Den großen Seen entlang

1. September 2022

Durch Maisfelder und Treffen mit einem Freund

Am Morgen liegt leichter Nebel über dem Fluss und den Hügeln ringsum. Das Zelt ist vom Tau wieder klatsch nass. Ich brauche etwas länger zum Einpacken. Und in der letzten Stadt in Minnesota brauche ich dann noch länger, bis ich meinen Einkauf verstaut habe. Mit Hunger in einen Laden gehen füllt anscheinend Bauch und Taschen zugleich.

 

Im Hafen liegen viele Lastpontons verankert am Kai. Sie warten auf ihre Ladung. Es wird Mais sein. Denn beim Vorbeifahren liegen Maiskörner auf der Straße. Sie sind von einem die Straße querenden Förderband heruntergefallen. Rund um die Silos stehen einige Trucks. Sie bringen frische Ware. Und auf dem Gleis nebenan wartet eine Lok aufs Tanken. Mit dem Tankwagen neben ihr fällt mir erst auf, wie groß die seitlichen Tanks der Lokomotive sind. Die hat glaub auch kräftig Durst. Oder will mit einer Ladung weit kommen.

 

Nach einem raschen Blick auf die Karte geht es nach Wisconsin. Der Mississippi bildet die natürliche Grenze. Und auf der anderen Seite fahre ich dann recht lange durchs Marschland. Das gefällt mir immer sehr. Etwas Wasser und etwas Land, und manchmal auch keines von beidem. Oder beides zugleich. Doch die Straße ist breit, und scheint auf festem Grund zu stehen. Nur bei ein paar Baustellen mit Brückenbauten versinken die Bagger fast daneben.

 

Weiter weg vom Fluss geht es dann sanft hügelig weiter. Und vor allem: Es gibt überall nur noch Maisanbau. Mais links. Mais rechts. Mais unten, wenn ich von einem Hügel in die Weite schaue. Und natürlich auch Mais oben, bei einer Steigung an der Kuppe auf mich wartend. Ja, mit irgendetwas müssen die großen Silos ja gefüllt werden. Die immer dunkelrot gestrichenen Bauernhöfe schauen schon etwas in die Jahre gekommen aus. Und deren Silos sind alle vom gleichen, altmodischen Stil. Ich glaube, jetzt baut man sie anders. Doch fürs Auge sind sie willkommene Abwechslung. Und gehören wohl zu dieser Gegend dazu.

 

Die vielen Hügel zehren etwas an meinen Kräften. Obwohl nicht steil, fordert das stetige Auf und Ab dennoch etwas mehr als das Flitzen mit Rückenwind in der Ebene. Ich bin daher froh, als ich am frühen Nachmittag auf eine lange, flache Radwegpassage auf einer alten Eisenbahntrasse abbiegen kann. Da ist es dann echt lässig zum Fahren. Unterm oben zugewachsenen Blätterdach geht es schattig und eben auf einem Naturweg dahin. Es ist nur eine schmale Gasse, doch gut zu fahren. Ein paar Infotafeln gibt es auch. Bilder zeigen, mit welchem Aufwand man damals diese Trasse errichtet hat. Und wie mühsam es anscheinend war, die Tunnels zu sprengen, oder deren Material als Schüttgut für den Bau zu verwenden.

 

Es gefällt mir, durch diese grüne Allee dahinzugleiten. Und dann plötzlich treffe ich auf einen lieben Freund. Ich habe ihn zwar nur für ein paar Sekunden im Blickfeld, doch das tut meiner Freude keinen Abbruch. Es ist ein knallroter Kardinalvogel. Ihn habe ich am Anfang meiner Tour weiter südlich öfters gesehen. Er hat mir sehr gefallen. Mit seiner auffälligen Farbe ist er unvergesslich. Und heute hat er sich wieder erstmals kurz gezeigt. Demnach muss ich ja schon fast im östlichen Teil von Amerika unterwegs sein. Toll, dieser bunte Vogel. Und vielleicht hat er sich auch gefreut, und gedacht: Ah, da ist er wieder, der Radlervogel.

 

2. September 2022

Regen am Morgen und mit Amish-Kutschen am Weg

Beim Abbauen des Zeltes fängt es an zu regnen. Ich beeilte mich zwar, doch je schneller ich die Packtaschen zu füllen versuchte, desto heftiger wurde der Regen. Also rannte ich mit meinen Sachen ein paar Mal zwischen meinem Platz und dem überdachten Gruppenplatz hin und her. Dort hatte auch schon das amerikanische Paar aus Wisconsin Unterschlupf gesucht, mit dem ich den gestrigen Abend verbracht hatte.

 

Das war gestern noch ganz nett. Und auch mit Staunen verbunden. Ich war gerade mit dem Abnehmen meiner abendsonnengetrockneten Radlersachen von der Wäscheleine beschäftigt, als die Zeltnachbarn mit ihrem Auto auftauchten. Wir waren die einzigen Gäste am großzügigen Platz. Typisch amerikanisch hatten sie gleich ihr Campingfeuer angemacht. Ohne Rauch und Feuer ist es bei den Amis glaub kein richtiges Zelten. Und als es dann kräftig loderte, riefen sie mir zu, doch zu ihnen ans Feuer zu kommen.

 

Ein kurzes Hin und Her, und Was man so macht, und dann kam von mir ein lautes “Hey, unglaublich“. Beim Stichwort Österreich kam die Frau nämlich sofort auf mein heimatnahes Brandnertal zu sprechen. Ihre Großmutter sei Deutsche gewesen, und hat ihren Namen „Brandner“ weitergegeben. Und diesem auf die Spur kommend hätte sie mit ihrem Bruder vor ein paar Jahren das Brandnertal besucht, auf der Mannheimerhütte genächtigt, und auch die Schesaplana bestiegen. Eine Brandnerin müsse ja mal nach Brand.

 

Unglaublich. Ein kleiner Campingplatz irgendwo im ländlichen Wisconsin, und man tratscht mit den einzigen Leuten am Platz über Orte, Berge und Täler meiner Heimat. Österreich hätte ihr sehr gefallen. Da konnte ich dann nur antworten, dass das für mich auf Amerika auch zutrifft. Wahrscheinlich hat man beim Reisen eher den Fokus auf Dingen, die man gerne sehen will, und blendet Anderes aufs Erste großzügig aus. Oder man erinnert sich an die schönen Sachen leichter.

 

Ja, und weil der Regen heute Morgen länger anhielt, setzten wir unser Gespräch von gestern Abend noch etwas fort. Erst als es gänzlich zu regnen aufhörte, setzte ich mich aufs Rad. Da war es aber schon fast 10 Uhr. Und allzu viele Kilometer machte ich dann nicht. Der Regen zog nämlich langsamer als ich Richtung Osten. Also gönnte ich mir unterwegs ein kräftiges Frühstück mit einer doppelten Portion Kartoffelpuffer. Das dauerte lange genug, bis die Regenfront abgezogen war. Danach war es dann ein angenehmes Radeln auf flacher, breiter Fahrbahn bei wenig Verkehr. Bei der Routenwahl hielt ich mich an die Empfehlung der Frau Brandner. Das Reststück der Eisenbahntrasse von gestern interessierte mich sowieso nicht mehr. Denn bei Nässe wäre deren sandig-lehmige Oberfläche sicher kein Genuss mehr gewesen.

 

Auf einem kurzen Teilstück kamen mir dann einige Kutschengespanne entgegen. Die Männer in ihnen, alle mit breitem Hut und langen Bärten, grüßten und winkten freundlich zu. Das Klappern der Hufe ihrer eher schlanken Pferde hörte sich am Asphalt lustig an. So als ob sie ebenfalls gut gelaunt am Weg wären. Doch mit den anderen Verkehrsteilnehmern am Weg wirkten die Kutschen etwas seltsam. Keine Ahnung, was die Männer über mich am Rad, oder über die Trucks und Pickups dachten. Vielleicht kam es für sie ebenfalls so wie aus einer anderen Welt vor. Oder vielleicht sollte ich das Bewerten des Gesehenen einfach weglassen. Einfach nur wahrnehmen und so belassen: Pferd im Trab, Mann mit Hut, Winken mit der Hand, Lächeln im Gesicht.

 

3. September 2022

Ein nächtliches Gewitter und auf Betonstraße ostwärts

In der Nacht wache ich plötzlich auf. Etwas kommt mir komisch vor. Draußen flackert ein diffuses Licht immer wieder auf und leuchtet Richtung Zelt. So als ob jemand mit einer Stirnlampe unterwegs wäre. Oder mit einer Lampe im Dunkeln unruhig die Gegend absuche. Ich lausche, und höre es nur weit entfernt dumpf rumoren. Also öffne ich doch das Zelt, will wissen was los ist. Aha, ein Wetterleuchten. Entfernt blitzt es andauernd. Ich sehe es vor mir zwischen den Bäumen durch, und bei der Lichtung weit daneben. Ich bin beruhigt. Das Rad ist noch da. Nur ein Gewitter, irgendwo. Doch so lange andauernde Blitze, das habe ich noch nie gesehen.

 

Aber allzu lange hält die Beruhigung nicht an. Denn das mal weit entfernte Rumoren kommt als Donnergrollen näher und näher. Und dann hat das nächtliche Spektakel auch meinen Ort erreicht. Es knallt ohrenbetäubend noch und noch. Und die Blitze leuchten das Zelt wie mit Scheinwerferlicht aus. Ich ziehe im Schlafsack die Füße an und kauere mich zusammen. Ganz wohl ist mir nicht. Und als Draufgabe fängt es plötzlich an zu regnen. Ein kräftiger Schütter mit Wind. Die Zeltwände wackeln. Blitz und Donner und Starkregen, an ein Schlafen war nicht mehr zu denken. Meinte ich zumindest. Denn irgendwann störte mich der Krawall nicht mehr. Ich konnte es ja ohnedies nicht ändern, und bin wieder eingeschlafen.

 

Am Morgen war dann alles ruhig, und draußen grau in grau. Der Regen hatte demnach irgendwann aufgehört. Vom Gewitter war weit und breit nichts mehr zu hören oder zu sehen. Das eine Pizzastück, das ich gestern am Abend nicht mehr schaffte, lag unversehrt noch vor dem Eingang. Es machte mich mehr an als das Einpacken der nassen Zelthaut. Ok, dann wird es halt mal ein Radeln ohne Sonne werden. Das geht auch. Wenn es heute trocken bleibt, dann habe ich ja ohnedies Glück gehabt.

 

Weniger Glück hatte ich mit den Straßenverhältnissen. Alte Betonplatten mit holprigen Übergängen. Es war anstrengend zum Fahren. Erst gegen Mittag erreichte ich den Abschnitt, der bereits saniert war. Da ging es dann surrend voran, und das natürlich durch Maisfelder. Das kann in Wisconsin gar nicht anders sein. Ein paar der Maisfelder waren in voller Blüte. Rund um sie lag ein süßlicher Duft in der Luft. Und am Boden lagen dennoch schon Kolben. Sie waren von den mich überholenden Trucks gefallen. Eingepackt in ihre grünen Blätter blitzte hie und da ein kräftiges Gelb durch. Vielleicht gibt es sie zum Abendessen irgendwo. Denn zum Kaufen an der Straße gab es sie nur roh. Keine Ahnung, ob das auch von den Trucks heruntergefallene und dann eingesammelte Kolben waren.

 

An einen Harleyfahrer kann ich mich am Abend auch noch erinnern. Auf den Highways sind ja recht viele am Weg. Doch der eine hatte eine Fransenweste. Die gab es glaub schon vor 50 Jahren so. Manches scheint nie aus der Mode zu kommen, auch wenn es noch so schräg ist.

 

4. September 2022

Eine sonntägliche Fährfahrt nach Michigan

Für heute habe ich mir die Querung des Michigan-Lake vorgenommen. Die Fähre legt am Nachmittag ab. Und bis zum Kai nach Manitovoc ist es nicht so weit. Also starte ich mit einem ausgiebigen Frühstück in einer Bäckerei. Sauerteigbrot mit leichter Kruste. Es schmeckte lecker. Und das Mango-Smoothie natürlich auch. Doch dann ging es ab zum See, und ihm entlang nach Norden.

 

War es am Morgen noch bedeckt und eher trüb, so zeichnete sich bald eine Wetterbesserung ab. Und dieser Übergang war am See mit einem tollen Farbenspiel im Wasser verbunden. Vom Grau ins freudige Türkis, und gegen die Sonne ein feines Glitzern. Dazu vom Wind angetrieben ein lautes Wellenrauschen des Wassers. Es hat mir gefallen.

 

Das Fährschiff hatte schon einige Jahre und diverse Umbauten am Buckel. Die Autos wurden ausschließlich von der Schiffsmannschaft an Bord gefahren. Mein Fahrrad durfte jedoch selber schieben. Am Deck war es etwas beengt. Doch ganz oben fand ich einen guten Platz. Im Wind leicht schaukelnd ging es vier Stunden lang geradeaus ostwärts über den See. Faszinierend, wie die Küste von Wisconsin ganz langsam verschwand, dann nur noch Wasser war ringsum, und irgendwann später als solche von Michigan auf der anderen Seite wieder auftauchte.

 

Und die Einfahrt in den langen Hafen von Ludington war spektakulär. Links und rechts flanierten Leute am abendsonnigen Kai und winkten einem zu. Gerade so, als ob die alte Badger das erste Schiff wäre, das hier in den Hafen einläuft. Von hoch oben an der Reling schaute es jedenfalls gut aus, das wechselseitige Winken unter dem Klang der Schiffsirene. Das musste damals 1952 nach dem Bau des Schiffes wahrscheinlich wirklich etwas Besonderes gewesen sein. Doch heute hatte es irgendwie auch einen Hauch von damals. Und es waren alle sichtlich gut gelaunt.

 

5. September 2022

Ein etwas zäher Laborday am Rad

Zeitumstellung war. Ich hatte gestern die Region der "Central Standard Time" erreicht. Es galt die Uhr wieder eine Stunde nach vor zu drehen. Der Unterschied zur Mitteleuropäischen Zeit macht jetzt nur noch 6 Stunden aus. Und so startete ich, weil länger geschlafen, etwas später als gewohnt. Entlang eines kurzen feinen Sandstrandes fuhr ich zum Hafen. Was gestern noch von Wellen umspült war, lag heute trocken. Also fuhr ich das kurze Stück auf der niederen Hafenschutzmauer bis zum Leuchtturm vor. Obwohl vielleicht zwei Meter breit, war es doch ein etwas komisches Gefühl. Abrutschen auf den seitlichen Abflachungen war jedenfalls verboten. Mit dem Rad samt Gepäck wollte ich dann doch nicht ins Wasser des Michigansees.

 

Die wenigen Boote lagen ruhig da. Gestern schaukelten sie kräftig auf und ab. Mit dem Leuchtturm im Hintergrund und dem ruhigen See bot sich ein idyllisches Bild. Ich genoss es etwas länger, mit einem Frühstück am Hafen. Irgendwann tauchte eine größere Personengruppe auf. Es war ein amerikanisches Familientreffen. Und prompt interessierten sie sich auch für mich, und quasselten mich mit Fragen nieder. Mit der Sonntagsmorgenruhe war es für kurze Zeit dahin. Also falls es später mal wieder so einen Anlass geben sollte, dann werde ich dezent auf meine eigenen Ansprüche verweisen. Nämlich zuerst in Ruhe fertig frühstücken wollen. Habe ich mir jedenfalls vorgenommen.

 

Bei der Routenwahl hatte ich mich für einen Trail entlang der Hauptstraße entschieden. Doch der war sehr grobschottrig und nur in Abschnitten gut fahrbar. Also entschied ich mich für die Hauptstraße. Und die musste ich mit vielen anderen teilen. Die Amis hatten urlaubsfrei und ein verlängertes Wochenende. Es war Laborday. Und da waren jetzt alle am Heimweg. Am Abend meinte ich, dass es ein zäher Tag war. Ich war müde. Weniger vom Radfahren, sondern mehr vom rauschenden, nervigen Verkehr. Zudem bot die Umgebung wenig Abwechslung, und hatte kaum landschaftliche Anreize zu bieten. Mit dem grauen Himmel und den tiefhängenden Wolken war das leicht bewaldete Gebiet nicht sonderlich attraktiv. Dafür war die abendliche Pizza ein Volltreffer. Die schmeckte lecker, und entschädigte für den ansonsten eher zähen Tag.

 

6. September 2022

Flach auf einem Rail Trail mit anderen

Am Morgen war es schon wieder nass. Doch es war nur ein kleiner Flecken bei einer Tankstelle. Und der kam von mir. Ein Missgeschick. Beim Umfüllen des gekauften Wassers in meine Radflaschen hatte ich gleich zwei von ihnen elegant umgestoßen. So lässt sich auch Umsatz machen, dachte sich wohl die Verkäuferin, die mir zugesehen hatte.

 

Dafür hatte ich dann bei der Streckenauswahl mehr Glück. Ich fand einen asphaltierten Radweg auf einer alten Eisenbahntrasse. Pere Marquette Rail Trail war angeschrieben. Und auf dem war ich dann den ganzen Tag unterwegs. Flach rollend bei besser werdendem Wetter saß ich zufrieden am Rad. Ein paar Hasen querten hie und da flink den Weg. Und Streifenhörnchen waren ebenfalls jede Menge zu sehen. Etwas Pferdemist lag am Morgen auch noch auf der Straße. Der war vielleicht von einem Gespann, das ich gestern Abend gesehen hatte. Eine elegante Sportkutsche, und davor ein noch eleganteres dunkles Pferd mit hoher Aktion in schnellem Trab. Da waren sowohl das Zuschauen als auch das Zuhören ein Genuss.

 

Bis mittags dachte ich mir, dass ich den Trail für mich allein hätte. Denn es war sonst niemand zu sehen. Doch mit der Sonne tauchten dann ein paar Rennradler und andere Radfahrer auf. Und dazu gab es noch einige Liegeradfahrer mit ganz unterschiedlichen Ausfertigungen ihrer Räder. Vielleicht sollte ich so was auch mal probieren. Denn nur so im Vorbeifahren meine ich jedes Mal, dass man damit ja wirklich nicht Radfahren kann.

 

Heute machte ich am Nachmittag schon früh Schluss. Bis zur nächsten Ortschaft wäre es mir zu weit gewesen. Der Herbst macht sich nämlich schon langsam mit kürzeren Tagen bemerkbar. Und ein neues Ladekabel für mein Tablet musste ich mir auch noch unbedingt besorgen. Mit dem alten ließ sich das Gerät nicht mehr aufladen. Es hatte wohl einen Wackelkontakt. Aufs Geratewohl nachgefragt fand ich tatsächlich sofort einen Laden, der das passende Netzteil lagernd hatte. Da freute ich mich sehr. Es war zwar nicht Bill Gates, der es mir über den Tresen zuschob, doch der junge Verkäufer mit Baseballmütze war vielleicht auch ein Mitglied der Microsoftfamilie. Denn lange suchen musste er nicht. Der erste Griff ins Regal brachte bereits das passende Ding zum Vorschein.

 

7. September 2022

Am Schachbrett nach Süden

Das Herausfinden aus der Stadt war heute schwierig. Doch das lag nicht am leichten Nebel, der noch vor der Sonne durch die Straßen zog, sondern mehr an mir. Ich wollte nämlich meiner geplanten Route nicht folgen. Denn die zeigte sich auf der Karte als weiter Zickzack-Kurs. Also fuhr ich frei der Nase nach, wo ich meinte, dass ich nach Süden durchkomme. Doch wegen eines zu querenden Flusses war es dann ebenfalls ein weiter Rundkurs, bis ich die Lücke endlich gefunden hatte. Dafür kenne ich mich jetzt auch rund um das Firmengelände der Dow Chemical Company in Midland etwas aus.

 

Was nach der Stadt dann folgte, das waren ländliche Geraden vorbei an Mais-, Bohnen-, und ein paar Zuckerrübenfeldern. Ein Teil meiner Strecke war gerade neu asphaltiert. Da war es ein feines Gleiten. Am Horizont waren Windräder zu sehen, oder zumindest Teile davon. Denn es ragten nur die Spitzen der Rotoren bei ihren langsamen Umdrehungen aus dem Nebel heraus.

 

Die Straßen waren wie auf einem Schachbrett angelegt. Es gab nur gerade Linien. Und die hellen und dunklen Felder standen wohl für die unterschiedlichen Pflanzen, kam es mir in den Sinn. Immer geradeaus, und dann mal links oder rechts abbiegen, wo es auf Asphalt weiter ging, war das Motto. Und dann wieder die nächste nach Süden. So verbrachte ich den heutigen Tag. Wenn ich meinte, dass ich das Ende des Schachbrettes endlich erreicht hatte, so hatte irgendjemand schon das nächste Brett als Anschluss ausgelegt.

 

Und die Figuren zum Schachspielen, das könnten vielleicht die vielen einzelnen Häuser gewesen sein, die an der Straße lagen. Das Gebiet war total zersiedelt. Es gab kaum Orte an der Strecke, dafür alle 200 Meter ein einzeln gelegenes Haus. Dieses Muster setzte sich überall fort, egal ob ich mal links oder rechts abbog. Und rund um die Häuser gab es immer einen pingelig kurz gehaltenen Rasen. Bei den größeren Anwesen waren die Rasenflächen dann auch fast wie kleine Schachbrettfelder inmitten anderer landwirtschaftlicher Felder.

 

Ein paar Mal fand ich auch Sand- oder Schotterpisten vor. Ganz ausweichen konnte ich ihnen nicht. Ich staunte danach jedes Mal, wie gut der feine, leicht rote Sand am hinteren Teil des Rades und den Tascheninnenseiten haften blieb. Bei einer Pause wollte ich mein Rad säubern und den Sand mit der Luftpumpe wegblasen. Doch mit dem mageren Luftstrom erreichte ich nur ein akustisches Pft-Pft-Pft. Der Sand ließ sich davon nicht beeindrucken. Da hätte ich wohl einen Kompressor auspacken müssen. Also musste ein oberflächliches, mechanisches Wischen genügen. Auf so einem Schachbrett weiß man ja nie, auf welchem Untergrund man nach der nächsten Abbiegung unterwegs sein wird.

 

8. September 2022

Ein Campingplatz mit Dinner-Service

Was für ein toller Morgen heute. Ich starte gleich mit einem Juchzer in den Tag. Sonne. Frisch. Guter Asphalt. Wenig Verkehr. Ich mag es, wenn sich die Schatten im Morgenlicht ganz klar abzeichnen. Wenn die Farben leuchten. Wenn das Gras vom Tau noch nass leicht glitzert. Wenn das Rad fast wie von selbst zu rollen scheint, auch wenn ich dafür kräftig kurbeln muss.

 

Etwas weiter vor mir will ein Eichhörnchen die breite Straße queren. Ein paar Sätze vor, dann bleibt es stehen. Und dann düst es trotz Gegenverkehr los bis in die Mitte. Der weiße Pickup mit den breiten Reifen hält seine Geschwindigkeit bei. Das Eichhörnchen auch. Doch dann stoppt es gerade noch rechtzeitig. Es werden ein paar Zentimeter gewesen sein, vor den Reifen. Und dann traut es sich wieder weiter. Ich glaube zittrig und mit erhöhtem Puls. Es schafft die Straße. Andere hatten weniger Glück. Immer wieder sehe ich welche am Straßenrand liegen. Doch sonstige Kleintiere auch. Das scheint hier niemand zu kümmern oder zu stören. Und riechen tut man sie ja ohnedies nur im Vorbeifahren mit dem Rad, und nicht mit dem Auto.

 

Kurvig und ganz sanft hügelig geht es am Vormittag weiter. Zwischen großen Eichen durch. Es gefällt mir. Später wird es dann weniger attraktiv. Doch zum Fahren bleibt es den ganzen Tag gut. Bei einem Straßenstand mit Tomaten und Paprika bleibe ich stehen. Es gibt einige dieser Selbstbedienungsstände von Farmern an meiner Strecke. Doch bei diesem passt es mir. Die kleinen Cocktailtomaten schmecken lecker. Irgendwie besser als die aus dem Laden.

 

Am Abend erlebe ich dann am Campingplatz von Stony Ridge eine nette Überraschung. Das Inhaberpaar freut sich, dass ich mit meinem Rad und Zelt bei ihnen zukehre. Die anderen am Platz haben alle riesige Wohnmobile. Radler müssen glaub eher selten hier sein. Und solche aus Europa sowieso. Und irgendwann zwischendurch fährt Gina mit ihrem Mann auf einem kleinen Elektroauto vor. Eine Überraschung folgt. Sie servieren mir ein leckeres, vegetarisches Abendessen am Platz. Kartoffeln, Süßkartoffeln, zweierlei Käse, dazu Salat mit Avocado und italienischem Dressing. Als Dessert Cottage-Cheese mit Ananas. Wein haben sie auch noch angeboten. Ich komme mir wie ein König vor, so bedient zu werden, und bin verlegen. Amerikaner würden das für Freunde so machen, wenn sie sich freuen, ist die Erklärung. Ich glaube, dass ich mit meinem breiten Strahlen am Foto zu ihrer Erinnerung gar nicht zu erkennen bin.

 

9. September 2022

Eine Nebenstraße als grandioses Kunstwerk

Ein vom Tau klatschnasses Zelt trübt etwas die Morgenstimmung. Doch als es verpackt ist, freue ich mich auf den Tag. Mit der wärmenden Sonne von der Seite fahre ich auf schmalen Nebenstraßen dahin. Irgendwann verlasse ich meine geplante Route. Ich folge einfach der schmalen Straße entlang des kleinen Flusses weiter. Im scheinbar stehenden Wasser spiegelt sich die Sonne. Es gefällt mir.

 

Die Straße scheint von Joan Miró bearbeitet worden zu sein. Oder von jemandem, der seinen Stil kopiert hat. Schwarze Asphaltstriche als Ausbesserungsversuche zieren die Straße über viele Kilometer. Es schaut aus wie ein Kunstwerk mit seitlich grünem Rahmen aus Gras. Nicht eine einzelne gerade Linie ist zu sehen. Dafür die Pinselstriche annähernd gleich breit. Ich staune, und pedaliere vorsichtig über die graue Leinwand.

 

Meist sind es Mais und Sojabohnen, die hier angepflanzt werden. Doch an einem großen Feld mit langen Paprikaschoten komme ich auch vorbei. Ich rätsle, ob es vielleicht scharfe Paprika sein könnten. Doch kosten tue ich keine. Der Graben zum Feld hin ist mir zu tief. Und auf die Ernte warten mag ich auch nicht. Obwohl die sicher bald beginnen wird. Denn auf einem Hänger stehen schon mobile Toilette-Anlagen bereit. Und später kommt mir noch ein Traktor mit leeren, großen Plastikkisten entgegen.

 

Die Paprika haben mich vom Radfahren etwas abgelenkt, nur den Mund wässrig gemacht. Denn in der nächsten Ortschaft mache ich gleich früh Pause. Ich kaufe Brot und Käse. Und natürlich auch grüne Jalapenos. Wenn schon nicht direkt vom Feld, dann wenigstens feldnahe aus einem Laden. Im angrenzenden Park genieße ich ihre Schärfe. Das Joghurt als Nachtisch kühlt zum Glück etwas.

 

Am frühen Nachmittag erreiche ich den Lake Erie. Sein Wasser ist schön anzuschauen, nach den vielen Mais- und Bohnenfeldern davor. Doch er Zugang zum See ist nicht so ohne weiteres möglich. Alles ist privater Strand. Die schmucken Häuschen wollen keine Besucher durchlassen. Zumindest finde ich heute keine Lücke. Und der in der Karte eingezeichnete Campingplatz will auch keine Gäste wie mich. Es wird dann ungewollt ein etwas längerer Tag, bis ich reichlich müde in einem Motel unterkomme.

 

10. September 2022

Durch Vorgärten dem Erie-See entlang

Der See zeigt sich am Morgen verschlafen grau. Die Sonne will nicht recht hervor. Sie holt es dafür am Nachmittag umso ausgiebiger nach. Meine Route führt mich den ganzen Tag durch städtisches Siedlungsgebiet. Es geht zwar immer dem Seeufer entlang. Doch die Straße ist durch eine Häuserfront vom See getrennt. Zugang zum Wasser gibt es nur an ganz wenigen Stellen. Die Hausbesitzer wollen lieber für sich allein sein, kommt es mir vor.

 

Es gibt breite Vorgärten links und rechts von der Durchzugsstraße. Ich bin mir nicht sicher, ob ich hier wohnen möchte. Rasenmähen müsste ich glaub mehr mögen als jetzt. Oder man lässt es wie viele hier von Firmen machen. Der Samstag scheint jedoch für alle „mowingday“ zu sein. Alles was kriechen kann mäht, ist mein Eindruck. Oder fährt Rad. Denn rund um Cleveland ist heute eine Radveranstaltung im Gange. Am Radweg bin ich Geisterfahrer. Und dazu auch ohne Nummerntafel unterwegs. Alle Entgegenkommenden haben nämlich eine Startnummer am Rad. Aber es ist glaub mehr eine Volksveranstaltung rund ums Rad als ein Radrennen. Dennoch haben einige knallrote Köpfe von der Anstrengung. "Fundo" lese ich später auf einem Werbebanner.

 

Spaliere gibt es heute auch an meinem Weg. Ein Mal sind es blaue und grüne Müllcontainer. Die dunkelblauen sind für Wiederverwertbares, die dunkelgrünen für Restmüll. Sie sind vor jedem Haus entlang der Straße aufgestellt. Der Müllwagen greift sie mit Greifzangen automatisiert auf, und leert sie über Kopf in seinen Wagen. Alles wird vom Fahrer gesteuert. Hier gibt es keine Helfer, die hinten am Wagen mitfahren und die Container von Hand leeren.

 

Das zweite Spalier betrifft Flaggen. „Flags for honour“ kann ich irgendwo lesen. Unzählbare amerikanische Nationalflaggen sind entlang eines Weges aufgestellt. Jede trägt eine Plakette. Zum Gedenken an verstorbene Soldaten. Bei einem steht „Airport bombing Kabul 2021“. Bei einem anderen ein Anlass aus 1976. Ja, solche Anlässe gibt es wohl viele, verstreut über die Jahre und die ganze Welt. Doch vielleicht war das Fahnenspalier auch eine Aktion nur für dieses Wochenende mit dem 11. September zur Erinnerung.

 

Bei den vielen Parks sind immer wieder Joggerinnen und Jogger unterwegs. Manche durchaus in sportlichem Tempo. Alle tragen kleine, meist weiße Kopfhörer in den Ohren. Ohne die scheint man hier nicht aus dem Haus gehen zu können. Doch dass man mit lauter Musik auch unterwegs sein kann, erfahre ich irgendwann am Nachmittag. Die Musik eines zigarrenrauchenden Harleyfahrers ist lauter als sein Motorrad. Aber vielleicht ist er ganz auf Retro eingestellt. Wer ein altes Motorrad fährt, kann unmöglich moderne Kopfhörer tragen. Zum Glück fährt er schneller als ich. Sein Gedudel möchte ich nicht den ganzen Tag hören müssen. Doch der Zigarrenduft war gar nicht so unangenehm.

 

Am Abend denke ich mir, dass es zum Fahren heute eigentlich nicht so attraktiv gewesen ist, obwohl es immer dem See entlang ging. Viele Kreuzungen, Ampeln, viel Verkehr, mehr los. Auch das kann anstrengend sein. Und dabei habe ich mich am Rasenmähen erst gar nicht probiert.

 

11. September 2022

Ein Regentag mit intensivem Plätschern

Heute zieht es mich nicht aufs Rad. Es regnet, und das am Morgen recht fest. Also bleibe ich unter Dach. Wäschewaschen nehme ich mir vor. Und das ausgiebig. Alles mal gründlich durch. Statt schonender Handwäsche in der Dusche oder im Waschbecken zur Abwechslung nach ein paar Monaten ein Intensivprogramm per Waschmaschine. Das ist zwar nicht tagesfüllend, aber unabhängig davon jedenfalls auch mal nötig. Und dazu auch noch spannend. Nämlich zu erfahren, ob dadurch aus dem zwischenzeitlichen Grau meines Unterziehshirts wieder ein kaufneues Weiß werden kann. Doch an so einem Unterfangen scheitern offensichtlich selbst amerikanische Maschinen für den gewerblichen Gebrauch, selbst wenn sie sich Speedqueen nennen. Dafür waren die Sachen danach jedoch wieder angenehm zu riechen. Also gleich wie nach meiner Handwäsche.

 

12. September 2022

Radeln in süßem Traubenduft

Der Himmel ist noch stark bewölkt, die Straße jedoch längst wieder trocken. Und nach ein paar Kilometern auf der Hauptstraße geht es auf kleineren Straßen dem See entlang. Da hat es mir heute den ganzen Tag recht gut gepasst. Weniger Häuser, oder über große Distanzen überhaupt keine mehr. Und auch recht wenig Verkehr.

 

So um halb neun Uhr passiere ich den ersten Golfplatz. Dort ist der Rasen noch pingeliger gemäht als vor den Häusern. Eine Armada an Elektrofahrzeugen steht bereit für den Transport der Golfspielenden. Keine Ahnung, wieso man hier beim Golfspielen immer mit solchen Autos im Grünen am Weg sein muss. Und nicht zu Fuß gehen kann. Oder mit dem Fahrrad die Runde absolviert. Da wäre ja ein Anhänger für die Golfschläger und anderen Utensilien ebenfalls möglich. Doch wenn die Spieler auch etwas bewegungsfaul sein mögen, Frühaufsteher gibt es allemal unter ihnen. Denn schon am Morgen tummeln sich recht viele auf dem Platz.

 

Gegen Mittag passiere ich die Grenze zu Pennsylvania. Und etwas später ändert sich auch der Geruch der Landschaft. Er wird vermehrt süßlich. Denn ich fahre durch große Weinanbauflächen. Riesige Felder mit überwiegend blauen Sorten. Ich koste ein paar Mal. Die Trauben sind schon reif, und ganz angenehm zu essen. Oder eigentlich ganz lecker. Ich staune, wie groß die Felder sind. War ich die Tage zuvor viel entlang von Mais- und Bohnenfeldern gefahren, so dominiert jedenfalls am Nachmittag der Weinanbau.

 

In einigen Feldern hat die Weinlese schon begonnen. Sie wird mit Erntemaschinen durchgeführt. Und bei den Weingütern ist der Fuhrpark ähnlich groß wie bei den Maisbauern zuvor. Auf der Straße begegnen mir immer wieder Trucks mit geladenen Holzkisten. Sie ziehen den süßlich Traubenduft hinter sich her, auch wenn ringsum keine Rebstöcke zu sehen sind. Am Abend lese ich dann ein bisschen zum Weinanbau in den Staaten nach. Auch wenn mir hier im Osten die Flächen groß vorkommen, so sind es anscheinend dennoch nur 5 Prozent am Gesamtausmaß. Kalifornien werden fast 90 Prozent zugeschrieben. Da muss ich in Kalifornien also woanders hingeschaut haben. Denn die Route an der Küste habe ich jedenfalls nicht als Weinstraße in Erinnerung.

 

13. September 2022

Spektakuläre Niagarafälle

Ein pipifeiner Morgen heute. Sonne vor bedecktem Himmel. Und schon nach den ersten Kilometern wieder der süße Traubenduft. Ich fahre an Weinfeldern entlang. Sie zeigen sich in einem schönen Licht. Mit dem Geruch dazu ist es ein ganz besonderes Erlebnis. Ich juchze also schon mal in der Früh.

 

Als ich bei einem Feld zwischen den Rebstockreihen nahe zur Straße zwei Arbeiter mit Traktoren sehe, bleibe ich stehen. Ich erkundige mich nach der Rebsorte. Es sei Fredonia. Und heute würden sie hier mit der Ernte beginnen. Dass ich aus Österreich komme, quittieren sie mit einem Lachen. Sie wollen mir ein paar Trauben mitgeben. Sie seien sehr gut zu essen. Nur in meinen Packtaschen lassen sie sich lose nicht gut transportieren. Es bleibt beim Kosten.

 

Die Route führt mich weiter am See entlang. Irgendwann zeigt sich dann vis-a-vis die kanadische Uferseite. Ich bin schon nahe zu Buffalo. Dort ist es zum Durchfahren wieder etwas fordernd. Viele Straßen, kunterbunt übereinander und durcheinander. Aber die Seeseite gibt Orientierung. Ich finde den Weg auf die Peace Bridge nach Kanada.

 

Auf das Einreiseszenario war ich schon total gespannt. Doch es ging problemlos vor sich. Der Beamte hatte bei der Kontrolle ein stoisches Pokerface. Mit seinen Tätowierungen hätte er auch gut woanders hingepasst. Er war mit meinem Hinweis zufrieden, dass ich mir nur die Niagara-Fälle von der kanadischen Seite aus anschauen will, und nicht lange bleiben werde. Einen Stempel in den Pass gab er mir keinen. Dafür ein freundliches und schnelles “Good bye, safe ride“.

 

Ja, und dann fuhr ich für einige Zeit und ein paar Windungen dem Niagara River entlang. Der Himmel hatte sich schon längst zugezogen. Hinter mir regnete es bereits. Doch vor mir schaute es nicht so schlecht aus. Und Wasser gab es ja sowieso schon genug im Fluss. Mit Neugierde näherte ich mich den Wasserfällen. Spektakulär. Oder Booaahh, was da an Wasser 50 Meter runterrauscht, und in einen Gischtnebel eintaucht. Zum Staunen. Das zwischenzeitlich eingesetzte Regennieseln stört mich nicht. Ich fahre am Gehweg langsam der Kante entlang, und bin total beeindruckt. Einfach toll anzuschauen. Rundum war natürlich auch heroben einiges los. Ich war nicht der Einzige hier. Doch das Schauspiel am Wasser war genial. Ich nehme mir vor, dass ich morgen nochmals vorbeischaue. Vielleicht mag dann die Sonne auch mit. Fragen tue ich sie jedenfalls.

 

14. September 2022

Dem Erie-Kanal entlang nach Nordosten

Welch freudiger Empfang heute Morgen vor der Türe. Die Sonne blinzelt mich an und blendet. Ich freue mich. Und ich mache mich gleich auf zum Whirlpool. Doch reinhupfen tue ich nicht. Es geht mir zu tief runter. Whirlpool nennen sie die eine Kehre, bei der der Niagara River nach einer kleinen Stufe fast eine 360 Grad-Wendung macht. In einem großen Becken sucht er sich dort brodelnd eine andere Richtung. Statt nur vom Rand des Abbruchs könnte man den Whirlpool auch per Seilbahn von oben direkt betrachten. Doch am Morgen ist sie noch nicht in Betrieb.

 

In Betrieb sind dafür etwas weiter flussabwärts die beiden Kraftwerke auf der kanadischen und der amerikanischen Seite des Niagara Rivers. Mit ihren martialischen Betonmauern wirken sie wie die Faust aufs Auge zur Schönheit der Schlucht und des Flusses, oder zu den Wasserfällen davor.

 

Und die Wasserfälle schaue ich mir am Morgen mit der Sonne nochmals an. Mein Eindruck heute: Gleich spektakulär wie gestern. Vielleicht etwas lieblicher, weil rundum heller. Weniger brachial als mit den dunklen Wolken. Dafür hängt über dem Becken etwas mehr Nebel. Und beim Zuschauen und Staunen bin ich in der Früh fast allein.

 

Der kurze Ausflug auf die kanadische Seite hat sich jedenfalls gelohnt. Denn nach der Rainbow Bridge und dem Passieren der Grenze kommt mir die amerikanische Flussseite und die dortige Stadt weniger einladend vor. Ich brauche einige Zeit, bis ich mich wieder eingewöhnt habe. Doch ich bin ohnedies schnell wieder aus der Stadt draußen, und übers freie Land am Weg. Der Erie-Kanal gibt mir die Richtung vor.

 

Mit leichtem Rückenwind komme ich flott voran. Es sind nur ganz wenige Orte an der Strecke. Doch den ganzen Tag über passiere ich Haus um Haus an der Straße. Zersiedelt nennt man das glaube ich. Und wenn es nicht gerade Häuser mit viel grünem Rasen rundherum waren, dann gab es Mais- und Sojabohnenfelder. Oder auch ein paar große Viehfarmen. Beim Mais wie auch bei den Bohnen hatte schon die herbstliche Färbung eingesetzt. Kein üppiges Grün mehr, sondern ein Übergang zum fahlen Gelb. Und herbstlich fühlte sich eine Zeit lang auch der leichte Wind an. Eine frische oder kühle Brise wehte übers Land, und trieb mich weiter Richtung Osten.

 

15. September 2022

Durch Obstplantagen am Ontario See

Ein wunderbarer Morgen. Sonne. Klare Luft. Etwas kühl. Entlang von Schleusen am Erie Kanal fahre ich durch leicht bewaldetes Gebiet. Dicht überm Wasserspiegel liegt eine feine Nebel- oder Dunstschicht. Hie und da glitzert die Sonne im Wasser. Sie steht noch ganz tief, und blendet ein bisschen, je nach Fahrtrichtung. Ein paar morgendliche Jogger und Radfahrer sind ebenfalls am Weg. Doch am Wasser sind keine Boote.

 

Nach einem kleinen Hügel, von denen es heute recht viele gibt, komme ich an einem großen Kartoffelfeld vorbei. Ein paar Zeilen liegen offen. Schöne, große, rundovale Kartoffeln dürfen noch etwas in der Sonne trocknen. Holzkisten stehen gefüllt für den Abtransport bereit. Ein Mann mit Hubstapler richtet sie her. Und im Feld sehe ich auch jede Menge dieser Kisten. Es wird von Hand aufgelesen. Entsprechend viele Arbeiter sind damit beschäftigt. Später überholt mich dann ein Truck. Ich meine, dass er die Kartoffelkisten von diesem Feld geladen hatte.

 

Je näher ich zum Ontario See komme, desto mehr Obstplantagen sind zu sehen. Riesengroß die Wiesen, doch nur klein die Bäume. Dafür alle im Spalier in Reih und Glied. Und alle tragen Äpfel noch und noch. Ich probiere einen dieser pausbackig Roten. Vielleicht hätte er noch etwas nachreifen müssen. Denn der erwartete Gaumengenuss blieb aus. Er schmeckte mir zwar gut, aber viele davon kaufen würde ich dennoch nicht.

 

Doch irgendwer muss sich ja doch für diese Äpfel interessieren. Denn die Ernte war auf vielen der Wiesen gerade im Gang. Angestellte Leitern an den Bäumen, und darauf Arbeiter mit großen Umhängetaschen. Zum Teil hatten sie die Beine weit gespreizt und stützten sich auf Ästen ab. Die Handgriffe gingen schnell. Zwischen den Baumreihen standen Holzkisten bereit. Kleine Traktoren fuhren sie nahe an die Straße. Und dort holten mich dann die Äpfel auch wieder ein. Nämlich in den Kisten auf den Ladeflächen der Trucks.

 

Ein Mal kam mir ein Auto mit aufgeschnallter Angelrute entgegen. Kein Wunder. Bei einem See kann sich ja nicht alles nur um Äpfel drehen. Da geht es auch um Fische. Die Rute war ganz vorne auf der Motorhaube in einer Art Köcher befestigt, und spannte sich in einem Bogen bis weit übers Dach. Eine spannende Art des Transports, oder des Spazierenfahrens eines Sportgerätes.

 

16. September 2022

Die einsamen Wälder von New York

Am Morgen weckt mich das Geschnatter von Gänsen. Sie fliegen hoch über den kleinen See, auf dem der leichte Wind den schmalen Nebelstreifen überm Wasser zu vertreiben versucht. Es war ein idyllischer Platz am Wasser. Ich hatte das Zelt unter den Ästen einer großen Eiche aufgestellt. So blieb es vom Tau verschont und war beim Einpacken trocken.

 

Nass war dafür meine Nase beim Fahren. Es war herbstlich frisch. Sie tropfte ständig. Und schon bald legte ich eine erste Pause ein. Die warmen Handschuhe mussten aus den Packtaschen raus. Und einige Zeit später wechselte ich die dünnen Sommersocken gegen dickere Radlersocken. So fühlte es sich dann etwas angenehmer an am Rad. Und die Nase hatte sich auch wieder beruhigt.

 

Auf einer Brücke sah ich schon von weitem viele Leute stehen. Es war ein richtiger Auflauf. Alle hatten Fischerstiefel an, und hantierten mit ihren Angeln. Doch der Grund der Hektik war, dass einer von ihnen einen prächtigen Fisch an Land gezogen hat. Und dieses Schauspiel ließen sie sich nicht entgehen. Der Fisch war dann schnell in einer Kühlbox mit Eis hinten in einem Pickup verstaut.

 

Etwas weiter in einer kleinen Stadt wiederholte sich die Szene. Dort standen Fischer Seite an Seite weit im Wasser, und von der Brücke sahen andere zu. Der Fluss sei hier bekannt für einen sicheren Biss, erfuhr ich von einem der Zuschauer. Lustig war dann, dass sich der Mann als Australier zu erkennen gab. Er meinte, ich hätte einen ähnlichen Akzent wie er. Die Amis würden das mit der Aussprache nicht so richtig hinkriegen, oder würden anders klingen. Aber beim Fischen seien sie jedenfalls besser. Das sehe man hier schon von der Brücke aus.

 

Gegen den Nachmittag hin setzte sich dann die Sonne durch. Ich war in schon etwas herbstlich gefärbten einsamen Wäldern am Weg. Wunderbar zum Fahren, und auch mit kräftigem Auf und Ab. Mein Bild über New York musste ich gänzlich revidieren. Bisher hatte ich dabei nur die große Stadt im Kopf. Und dabei tut sich dahinter ein ganzer Bundesstaat auf, der mit Wäldern und Seen und einer Landschaft zum Staunen richtig glänzen kann.