiges Maisfeld. Davor ist noch ein schmaler Wassergraben, mit Schilf besäumt. Der Weg selbst ist mit Gras bewachsen und erhöht. Ich habe einen guten Blick übers Land. So in Ruhe dasitzen, mich von der Sonne wärmen lassen, den Wind spüren, rundum schauen, und einen Apfel essen, so kann der Tag hier gut starten. Das kann ich voll genießen. Ich bleibe gar etwas länger sitzen, gebe dem Zelt mehr Zeit zum Trocknen, und mir zur Muße.

 

Der Weg danach ist nicht mehr so spektakulär wie gestern. Doch durch eine schöne Marschlandschaft geht es am späten Nachmittag dann auch wieder. Also passt der Tag dann schon vom Fahren her. Im Hafen von La Rochelle denke ich mir, wann denn die tausend Segelboote aufs Meer raus dürfen. Sie liegen eines am anderen im Hafen an den Stegen. Keine Ahnung, ob sie die Sonne auch genießen. Oder nur das Daliegen im Hafen. Dann fällt mir ein Wortreim ein: Es sind vielleicht Standboote, und keine Segelboote.

 

30. August 2021

Ein spontanes Treffen

Ich starte schon früh los. Es ist etwas frisch. Doch die Luft ist ganz klar. Das gefällt mir am besten. Wenn die Morgensonne die Farben voll zur Geltung bringen kann. Meine Fahrtrichtung geht nach Süden. Die Sonne leuchtet daher von links die Landschaft aus. Sie wirft meinen Schatten an den rechten Straßenrand. Manchmal zeichnet er sich in der gelbgrünen Wiese ab. Und manchmal an der grasbewachsenen Böschung. Es schaut dann aus, als ob ich beim Fahren eine Begleitung hätte, zu zweit am Weg wäre. Je nach Ausrichtung der Straße bin ich hie und da gleich auf. Oder auch schneller, oder bleibe hinter dem Schattenradler rechts leicht zurück. Als die Straße dann kurz nach Westen führt, habe ich das Schattenbild vor mir. Ich fahre also mir selber nach. Lustig, diese Vorstellung.

 

Irgendwann am Vormittag erreiche ich dann die Fähre zum Übersetzen auf die Landzunge bei Soulac. Das Schiff ist gerade bereit zum Abfahren. Doch mich nimmt es noch mit. Es sind viele andere Radfahrer auch noch mit an Bord. Ausflugsradler meine ich, keine mit so viel Gepäck wie ich. Die Überfahrt und Radpause dauert nicht lange. Schnell geht es wieder mit dem gewohnten Untersatz weiter.

 

Während es am Morgen noch etwas kurvig dahin ging, geht es jetzt über lange Distanzen nur geradeaus. Doch es gefällt mir dennoch. Der Kiefernwald bietet hie und da sogar etwas Schatten. Und auf gutem Asphalt und manchmal auch mit etwas Rückenwind ist es ein Genuss. Nur rund um ein paar kleine Orte ist was los. Sonst habe ich den schönen Weg fast nur für mich allein.

 

Am Abend treffe ich mich mit Werner, meinem Fahrradbauer. Er ist mit seiner Familie auf Urlaub am Meer. Da er meine bisherige Route an der Küste verfolgt hat, meinte er, dass sich ein Treffen vielleicht ausgehen könnte. Und es hat tatsächlich geklappt, sehr zu meiner Freude. Da habe ich gemerkt, dass das allein Radeln toll ist und mir Spaß macht. Doch mehr oder weniger spontan einen Freund treffen und bei einem Spaziergang am Strand ein bisschen tratschen hat schon auch was. Leider hat meine Sturköpfigkeit den Abend etwas vermasselt. Ich fand die Zugangsformalitäten am Campingplatz mehr als nur eigen, gar schikanös. Dem wollte ich mich nicht beugen. Daher ist es vorerst mal beim Spaziergang am Strand geblieben.

 

31. August 2021

Naturreservat und Riesenrummel

Ich drehe am Morgen noch eine Runde durch das strandnahe Zentrum, den Zugang zum Radweg suchend. Da wird mir klar, wieso auf den beiden Campingplätzen praktisch nur Deutsch als Sprache zu hören war. Bar grenzte an Bar und Restaurant an Restaurant. Beim Durchfahren am Morgen waren nur die Lieferanten mit Anlieferungen und die Müllabfuhr mit Aufräumen zu sehen. Doch am Abend könnte da schon kräftig was los sein. Die Infrastruktur schaute jedenfalls ganz danach aus. Und so eine zieht demnach auch in Frankreich an, und Deutsche bekanntermaßen sowieso. 

 

Der Radweg ist eine schmale Fahrspur durch den Pinienwald. Hie und da geht es sogar fein kurvig dahin. Doch überwiegend sind es nur Geraden. Die Nadeln der Pinien liegen dicht am Rand des Weges. Und in der Mitte manchmal auch. Dann sind es nur zwei schmale Radspuren, die durch das Naturreservat führen. Mit der Sonne und dem trockenen Waldboden geben die Nadeln einen hübschen, hellbraunen Aufputz. Und beim Drüberfahren knackst es manchmal, wenn sich die trockenen Nadeln aneinander oder am Boden reiben oder brechen.

 

Etwas nervig wird das Fahren nur in den Städten. Der Radweg ist dort durch die Randgebiete angelegt. Doch Richtung Zentrum führen jede Menge Straßen, die der Radweg queren muss. Und jedes Mal heißt es abbremsen, stehen bleiben, Straße queren, Fahrt aufnehmen, Rhythmus finden. Am meisten störten mich jedoch die Randsteine, mit denen der Radweg unterbrochen ist. Sie grenzen das Straßenniveau ab, und sind entweder erhöht oder vertieft. Es holperte also bei jeder Straßenquerung kräftig. Die Packtaschen haben das noch weiter verstärkt. Das fand ich heute etwas störend während des Tages.

 

Irgendwann hat mich dann das Hinweisschild mit „Dune du Pilat“ angelockt. Aber so ist es anscheinend noch vielen anderen ebenfalls ergangen. Je näher zur Düne, desto größer der Zustrom. Und irgendwann war es dann eine Menschenschlange, die sich maskentragend dicht an dicht Richtung Meer wälzte. Da habe ich es gelassen. Ich habe mir nur die Postkarten und Poster der größten Wanderdüne Europas im Vorbeigehen angeschaut. Von oben aus der Vogelperspektive beeindruckt sie mit ihren fast 3 Kilometern Länge und der Breite von 500 Metern am meisten. Doch so ein Foto hätte ich auch mit Hochhüpfen nicht geschafft. Schließlich ist sie selbst ja schon 100 Meter hoch. Riesengroße Düne mit kräftigem Rummel. Zumindest nah dran war ich jedenfalls.

 

Nah dran war ich dann in Arcachon auch bei den Austernzüchtern mit ihren Metallkäfigen, Arbeitsbooten, Wasch- und Sortieranlagen und den Aufzuchtbecken. Mit dem Rad konnte ich entlang des Kanales fahren. Dort waren zum Stopfen der Löcher im Weg hie und da auch Muscheln verwendet worden. Und Muscheln suchten wahrscheinlich die vielen Badenden dann auch am Strand. Eigentlich waren es nur Sonnenbadende. Denn im Wasser war kaum jemand zu sehen. Da waren nur Boote, und dies ebenso zahlreich wie die Leute am Ufer.

 

1. September 2021

Geräusche

Am frühen Morgen um halb sechs Uhr höre ich entfernt einen Hahn krähen. Ich wundere mich. Da bin ich am Meer, und höre doch Geräusche vom Land. Und dann setzt sich das muntere Hahnenkrähen weiter fort. Der erste scheint noch andere wachgerufen zu haben. Jedenfalls antworten noch ein paar auf seinen Ruf. Zwar weit entfernt, doch laut genug, dass ich in meinem Schlafsack endgültig wach bin, und das früher als sonst üblich.

 

Die Geräusche bestimmen dann meinen Morgen im Zelt. Weil es sonst ganz ruhig und still ist, kann ich einzelne Geräusche viel besser wahrnehmen. Nebenan scheint jemand einen Reißverschluss zu bedienen. Und dann tönt es so, als ob eine Ente vorbei watscheln würde. Die Badeschlapfen machen jedenfalls so ein ähnliches Geräusch. Kurze Schritte sind es. Dann ist die Frau wahrscheinlich am Weg aufs Klo. Das Rauschen der Spülung ist nämlich danach im Ansatz entfernt zu hören. Das Watscheln zurück am Asphalt auch, und das Öffnen und Zuziehen der Reißverschlüsse am Zelt ebenso. Eine Taube scheint das auch mitbekommen zu haben. Sie ruft oder gurrt irgendwas von oben runter.

 

Dann bin ich nochmals eingeschlafen. Wahrscheinlich haben mich die anderen dann gehört. Irgendwann nach 8 Uhr bin ich aber doch aufgestanden, geweckt von Autotüren, Geschirrgeklimper, Stimmengewirr, und einem zarten Sonnenstrahl durchs Zeltgewebe.

 

Die Route führte mich den ganzen Tag durch Kiefernwald dem Meer entlang. Am Vormittag war er ganz dicht und hoch. Später wurde die Waldlandschaft dann offener. Es gab mehr Aufforstungsflächen, und auch mehr Farn zwischen den Bäumen. Und auch einen besseren Untergrund am Radweg. Da war es lässig zum Fahren. Sogar mit ein wenig Kurven und einem leicht welligen Auf und Ab durch Dünen. Vorangekommen bin ich dabei ziemlich flott.

 

Etwas Regen hat es später auch noch gegeben. Jedoch nur ganz kurz. Oder ist der Regen schon kurze Zeit vor mir durchgezogen, da die Straße nass war. Der Übergang war ein Gedicht. Es war gleich etwas kühler. Und die Luft hatte einen feucht-erdigen Geruch. Das hat mir gefallen. Auch kam mir vor, als ob das Grün der Farne gleich noch intensiver wurde. Dass es dennoch nicht in einen Dauerregen überging, das hat mir auch gefallen. Und das Wiederaufkommen des zarten Blau am Himmel auch. Und Berge habe ich auch noch erspäht. Die Pyrenäen sind schon ganz nah.

 

2. September 2021

Hügelig mit fordernden Anstiegen

Ich fahre weiter auf der Vélodyssée, der Radwegroute am Atlantischen Ozean. Sie führt vom Nordkap bis nach Portugal. Ich bin ihr schon von Belgien her weitestgehend gefolgt. Doch heute bin ich eher gemächlich am Weg. Und dann trage ich noch eine rote Regenmütze und eine grüne Regenjacke. Gamaschen schützen die Füße. Es nieselt nämlich seit dem Morgen recht stark und stetig. Das bremst meinen Tatendrang merklich. Darüber hinaus ist der Radweg heute von weniger guter Qualität. Es gibt immer wieder Baumwurzeln, die den Asphalt aufgebrochen haben. Und das über viele Kilometer. Am Horizont vorne schaute es immer so aus, als ob es bald aufhören würde zu regnen. Doch diese Grenze verschob sich mit jedem gefahrenen Kilometer. Erst gegen Mittag ließ der Regen nach. Es trocknete rasch auf. Ohne Wind war es dann ein schwüler Sommertag.

 

Bei einer Pause auf einem kleinen Stadtplatz vor einer Kirche hatte ich einen guten Rundumblick. Die Ortschaft war etwas erhöht. So konnte ich in die baskischen Hügel und nach Spanien hineinschauen, soweit es die Wolkendecke zuließ. Ein Franzose sprach mich dabei an, wobei er sehr mein Fahrrad musterte. Weil ich mir über die weitere Route noch keine fixen Gedanken gemacht hatte, schlug er mir die Fortsetzung der Vélodyssée vor. Er sei sie schon mal bis nach Gibraltar runter gefahren, und es hätte ihm gefallen. Und mit so einem Fahrrad wie meinem ließe sich das sowieso gut machen. Ich habe ihn dann nicht gefragt, ob er gleich nach Afrika weiter sei. Diese Frage ist mir erst danach eingefallen, als ich schon wieder am Rad saß.

 

Das Passieren der spanischen Grenze war unspektakulär. Doch was sich schon kurz davor jedenfalls geändert hatte, war das Streckenprofil. Statt flach und gerade war es jetzt ein stetiges Auf und Ab. Dabei gab es gar ein paar kurze ruppige Anstiege. Das mag ich gar nicht, wenn ich keinen gleichbleibenden Rhythmus aufbauen kann. Das schnelle Wechseln zwischen Auf und Ab finde ich mühsam. Ohne Gepäck vielleicht, doch so hatte ich echt meine Mühe. Und mit dem schwülen Wetter war es eine schweißtreibende Angelegenheit. Da staunte ich ein bisschen. Denn bisher war mein Trikot noch jeden Tag trocken geblieben. Doch jetzt war es anders.

 

Und anders zeigten sich auch die Ortschaften. An das Baskische muss ich mich wohl erst gewöhnen. So auf die Schnelle war es mir nicht gleich zugänglich. Wird hoffentlich noch kommen, dachte ich mir am Abend. Während sich draußen ein Gewitter mit Starkregen entlud, lud ich mir wenigstens das Spanischwörterbuch auf mein Telefon. Soweit waren meine Reisevorbereitungen bisher noch nicht gediehen.

 

Im Baskenland

3. September 2021

Bergpromenade mit Ausblick

Bei verhangenem Himmel starte ich los. Das Grau des Himmels passt zur Landschaft und dem was ich dort in den Tälern sehen kann. Industrieanlagen und Lagerhallen, eine um die andere. Viele beschäftigen sich mit Metallbau. Immer wieder kann ich durch die offenen Tore in düstere, große Werkstätten sehen. Schweißen, Schleifen, Hämmern. Dazu an- und abfahrende Lastautos. Sie dominieren die Täler Richtung Bilbao. Und dazu eine in die Landschaft geklotzte Autobahn. Monströse Brücken über Dörfer, Taleinschnitte, Berghänge. Die von mir gewählte Route ist auf einer Karte sicher nicht in grüner Farbe dargestellt. Grau wäre besser passend.

 

Als ich kurz Pause mache und eine Banane verschlinge, probiere ich zum ersten Mal auf Spanisch Hallo zu sagen. Das „Hola“ kam anscheinend auch mit vollem Mund gut rüber. Ein Spaziergänger hat es erwidert. Und dann deutete er auf seinen Bauch und meinen, und machte mit den Händen Kurbelbewegungen. Wir mussten beide lachen. Ja, Radfahrerstatur hatte er keine. Dafür ein freundliches Gemüt. Und einen Regenschirm auch noch. Den hätte er mir kurze Zeit später leihen können. Doch ich konnte bei einem Haus unterstehen. Zum Glück regnete es nur ganz kurz, und störte mich nicht weiter.

 

Etwas störend fand ich nur die Hinweisschilder an der Straße. 10 Prozent, 14 Prozent, 7 Prozent, 12 Prozent. Auch wenn es keine großen Bergwertungen waren, steil waren sie jedenfalls für mich mit meinem Gepäck. Den ersten Gang hatte ich heute also gleich ein paar Mal und für längere Zeit aufgelegt. Und dass ich Schieben musste, das war nicht nur des Untergrundes wegen. Auf einen Wanderweg bin ich dann auch noch geraten, dem Vorschlag meines Navi folgend. Zuerst hatte ich mich geärgert ob der Routenwahl, und dann beim Schieben ob des weichen lehmigen Bodens. Doch als ich oben war, hatte ich mich dann dennoch gefreut. Gefreut weil geschafft, und gefreut, weil es dann längere Zeit und fein kurvig dahin ging. Und das durch eine Landschaft, die sich nahe zu Bilbao viel freundlicher und weit offener zeigte.

 

Für die Stadtsicht auf Bilbao, der Hauptstadt des Baskenlandes, musste ich nochmals kräftig kurbeln. Es ging steil einen Hügel hoch. Doch der Blick von oben und das Fahren auf der Bergpromenade hat dann die Mühe belohnt. Der Schlussanstieg hat sich eher zufällig so ergeben. Ich war dann dennoch zufrieden, als ich unten das Guggenheim-Museum mit seiner imposanten Architektur und den Titanplatten am Flussufer hervorstechen sah. Schon toll, dass ein Gebäude oder dessen Formen und Materialien so eine Anziehungskraft und Ausstrahlung entwickeln können. 

 

4. September 2021

Carretera o Pista

Der erste Weg führt mich heute zum Guggenheim-Museum. An der Flusspromenade sind ein paar Jogger unterwegs. Ihr Weg führt auch beim Museum entlang. Doch dort bin ich dann tatsächlich allein. Das hat mir gefallen. Gestern Abend war noch einiges los rund um dieses Zentrum. Also genieße ich jetzt die Atmosphäre umso mehr.

 

Den Weg raus aus der Stadt teile ich mit vielen Rennradlern. Ein Samstag bei gutem Wetter lockt anscheinend zahlreiche an. Und es sind auch Fußgänger auf der breiten Straße unterwegs. Sie ist für Autos gesperrt. Die haben dafür freie Fahrt auf der nahen, vielspurigen Autobahn. Bei einer Abzweigung des Radweges machen mich zwei Mountainbiker aufmerksam, dass ich auf dem Radweg weiterfahren müsse. Sie halten mich für einen der Pilger nach Santiago, und deren Weg führt eben auf dem breiten Rad- und Fußweg entlang. Sie sind sehr bemüht, es mir zu erklären. Nur mit ihrem Spanisch komme ich nicht klar, und sie nicht mit meinem Englisch. Ich zeige ihnen meine Routenidee am Navi. Das verunsichert sie noch mehr. Carreta oder Pista ist ihre Frage? Und ich bejahe beides. Scheinbar eine ausweglose Situation für sie. Also fahren wir auf dem Schotterweg, der Pista, gemeinsam weiter. Via Verde ist angeschrieben. Es dürfte mal eine Eisenbahntrasse gewesen sein. Flach schlängelt sich der Weg durch die grüne Landschaft. Es gefällt mir.

 

Irgendwann kommt eine Tafel mit einem Plan der Gegend. Die beiden Basken bleiben erneut stehen. Sie versuchen ihr Glück auf ein Neues, mich zum Umkehren bewegen zu können. Ihren Gesten nach erwartet mich beim Wechsel auf meine Route ein steiler Aufstieg im Wald. Und das auf Schotter oder einem Untergrund, den sie für mich nicht fahrbar einschätzen. Doch ich bleibe stur. Schotter sei kein Problem, und Anstiege auch nicht, war meine Antwort. Keine Ahnung, ob sie mich verstanden haben. Kopfschüttelnd geben sie auf. Sie fahren zügig weiter. Ich folge entsprechend langsam. Auf Schotter ist es doch etwas mühsam für mich.

 

Nach einigen Kilometern bin ich dann weichgerüttelt, als ich zur Abzweigung auf meine Bergroute komme. Den Weg vor Augen zweifle ich, ob es wirklich eine gute Idee ist. Doch ich probiere es mal ein paar Kurven. Dann kommt mir ein Baske zu Fuß entgegen. Er deutet vehement ein „No“ für mich. Er quasselt weiter auf mich ein, obwohl ich außer dem No nichts verstehe. Da gebe ich auf. Seine Vehemenz im Vortrag und die Wegbeschaffenheit lassen mich tatsächlich umkehren. In der Ortschaft wechsle ich auf die geteerte Carretera. Die Nationalstraße geht auch den Berg hoch. Ich habe ziemlich Mühe. Oben bin ich froh, dass ich nicht irgendwo weiter unten im Wald auf Schotter am Schieben bin. Das wäre voll daneben gegangen. Zufrieden brause ich dann am Schild Kantabrien vorbei runter ins Tal, und weiter ans Meer. Dort freue ich mich über die zurückgewonnene Sicherheit der Orientierung. Rechts das Meer. Dann kann mein Weg nur links davon weitergehen. Das ist bis hierher immer gut gegangen.

 

Kantabrien und Asturien

5. September 2021

Edle Spanier und andere

Am Vormittag war meine Routenwahl ganz gut gelungen. Über kleine Straßen fuhr ich durch eine ländliche Gegend. Kurvig und ein wenig hügelig, ohne Verkehr. Die Wiesen waren meist mit Steinmauern abgetrennt. Dazwischen immer wieder Wald. Pferde waren auch zu sehen. Viel Kaltblut und keine edlen Spanier. Zumindest keine auf meiner Tour heute.

 

Die edlen Spanier waren dafür auf der Straße zu sehen. Es kamen mir viele Rennradler entgegen. Oft auch in größeren Gruppen. Und wenn mich einer überholte, so dachte ich mir, dass sie schon schicke, edle Carbonrenner haben. Und die Trikots meist farblich angepasst, überwiegend bunt. Geschniegelt und gestriegelt kamen sie daher. Vielleicht weil Sonntag war. Doch es gab natürlich auch einige Kaltblütler bei den Rennrädern, und stämmig kräftige Fahrer ebenso. Denen sah man dann das Sonntagsradeln richtig an. Ein Laut der nach „Hola“ oder ähnlich klang, oder ein Handzeichen, oder ein Kopfnicken gab es von vielen. Und von mir natürlich auch.

 

Nach Santander setzte ich mit einem kleinen Boot über. Das Ein- und Aussteigen war durchaus spannend. Denn es gab keinen Steg. Dafür sicherte jemand vom Boot aus, dass niemand ins Wasser fiel.

 

Am Nachmittag bin ich dann einer größeren Straße gefolgt. Es ist hier gar nicht so einfach, immer der Küste entlang zu fahren. Denn die Straßen gehen eher nur vom Landesinneren zu den Küstenorten hin, und weniger zwischen diesen hin und her. Und eine Autobahn gibt es hier natürlich auch, oder vielleicht auch mehrere. Sie sind wenig feinfühlend in die Landschaft integriert. Eher gar nicht integriert, sondern einfach dahingeklotzt mit vielen Spuren und Brücken.

 

Wenn ich durch Orte kam, so waren die Bars und Lokale immer gut besucht. Den Eindruck hatte ich den ganzen Tag. Und diskutiert wird jedenfalls laut. Müssen sie ja auch, denn die Tische sind alle zur Straße hin ausgerichtet. Und dort ist einiges los. Doch der Verkehr scheint sie nicht zu stören. Ich glaube, Spanien ist ein Autoland. Es gibt zwar viele Sportradler, doch Alltagsradler habe ich nur ganz wenige wahrgenommen. Doch vielleicht sind die in anderen Regionen unterwegs. Oder machen gerade Ferien, so wie ich. 

 

6. September 2021

Gemüseeintopf mit Reis

Die ersten Kilometer waren heute absolut toll. Mit der erst kurz aufgegangenen Sonne im Rücken war es ein feines Licht. Die Farben zeichneten sich ganz klar ab. Ich war für einige Kilometer auf einer kleinen Straße unterwegs. Ländliche, bäuerliche Umgebung, mit Blick auf das ruhige Meer und schwarze Siloballen. Sie konnten beim Vorbeifahren trotz der Folierung ihren Gärgeruch nicht unterdrücken. Von den kleinen Bauernhöfen war Hühner Gegacker zu hören. Dazu Eselsrufe, das Muhen von Kühen, Hundegebell. Und ich mitten drin am Radeln, mit leichtem Auf und Ab und den Kurven zwischen den Steinmauern am Wegesrand. Beim Zurückschauen glitzerte es silbern am Wasser. Das waren feine Kilometer auf diesem Weg abseits von der Hauptstraße.

 

In den kleinen Dörfern und Städten trugen sie gerade die Stühle und Tische vor die Bars. An einigen saßen schon ein paar Männer am Palavern. Wenn sie auf der Straße am Weg waren, dann trugen viele einen Stecken mit sich. Keine Ahnung welche Bedeutung er hat. Denn zum Laufen oder Abstützen brauchten sie ihn nicht.

 

Später war ich dann recht nah zur Küste unterwegs. Asturien kann mit vielen Buchten aufwarten. Und bei einigen bin ich extra zum Meer hingefahren, wenn es sich leicht machen ließ. Oder konnte vom Weg weit oben runter schauen auf die Buchten und das türkise Wasser, in dem sich in Ufernähe der Sandboden abzeichnete.

 

Irgendwann am Nachmittag hat mich in einem Anstieg ein Rennradler überholt. „Vamos“ rief er mir zu, und fuhr sein atemberaubendes Tempo weiter. Ich dachte, dass er vielleicht bei der Vuelta mitgefahren sein muss, so flott war er am Weg. Und mit seinen weißen Socken mit rosaroten Punkten hat er mich ebenfalls beeindruckt. Sie passten gut zu den weiß-rosa Schuhen und dem dunkelblauen Trikot. Von der Statur her könnte es Alberto Contador gewesen sein. Oder ist mir dieser Name eingefallen, weil ich sonst keinen aktuellen spanischen Rennradfahrer nennen kann. Während ich in meinem Tempo weiter langsam hochkurbelte, war er am Horizont längst entschwunden.

 

Am Abend gab es dann auf einem Campingplatz am Meer noch eine feine Überraschung von den Zeltnachbarn. Vier sympathische Studenten aus Köln luden mich zum Abendessen ein. Ganz unerwartet und einfach so. Hat mir gefallen, die Einladung, ihre Art, und das selbst Gekochte. Es gab einen veganen Gemüseeintopf mit Reis. Und ich durfte gleich den ganzen Topf leerputzen. Hunger hatte ich ja, und gut zubereitet war es auch.

 

7. September 2021

Ein Künstler am Werk

Schon gestern ging mir ein Satz immer wieder durch den Kopf: „Du weißt nicht, was genug ist, bevor du nicht weißt, was mehr als genug ist.“ Ich habe ihn online aus einer launigen Rede aufgeschnappt. Dort ging es um das Ausprobieren wie weit jemand gehen kann, um bei der nächsten Rede Maß halten zu können. Ich habe jedoch den Zusammenhang mit meinem Hinterreifen hergestellt. Er ist mit 5.000 Kilometern schon reichlich abgefahren. Soll ich warten bis er vielleicht unterwegs platzt, oder vorher sicher wechseln, weil es genug ist?

 

Das rechtzeitige Wechseln schien mir die vernünftigere Variante, auch wenn er vielleicht noch ein paar Kilometer mehr halten könnte. Ich nahm mir vor, es heute in Gijon in einer Werkstatt machen zu lassen. Doch am Weg dorthin sah ich eine Tankstelle und dachte, dass ich es ja auch selber machen kann. Druckluft zum Pumpen gab es dort. Also Packtaschen weg, Fahrrad auf den Kopf gestellt, Hinterreifen raus, Luft ebenso. Und mit Schwung den alten Reifen runter. Der Tankwart schaute mir dabei zu. Dann wiederholte er mein „Scheiße“ oder etwas ähnlich Klingendes, halt nur auf Spanisch. Das Felgenband hatte sich nämlich teilweise mit abgelöst. An eine neuerliche schlauchlose Montage war nicht zu denken. Ach, wäre ich doch nur bis zur Werkstätte gefahren, ging mir durch den Kopf. Und Schweißperlen begannen sich festzusetzen, von der heißen Sonne und vom Ärger.

 

Und schnell machte sich auch Ratlosigkeit breit. Doch irgendwann fand ich wieder meine innere Ruhe. Ich wischte die ganze Felge trocken. Dann rieb ich die verklebten Dichtmittelreste runter, zupfte das Band wieder zurecht, und klebte es mit Sekundenkleber fest. Den hatte ich schon in der Normandie als Reparaturmittel gekauft, weil sich eine Schuhsohle etwas löste. Auch heute tat er seinen Dienst. Gerne wäre ich schlauchlos weitergefahren. Doch jetzt legte ich einen Ersatzschlauch in den neuen Reifen. Mit erheblichem Krafteinsatz und Würgen konnte ich diesen dann auch ganz aufziehen. Das laute mehrmalige Klacksen beim Aufpumpen beruhigte mich. Der Reifen schien also gut im Felgenbett zu sitzen.

 

Dass mir Hugo, der Tankwart, zwischendurch eine Frage zeigte, hatte mich nicht aus der Ruhe bringen können. „Schon mal einen Reifen gewechselt?“ war da via Google-Übersetzung am Telefon zu lesen. Na ja, vom Zuschauen und vom Zeitaufwand konnte man wirklich daran zweifeln. Doch irgendwann am späten Vormittag schnallte ich die Packtaschen wieder an und setzte meine Fahrt fort. Beim Hafen in Gijon, dort wo die Fahrradwerkstätte war, habe ich bewusst Richtung Meer geschaut. Das fand ich in diesem Moment eindeutig passender.

 

Dass ich dann noch für kurze Zeit auf kleinen kurvigen Straßen in ländlicher Umgebung mit Blick aufs Meer und dessen Buchten unterwegs war, tat mir auch gut. Zum Vormittag ein versöhnlicher Ausgleich. Es war zwar ebenso schweißtreibend, das küstennahe Auf und Ab unter der heißen Sonne. Doch der neue Reifen mit Schlauch rollte vertrauenserweckend dahin. In einem Aufstieg zollte mir ein spanischer Rennradler Respekt. Mit Gepäck würde er es nicht schaffen, war mit Lachen sein Kommentar. Und ich dachte, das ist doch easy, Reifenmontieren ist viel schwieriger. Zumindest dann, wenn ich es unterwegs schlauchlos versuche, und kein Felgenband als Ersatz dabei habe.

 

8. September 2021

Imposante Brücken

Geweckt von einem nicht enden wollenden Gockelkonzert aus mehreren Himmelsrichtungen war ich schon früh wach. Doch das passte mir gut. Ich wollte ja auch früh los. Für den Nachmittag war nämlich Regen prognostiziert. Meine Unterkunft hatte ich gestern eher aus einer Not heraus gefunden. Da hatte es gegen Abend auch zu regnen begonnen. Und daher kam mir das kleine Hotel Rural Foncubierta auf meiner Route gerade gelegen. Der Inhaber ist ein junger Spanier aus Madrid. Er hat einige Jahre in Holland gearbeitet und das Hotel erst vor ein paar Monaten übernommen. Beim Ankommen gestern freuten wir uns beide, dass wir uns auf Englisch gut unterhalten konnten. Weil andere Gäste erst später kamen, war es ein gar längeres Tratschen.

 

Zum Frühstück wollte ich eigentlich nur etwas Brot und Käse, und das als Jause zum Mitnehmen. Doch Martial bestand darauf, dass ich unbedingt in seinem Hotel frühstücken müsse. Er würde es extra für mich früher zubereiten. Als ich am Morgen in den Gastraum kam, holte mich Martial zu ihm in die Küche. Er meinte, dass dann andere im Haus nicht gestört werden. Es war nämlich etwas hellhörig. Also konnte ich ihm beim Vorbereiten zuschauen. Das hat mir gefallen. Ein bisschen reden und nebenbei erklärt zu bekommen, was dann alles auf den Tisch komme. Und auch noch zu sehen, wie geschickt er in der kleinen Küche hantiert. Ein Frühstück ganz besonderer Art. In der Küche war er noch in kurzer Hose und im T-Shirt. Doch später war er dann ganz Hoteldirektor. Das Paar am Nebentisch hat er schick im weißen Hemd und langer Hose nach ihrem Befinden befragt. Die erwähnten lustigerweise auch das Krähen der Hähne zuerst. Ich selber wollte dann gar nicht mehr so unbedingt schnell los. Denn diese Art von Gastfreundschaft länger zu genießen wäre auch ganz ok gewesen.

 

Doch das Fahren auf meiner Route war dann auch ganz ok. Zwar hatte ich die Nationalstraße gewählt. Nur war dort absolut nichts los. Es war also fein, fast allein durch die bewaldeten Taleinschnitte zu fahren, mit Auf und Ab und kurvigem Hin und Her. Und dazwischen hie und da einen Blick aufs Meer zu werfen. Zuerst dachte ich, dass mich die laut Karte nahe Autobahn stören wird. Doch von dort war kaum Lärm zu hören. Dafür führte meine Straße immer wieder unter deren kolossalen Brücken durch. Ja, wer früher die Welt mit Schiffen erobert hat, der erobert das eigene Land jetzt mit Brücken, und das ebenso martialisch, ging es mir durch den Kopf.

 

Am Nachmittag kam dann Regen auf. Es zogen immer wieder kleine Fronten durch. Ich probierte es zuerst mit Unterstehen bei einer Brücke. Dann bei einer Tankstelle. Und recht lange auch bei einer Bushaltestelle. Während ich dort trockenen Fußes eine Regenpause abwartete, zogen andere Radler im Regen vorbei. Hier sind viele am Jakobsweg nach Santiago. Nicht nur zu Fuß, sondern auch mit dem Rad. Bon Camino war als Zuruf den ganzen Tag über zu hören. Einige waren gut eingepackt. Andere hatten glaub die Regendauer unterschätzt und waren sichtlich durchnässt. Oder hatten vielleicht auch gar keine Regensachen dabei. Und ein paar behelfsmäßige Improvisationen mit Plastiksäcken oder dünnen Regenponchos gab es auch zu sehen. Wahrscheinlich wollten alle noch schnell irgendwie ihre Tagesetappe zu Ende fahren, und wie ich zur nahen Stadt. Die war dann schon in Galizien. Ich kam später auch dort hin, obwohl bei meinem Warteplatz nie ein Bus aufgetaucht ist.

 

9. September 2021

Etwas zum Schmunzeln

Das Erzählen einer lustigen  Geschichte bei der Hotelsuche in Ribadeo ist sich gestern nicht mehr ausgegangen. Ich hole es heute nach.

 

Ich war recht flott unterwegs. Die Straße gab es her, meine Beine waren gut. Wenn der angekündigte Regen nicht zu früh kommt, dann könnte ich es bis Ribadeo schaffen. Den Ort hatte ich gut in Erinnerung. Ich war vor 4 Jahren bei meiner Spanischen Schleife schon mal dort durchgekommen. Damals hatte ich zufällig ein geniales Hotel gefunden, sogar mit vegetarischer Küche. Und da wollte ich jetzt unbedingt wieder hin. Darauf freute ich mich. Den Namen des Hotels wusste ich nicht mehr, nur ungefähr seine Lage. Vor der Weiterfahrt nach einer Pause suchte ich zur Sicherheit auf Google-Maps die Hotels ab, die es sein könnten. Ein Name stach hervor. Ja, das wird es sein, dachte ich mir. Dann checkte ich es noch über Booking ab. Das Foto passte zu meiner Erinnerung. Jawohl, genau, ein Gebäude im Kolonialstil, rosa Farbe. Das ist es. Dann fuhr ich weiter. Zwischendurch gab es zwar ein paar Regentropfen, doch sie störten mich nicht. Ich hatte ja mein Ziel.

 

Bei der Fahrt Richtung Zentrum von Ribadeo waren Wegweiser zu den Hotels. Mein Gesuchtes war auch mit dabei. Also zwei Kreuzungen, dann noch ein Kreisverkehr, eine Abbiegung rechts, und es gab nur noch das Hinweisschild mit meinem Hotel. Ich fuhr die enge Gasse weiter. Dann sah ich bei einer Abzweigung vorne eine Ecke eines rosa Gebäudes hervorragen. Ah, genau, die Straße kommt mir auch bekannt vor, ich erinnere mich. Viele große bunte Kugeln auf den Asphalt aufgemalt. Die erkenne ich wieder. Und beim rosa Gebäude angekommen sah ich auch den mir bekannten Hoteleingang daneben. Ich freute mich, und ging hinein.

 

Die Rezeption war ein alleinstehender Tisch mitten in einem großen, hohen Raum. Es war niemand zugegen. Doch die Türe in den Garten und zum dortigen Restaurant war offen. Also ging ich in diese Richtung. Ich erinnerte mich an das Restaurant, das feine Essen, und sah auch die kleine Garage daneben, wo ich mein Fahrrad abgestellt hatte. Alles noch so wie früher, hatte ich den Eindruck.

 

Dann kam mir eine Frau entgegen. Ich fragte nach einem freien Zimmer, und wir gingen gemeinsam zum Tisch der Rezeption. Dort waren einige Reservierungen mit den Schlüsseln schon vorbereitet. Die Frau war der Meinung, dass ich reserviert hätte, und suchte die Zettel nach meinem Namen ab. Da erklärte ich, dass ich keine Reservierung gemacht hätte, doch vor 4 Jahren schon mal hier gewesen sei, und gerne wieder für eine Nacht buchen möchte, weil es mir damals so gefallen hat.

 

Doch all meine schönen Erinnerungen nützten nichts. Meinen Wunsch zu bleiben konnte sie nicht erfüllen. Sie wären ausgebucht, sagte sie gleich mehrfach, und das schon länger. Da war ich ganz perplex. Ich sagte, dass erst mittags noch auf Booking freie Zimmer ausgewiesen waren. Ich hätte das unterwegs abgecheckt. Ich suchte zur Bekräftigung meines Argumentes die Bookingseite nochmals auf, und zeigte sie ihr. Hier, ein rosa Gebäude, Hotel mit freien Zimmern. Die Frau schaute mich etwas erstaunt an: Das wäre aber nicht ihr Hotel. Das sei ein anderes. Und dann begleitete sie mich nach draußen, und deutete auf die Farbe des Hauses. Ui, das Haus war blau. Richtig kräftig blau, und keinesfalls rosa. Rosa war nur die andere Haushälfte. Doch die war kein Hotel. Die Frau musste lachen, und ich mit ihr. Mein Missgeschick war mir dabei gar nicht peinlich. Denn im Zimmer im ersten Stock gleich über der Eingangstür hatte ich ja tatsächlich schon mal übernachtet. Doch die Booking-Recherche, die ging gründlich daneben.

 

Das einige Stunden zuvor herausgesuchte und an der Straße angeschriebene rosa Hotel war um zwei Ecken weiter. Die Frau vom blauen Hotel wies mir dann den Weg zum rosa Hotel. Dort war dann auch tatsächlich ein Zimmer verfügbar, und günstig noch dazu. Pah, Sachen gibt’s, die können glaub nur mir passieren. Also falls ich wieder mal nach Ribadeo komme, dann werde ich gleich zum rosa Hotel fahren. Denn in der Casona de Lazurtegui lässt es sich auch aushalten. Und falls ich es nicht gleich finde, beim blauen Hotel wissen sie, wo das rosa Hotel ist.

 

Und zum heutigen Tag: Vormittag ganz gut. Am Nachmittag leider anhaltender Regen. In einem kurzen Sonnenfenster freute ich mich schon, dass ich doch noch mein geplantes Ziel an der Nordwestküste erreichen könnte. Doch kaum gedacht, gab es vom Vorderrad ein Geräusch. Ein kleiner scharfer Stein hat im Reifen ein Loch hinterlassen. Dichtmittel spritzte aus dem Reifen. Trotz der Misere war es lustig anzuschauen, wie sich das Dichtmittel und Luftblasen mit dem Regenwasser der Straße vermischten. Und bei jeder Umdrehung konnte ich sehen, dass das Schauspiel weiter anhielt.

 

Ein kurzer Zwischenstopp bei einer Autogarage zum Aufpumpen half nicht. Wahrscheinlich war schon zu viel Dichtmittel ausgetreten. Also selbes Prozedere wie erst vorgestern. Es dauerte jedoch nicht mehr so lange. Mit Schlauch und frischer Luft ging es rasch weiter. Aber auch nur kurz. Es zog wieder Regen auf. Und weil gerade eine kleine Pension am Weg lag, beschloss ich die Etappe etwas abzukürzen. Am Abend sah ich dann, dass es von Brest in der Bretagne bis hierher nach Ortigueira an der Nordwestküste Spaniens geradeaus 2.000 Kilometer waren. Das passte mir dann zum Abschluss des Biskayabogens ganz gut.