Die Schleife fertig knüpfen

17. September 2022

Große Augen am Morgen und ein feines Motel am Abend

Gestern wollte ich eigentlich in einem Motel übernachten, nach einem langen Tag etwas mehr Komfort haben als beim Zelten. Doch wegen einer Feuerwehrveranstaltung war in dem Ort alles ausgebucht. Ein richtiges Remmidemmi war bei der Durchfahrt mein Eindruck, in dem auch sonst sehr touristisch geprägten Old Forge. Also wurde es wieder eine Nacht im Zelt.

 

Doch auch am Zeltplatz war es laut, und einiges los. Verfrühtes Halloween, da Ende Oktober niemand mehr kommen würde. Alle Kabinen waren mit irgendwelchen Gruselgestalten dekoriert und discomäßig beleuchtet. Am Hauptplatz laute Musik und irgendwelche Events für Kinder. Zum Glück war der mir zugewiesene Platz weit am Rande. Gefallen wollte er mir aber dennoch nicht. Es war ein nasser Sandboden, der überall haften blieb. Und meine Essenssachen hätte ich beim Hauptgebäude am Eingang bärensicher deponieren müssen. Das wollte ich im abendlichen Dunkel und angesichts des Halloweenzaubers nicht machen. Ich wählte als Ersatz die Sanitäranlage in der Nähe. Und hielt die Vorsichtsmaßnahme sowieso für überflüssig, weil so viel los am Platz.

 

Doch am Morgen machte ich dann große Augen. Während ich mein feuchtes Zelt beim Einpacken noch irgendwie vom Sand befreien wollte, trottete tatsächlich ein Schwarzbär vorbei. Mir schenkte er zuerst keine große Aufmerksamkeit. Vielleicht war er beleidigt, weil er kein Essen fand. Doch beim Fotografieren tat er etwas scheu. Er verschwand gleich im Unterholz. Keine Ahnung, ob er in der Nacht auch schon nahe zu mir am Weg war, oder nur im Morgengrauen.

 

Am Abend sagte man mir im Motel, dass es in der Gegend hier mehr Schwarzbären als Einwohner gäbe. Und David, der Inhaber, zeigte mir sein von Bärentatzen eingedrücktes Garagentor und die Kratzspuren an den Abfallcontainern. Speziell im Herbst seien die Bären auf Nahrungssuche sehr aktiv. Und mit ihrem feinen Geruchssinn würden sie alles wahrnehmen. Da könne man nicht vorsichtig genug sein.

 

Im Motel Sandy Point am Long Lake war ich zufällig gelandet. Davor ging es an unzähligen kleinen Seen vorbei, fuhr ich bei wenig Verkehr durch eine tolle Landschaft, und genoss das Auf und Ab und die Kurven im angefärbten Wald. Nur meinen Beinen wollte es heute nicht so gefallen. Die machten auf müde. Und vom Kopf bekamen sie Unterstützung. Ich dachte an die langen Tage davor, und dass es vielleicht wieder eine Nacht im Zelt wird, wenn ich es heute nicht bis zur größeren Stadt schaffe. In meiner Karte waren bis dorthin nämlich keine Unterkünfte eingezeichnet. Doch wie aus heiterem Himmel tauchte kurz nach Mittag am Long Lake ein Motelschild auf, und schon bog mein Lenker von selbst nach links ab.

 

Ich wurde freudig begrüßt und herzlich willkommen geheißen. Und als David nach seiner Frau Daniela rief, ging die Konversation auf Deutsch weiter. Sie hatten beide viele Jahre in Stuttgart bei IT-Firmen gearbeitet. Und irgendwann waren sie ausgestiegen. Sie wollten etwas anderes machen, und hatten mit ihrem Motel hier am See ihr Glück gefunden. Paradies fand ich als passenden Ausdruck, als ich mit ihnen auf der Veranda mit Blick auf Garten und See zum Lunch eingeladen war. Die Adirondack-Gegend in New York und der Long Lake sei im Sommer ihr Traum. Und den Winter verbringen sie in Venice in Florida. Dort schaffen sie sich gerade ein weiteres Paradies. Ich staunte beim Zuhören, wie andere ihr Leben und Arbeiten gestalten, und welche Werte sie hochhalten, und wie sie Zufriedenheit erlangen.

 

Ich bin mit meinem Radfahren auch zufrieden. Hie und da ist es anstrengend, manchmal sehr sogar, wenn ich mir viel vornehme. Oder wenn das Wetter nicht so recht mitmacht. Oder wenn etwas daneben geht. Aber sonst - genial, ein Geschenk jeden Tag, und ein Fest für alle Sinne. Diese runde, konstante Bewegung mit den Füßen, die Haltung am Rad, das Gleiten durch und Eintauchen in eine Landschaft. Das Riechen, Sehen und Hören der Natur, das Spüren des Fahrtwinds, das Freisein im Tun, das nach Lust und Laune unterwegs sein. Das sich Einlassen auf Überraschungen, das Ausgesetztsein dem Ungewissen, das Entstehen und Nichtgeschehen von Kontakten, das Erleben und Erkennen von Vielfalt und Unterschieden, das Angestoßenwerden, über sich selber nachzudenken, das Leben im Abenteuer. Am Radla, ich find es genial ...

 

18. September 2022

Leitplankenjause mit Kümmel

Beim Anziehen meiner Radsachen freue ich mich über deren Duft. Frisch gewaschen riecht doch anders als lang getragen. Und auf einen kalten Morgen eingestellt, ziehe ich gleich die warmen Sachen an. Doch wider Erwarten ist es gar nicht so kalt. Schnell bin ich Jacke, Mütze, Beinlinge und Handschuhe wieder los. Im weiteren Verlauf wird es aber ein Tag des An- und Ausziehens. Mal wird mir in einem Anstieg zu warm, und dann in der Abfahrt wieder zu kalt. Ich mache also mehrere Pausen heute. Wenigstens brauche ich die Regensachen nicht auch noch. Auf den zahlreichen Hügeln regnet es zwar immer wieder ein bisschen. Doch in den danach folgenden Abfahrten kann ich dem Regen immer davonfahren.

 

Die Strecke führt mich kurvenreich durch bewaldetes Gebiet. Auch wenn die Wolken tief hängen und alles düster wirkt, können mir die aufkommenden Farben der Bäume gefallen. Oder ich denke mir aus, wie so ein sich abzeichnendes kräftiges Ahornrot wohl bei Sonne ausschauen könnte. Der Übergang in den Herbst ist nämlich in vollem Gange.

 

Meine Jause oder vielmehr mein Mittagessen genieße ich auf einer Leitplanke sitzend vor einer Steigung. Es ist eine lange Gerade. Wenn oben auf der Kuppe ein Auto auftaucht, so kann ich in Ruhe gut drei Bissen von meinem “Jewish Rye Bread“ essen, bis es auf gleicher Höhe ist. Und bis es auch akustisch verschwunden ist, dauert es fast ebenso lange.

 

Das Roggenbrot hatte ich gestern in einem Laden entdeckt. Mit seinem hohen Kümmelanteil schmeckt es mir ausgezeichnet. Doch kaufen werde ich es nicht mehr. Denn die Inhaltsstoffe auf der Verpackung lesend sah ich auch den Hinweis auf eine gentechnische Modifizierung einiger Stoffe. Doch vielleicht gibt es dieses Kümmelbrot auch aus ganz natürlichem Korn und Gewürz. Dann wäre ich wieder dabei. Denn mit dem aufgeschlagenen Frischkäse ist es ein wahrer Genuss, egal ob bei Tisch oder bei zu erwartendem Nieseln auf einer Leitplanke sitzend irgendwo in den Adirondacks.

 

19. September 2022

Wettergrübeln und kräftiger Landregen

Es dreht sich wieder mal alles rund ums Wetter. Bei Regen am Rad ist es nämlich nicht so fein. Gestern am Abend noch war ich auf einen Pausentag eingestellt. Die Vorhersage ließ nämlich nichts Gutes für den heutigen Tag erahnen. Am Morgen suchte ich dann aber alle Wetterkanäle nochmals ab. “Should I stay or should I go“ hätte ich als Musikstück dazu passend auflegen können. Und nach einem längeren Grübeln der spontane Entschluss: Ich fahre. Zumindest für den Vormittag sollte es mit etwas Glück noch passen. Ruck zuck hatte ich meine Sachen gepackt, und düste ostwärts los.

 

Über der Ebene hingen die Wolken ganz tief. Von den Bergen war nichts zu sehen, obwohl ich in deren Richtung am Weg war. Auf der Fähre über den Lake Champlain war ich der einzige Fahrgast. Rund um war alles grau in grau, selbst das Wasser. Das Weiß der Führerkabine wirkte ebenfalls ganz blass. Der einzige Farbtupfer war das knallblaue Shirt der Frau, die mir das Ticket verkaufte. Heute wäre ein guter Tag für eine ganztägige Pause, war ihr Kommentar zu mir am Rad.

 

Doch ich war auf Radfahren eingestellt, und ließ mich auch in der nächsten Stadt nicht davon abhalten. Dort wären ein paar lässige Cafés gewesen. Vermont zeigte sich überhaupt sehr gefällig. Im “Green Mountain State“ wirkte alles sehr aufgeräumt. Englischer Stil dominierte die Häuser und Gärten, und mehr als nur ein bisschen auch die Landschaft.

 

Am späten Vormittag dann stieg die Straße recht steil an. Irgendwann müssen ja die Höhenmeter kommen, wenn es über einen Berg gehen soll. Den ersten Gang hatte ich schon lange nicht mehr verwendet. Doch heute hatte er einen Großeinsatz. Und ich war bester Laune. Das kurvenreiche Bergfahren durch den bunten Wald entlang eines Baches gefiel mir. Und das Wetter spielte auch mit.

 

“Not so bad“ fiel mir als Kommentar ein. Der Wetterbericht lag also falsch. Es hellte nämlich kräftig auf. Doch das zeigte sich dann wie eine kurze Ouvertüre zu einem mächtigen Schütter. Im Nu verfinsterten sich die Wolken, und ließen es prasseln. Mit der Regenkombi suchte ich Schutz auf der Holzveranda einer Villa an der Straße. Mal abwarten, war meine Devise. Und nach einer halben Stunde traute ich mich wieder aufs Rad. Zuerst in die Regensachen eingemummelt, und später bei der Bergwertung und Abfahrt dann sogar nur noch mit den Gamaschen unterwegs. Statt mir machte der Regen kurze Pause.

 

Mein Motel lag nicht unmittelbar an meiner geplanten Strecke. An der hätte ich dafür noch viel weiter fahren müssen, gar bis in den Abend hinein. Doch für ein sicheres Dach überm Kopf nahm ich einen kleinen Umweg in Kauf, und kürzte den Tag am Rad auch ab. Denn kaum das Zimmer bezogen, legte der Regen wieder los. Er wollte anscheinend der Wettervorhersage doch noch gerecht werden. “Heavy rain throughout the day“ war nämlich deren Programm. Und dazu noch Blitz und Donner.

 

20. September 2022

Bei Regen über die Berge von New Hampshire

Auf nasser Straße und leichtem Nebel fahre ich schon früh los. Unlustig schaut es aus. Doch mit Mütze und hochgezogenem Kragen tue ich so, als ob alles ok wäre. Und tatsächlich zeigen sich nach einer guten Stunde ein paar helle Flecken am Himmel, und auch auf der Straße. Na also, geht ja doch, denke ich mir. Und ich bin zufrieden, dass ich mich trotz schlechter Wettervorhersage auf den Weg gemacht habe.

 

Irgendwann am Vormittag und vor einer vielen Steigungen ziehen dichte schwarze Wolken auf. Zum Glück führt meine Strecke in ein anderes Tal. Ich komme mit ein paar nassen Tropfen davon. Und gegen Osten zeigt es sich dann auch ganz erträglich. Das passt mir viel besser so. Ein wenig Sonne tut immer gut, und hebt die Stimmung. Auch schmeckt der Macaronisalat aus Boston viel besser, wenn es einem beim Löffeln nicht friert. Und eine Hafermilch habe ich in dem kleinen Laden auch noch entdeckt. Außen unscheinbar oder fast etwas verkommen, war er innen dafür umso besser sortiert. Vielleicht hätte ich noch etwas Besonderes einkaufen sollen. Doch es ist mir erst beim Weiterfahren eingefallen, dass ich heute Vormittag ja die 10.000 Meilengrenze geknackt hatte. So beließ ich es bei stiller Freude. Ich werde im nächsten Laden dann daran denken.

 

Das Sonnenfenster blieb leider nicht den ganzen Tag offen. Am frühen Nachmittag setzte leichter Regen ein. Und das ausgerechnet vor dem letzten Berg. Die Regenkombi hält zwar den Regen ab, doch bei kräftigem Kurbeln komme ich auch ins Schwitzen. Zwei Motorradfahrer machen beim Überholen eine Faust, und strecken sie eine Zeit lang pumpend nach oben. Ja, bei dem Wetter ist nicht jeder am Weg, soll es wohl heißen. Und das gilt sowohl für sie wie auch für mich.

 

Der kleine See auf der Passhöhe ist von Nebel eingehüllt. Bei Sonne wahrscheinlich ein kleines Juwel, vermag er jetzt im Regen niemanden anzulocken. Nur ich bleibe stehen. Für die längere Abfahrt brauche ich eine Kleidungsschicht mehr. Als ich an ein paar verwaisten Campingplätzen vorbeifahre, behalte ich meine Geschwindigkeit bei. Bei so einem Wetter zieht es auch mich nicht hin. Das später gefundene Motel war zwar nicht gerade der Hit, doch jedenfalls ein trockener Platz. Und mit etwas Improvisation hatte ich auch für alle meine angefeuchteten Sachen einen Haken zum Aufhängen und Trocknen gefunden. Das wäre sich im Zelt sowieso nie ausgegangen.

 

21. September 2022

Am Kancamagus Pass dem Wetter trotzen

Meine Route führte mich auf dem bekannten Kancamagus Highway über die White Mountains, das Rückgrat von New Hampshire. Am Abend lese ich, dass der Mount Washington nicht weit entfernt ist. Er soll für sein wildes Wetter bekannt sein, und es gerne mit der Gegend teilen. Doch ich habe Glück. Abgesehen vom Nebel am Morgen war es ganz akzeptabel. Nur von den tollen Herbstfarben war im Aufstieg nichts zu sehen. Die White Mountains trugen den Namen heute wohl nur wegen der sie einhüllenden weißen Schicht aus Nebel.

 

Im großen Ort vor dem Aufstieg auf den Pass sehe ich überall Skiwerbung. Es gibt viele Resorts. Doch architektonisch sind sie alles andere als gefällig. Kurz meinte ich auch, dass mich die Sonne begleiten wird. Sie blinzelte etwas zwischen den Wolken hervor. Doch sie wollte wohl nur sagen, dass sie heute später kommen wird. Es blieb vorerst beim kalten Nebel.

 

Die Straße war gleichmäßig ansteigend. Neben ihr hörte ich einen Gebirgsbach rauschen. Das monotone Geräusch hat mir gefallen. Hie und da war der Bach im Wald verschwunden. Doch dann war er wieder nah zur Straße und zeigte seine rötliche Farbe zwischen den großen runden Steinen. Rot zeigte auch mein Garmin für die Steigung an. Vielleicht hatte er sich in der Einheit vertan. Denn die am Übergang angeschriebenen 2.855 waren natürlich keine Meter, sondern amerikanische Fuß.

 

Dass der Kancamagus-Pass wirklich toll sein kann, zeigte sich dann auf der anderen Seite kurz nach dem Übergang. Dort hatte sich der Nebel längst verzogen. Ein breites, bewaldetes Tal tat sich auf. Und mit der aufkommenden Sonne zeigten sich auch die Bäume in einem erfrischenden Bunt. Die Abfahrt habe ich richtig genossen. Auf guter, breiter Straße dahinrollen können. Nur hie und da in den Kurven sich etwas zur Seite neigen müssen. Und sonst einfach am Rad sitzen und durch den bunten Wald rauschen. Hey, das war toll. Und daneben suchte der Swift River seine Bahn. Größer werdend floss er geräuschvoll dahin. Ein paar kleinere Stufen hatte er auch anzubieten, schön anzuschauen.

 

Irgendwann kam dann der Übergang von New Hampshire nach Maine. Und damit änderten sich auch die Autokennzeichen, die mir begegneten. Das martialische und historische “live free or die“ auf den einen Nummerntafeln ging in ein für mich lieblicheres und verständlicheres “a natural treasure“ über. Gleich geblieben ist jedoch der Wald, durch den ich fuhr. Und auch der wenige Verkehr. Bei einem großen See machte ich Stopp. In der Karte war er als "Long Lake" eingetragen. Ein Name der Erinnerungen weckte. Hier würde es sich anbieten, auf das volle Herbstfeuer des Waldes zu warten. Doch auch mit dem noch etwas wenigem an Farbe hat es mir gefallen.

 

22. September 2022

Ruhetag mit Regenhören

Ein traumhaftes Wetter heute. “But just fine for ducks“. Ich konnte den Wetterbericht drehen und wenden wie ich wollte. Draußen plätscherte es unaufhörlich. Gestern war die Vorhersage noch so, dass ich spätestens mittags trocken starten kann. Doch der Mittag wurde heute auf Abend verschoben. Denn aus dem Westen scheinen laufend Regenwolken nachzukommen. Also wird es für mich dann wohl erst morgen wieder weiter gehen.

 

Die Unterkunft passt. Das Zimmer konnte ich verlängern. Doch dann wären sie wieder voll. Eine wochenlange Messe rund um Pferde, Kühe, Traktoren und ähnlichem bringe viele Leute hierher. Und danach kämen alle nur noch wegen der Herbstfarben der Bäume. Das sei gewaltig. Ich soll es mir überlegen, wollte mich der Inhaber zum weiteren Bleiben oder Wiederkommen animieren. So in zwei Wochen ginge es los. Da würden die Farben explodieren.

 

Ja, und so schaute ich mir als Ersatzprogramm für heute die Herbstlandschaft mit Bildern im Internet an. Indian Summer mit dem leuchtkräftigen Zucker-Ahorn. Mir kam vor, fast so schön wie Radfahren. Und die Kombination von beidem, die gebe ich mir morgen wieder, ist mein Plan. Egal wie intensiv die Farben dann sind. Denn ohne Regen sind sie vom Rad aus immer schön anzuschauen.

 

23. September 2022

Ostküste erreicht und Atlantik gesehen

Am Morgen blendet die tiefstehende Sonne. Ich fahre ostwärts voll auf sie zu. Wie ein Scheinwerfer knallt sie ihr grelles Licht über den See. Ich glaube, sie will den gestrigen Tag wett machen. Wind gibt es auch. Zum Teil kommt er von hinten, und treibt mich an. Doch es ist ein kühler Herbstwind. Ich ziehe erstmals meine Daunenweste über. Und die warmen Handschuhe habe ich auch an.

 

Mit tropfender Nase fahre ich durch den grünen Wald. Nur vereinzelt zeigen sich bunte Blätter. Dafür liegen jede Menge Eicheln am Straßenrand. Es ist ein kräftiges Auf und Ab beim Fahren. Die Anstiege sind zwar nicht lang, doch dafür umso zahlreicher. Als ich an einem See vorbeikomme, staune ich ob der rauen Wellen. Der Wind mischt das Wasser mächtig auf. Eine Bootswerft liegt auch am Weg. Da staune ich dann ob der edlen Prunkstücke, die da auf Käufer warten. Ich glaube, bei denen muss man tief in die Tasche greifen, bevor man mit dem Anhänger los darf.

 

Irgendwann treffe ich auf eine alte Bekannte. Oder mir ist halt diese Bezeichnung eingefallen, als eine große Schildkröte die Straße querend im seitlichen Gras Unterschlupf sucht. Schildkröten habe ich auf meiner Tour nur den ersten Monat lang gesehen. Und jetzt treffe ich wieder auf sie. Offensichtlich ist der Osten ihre Heimat. Und ein paar Kurven und Kilometer weiter erreiche ich bei Brunswick die Ostküste und den Atlantik.

 

Ich rolle ganz langsam in einer Nebenstraße auf das Ufer zu. Es sind zwar noch einige Landzungen davor, und der Einlass ist eher schmal, doch es ist der Atlantik, der da ans Ufer schwappt. Ich freue mich. Denn damit habe ich den Kontinent ein zweites Mal gequert. Vor knapp zwei Monaten bin ich oben in Kanadas Westen bei Prinz Rupert los. Und jetzt nach fast 7.200 Kilometern erreiche ich die östliche Küstenseite. Damit ist auch die weitere Fahrtrichtung festgelegt: Nachdem ich die anderen Himmelsrichtungen schon durch habe, geht es ab jetzt nur noch nach Süden.

 

Bei Yarmouth komme ich am Hauptquartier von Garmin vorbei. Das zieht natürlich an. In der Eingangshalle präsentieren sie mit “Eartha“ den weltweit größten rotierenden Globus. Der Durchmesser beträgt über 12 Meter. Doch so richtig zur Geltung kommt er in dem Glaskäfig rundherum nicht. Eingeengt ist mein Eindruck. Vielleicht gar ein Sinnbild für die Situation der Erde.

 

24. September 2022

Ein besonderer Tag 

Wow, was für ein Aufwachen heute. Ich liege zufrieden da, und freue mich über beide Ohren. Nicht weil die Sonne schon ins Zimmer blinzelt. Nein. Es sind die Nachrichten, die mein Handy beim Einschalten ausspuckt. Eine geballte Ladung Glückwünsche. Wunderbar. Obwohl weit weg in Übersee, denken dennoch viele von daheim an mich. Grandios. Die Mundwinkel bleiben oben, und das den ganzen Tag.

 

Und beim Fahren denke ich daran, welch Glück es ist, so unterwegs sein zu können. Ein Geschenk. Die Route führt mich gleich beim Losfahren einen Rad- und Wanderweg im Wald entlang. Die Bäume bilden mit ihren Ästen einen sonnendurchfluteten, grünen Blätterbaldachin. Mir kommt es wie eine Symbolik vor, passend zum Tag. Geschützt und behütet im Leben unterwegs sein. Das Licht und die Stimmung genießen. Dem Weg trauen. Mich von ein paar Holperern nicht irritieren lassen. Ist mir beim Durchfahren und Nachdenken unterm Baldachin im Wald so eingefallen, zu mir und meinem Leben.

 

Ein Festtagsfrühstück in einem sonnigen Café, das gönnte ich mir gleich in der nächsten Stadt. Es war das Blue in Kennebunk. Gesehen, und gleich rein. Der English Muffin als Sandwich war lecker, konnte heute ja gar nicht anders sein.

 

Fein kurvig ging es dann am Vormittag durch den Herbstwald weiter. Oben rauschte es vom starken Wind, und unten rauschte ich durch. Später kam dann Meeresrauschen dazu. Das hat mir gefallen. An der Atlantikküste entlangzufahren und den Wellen zuzuschauen. Wie sie sich aufbauen, und dann mit einem langandauernden Klatschen auslaufen. Doch ich musste mich wie die vielen anderen Rennradfahrer hier, sehr auch auf mich und die Straße konzentrieren. Der Wind blies kräftig von der Seite. Alle hatten wir Schräglage beim Fahren. Und als ich dann eine Straße mehr ins Landesinnere und Richtung Westen nahm, da hatte ich Mühe, überhaupt voranzukommen. Erst als ich den Schutz des Waldes wieder erreichte, war es ein angenehmes Fahren.

 

Ganz ohne Verkehr ging es heute nicht. Die Küste ist halt dichter besiedelt. Beim Durchfahren der Städte war einiges los. Doch auf den Nebenstraßen durch die Vororte oder über die kleinen Landstraßen hat es gepasst. Und in den wie Parkanlagen anmutenden Siedlungsstraßen sowieso. Nur am Abend holte mich dann der Trubel ein. Ein Zimmer suchend musste ich erfahren, dass sie hier dieses Wochenende am Halloween feiern sind. Alles ausgebucht, oder horrende Preise. Halloween ginge in Massachusetts den ganzen Herbst lang. Ganz blicke ich bei diesem Brauchtum nicht durch. Doch das hat mich dann nicht mehr interessiert. Ich erinnerte mich wieder an den Morgen, und freute mich über die dazugekommenen neuen Nachrichten. Ein feiner Tag, meine ich mit einem Danke.

 

25. September 2022

Urban Cycling muss man mögen

Auf den Nummerntafeln der Autos in Massachusetts steht “the spirit of america“. Und heute habe ich reichlich von diesem Spirit mitbekommen. Er besteht glaube ich aus sonntäglichem Autofahren. Und zwar ganztägig in Kolonnen durch Stadtgebiete. So kam es mir heute jedenfalls vor.

 

Bei mildem Wetter und guter Laune bin ich etwas später los. Andere hatten sich anscheinend schon früher auf den Weg gemacht. Denn ich reihte mich ein in eine Autokolonne, die denselben Weg zu nehmen schien wie ich. Dabei war meine Strecke als Fahrradroute ausgeschildert. Doch vielleicht war sie auf den Autokarten als tolle Autoroute eingezeichnet. Oder es war einfach das große Städtekonglomerat rund um Boston, das so viel Verkehr produzierte. Mir hat er nicht gefallen. Und dazu waren die Straßen alles andere als in einem guten Zustand. Wie eine Holperpartie, kam es mir eine Zeit lang vor. Dazu viele Ampeln, verparkte Seitenstreifen. Es war etwas mühsam. Nur der eine kurze morgendliche Abstecher zur Küste war klasse. Bei ruhiger See zeigte der Himmel eine spannende Wolkenstimmung.

 

Als Abwechslung kam mir ein Rugbyspiel gelegen. Den Stadionsprecher konnte ich schon von weitem hören. Doch es waren nur Schülerteams am Werk. Sie waren zwar mit vollem Einsatz dabei, doch mit den vielen Unterbrechungen war es zum Zuschauen nicht so interessant. Zumindest für mich. Denn auf den Tribünen ging es dennoch laut her. Ich nehme an, dass da Familienangehörige ihre Kinder anfeuerten.

 

Irgendwann querte ich auf einer Brücke einen großen Highway. Da gab es vier Spuren in jede Richtung. Und auf jeder donnerten sie eng hintereinander dahin. Da war es auf meiner Straße ja fast ruhig. Erst spät in den Nachmittag hinein dünnte sich der Verkehr etwas aus, und wurde es trotz leichtem Nieseln auch landschaftlich interessanter zum Fahren. Städte sind es jedenfalls nicht, die mich zum Radfahren anmachen. Ich mag lieber die Straßen am Land, war mein sonntägliches Fazit am Abend.

 

26. September 2022

Schwarzbraune Truthühner und Busse in Gelb

Bei nur langsam auftrocknender Straße fahre ich mit dem frühmorgendlichen Verkehr durch Siedlungsgebiete an einem langen See. Irgendwann höre ich es hinter mir bellen. Und das Bellen kommt näher, wird lauter. Ich kenne mich nicht mehr aus. Ich habe keinen Hund gesehen, und bei dem Verkehr kann so einer doch auch nicht auf der Straße sein. Ich drehe mich um. Und da ist er auch schon auf gleicher Höhe. Durchs offene Autofenster möchte der schwarze Vierbeiner zähnefletschend und überlaut bellend fast rausspringen. Na habidere, denke ich mir, gut dass der Fahrer den Blinker betätigt, und mit seinem kläffenden Fahrgast in einer Seitenstraße verschwindet. Dem möchte ich vor seinem Haus jedenfalls nicht begegnen.

 

Auf einem etwas düsteren Wiesenfriedhof nahe zum Wald schrecke ich beim Vorbeifahren Truthühner auf. Diese großen, dunkelbraun bis schwarzen Vögel habe ich die letzten Wochen immer wieder gesehen. Mir gefallen sie ganz und gar nicht. Mit dem unbefiederten roten Hals und dem bläulichen Kopf schauen sie für mich grauslich aus. Oder ich bin ihren Anblick nicht gewohnt, und deshalb etwas voreingenommen. Hier am Friedhof kamen sie mir wie eine Halloween-Installation vor. Denn bei einigen Häusern an der Strecke habe ich immer wieder entsprechend kitschigen Schmuck gesehen. Da hätten diese Hühner auch gut dazu gepasst.

 

Bei einem großen Werkstättenvorhof steht eine ganze Armada gelber Schulbusse. Schön aufgefädelt links die mit der gelben Motorhaube, und rechts die mit der schwarzen. Und irgendwo dahinter stehen sie noch quer in einer Linie nahe zueinander. Entweder warten sie hier auf den Verkauf, oder sie sind Reserve für die auf der Straße. Denn dort kommen mir jeden Tag solche Busse entgegen. Am Morgen, mittags, und in den Nachmittag hinein. Thomas Built Buses steht hinten als Hersteller drauf. Ihr Design ist es etwas unkonventionell und wirkt altmodisch. Einmal habe ich gesehen, wie so ein Bus am Abend mit einer Fußballschülermannschaft oder einem ganzen Verein an Jugendlichen bei einem McDonalds vorfuhr. Das Lokal war dann rammelvoll mit weißen Trikots. In der Halbzeitpause dürfte es jedenfalls nicht gewesen sein. Denn sie waren etwas länger drin.

 

Am frühen Nachmittag querte ich die Grenze zu Connecticut. Die Straßen bis dahin und auch danach waren fein zum Fahren. Kurvig bei wenig Verkehr durch sonnigen Wald. Dazu ein hie und da forderndes Auf und Ab. Und immer wieder an kleinen Gewässern vorbei, mit ganz unterschiedlichen Farben und Formen. Mit dem “constitution state“ Connecticut habe ich meine Anzahl an besuchten Bundesstaaten zwischenzeitlich schon auf 28 erhöht.

 

27. September 2022

Schöne Trails und ein großer Fluss

Die erste halbe Stunde fahre ich in grellem Sonnenlicht. Unter einem breiten Wolkenband begrüßt die Sonne mit kräftigem Strahlen den Morgen, und die grüne Landschaft samt mir. Ein riesiges Verteilerzentrum einer Handelsfirma und die dort wartenden vielen Trucks bekommen auch noch reichlich Helligkeit ab. Doch dann verzieht sie sich für den Rest des Vormittags.

 

Ich mache heute reichlich Höhenmeter. Kalt wird es mir nicht. Es sind ein paar fordernde Anstiege dabei. Zwar nicht sehr hoch, doch dafür zum Teil etwas ruppig. Diese schnellen Wechsel zwischen Auf und Ab und wenig flachen Passagen dazwischen mag ich eher nicht. Da haben mir die beiden heutigen langen Trails an Flüssen entlang viel besser gefallen. Der eine vom Hop River war richtig klasse. Auf einem Naturweg ging es flach durch den Wald. Der Weg war etwas feucht, und der Sand blieb immer wieder an den Reifen haften. Doch die Stimmung mit dem vielen hellen Grün und dem Sonneneinfall zwischen den Blättern und Ästen der Bäume war beeindruckend. Dazu war der Untergrund ganz kompakt und gut zu fahren. Außer ein paar Eichhörnchen und mir war sonst niemand am Weg.

 

Durch ein paar Städte musste ich auch durch. Einige trugen bekannte englische Namen. Und mit den Backsteinkirchen und den großen roten Ziegelbauten oder den Steinhäusern kam ich mir für kurze Zeit gar nicht mehr wie in Amerika vor. Kein Wunder, dass sie zu der Region auch Neuengland sagen.

 

Doch die Autos trugen eindeutig die Nummernschilder von Connecticut. Und der große Fluss, den ich heute querte, war der Connecticut River. Ihn hatte ich weiter oben in Vermont schon mal gesehen, bei den vielen Seen. Doch dort kam er mir noch nicht so riesengroß vor wie heute. Ein Rennradler aus der Region, der für kurze Zeit mein Tempo hielt, erklärte mir den Namen. Doch weil wir gerade nahe zu einer Autobahn fuhren, übertönten deren Geräusche seine Ausführungen. Der Name gehe auf einen indianischen Stamm zurück. Und dann schlugen sowohl der Fluss als auch der Rennradler eine andere Richtung zu meiner Route ein. Er konnte mir daher nicht noch mehr über den Mohegan Tribe erzählen.

 

Am späten Nachmittag habe ich dann wieder ein paar wilde Truthühner gesehen. Vielleicht habe ich ihnen gestern mit meiner wenig schmeichelhaften Beschreibung Unrecht getan. Heute kamen sie mir nämlich durchaus ansehnlich vor. Ihr Gefieder glitzerte gar etwas in der Sonne. Oder sie wollten sich heute einfach von der besten Seite zeigen, und machten einen auf schön.


28. September 2022

Ein sonniger Herbsttag mit reichlich Höhenmeter 

Beim Losfahren finde ich es noch ziemlich frisch. Doch mir wird gleich warm am Rad. Ein langer Anstieg sorgt für kräftige Durchblutung und einen etwas höheren Puls. Und oben angekommen empfangen mich die Sonne und ein herrlicher Weitblick. Ringsum bewaldete Hügel unter blauem Himmel. Dazu ein gepflegtes Grün und großzügige Gartenanlagen bei den wenigen Anwesen. Ein klarer Morgen, wunderbar.

 

Etwas später verlasse ich meine geplante Route. Ich fahre einfach frei der Nase nach. Oder lasse es auf einer leicht abschüssigen Hochebene weiter geradeaus rollen. Die Wiesen entlang der Straße sind mit Steinmauern eingefasst. Es gefällt mir. Statt bergauf mag ich in der kühlen Luft und auf der guten Straße lieber abwärtsfahren. Doch einige Kilometer weiter komme ich in einem Wald einem Anstieg nicht mehr aus. Und dazu ist die Straße längst schon in einen Schotterweg übergegangen.

 

Vielleicht wäre die andere Route doch besser gewesen, kommt es mir ein paar Mal in den Sinn. Denn bergauf auf losem Untergrund ist es reichlich fordernd. Ein Mal steige ich gar ab und schiebe die letzte Kuppe hoch. Dafür ist die Stimmung mit der Herbstsonne zwischen den Bäumen und dem Geruch des Waldes richtig toll. Und als ich wieder auf meiner Route am Weg bin, belohne ich mich mit einem Tankstellenfrühstück. Zwischenzeitlich habe ich es nämlich schon gecheckt, bei welchen das Angebot für mich reichhaltiger ist, und wo sich ein Vorbeischauen lohnt. Die heutigen zwei Portionen Hash Brown Potatoes waren zwar etwas fett, doch sie schmeckten mir dennoch.

 

An sie musste ich dann im Laufe des Tages noch einige Male denken. Denn ich hatte eine ziemlich hügelige Route ausgewählt. Also ideal, um Kalorien zu verbrennen. Es waren ein paar steilere Anstiege dabei. Und vor allem recht viele. Immer durch den Wald, auf und ab, und fein kurvig. Zum Fahren war es super. Ohne Gepäck vielleicht noch besser. Doch auch so ganz ok.

 

Ich staunte oft, dass es überall Häuser mitten im Wald gab. Einige hatten größere Freiflächen rundum, und auch entsprechend Sonne. Doch viele waren von den Ästen der Bäume fast zugedeckt und voll im Schatten. Grün bemooste Dächer und brennendes Licht in den Räumen. Dafür keine unmittelbaren Nachbarn, außer Eichhörnchen und Waschbären. Und öfters glaube ich auch die Serviceleute der Strom- und Telefonversorgung. Immer wieder sah ich Arbeitstrupps mit der Reparatur oder Instandhaltung der Freiluftleitungen beschäftigt. Doch das war schon die ganzen letzten Monate so der Fall.

 

29. September 2022

Spannendes Manhattan

Grelle Morgensonne und klare Luft empfangen mich zu meiner heutigen Etappe. Mitten nach Manhattan in New York City ist der Plan, und so meine amerikanische Schleife fertig knüpfen. Und gleich auf den ersten Kilometern bekomme ich einen Eindruck, was mich dort vielleicht erwarten wird. Dichter Verkehr, viele Ampeln, Autolärm, ein Gedränge kreuz und quer. Ich muss mich im dichten Frühverkehr zwischen den Autos behaupten. Etwas anstrengend, kommt es mir vor.

 

Doch jetzt am Morgen war es nur das eine große Stadtzentrum, das mir Mühe machte. Denn kaum in den Vororten unterwegs, gefällt es mir wieder. Gute Straßen, gepflegte Gärten, Bäume, Kurven, wenig Verkehr. Nur ein paar gelbe Schulbusse. Die Hektik hat der Beschaulichkeit Platz gemacht. So könnte es weitergehen, denke ich mir. Doch die Verhältnisse wechseln sich später ab. Nach schönen und gut zu fahrenden Stadtteilen kommen wieder solche, wo es mir weniger Spaß macht. Und wissend, dass ich mich dem Zentrum von New York City am Nähern bin, wundere ich mich auch nicht, dass sich das landschaftliche Grün schon ganz rar gemacht hat. Rasenmäher sind jedenfalls keine mehr zu sehen und hören, nur noch Autos zwischen Häuserschluchten.

 

Bei einem kleinen Dunkin’s Donut in Greenwich mache ich kurz Pause. Ich habe Hunger und Lust auf ein spätes Frühstück. Diese Imbisskette bringt mir immer die ersten Etappentage in Erinnerung. Da hatte ich mir noch schwer getan, auf meiner Route unterwegs Verpflegung aufzutreiben. Doch Dunkin's Avocadobrote mit gegrillten Tomaten schmeckten mir, und halfen mir zumeist über den Tag. So ein Brot gab es auch heute, und zwei Portionen Hash Browns dazu. Der Laden war rammelvoll. Man stand sich gegenseitig fast auf die Füße. Also wechselte ich nach draußen. An die von der Sonne aufgewärmte Mauer gelehnt genoss ich meine Fastfood-Jause.

 

Während am Parkplatz um das kleine Geschäft ein ständiges Kommen und Gehen, oder vielmehr Fahren war, ging es rund herum beschaulicher zu. Dort parkten auch andere Automarken als jene, mit denen die Dunkin’s-Besucher vorfuhren. Ich staunte, welche Nobelmarken hier an der Straße nebeneinander ihre Geschäfte hatten. Aston Martin, Bently und Rolls Royce waren angrenzend. Porsche, Bugatti und McLaren auf der anderen Seite. Und schräg vis-a-vis stellten sie Lamborghinis aus. Da schaute ich länger hin.

 

Ein Mann in Werkstattmontur musste einen Pflasterstein mitten am Eingangsweg neu setzen. Vielleicht war es eine Stolperfalle. Während der Mann kniend am Boden hantierte, kam jemand aus dem Verkaufsraum mit weißem Hemd und roter Krawatte dazu. Es war lustig, dem zuzuschauen. Der eine kniete und setzte den Stein, und der andere hoppelte mit seinen Lederschuhen drauf rum. Es waren ein paar Durchgänge nötig, bis der Stein plan zu den anderen war. Und zum Schluss knieten beide, und wischten mit den bloßen Händen Sand in die Fugen. Der mit dem weißen Hemd und roter Krawatte ging dabei ganz eifrig zur Sache. Wenn sich schon keine Käufer im Laden zeigen, dann kann er diesen ja den Weg dorthin ebnen, war mein Eindruck. Und statt Lamborghini-Lack lassen sich auch Pflastersteine von Hand polieren. Mit breiter Brust ging er zurück in den Laden. Das hat jetzt gutgetan, hat er sich wohl gedacht. Und damit das Gleiche wie ich. Mein Frühstück hat mir auch gutgetan.

 

Ja, und danach kam mir der Rennradler vor ein paar Tagen an der Autobahn in den Sinn. Er hatte es damals kopfschüttelnd kommentiert, dass ich mit dem Rad nach Manhattan will. Leider hatte ich keinen Radweg als Route gewählt. Entsprechend anstrengend war der Stop-and-Go-Verkehr in den Häuserschluchten. Andererseits auch ein Erlebnis, so etwas mal mitgemacht und gesehen zu haben.

 

Ein besonderes Erlebnis anderer Art hatte ich dann beim Radladen, wo ich einen Karton zum Verpacken des Fahrrads für den Rückflug abholen wollte. Obwohl vorher per Mail zugesichert, hatten sie keinen. Es war Chaos, da sie mit dem Geschäft gerade am Übersiedeln waren. Mir verschlug es kurz die Sprache. Doch wenigstens gaben sie mir auf Nachfragen den Tipp, wo ich den nächsten Laden finden kann. Und tatsächlich kam ich dann ein paar Häuserblocks weiter ganz unkompliziert zu meinem Karton. Binnen fünf Minuten hatten sie dort einfach ein neues Rad ausgepackt, und mir die leere Box übergeben.

 

Und jetzt kommt das Sahnehäubchen zum Tag. Wie komme ich mit meinem Rad samt Gepäck und großem Verpackungskarton zum Hotel? Im Radladen hatten sie dafür keinen Rat. Also machte ich es auf meine Art: Einfach mit dem Rad ausprobieren. Karton unter den Arm geklemmt und los. Zuerst langsam gehend. War mühsam. Dann Karton seitlich auf Pedal gestellt und schnell schiebend. Ging noch schlechter. Also neues Halteloch mittig in Karton geschnitten, aufs Rad gestiegen, und losgefahren. Und mit jedem Meter mehr an Sicherheit gewinnend bin ich so die letzten fünf meiner 17.100 Kilometer mit dem Karton unterm Arm durch Manhattan zum Hotel geradelt. Am Radweg entlang des Hudson Rivers ging das prächtig. Gerne hätte ich einen Schnappschuss von mir gemacht, doch ich hatte keine Hand mehr frei. Es muss jedenfalls ein super Bild gewesen sein. Ein freudestrahlender Radfahrer mit zwei Gepäcktaschen und einem unter den Arm geklemmten großen Radkarton mitten im Trubel von New York City.

 

30. September 2022

Rad verpacken und Sightseeing

Gestern war mein Fahrradkarton zum Transportieren riesengroß. Doch heute zum Verpacken des Rades war er dann eher klein. Es fehlten nämlich mehr als 20 Zentimeter Länge zu jenem von der Anreise. Also musste auch noch der Lenker runter. Und fürs Abschrauben der Pedale brauchte ich Nachhilfe bei Youtube. So klappte es auf Anhieb. Das Reinstecken des Rades war dann ziemliche Improvisation, oder Karton Free Jazz. Und weil ich auch noch einen Teil meiner Ortliebtaschen unterbringen wollte, wurde es ziemlich eng. Doch irgendwie hatte alles Platz. Aber Im Mai ging ich bei der Verpackung für den Hinflug deutlich strukturierter vor. Egal, morgen kommt einfach noch reichlich Panzerband drum herum. Und von außen schaut der Karton ja sowieso ganz schick aus.

 

Den Rest des Tages verbrachte ich mit Flanieren in der Stadt. Es waren einige Touristen mit mir am Weg. Doch ein wirklich großer Rummel war es nicht. Zumindest nicht in den Fußgängerzonen. Da war auf den Straßen, am Wasser, und in der Luft deutlich mehr los. Kaum war der eine Hubschrauber aus dem Blickwinkel verschwunden, tauchte schon der nächste auf. Und bei den Fähren und Booten am Hudson River kam ich mit Schauen auch kaum nach. Eine Runde mit einem offenen Sightseeing-Bus ließ ich aber aus. Da waren mir zu viele Leute. Ich beließ es bei einem Programm zu Fuß. Und an einen Tag ohne Rad muss ich mich sowieso erst wieder langsam gewöhnen.

 

Mit Blick auf New Jersey ließ ich auf einer Bank am Hudson River meine Radreise nochmals kurz Revue passieren. Lang unterwegs, und dann doch wieder rasch vergangene Zeit. Viel gesehen, und auf die Schnelle aber nur wenige Details greifbar. Die Kilometer purzeln lassen, und das Schmecken der Landschaft immer noch auf der Zunge. Mit dem Rad den Tag strukturiert, und jetzt Zweifel wie das ohne gehen wird. Alleine gut zurechtgekommen, und jetzt große Freude auf Familie und Freunde daheim.

 

 

Nachspann

Eine lange Tour. Nicht nur ein Mal quer durch den Kontinent. Nein, gar noch ein zweites Mal. Und die Küsten zum Teil auch noch rauf und runter. Bis auf ein paar wenige Regentage immer am Rad gewesen. Viel erlebt und viel gesehen. Bei 17.100 Kilometern kommt einiges zusammen.

 

Das Reinfinden war am Anfang etwas schwierig. Da hatte ich meine Mühe, mit Verpflegung und Unterkunft. Und an der Ostküste runter der ungewohnt viele Verkehr. Da tat ich mir etwas schwer, kamen gar Zweifel auf, ob das gut gehen wird, über all die Zeit. Doch als ich dann in Virginia ins Landesinnere abbog, hat es mir gepasst. Mehr ländliche Gegend, kleine Nebenstraßen, kaum Verkehr, feines Fahren. Durch Kentucky durch war es mit den Hunden eine Challenge. Voll aggressive Köter. In Missouri war dann schon Sommer. Die vielen Hügel sorgten für erhöhten Puls. Im flachen Kansas gab es Hitze und Gegenwind. Speziell der Wind sorgte öfters für Frust. Doch dort traf ich auch auf andere Radler, deren Empfehlung ich folgte: Der Hitze wegen nicht weiter in den Süden, und stattdessen in Colorado weiter.

 

Ja, und das war dann toll. Hohe Berge, jedoch mit ihren langen Rampen einfach zu fahren. Und danach die einsamen Straßen in Utah und Nevada. Ich war gefordert, doch auch jeden Tag am Juchzen. Lange Distanzen, niemand am Weg, und dazu eine Landschaft zum Niederknien. Hey, das war etwas vom Feinsten. Kalifornien hatte ich mir als Urlaubsradeln vorgestellt. Doch an der Küste war es halbtags immer nebelig und feucht. Da hatten mir nur die Nachmittage gefallen, und natürlich auch die riesengroßen Redwoods und deren Ausstrahlung. Weiter hoch an der imposanten Küste bleibt mir die Street 101 in Erinnerung. Es war fast nur ein Mitschwimmen im dichten Verkehr, von ein paar wenigen Umfahrungen abgesehen. Doch die waren dann Klasse.

 

Der Abstecher nach Kanada war erste Sahne. In Vancouver Island war zwar noch einiges los. Doch die lange Fährfahrt nach Prinz Rupert ein Erlebnis zum Träumen. An die will ich mich immer erinnern, so schön. Das Fahren in Kanadas Wäldern war etwas fordernd, der Einsamkeit und auch des Wetters wegen. Die Belohnung dafür war dann der Jasper Nationalpark. Der Icefield Parkway mit den vielen schneebedeckten Bergen, den zum Greifen nahen Gletschern und den milchigtürkisen Flüssen ließ einem nur Staunen. Genial. Vom Feinsten. Einfach großartiges Bergkino.

 

Zurück in den Staaten gefielen mit die weiten, goldgelben Getreidefelder und deren Geruch in Montana. Das hätte noch länger andauern können. In North Dakota folgten dann nur gerade Straßen, und links und rechts Mais und Mais und Mais. Danach, am Weg zu den großen Seen, ging es auch oft durch Siedlungsgebiete. Da war das Fahren eher nicht so reizvoll.

 

Bei den Niagara-Fällen kam ich auch vorbei. Ein Erlebnis. Und zum Staunen, wie viel Wasser da runterrauscht, und welches Schauspiel dabei in der Schlucht entsteht. Ja, und dann tat sich für mich ein neues Bild von New York auf. Einsame Wälder und kleine Landstraßen, Herbstradeln zum Juchzen. Dazu in Maine als Draufgabe noch der Farbenzauber der Ahornbäume. Das konnte gefallen. Daher war nach all den Highlights der Weg an der Küste zurück nach New York City dann weniger attraktiv, weil dicht besiedelt und viel Verkehr. Das gab es in Manhattan als Abschluss auch. Und dennoch war es schön, doch auf andere Art als zum Radfahren.

 

Die Menschen, auf die ich traf, waren zugänglich, nett und hilfsbereit. Einige Kontakte ganz wunderbar. Amerika ist ein großes Land. Entsprechend vielfältig zeigt es sich, und oft gegensätzlich noch dazu. Großstädte und Fünfhäuserdörfer, Villen- und Waldsiedlungen, Häuserschluchten und Getreidefelder, Betuchte und Obdachlose, Durchtrainierte und Fettleibige, Tattoos und Nails, Airpods und Cowboyhut, Riesen-Pickups und noch größere Wohnmobile, Achtspurige Highways und einsame Überlandstraßen, Eiswürfelmanie und Strohhalmsucht, Fastfoodliebe und Softdrinkzelebration, Fahnenhysterie und Nationalparkpflege, Naturwunder und Betonwüsten, Narzissmus und Kirchgängertum, Landschaftsvermüllung und Rasenpflege, Multikulturalität und Indianerreservate, Autodominanz und Freiheitsstreben, und jede Menge mehr.

 

Etwas davon habe ich jedenfalls gesehen. Und noch mehr von der Landschaft. Das lang Eintauchenkönnen in sie war etwas vom Schönsten und Intensivsten auf dieser Tour. Endorphinträchtig wunderbar, auch wenn es einige Male anstrengend war. Und neben all den vielen Eindrücken und Erlebnissen auf meinem American Loop wird der eine Satz ganz sicher inspirierend hängen bleiben: “The bicycle makes the eyes smile.“