Spanische Schleife - Eine Radtour der EXtraklasse

Von Frastanz, im Westen Österreichs, fahre ich dem Jakobsweg entlang quer durch die Schweiz und Frankreich nach Spanien. Santiago de Compostela mit Finisterre sind dort das Ziel. Zurück geht es die Pyrenäen entlang, und dann über den Westalpenbogen mit vielen fordernden Pässen. Mit den vielen Höhenmetern war es eine klasse Tour.

 

Tourdaten: 50 Tage, 6.000 Kilometer, 92.000 Höhenmeter 


Prolog zur Tour

Mal länger mit dem Rad unterwegs sein. Mal kräftig Kilometer sammeln, und Höhenmeter dazu. Mal von der Haustüre weg starten, und eine größere Schleife ziehen. Mal wieder Urlaub machen in Frankreich machen, und über die Grenze nach Spanien schauen. Mal Abstand finden vom Büro, und die Nase in den Wind hängen. Mal zu einem runden Geburtstag was Besonderes machen, und ausgiebig noch dazu.

 

So oder ähnlich waren meine Überlegungen im Sommer 2017. Einfach mit leichtem Gepäck losfahren. Vielleicht einer bestimmten Route folgen. Es sollte der Jakobsweg sein. Doch wenn alle anderen diesen Weg zu Fuß machen, so geht er für mich mit dem Fahrrad sicher auch. Und wenn ich schon mal am Radeln bin, dann lässt sich wohl noch was anhängen. Vielleicht ein paar Alpenpässe, oder die in den Pyrenäen, und in der Schweiz finden sich ja auch noch welche.

 

Ich habe mir 7 Wochen Auszeit genommen, mit Start Mitte August. Als Route ist es eine Schleife über Spanien geworden. Mit dem Rad sportlich flott quer durch die Schweiz, Frankreich und das nördliche Spanien bis nach Santiago de Compostela. Am Rückweg habe ich dann reichlich Höhenmeter gesammelt. Die Bergetappen der Vuelta, des Giro und der Tour de France lagen sozusagen am Heimweg. Ende September habe ich nach 6.000 Kilometern mein Rad wieder zu Hause abgestellt. Bei den Höhenmetern kam ich auf stolze 92.000. Und gefallen hat mir das Radfahren genial. Einfach Klasse, auf die Art unterwegs zu sein.

Tagebuch zur Tour

Von daheim ab in die Schweiz

Was gibt es schöneres, als von zu Hause weg eine Tour zu starten. So etwas kann ich sehr genießen. Doch weniger mag ich das Regenwetter, das mein Losfahren etwas verzögert. Ich warte, bis es etwas aufklart. Und kurz vor mittags geht es dann los. Auf bekannten Straßen geht es ab in die Schweiz. Juhu, ich bin am Weg, und gelange am ersten Tag noch bis nach Schwyz.

 

Mit Hügel auf und ab geht es weiter. Am Brünig-Pass herrscht mächtig Verkehr. Ich bin nicht der einzige, der auf Urlaubsreise ist. Doch wohl eher auf unorthodoxe Weise. Denn alle anderen fahren mit dem Auto oder Wohnmobil. Abends finde ich in der Pizzeria Sternen Unterkunft, und auf der Speisekarte eine Unterlage für den nächsten Tag.

 

Vach Bern bis Freiburg gefällt mir die Landschaft sehr. Ich mag Sonnenblumenfelder über alles. Und solch feine Hügel mit dazu, samt den bunten Farben der Felder. Im Nu bin ich am Genfersee und staune ob seines Blau.

 

Frankreich - auf schmalen Straßen quer durch

Auch nach Genf geht es landschaftlich sehr schön weiter. Frankreich öffnet mir die Tür. Ich nutze den Radweg entlang der Rhone. Erst sehr spät finde ich ein Zimmer. Im Hotel Pascal, einem alten Haus mit Charme, gibt es ein Dorffest. Mitte August feiern nicht nur die Italiener. Im Garten ist alles fein hergerichtet. Doch als die ersten Gäste eintrudeln, fängt es an zu regnen. Also zügeln alle nach drinnen. Für mich gibt es gerade noch Platz an einem kleinen Tisch in der Küche. So bekomme ich auch noch was vom dortigen Treiben mit.

 

Ich habe einen guten Rhythmus drauf. Ich genieße es, wie ich ziemlich flott dahinradle. Irgendwann überquere ich die Rhone. Danach zeigen sich ganze Landstriche voll Obstbau. Eine schöne weite Hochebene mit stetigem Auf und Ab erweist sich als ideal zum Höhenmeter sammeln. In einer Pilgerunterkunft nächtige ich mit noch 4 anderen in einem Mehrbettzimmer. Als Radfahrer bin ich ein Exot unter den Wanderern. Mit einem jungen Mann aus München tausche ich mich über Tagesdistanzen und das Reisegepäck aus. Egal ob Radfahrer oder Wanderer, das Gewicht der mitgenommenen Sachen ist bei uns beiden ein Thema. Und beide meinen wir, dass wir wirklich nur das Nötigste dabei haben. Und dennoch empfinden wir es als ziemlich viel.

 

Ich starte schon recht früh und nutze die wunderbare Morgenstimmung. So macht das Radfahren Spaß. Die Wanderer sehe ich nur hie und da, wenn sie grad die Straße queren. Oder irgendwo auf der Hochebene im Schatten von Bäumen rasten. Mit einigen Höhenmetern gelange ich bis nach Conques. Mitten drin erweist sie sich als klassische Touristenstadt. Es gefällt mir dennoch, wie auch mein Hotel Jaques. Viel Auswahl hatte ich nicht. Denn ich bin ja mitten in der Sommersaison unterwegs.

 

Leider währt der schöne Höhenweg heute nur sehr kurz. Ich gelange auf eine große Straße mit viel Verkehr. Gefallen finde ich jedoch an den Straßenschildern. Immer wieder weisen sie auf Abstand halten beim Überholen von Radfahrern hin. Es halten sich zwar nicht alle an den empfohlenen ganzen Meter, doch es ist für mich ganz ok. Und irgendwann finde ich dann wieder eine kleine Straße. Sie führt mich einsam und lang durch den Park Regional Naturel de Causses de Querzy.

 

Eine geniale Landschaft. Sonnenblumenfelder pur in leicht hügeliger Umgebung. Dieser Tag ist ein Genuss für das Auge. Und zum Radfahren ebenso toll. Und toll ist auch der Preis im Hotel für diese Nacht. Dafür darf mein Rad mit ins Zimmer. So teile ich die Summe einfach durch 2. Damit ist mein Gewissen wieder beruhigt.

 

Heute bekomme ich erstmals die Pyrenäen ins Blickfeld. Die Landschaft ist ähnlich wie am Vortag. Und damit auch meine Stimmung. Cyclisme en France est fantastique. Ich genieße den Tag und finde abends eine super Unterkunft in einem Chambre d’Hotes. Es hat sogar einen Pool. Und die baskische Cola schmeckt ausgezeichnet. Hey, so geht Urlaub, denke ich mir. Ich bin recht zufrieden, mit mir und dem bisherigen Verlauf der Tour.

 

Spanien - dem Jakobsweg entlang bis ans Ende der Welt

Die Pyrenäenquerung bei Saint Jaques erweist sich als unspektakulär. Es ist zwar sehr heiß, doch die Steigung ist gleichmäßig und auch nicht sehr ausgeprägt. So lasse ich Frankreich schnell hinter mir und fahre gleich weiter bis Pamplona. Dort zeigt sich die Durchfahrt als für mich schwierig. Es sind zwar keine Stiere am Weg. Nur kann ich auf meiner Route einfach kein Hotel mehr finden. Das erste war leider schon voll. Also entscheide ich mich für ein schnelles Raus aus der Stadt. Und so lande ich in einer Pilgerunterkunft in einem Vorort. Ich zahle 10 Euro für das Stockbett in einem Männerschlafsaal voll mit Wanderern aus allen möglichen Nationen. Auch wenn wir uns sprachlich unterscheiden, so riechen die Socken bei allen gleich. Und beim Schnarchen lassen sich den Nationen ebenso keine besonderen Wesensmerkmale zuordnen.  

 

Es ist ziemlich heiß heute. Meine Route führt mich immer wieder auf einem Weg entlang der Autobahn. Spanien ist irgendwie anders als Frankreich. Ich denke mir, dass das Pilgern auf dieser Passage wohl wenig Beschauliches an sich hat. Mehrspurige Autobahn, mit etwas Abstand daneben eine kleinere Straße, und dann der schmale staubige Feldweg für die Wanderer, die hier zunehmend mehr werden. Waren es vor einer Woche nur einzelne, so pilgern sie hier auch vermehrt in Gruppen. Und hie und da auch dicht hintereinander.

 

Die Kathedrale von Burgos ist sehr schön. Doch ich suche nach einem Sportgeschäft. Ich habe nämlich mein Lieblings-T-Shirt in der letzten Unterkunft in Frankreich liegen gelassen. Mit etwas Suchen finde ich endlich meinen Markenladen. Nur hat er leider an diesem Tag geschlossen. Ja, so kann es einem gehen, wenn man unbedingt etwas Bestimmtes haben möchte.

 

Geniale Landschaft. Ein super Tag. Entlang kleiner Straßen geht es quer durch die Meseta, die spanische Hochebene. Die abgeernteten Getreidefelder bieten in der schier endlosen Weite ein ganz besonderes Flair. Und faszinierend finde ich auch diesen ganz eigenen Geruch der Felder. Radfahren vom Feinsten. Mit allen Sinnen eintauchen in diese spezielle Landschaft. Ganz in ihr unterwegs sein. Mich tragen lassen von den Eindrücken. Aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Irgendwann stelle ich mich in ein Sonnenblumenfeld. Ich richte mich wie die Blumen in ihre Richtung aus. Die langen Stiele der Sonnenblumen sind total kräftig. Sie scheinen die große Last der geneigten Köpfe mühelos zu tragen. Es ist ganz still, so als ob alle nur schweigen würden, und auf die Art eins sind miteinander. Keine Ahnung, was in ihren Köpfen vorgeht. In meinem machte sich jedenfalls Achtung vor der Natur breit.

 

Vor Leon habe ich meinen ersten Patschen. Erfolglos flicke ich ihn gleich zwei Mal, bevor ich mir kurz vor Ladenschluss am Samstag doch einen neuen kaufe. Manchmal liegen die Radgeschäfte wirklich ideal am Weg, stimmt mein Timing. Abends geht es bergwärts und fast alpin hügelig weiter. Ich treffe auf einen anderen Radler. Er ist sehr sportlich unterwegs, erzählt von schon gefahrenen 350 Kilometern. Als sein heutiges Ziel nennt er eine Stadt, die ich mir erst für den Abend des nächsten Tages vorgenommen habe. Na klar, wer beim 1.200 Kilometer-Brevet Brest-Paris-Brest mitmacht, der hat andere Distanzen im Kopf als ich. Und so einer ist auch mit weniger Gepäck unterwegs. Außer reichlich Verpflegung in seinen Trikottaschen hat er nur einen Biwaksack am Rad. Und so ist er dann auch recht schnell wieder außer Sichtweite von mir. Ich weiß nicht, wie es ihm danach dann ergangen ist. Ich habe jedenfalls gerade noch rechtzeitig ein Berghotel gefunden, bevor ein kräftiges Gewitter mit Hagelschlag durchzog.

 

Der Tag beginnt mit einer langen Abfahrt. Danach geht es durch ein langes Tal entlang einer Autobahn. Und wieder auf den nächsten Berg, und dann hügelig über mehrere kleine Pässe abwechslungsreich weiter. Motiviert von der Radlerbegegnung vom Vortag komme ich flott voran. Oder es ist die sich abzeichnende Nähe zu Santiago de Compostela, die mir leichte Beine gibt. Die Ankunft in Santiago oder das Reinfahren in die Stadt ist unspektakulär. Ich freue mich dennoch, wie die vielen Pilger, die sich vor der Kathedrale jubelnd treffen, und ihre Rucksäcke freudig fallen lassen. Rein äußerlich macht das Pilgern glaub schon was mit den Menschen. Denn wenn ich mir deren Bilder von Saint Jaques in Frankreich Erinnerung rufe, so stehen sie jetzt anders da. Ordentlich gepflegt, machten viele damals den Eindruck, und wirkten fast etwas steif. Und jetzt tragen sie mit Würde verschwitzte Shirts und staubige Schuhe, und dazu entspannte Züge in sonnengebräunten Gesichtern. Und tratschend am Boden sitzen mitten am Platz vor der ehrwürdigen Kathedrale scheint ganz selbstverständlich zu sein, unabhängig von Alter und Geschlecht, und dem was rundherum sonst an Treiben vor sich geht.

 

Mein erster Ruhetag nach 17 Radtagen beginnt mit leichtem Nieselregen. Der Himmel ist verhangen. In den engen Gassen der Stadt drängen sich die Touristen. In den Läden gibt es überall den gleichen Pilgerkrimskrams zu kaufen. Cafes, Bars, Restaurants und Schnickschnackläden wechseln sich ab, egal um welche Ecke man biegt. Ich genieße den Tag in einem der Cafes, stöbere in den aufliegenden Zeitschriften, und höre Musik. Ich fühle mich wohl. Draußen marschieren Pilger vorbei. Einige kommen mir bekannt vor. Ich habe sie am Vortag schon mal am Weg gesehen.

 

Was wäre eine Fahrt nach Santiago de Compostela ohne der Weiterfahrt nach Kap Finisterre? Wohl ein unvollendetes Ding. Oder nur eine halbe Pilgerfahrt. Also mache auch ich mich trotz leichtem Regen weiter auf Richtung Westen. Es sind nur 60 Kilometer bis zum Ende der Welt. Dort posiere ich wie die vielen anderen für einen Schnappschuss vor dem Leuchtturm. Und für einen zweiten noch, beim grauen Kilometerstein Null, der die Vollendung des Jakobsweges anzeigen soll.

 

Rückweg - Golf von Biskaya mit baskischer Küste

Der Tag beginnt etwas mühsam, denn es herrscht reichlich Verkehr. Bei besserem Wetter wollen scheinbar viele dorthin, wo ich gestern schon war. Doch irgendwann zweige ich von der Kap-Straße ab und fahre Richtung Norden. Ich finde eine feine Route. Sie führt immer wieder durch dichte Eucalyptuswälder. Ja, so etwas mag ich sehr: Kurvig, leicht hügelig, allein, abwechslungsreiche Landschaft, die die Sinne betört. So macht Radfahren Spaß.

 

Hui, es hat nur 7 Grad am Morgen. Dafür ist der Blick auf den Atlantik spektakulär. Ich staune ob der Gischt und der vielen Wellen, und wie sie mit Getöse ans Ufer klatschen. Ich lande zufällig im Hotel Gastronomic Parterre. Eigentlich bin ich einem anderen Hinweisschild gefolgt. Doch die Unterkunft gefällt mir sehr. Und das Frühstück ist Extraklasse. Es ist schon toll, sich hie und da etwas zu verwöhnen, und das dann auch richtig genießen zu können.

 

Genießen mag ich auch die nette Küstenstraße ohne viel Verkehr. Über viele kleine Buchten und Küsteneinschnitte geht es rein und raus, meist immer wieder mit Blick über Hügel aufs nahe Meer. Stören tut mich manchmal nur die nahe Autobahn mit ihren Brücken, die ganz klotzig über einem thronen. Manchmal dachte ich mir, hey, so eine Brücke wäre auch unten auf meiner kleinen Straße fein. Dann würde ich nicht nur Kilometer machen, sondern käme auch ich entlang des Golfes von Biskaya etwas schneller weiter. Dafür habe ich das Meeresrauschen hautnah, und das Fahren mit dem Wind, und die bunten Herbstfarben der Natur.

 

In Santander genieße ich am Abend ein Picknick am Strand. Feiner Sand, tolle Stimmung, gut gelaunte Menschen, zufriedener Radler. Und ein genialer Morgen dann dazu, mit reichlich Sonne und einem ganz ruhigen Meer. Waren es am Abend noch kräftige Wellen, so ist jetzt am Morgen nicht eine zu sehen. Das Meer ist spiegelglatt. Für ein Weiterkommen muss ich auf meiner Route 2 Mal mit einer Fähre übersetzen. Diese Bootsfahrten sind auf dem ruhigen Wasser und der besonderen Morgenstimmung ein Traum. Etwas mühsam ist nur das Anlanden mit der zweiten Fähre. Es ist ein kleines Boot. Als Steg gibt es nur ein dickes schmales Holzbrett. Bis zum Erreichen der Holzplanken des Strandweges muss ich im tiefen Sand meine Fuhre kräftig anschieben.

 

In Bilbao habe ich mich zuerst verfahren. Ich konnte den Weg zum Guggenheim-Museum nicht auf Anhieb finden. Mein Garmin wollte mich über die vermeintlich kürzeste Route auf einer Mountainbikestrecke weiter lotsen. Nur die war mir dann doch zu steil, und mit den schmalen Rennradreifen auch nicht fahrbar. So habe ich wenigstens noch etwas mehr von der Stadt gesehen. Doch eigentlich war mir deren Trubel fast ein wenig zu viel.

 

Regen am Vormittag. Es ist unlustig und kalt. Meine Route schlängelt sich durch kleine Täler auf und ab. Und ein Auf und Ab war es auch mit dem Wetter und dem Regen. Erst als ich wieder die Küste erreiche, kommt die Sonne durch. Meine Zimmersuche in Orio gestaltet sich erfolglos. Es gibt zwar einige Hotels, doch sind alle voll und weisen mich ab. Irgendwo habe ich beim Abklappern der Häuser zudem noch meine Radbrille verloren. Etwas missmutig fahre ich mit bei starkem Verkehrsaufkommen weiter bis nach San Sebastian. Ich bin ziemlich müde. Ich finde erst in der Dämmerung eine kleine Pension im Zentrum. Nur wirklich freuen will ich mich über mein Zimmer nicht. Denn das Bett ist total verschmutzt. Es ist Rostwasser aus der Klimaanlage an der Decke. Angeblich war die Anlage im Nebenzimmer defekt. Bei deren Reparatur mit Ausblasen per Luftdruck wurde unbemerkterweise auch mein Zimmer in Mitleidenschaft gezogen. So die Erklärung des Pensionsinhabers, dem die Sache reichlich peinlich ist. Doch bis ich vom Abendessen wieder zurück bin, hat er alles pikobello saniert. Und seine Empfehlung für das vegetarische Restaurant in der Stadt hat ebenfalls gepasst.

 

Viel Verkehr und mühsam zum Rausfahren aus der Stadt. So gestaltet sich mein nächster Tag am Morgen. Auch kann ich die Straße nach Irun einfach nicht finden. Ich mache einen kräftigen Umweg. Dafür finde ich ein Radgeschäft am Weg, und damit auch wieder eine Brille. Ich habe vom Vortag noch etwas müde Beine. Zudem tue ich mir bei der Orientierung mit den baskischen Ortsnamen recht schwer. Es ist ein etwas zäher Tag. Denn in Saint-Jean-Pied-de-Port dauert die Zimmersuche wieder recht lang. Gut für die Hotels, wenn sie ausgebucht sind, doch weniger gut für mich als Radler. Vielleicht sollte ich meine Etappenziele  eher nach möglichen Unterkünften vorweg planen, als einfach so ins Blaue drauf los zu fahren.  

    

Pyrenäenquerung - jetzt kommen die großen Pässe

Wenn meine Laune am Vortag nicht so gut war, so ist sie heute ganz anders. Genialer Tag, bilanziere ich am Abend. Ab Saint-Jean-Pied-de-Port ist kaum mehr Verkehr. Es geht auf einer super Bergstraße dahin, mit tollen Ausblicken. Die Weite gibt mir ein erhabenes Gefühl. Und ganz stolz bin ich, dass ich mit Gepäck so viele Höhenmeter mache. Die Anstiege fordern mich zwar sehr. Doch es ist ein feines Gefühl, am Pass oben mit einem Juchzer anzukommen. Ich freue mich sehr. In einem kleinen Nest komme ich im Hostal Onki Xink unter. Es wird von einem Engländer geführt. Er gibt mir einen tollen Dachraum und ich bin vollauf zufrieden. Ich bleibe 2 Nächte. Denn der Wetterbericht für den nächsten Tag ist leider sehr schlecht. Am Abend wundere ich mich, dass plötzlich sehr viele Rennradler auftauchen. Sie nehmen am großen Preis von Isaba teil. Mein Nachfragen ergibt, dass es ein lokales Bergrennen über 140 Kilometer und 3.800 Höhenmeter ist. Gewertet wird nur die Zeit für die Bergaufstrecke, weil die Abfahrten im Renntempo und in Gruppen zu gefährlich seien.

 

Am Morgen wage ich mich dann kurz in den Regen zum Startgelände des Rennens vor. Der ganze Ort wimmelt von Rennradfahrern. Man sieht, wie nervös viele sind. Obwohl Amateure, geht es wohl um die persönliche Ehre und den Ehrgeiz, bei einem großen Preis gut abzuschneiden. Es schüttet volle Kanne. Sie verschieben den Start um 3 Stunden. Ich schau mir die ausgeschilderte Strecke an. Sie führt entlang meiner geplanten Route. Also weiß ich vorweg, was mich erwarten wird. Ganz sicher jedenfalls ein paar steile Rampen. Gegen Mittag und zum Rennstart lässt der Regen etwas nach. Vielleicht hätte ich mich ihnen gleich anschließen sollen, war ein kurzer übermütiger Gedanke von mir. Doch ein Ruhetag ist auch ok. Ich nutze den Tag für die Planung möglicher Etappenziele für die nächsten Tage. Am Nachmittag schaue ich im Fernsehen die Live-Übertragung der Vuelta an, und verdöse den restlichen Tag.

 

Aufgeputscht von den Rennradlern des Vortages starte ich im Nieselregen recht früh los. Der Wetterbericht ist schlecht. Am Pass oben erwartet mich heftiger Regen und Wind. Es ist total unlustig zum Fahren. Es ist kalt und ich habe klamme Finger. Irgendwann habe ich auch nasse Füße. Und im Nacken spüre ich, wie mir Regenwasser unter die Jacke rinnt. Bei der Abfahrt bin ich mit meinen Bremsen am Anschlag. Obwohl voll durchgezogen, zeigen sie ob des vielen Regens kaum mehr Wirkung. Es rinnen Bäche über die Straße. Doch anhalten und Pause machen geht bei solchen Bedingungen auch nicht. Also mühe ich mich mit viel Nervenkitzel den Berg hinunter. Vor jeder Kurve bin ich total angespannt. Und danach ebenso. Denn es geht recht steil und kurvenreich weiter. Wegen des Regens fahre ich äußerst vorsichtig und ganz langsam, soweit es meine Bremsen überhaupt zulassen. Es ist saukalt. Ich friere. Nie mehr, sage ich mir, starte ich bei solchen Bedingungen zu einer Bergetappe. Doch kaum unten angekommen, wird das Wetter wieder besser. Im Fahrtwind trocknen meine Kleider ab. Die Stimmung wird mit ein paar wenigen Sonnenstrahlen auch gleich merklich besser. Also fahre ich weiter. Nur zieht es dann ein paar Täler danach wieder zu. Ich breche daher die Etappe in Oloron ab, und suche mir ein Hotel. Mit der Erfahrung heute oben am Berg mag ich mich dann doch nicht auf ein solches Abenteuer nochmals einlassen. Für das Trocknen der Schuhe frage ich nach einem Föhn. Der Hotelinhaber gibt ihn mir nur widerwillig. Er sei neu, sagt er mir, und die Leute würden sie immer zu lange laufen lassen, dass sie leicht kaputt gehen. Aha, denke ich mir, dann bin ich wohl in einem Radlerhotel gelandet.

 

Ich mache einen Tag Pause. Schlechtwetterschicht. Es regnet und alles ist total verhangen. Nach dem Erlebnis vom Vortag habe ich wenig Lust auf eine ähnliche Bergtour. Es warten ja die großen Pässe wie Aubisque und Tourmalet als Herausforderung der nächsten Tage. Zeitvertreibend checke ich mein Rad, und bekomme Hilfe beim Reparieren des vorderen Umwerfers. Emilia, die Reinigungskraft des Hotels, meint, dass das ihr Mann Andre das als ehemaliger Fahrradmonteur perfekt könne. Dieser taucht dann am Abend mit seiner Werkzeugkiste auf. Mit ein paar gekonnten schnellen Griffen hat er meine Schaltung schnell wieder korrekt eingestellt. Er bringt mich in Kontakt mit seinem Freund Lorenzo Morales, der mich zum Essen zu sich nach Hause einlädt. Ich bin sehr berührt, wie herzlich ich hier aufgenommen werde. Lorenzo schwärmt von seinen Touren in den Alpen, und erzählt von seiner Lebensgeschichte als Musiker. Derzeit arbeitet er als Hilfsarbeiter bei Airbus nahe Toulouse. In seinem kleinen Zweizimmerappartement hat er in der Küche seine beiden Fahrräder und eine Mini-Werkbank stehen. Seine Radsachen bringt er alle in seinem kleinen Kleiderkasten unter. Etwas nachdenklich vergleiche ich seine Wohn- und Lebensverhältnisse mit meinen eigenen daheim. Persönliches Glück und herzliche Offenheit lassen sich jedenfalls nicht an materiellen Dingen festmachen. Das Essen mit Lorenzo behalte ich in bleibender Erinnerung. Einfach so, von der Straße weg, eingeladen zu werden und sich einen ganzen Abend lang toll unterhalten zu können, war für mich eine schöne Erfahrung. Die Art der Einladung, die Freundlichkeit, der Austausch, und die menschliche Unbeschwertheit waren schlichtweg herzerwärmend.

 

Am Morgen bedanke ich mich nach dem Frühstück bei Emilia für ihre Unterstützung. Gut gelaunt und gestärkt mache ich mich auf den Weg. Auf einer feinen kleinen Straße gelange ich auf den Col de Marie Blanc. Der Anstieg war garniert mit einigen ziemlich steilen Passagen. In landschaftlich reizvoller Szenerie fahre ich hinunter bis nach Laruns. Im weiteren Aufstieg holt mich dann wieder leichter Nieselregen ein. Der Col d'Aubisque ist angenehm zu fahren. Es sind ziemlich viele Radler am Weg, zumeist Engländer. Sie klappern in Gruppen die berühmten Pässe ab, und fahren auch nur diese. Am späteren Nachmittag kommt dann die Sonne wieder durch. Im kleinen netten Städtchen Argeles-Gazist finde ich ein feines Hotel. Ich werde sehr freundlich aufgenommen. Der Tag hat gepasst, denke ich mir am Abend.

 

Und der heutige Tag ist ebenfalls ganz nach meinem Geschmack. Super, notiere ich am Abend. Tourmalet, Aspin und Peyrescourde, drei feine Pässe an einem Tag, das klingt ziemlich cool. Auch waren die Pässe gut zu fahren. Nicht zu steil, landschaftlich genial, so stelle ich mir die Bergetappen vor. Speziell am Tourmalet waren ausgesprochen viele Rennradler unterwegs. Bei der Abfahrt verlor ich am Hinterrad leicht Luft. Doch ich konnte das kleine Loch nicht finden. Also behalf ich mir mit Aufpumpen so gut es ging, und wechselte erst später den Schlauch. In einer Autowerkstatt ließ ich dann nochmals nachpumpen. Mit prallen Reifen meinte ich besser vorwärts zu kommen. Doch wahrscheinlich habe ich es beim Vorderreifen zu gut gemeint. Denn kurz nach Arreau hatte ich einen Platzer mit lautem Knall. Der vordere Schlauch war komplett hin. Bei der Weiterfahrt hat mir dann der Fahrer des Begleitfahrzeuges einer Engländergruppe mit seiner Standpumpe ausgeholfen. Er war gerade mit dem Reparieren eines Rades beschäftigt. Trotz der Patschen war ich mit dem Tag dennoch super zufrieden. Und äußerst fein war auch das Essen im Hotel in La Rencluse.

 

Das Schönwetter wollte jedoch nicht lange anhalten. Denn zum Start am Morgen gab es schon wieder Nieselregen, der später heftiger wurde, und bis zum Nachmittag anhielt. Bei einer Bushaltestelle machte ich Pause und checkte Übernachtungsmöglichkeiten. Ich kam dann in einem alten Haus bei einem Künstlerehepaar als Gastgeber unter. Hätte ich nicht vorgebucht, wäre ich wahrscheinlich vorbei gefahren. Doch "Au Tour du Larrech" war dann was ganz Besonderes. Ich bekam einen Begrüßungstee und der Ofen im Wohnzimmer war angeheizt. Die Vermieterin interessierte sich für meine Tour. Es war ein nettes Gespräch. Das gediegene Ambiente tat ein Übriges dazu. Ich fühlte mich pudelwohl, erzählte von meinen Erlebnissen, und freute mich über die gastfreundliche Art. Da die empfohlene Pizzeria geschlossen hatte, versorgte ich mich abends in einem kleinen Laden mit einer Jause. Doch dem Vermieterpaar war dies nicht recht. Sie servierten mir spontan noch einen Teller Spaghetti aufs Zimmer, stilvoll angerichtet. Ich war total perplex vor Überraschung. Das war wirklich eine nette Unterkunft. Am Morgen gab es dann noch ein gemeinsames Foto zur Erinnerung.

 

Die Pyrenäen forderten mich sehr. Denn es war schon wieder kalt und wolkenverhangen. Nebelschwaden zogen um die Berggipfel. Bei 5 Grad gelangte ich auf den Col de Core. Motorradfahrer motivierten mich mit Hupe und Daumen nach oben. Solch kurze Momente können einem richtig gut tun. Hey, ja, genau, ich will da rauf, egal was für Wetter. Und ja, hey, ich schaffe das. Zum Glück war die Steigung gut zu fahren. Am Col d'Agnes gab es dann gar etwas Sonne und es klarte auf. Abends fand ich dann eine feine Pizzeria. Weil noch vor der Stoßzeit hatte der Inhaber, ein Italiener, viel Zeit für mich. Der Türöffner war der Hinweis, dass ich aus Österreich komme. Er war nämlich ein Motorradfan und stand auf KTM. Damit hatten wir ein gemeinsames Thema gefunden. Es war ein total lässiges Gespräch, zu dem dann noch einer seiner Freunde dazu stieß. Fast hätte ich aufs Pizza essen vergessen. Die schmeckte mir nach den Bergetappen dann jedenfalls ausgezeichnet.

 

Auf der Straße nach Ax le Thermes gab es viel Verkehr. Dafür war ich danach auf den Col de Palheres wieder ganz allein. Der Anstieg hat sich ziemlich gezogen. Dennoch war er wunderbar zu fahren, auch weil landschaftlich schön. Oben war es etwas windig und kalt. Auf den Bergspitzen zeigte sich sogar etwas Schnee. Bis zu meinem letzten geplanten Pass, dem Col de Jaul, war ich dann reichlich müde und hatte schwere Beine. Am Col, und noch vor der Abfahrt, holte mich wieder Regen ein. Ich staunte, wie schnell ich trotz Müdigkeit meine Regensachen anziehen kann. Abends musste ich beim Essen etwas improvisieren. Ein Restaurant war mir im Regen zu weit weg. Also gönnte ich mir 3 Portionen Pommes auf einem Reiterfest, das neben meiner Unterkunft stattfand. Etwas anderes gab es dort leider nicht, außer viel Gatsch und dem Pferdewiehern aus den Zeltkoppeln. Leider hatte ich meinen Fotoapparat nicht mit. Denn ein Schnappschuss von meinen Flipflops zwischen den Reiterstiefeln hätte sich auf dem nassen, strohigen Untergrund sicher gut gemacht.

 

Frankreich - in weitem Bogen retour zu den Alpen

Auf einer lässigen Straße ab Ill sur Tete lasse ich die Pyrenäen hinter mir. Im Blick zurück zeigen sie sich mit Schnee angezuckert. Kein Wunder, dass ich da gefroren habe. Denn etwas höher gab es statt Regen schon Schnee. Ich freue mich, wie sich meine Route mit einem leichten Auf und Ab bei kaum Verkehr durch die Landschaft und deren Felsen und kleinen Schluchten schlängelt.

 

Bis Carcassonne begleitet mich leichter Regen. Erst danach wird es wieder besser. Die Gegend zeigt sich plötzlich ganz anders. Es dominieren Weinbau und Kanäle mit Hausbooten und Schleusen. Ich finde eine Straße durch ein großes geschütztes Waldgebiet. Kein Verkehr, doch am Col des Sablettes dann wieder starker Regen. Wechselnde Verhältnisse, notiere ich mir am Abend beim Ankommen in Saint-Pons-de-Thomières. Ich komme in einem einfachen Hotel mit schwindliger Etagendusche unter. Doch die Küche ist ausgezeichnet. Die Tagliatelle mit Steinpilzen schmecken mir richtig gut.

 

Das wechselhafte Wetter hält an. Am Morgen war es gut. Doch am Pass oben gab es wieder Regen. Die Straße führt mich durch einsame Wälder auf und ab. Es ist ein Nationalpark, und es sind keine Ortschaften am Weg. Die Regenkombi habe ich heute 3 Mal angezogen. Kalt und windig, und dazu noch Regen. Ich meine, bisher mein anstrengendster Tag. Doch am Schluss finde ich eine tolle Hochebene mit genialer Weitsicht. Auch die Sonne kommt wieder durch. Nur die starken Windböen nerven. Ich fahre sicherheitshalber fast in Straßenmitte, um nicht in den Graben geweht zu werden. In einem Chambre d'Haute gibt es heute feine Nudeln zum Abendessen. Und dazu ein nettes Gespräch mit Luca und Gabriele, den Inhabern. Sie setzen auf Permakultur und bauen alle möglichen Sachen an. Es sei schwierig, hier in dieser windigen Umgebung und den kalten Wintern. Doch ihre Versuche wären erfolgreich.

 

Mein Tag beginnt bei einem Frühstück mit Holundermarmelade. Wir setzen die abendliche Unterhaltung fort. Luca erzählt von seinen Oliven in Spanien und zeigt mir Fotos seines Einsiedlerhauses dort. Es ist eine ausgesprochen nette und gastfreundliche Atmosphäre. Als ich von einer nötigen Reparatur meiner Bremsen am Fahrrad erzählte, fährt mir Gabriele mit dem Auto zu einer kleinen Werkstatt im Ort vor, die ich sonst wohl nie gefunden hätte. Nur hat sie an diesem Tag leider geschlossen. Dennoch war es eine feine Geste. Bei sich recht frisch anfühlenden 5 Grad setze ich meine Fahrt fort. Die frühe Morgensonne, das kleine Sträßchen, die Weite der Hochebene, das wunderbare Licht, ergeben eine grandiose Stimmung. Die Straße führt nach Le Vigan in die Berge. Es ist sonst niemand am Weg. Bewaldete Hügel und Täler, grandios. Am Nachmittag mache ich mich noch auf eine Werkstattsuche in Alès, und finde einen Canondale-Laden. Es gibt neue Bremsbeläge hinten und vorne, dazu eine perfekte Reinigung der Kette und Überprüfung der Schaltung. Der Mechaniker versteht glaub sein Handwerk und passt gut zu den edlen Rädern in seinem schönen Geschäft. Im nahen Supermarkt kaufe ich mir Sachen für das Abendessen. Weil daneben noch ein Fußballplatz lag, gab es mein Picknick dort mit Zusehen beim Training. Keine Ahnung, in welcher Liga sie spielen. Doch an mangelndem Einsatz fehlte es nicht, wie für mich unschwer zu erkennen war. Auch wenn ich mich vom frischen Baguette und dem Käse doch etwas ablenken habe lassen.

 

Aus Alès raus ist es etwas mühsam, da viel Verkehr. Doch ich finde schnell wieder auf eine nette Straße, die mich auf ein Plateau und zu einem touristischen Hotspot führt. Pont d'Arc und die Ardeche-Schlucht sind sehr imposant. Zirka 40 Kilometer fahre ich dem Canyon entlang und genieße immer wieder tolle Einblicke in die Schlucht. Am Wasser unten tummeln sich bunte Kajaks. Auf der Straße oben matche ich mich mit Wohnmobilfahrern um die besten Aussichtspunkte. Das Wetter ist grandios, wie auch das Ambiente mit dem Canyon an diesem Tag. Wieder in der Ebene angelangt, radle ich zufrieden durch Weinberge Richtung Mont Ventoux weiter. Er wir die Herausforderung am nächsten Tag sein. Ehrfürchtig kann ich ihn aus der Ferne betrachten, und mich mental vorbereiten. Denn vor diesem Berg haben viele Radler großen Respekt.

 

Ich fahre ohne Frühstück los, den Mont Ventoux immer im Blick. Ich wähle den klassischen und anspruchsvollen langen Aufstieg über Bédoin. Am Vortag habe ich mir noch überlegt, meine Gepäcktaschen irgendwo zu deponieren. Doch ich habe heute super Beine, überhole gar einzelne andere Radler. Es ist ein Feeling feinster Art. Zuerst geht es durch den Wald hoch, stetig steigend und ohne Kurven zum Erholen. Irgendwann tut sich dann der Blick auf den Berg und seine Mondlandschaft auf. Genial. Die auf die Straße aufgesprühten Namen berühmter Rennradfahrer motivieren zusätzlich. Ich wandle sie auf mich ab: Go Helmut, go, allez, allez … und so gelange ich im Flow auf den Mont Ventoux. Oben genieße ich den Rundblick und die Freude über meine Tour. Ich kann es kaum fassen. Endorphine, Dopamine und Serotonine nennen sich glaub die Hormone, die sich bei solchen Geschichten ausbreiten, und Lust machen auf mehr. Nur beim Hochheben des Rades für das Gipfelfoto wäre ich fast gescheitert. Ich konnte es mit den schweren Taschen kaum stemmen. Gut gelaunt und zufrieden rolle ich bis Sault hinunter, und gönne mir eine feine Pause. Unterwegs habe ich reichlich Zeit, mir die entgegenkommenden Radler anzuschauen, und sie auch anzufeuern. Ja, der Mont Ventoux erfordert schon ein kräftiges Strampeln. Auch für mich geht es dann etwas zäh weiter, bis nach Sisteron. Bei der Abfahrt vom letzten Col verfängt sich eine Biene in meinem Helm. Ihr Stich beunruhigt mich ziemlich. Ich lasse meine Schwellung bei einem Trupp Straßenarbeiter checken, auf die ich bei der Fahrt grad treffe. Sie meinen, mit ihren dicken Handschuhen meinen Kopf untersuchend, es sei alles ok. Und das war es an diesem Tag denn auch wirklich. Super gsi, und mit dem Mont Ventoux ein absolutes Highlight.

 

Westalpen - die Tour de France-Pässe warten

Durch ein schönes Tal gelange ich auf kleiner Straße bei mäßiger Steigung langsam hoch. In den Feldern dominiert Obstanbau. Ich bin zwar gut drauf, doch es zieht sich dann noch merklich, bis ich endlich Barcelonette erreiche. Davor gönne ich mir eine frische „Fougasse avec Tomates ceches et Olives“ aus einer kleinen Bäckerei an der Straße. Ich mag diese Art von Brot der Provence und die weiche Kruste. Sie schmeckt mir wunderbar. Am Col de Vars bin ich ziemlich müde. Ich merke die vielen Kilometer in den Beinen. Die Zimmersuche in Guillestre ist leider erfolglos. Alle Hotels sind voll. Im Tourist-Office schicken sie mich weiter Richtung Talboden. Irgendwie tut es mir beim Abfahren über die vielen Höhenmeter leid, die ich am nächsten Tag dann wieder raufkurbeln darf.

 

Ich fahre heute ohne Frühstück los. Kann die große Etappe kaum erwarten. Richtung Col d'Izoard ist es kalt und windig. Eher unwirtlich zum Fahren. Oben hat es nur 5 Grad. Die Berge sind total verhangen. In Briancon mache ich am Hauptplatz Pause. Ich esse die Reste meiner Fougasse vom Vortag. Doch sie schmeckt mir heute nicht mehr so gut. Frisch ist sie besser bekömmlich. Und frisch genug fühle ich mich auch, als ich mich danach Richtung Col du Galibier aufmache. Das Wetter klart auf. Es wird sonnig. Bis zum Col de Lauteret habe ich leider etwas Gegenwind. Doch das Panorama mit den Bergen der Ecrins ist gigantisch. An den Flanken dominieren die Herbstfarben. Das war mir vorher gar nicht so aufgefallen, dass sich die Natur ein anderes Kleid anzuziehen begonnen hat. Die Ahorn zeigen sich in Gold. Die Flechten und Gräser in den Felsen in dunklem Rot. Einfach toll. Ich schaue und staune, und kurble dazwischen auch kräftig weiter. Der Galibier geht dann eigentlich ganz leicht zu fahren. Stolz posiere ich für ein paar Schnappschüsse am Pass oben auf 2.650 Metern Höhe. Ich bin ziemlich zufrieden. Ein super Tag, und das noch an einem besonderen Tag. Cool, dass ich hier oben auf meinen runden Geburtstag anstoßen kann. Beim Runterfahren lasse ich ein paar kräftige Jauchzer. Das Panorama mit den weißen Wolken vor blauem Himmel, die Herbstfarben der Bergwiesen und der Bäume sind überwältigend. Ich brauche reichlich Zeit. Denn immer wieder bleibe ich staunend und rundum schauend stehen. Ich probiere zu inhalieren, mag die Eindrücke für mich bleibend festhalten, und vor allem genießen. Die Weiterfahrt zieht sich dann noch recht kräftig. Erst recht spät komme ich endlich im Tal unten an. Das im zweiten Anlauf endlich gefundene Hotel ist etwas schwindlig. Nur ist es das einzig verfügbare, das offen hat. Also bleibe ich. Dafür gönne ich mir  beim Italiener um die Ecke dann 2 Mal Pasta, und ein leckeres Eis dazu. Drinnen feiert ein Sportklub grad recht laut irgendeinen Erfolg. Und draußen in wärmender Jacke und mit Mütze feiere auch ich meinen Erfolg, den feinen Tag, und die coole Tour.

 

Gut gelaunt und entspannt starte ich heute los. Doch schon am Ortsausgang werde ich gleich aufgehalten. Straßensperre. Ich habe die Hinweise am Vortag zwar gesehen, doch nicht richtig interpretiert. Durch das schmale Tal führen eine Landstraße und eine Autobahn. Die Landstraße wird gerade neu asphaltiert. Daher gibt es für Radfahrer einen Busshuttle über 10 Kilometer auf der Autobahn bis zum nächsten Ort. Ich bin der einzige Fahrgast. Der Busfahrer erzählt, wo er schon überall in Europa am Weg war. Und dass er schon mal in Innsbruck und Salzburg war, und zum Skifahren auch schon mal im Tirol. Ich habe den ebenen Teil also mit dem Bus zurückgelegt. Die nachfolgende Strecke mit den Höhenmetern darf ich dann wieder am Rad angehen. Sie zog sich recht lang durch ein Tal hin und bei mäßiger Steigung den Berg hoch. Am Col de l'Iseran war ich schon ein bisschen müde, jedoch nach wie vor motiviert am Weg. Das waren auch 100 englische Porschefahrer ebenso. Offensichtlich bin ich mitten in eine Rally geraten. Oder in einen Porsche-Bienenschwarm. Denn sonst waren nur ein paar wenige Campervans unterwegs. Doch so schnell wie die Porsches gekommen sind, so schnell waren sie um die vielen Kurven auch wieder weg. Am Pass oben traf ich auf 2 Jungs aus Freiburg. Sie fuhren in die Gegenrichtung. Vom Mittelmeer werden sie dann den Flieger nehmen für die Heimfahrt. Das geht natürlich auch, dachte ich mir. Doch meine Art zu Reisen geht ebenso. Nach einem gemeinsamen Foto fuhr ich flott und zufrieden die Straße nach Val-d'Isère hinunter. Der Ort macht mit den komischen Hotelbauten einen hässlichen Eindruck. Doch meine Jause mit Maisbrot schmeckte dennoch absolut köstlich.

 

Und superfein ging es am nächsten Morgen mit Sonne weiter. Der untere Teil des Anstiegs zum Petit Bernard war recht angenehm zu fahren. Doch oben war es kalt und windig. Nicht so toll. Und das war dann auch die Abfahrt nach Aosta hinunter, weil ohne großen landschaftlichen Reiz. Weiter zum Grand Bernard meinte ich, dass der Anstieg kein Aufhören hat. Die 34 Kilometer kamen mir fast endlos vor. Wahrscheinlich lag es auch daran, dass erst das letzte Viertel für das Auge etwas hergab. Die vielen Galerien der Nordseite waren jedenfalls reichlich uninteressant. Nach einem langen Tag finde ich ein Hotel in Orziers. Und nahe zur Heimat trifft man auch schon auf Österreicher. Das Hotel wird von einem Mann aus Graz geführt. 

 

Schweiz - ein paar Pässe mehr gehen sich am Heimweg noch aus

Es ist ein feiner Morgen. Und auch ein super feiner Anstieg bei Sonne auf den Col de Lein. Grandios. Es gefällt mir sehr. Nach einer kurzen flachen Passage oben geht es hinten im Schatten steil hinunter ins Wallis. Ich fahre auf der Hauptstraße über Sitten und Brig, und weiter Richtung Osten. Bei ziemlich viel Verkehr finde ich das Fahren auf dieser Straßenverbindung recht mühsam. Irgendwann weiche ich auf den Radweg aus, und habe dann mächtig Glück. Der Weg führt einen Weinberg entlang und sticht dann steil hinunter. Ich meine, dass es geradeaus aufwärts um eine Kurve weiter geht, und will meinen Schwung voll mitnehmen. Doch ausgerechnet um die Kurve kommt mir ein Auto entgegen. Es bremst ab wie ich. Nur Ich komme erst auf Höhe der Seitentüre zum Stehen. Ich konnte das Rad gerade noch im letzten Augenblick etwas zur Seite lenken. Viel war sowieso nicht möglich, weil es sonst über die steile Böschung hinunter gegangen wäre. Und bergwärts konnte die Frau mit ihrem Auto wegen einer Steinmauer auch nicht ausweichen. Beide schauten wir uns ziemlich verdutzt in die Augen, ich mit reichlich Herzflattern und erhöhtem Puls. Fast hätte ich auf meiner Tour einen fatalen Crash fabriziert. Beim Umkehren stelle ich dann fest, dass der Radweg unten rechts wieder in die Hauptstraße einmündet. Meine gewählte Strecke geradeaus aufwärts war also sowieso verkehrt. Abends sitze ich im Hotel Weißenfluh an einem Tisch, an dem sie über Melkmaschinen fachsimpeln. Es ist ein Schweizer Mechaniker von Westfalia anwesend. Außer dem Markennamen von Alfa Laval kann ich keinen wesentlichen Beitrag leisten. Und den verpulvere ich schon gleich am Beginn der Diskussion. Also konzentriere ich mich auf mein Essen. Nach dem langen Tag schmeckt mir die Gemüsepfanne ausgezeichnet. Das Zimmer ist auch ok. Landestypisch schlafe ich in roter Daunendecke mit weißem Kreuz.

 

Die heutigen Pässe kenne ich sehr gut. Es sind Grimsel und Susten. Ich erinnere mich an viele Jahre zurück, als ich sie mit dem Motorrad alle Jahre gleich mehrfach abgefahren bin. Motorräder sind heute nur ganz wenige am Weg, und Autos auch nicht sehr viele. Also genieße ich beide Pässe bei angenehmer Temperatur und wärmender Sonne. Und dazu ein Bergpanorama sensationeller Art. Einfach toll.

 

Für heute habe ich mir eine lange Etappe vorgenommen. Also starte ich schon sehr früh. Die ersten Kehren zum Oberalp hoch bin ich absolut allein. Fast meine ich, dass der Pass gesperrt ist, weil niemand sonst am Weg war. Doch auf der anderen Passseite bei Disentis gleicht es sich wieder aus. Bis Tiefencastel ist recht viel los. Von dort führt meine Route Richtung Albulapass. Die Galerien und Tunnels machen wenig Spaß. Und es zieht sich mächtig bis zur Passhöhe und deren beeindruckender weiter Ebene. Und irgendwo dazwischen bei Bergün ist es grad ein bisschen fordernd für mich. Doch das Ambiente mit den Bergen und den Lärchen-, Arven- und Föhrenwäldern ist sehr schön und entschädigt reichlich. Die Abfahrt ins Engadin hinunter gehe ich dann eher gemächlich an. Ich bin doch schon ziemlich müde.

 

Heute steht noch ein letzter Pass auf meiner Tour an. Es ist der Flüela. Ich starte bei leichtem Morgennebel. Durch das Engadin abwärts komme ich flott voran. Und im Anstieg auf den Pass bin ich dann fast ganz allein. Gleich zu Beginn gibt es ein paar zähe Kehren mit kräftiger Steigung. Doch danach geht es weniger steil und mit der Sonne im Rücken fein die Kurven und Berggeraden hoch. Ich genieße das Fahren und den Tag, und das schöne Panorama sowieso. Oben addiere ich dann mal kurz meine Höhenmeter zusammen. Und mit Mundwinkel nach oben radle ich gemächlich und gut gelaunt auf mir bekannten Wegen heimwärts weiter.

      

Epilog zur Tour

Hey, das war eine feine Tour, ist meine Bilanz zu Hause. Ich war länger mit dem Rad unterwegs, habe kräftig Kilometer und Höhenmeter gesammelt. Ich bin von der Haustüre weg gestartet, die geplante große Schleife ist sich super ausgegangen. Ich habe mal wieder Urlaub in Frankreich gemacht, und auch noch was von Spanien gesehen. Ich habe Abstand vom Büro gefunden, und meine Nase ist ausgiebig im Wind gehangen. Ich habe zu meinem runden Geburtstag was Besonderes gemacht, und das ausgiebig noch dazu. Ich bin mit meiner Sommertour mehr als nur zufrieden. Ischt echt super gsi.