13. August 2020
Bucht an Bucht
Mit einer kleinen Hafenrunde in Kristiansand beginnt mein Abenteuer hier in Norwegen. Die Stadt ist überschaubar groß. Und so bin ich die Brücken und Buchten im Hafengelände auch bald abgefahren. Es zieht mich sowieso weiter. Das Radfahren interessiert mich mehr als der Hafen. Nur beim Jacht- und Segelhafen verweile ich etwas länger. Diese Boote passen wirklich gut in die norwegische Gegend. Und nach Fisch riechen sie auch nicht, wie ein paar der großen Hallen es tun.
Raus aus der Stadt finde ich den Nordseeküstenradweg. Beim nachgeholten Frühstück auf einem Rastplatz im Wald spricht mich ein Norweger an. Er meint, dass meine Route hier ein guter Einstieg in Norwegen sei. Ich freue mich über diesen Ansporn. Denn das Fahren ist ein gänzlicher Gegensatz zu den Tagen davor. Statt flach und gerade geht es auf und ab, und kurvig dahin. Statt Weite gibt es Wald und Felsen. Auch wenn die Anstiege nicht lang sind, steil sind sie dennoch. Und sie wiederholen sich. Kurz über mehrere Stufen hoch, dann rasant länger runter. Mit Schwung in eine Kurve und in eine Bucht am Meer. Dort etwas entlang, und dann geht es wieder von vorne so los. Ich bin die letzte Woche mehr oder weniger fast nur im selben Gang gefahren. Doch hier nehme ich das volle Menü, schalte vorn und hinten kräftig durch.
In den kleinen Buchten ist jeder ebene Platz verbaut. Bunte Holzhäuschen schmiegen sich an die Felsen. Viele sind rot eingefärbt. Die Fenster haben natürlich alle einen weißen Rahmen. Die First- und Gibelbretter sind ebenso weiß. Und vor jedem Haus findet sich immer ein Steg oder ein Anlegeplatz für die Boote. Menschen sind jedoch nur ganz wenige hier. Entweder ist die Saison schon vorbei, oder sie tauchen nur am Wochenende auf. Verschlafene Gegend, fällt mir ein. Und dennoch mit reichlich Flair. Das Meer hat da einen großen Anteil. Ein Geschäft zum Einkaufen sehe ich weit und breit keines. Ich weiß nicht, wie sich die Leute hier versorgen. Erst in Mandal, einer touristischen Stadt am Meer, finde ich endlich einen Laden. Der ist dafür groß. Und groß trifft auch auf sein Sortiment zu. Eine Steigerung zu groß bieten dann nur noch die Preise. Die sind der Hammer. Also da schlucke ich mal, ohne noch was vom Einkauf probiert zu haben. Das wird wohl auch am Konto spannend werden, das Radfahren in Norwegen, wenn es länger nordwärts gehen soll.
Abends sitze ich am Hafen. Auf der anderen Seite senkt sich die Sonne und blendet. Dazwischen tuckern einzelne meist weiße Boote vorbei. Ihre Wellen lassen die anderen an den Liegeplätzen kräftig schaukeln. Die Masten der Segelboote gieren. Und das Wasser klopft an der Hafenmauer und an den Booten rhythmisch an. Eine feine Stimmung, taugt mir. Aus einer Bar tönt angenehm leichte Musik. Es hört sich gut an. Doch auch Motorenbrummen ist zu hören. Ja, hier gibt es mehr Boote als Fahrräder.
Ich denke, es sind jetzt noch 5 Minuten bis zum Feuerball. Er wird hinter weißen Häusern mit roten Dächern verschwinden. Doch ganz so kitschig wird es dann doch nicht. Eine die Dächer überragende Baumkrone drängt sich plötzlich ins Spiel. Dafür trägt diese jetzt einen goldenen Glanz. Auch schön.
14. August 2020
Bunte Bootshäuser und ein Platten
Der Weg führt immer wieder über ein paar Steigungen von der Küste weg. Kaum am Scheitelpunkt oben, brause ich dann wieder auf das Meer zu. Diese Anblicke sind heute die schönsten. Bunte Häuser in den Farben rot und weiß spiegeln sich im ruhigen Meerwasser. Und dazu immer wieder Boote in den kleinen Häfen, und bunte Bootshäuser natürlich auch. Ein Augenschmaus, der sich ein paar Mal wiederholt, solange ich an der Küste am Weg bin. Doch irgendwann zweigt die Straße ab. Sie führt auf Felsen zu, die sich immer mehr auftürmen. Fast habe ich das Gefühl, dass ich auf einer Alpenetappe bergwärts fahre. Die Steigung ist massiv, gar unerwartet lang. Ich komme kräftig ins Schwitzen. Da nützt es auch wenig, dass neben der Straße ein kleines Bächlein den Weg nach unten sucht. Zumindest hat das Gurgeln und Glucksen zwischen den Steinen im dunklen Moos etwas meditativen Charakter. Mit Mühe komme ich ohne Absteigen und Pause machen hoch. Die Abfahrt auf der anderen Seite ist dann der Lohn. Sie hätte ruhig noch etwas länger sein können. Doch weiter runter als zum Meer mag ich dann auch wieder nicht. Dort ist es schön genug.
Am späten Vormittag kommen mir mehrere Konvois alter offener Autos entgegen. Bei allen steht MG als Markenzeichen am Kühlergrill. Und dazu haben sie eine Plakette drauf, dass es irgendeine Jubiläumsfahrt ist. Es waren sicher an die 50 Fahrzeuge. Die Fahrer natürlich alle männlich, und bei allen jemand mit wehendem Haar daneben. Das wird bei ihnen wahrscheinlich in den Clubregeln so festgeschrieben sein. Vom Parfüm der Beifahrerinnen habe ich jedoch nichts mitbekommen. Es dominierte hinterher der Benzingestank deutlich.
Obwohl heute schon früher gestartet als sonst, zeigt der Tacho mittags dennoch nur knapp 70 Kilometer an. Die vielen ruppigen Steigungen und die Naturstraßenstücke haben mich ziemlich gefordert. Ich checke auf der Karte die Distanz und Verhältnisse zur nächsten größeren Ortschaft ab. Ich entscheide mich fürs Weiterfahren vor einer Pause. Es ist zwar ziemlich heiß, doch ein paar Kilometer mehr gehen sich sicher aus. Nur just als ich mich auf mein neues Tagesziel eingestellt habe, will der Hinterreifen nicht mehr mitmachen. Er ist halb platt. Die Ursache ist unergründbar. Beim Abgreifen sehe ich, dass an einer Stelle das Gewebe durchkommt. Nicht gerade ideal, jedoch auch nicht ganz unerwartet. Zum Glück habe ich mir noch in Deutschland einen Reservemantel gekauft. Nur die schlauchlose Montage wird zum Hindernis. An einer in Sichtweite gelegenen Tankstelle gibt der Kompressor zu wenig Luft auf einmal her, als dass der Reifen in die Felge springt und seinen festen Sitz findet. Ich probiere mehrmals, doch vergebens. Es wäre fein gewesen, wenn das funktioniert hätte. Also dauert der Reifenwechsel in der stechenden Sonne nochmals länger. Ich bin schweißgebadet, als ich die Packtaschen wieder anbringe und los radle. Am Hinterrad jetzt mit Schlauch. Nur weit fahre ich dennoch nicht. Denn die Motivation ist wegen des Zeitverzugs jetzt weg. Ein Hotelschild ist mir beim Reinfahren in den Ort schon aufgefallen. Und darauf steuere ich jetzt zu. An der Rezeption meinten sie, dass es zum Weiterfahren sowieso zu heiß gewesen wäre. Ihnen würde es schon passen, wenn ich bleibe. Und davon ließ ich mich dann schnell überzeugen.
15. August 2020
Puhh, etwas zähe heute
Am Morgen liegt leichter Dunst über der Stadt. Über dem Wasser ist er ganz dicht. Richtung Meer schaut es heute ganz nach Nebelmeer aus. Schnell beschlägt sich meine Brille mit einem feinen Wasserfilm. Einen Scheibenwischer würde ich auf einen langen Interwall einstellen. So wische ich hie und da mit dem Handrücken. Am dunklen Ärmel meines Trikots hat die Feuchtigkeit einen grauen Schleier angesetzt. Und an den Beinen kräuseln sich die Haare mit dem Nebel ebenfalls in Grau. Gestern abends feine Sonne, und jetzt am Morgen gänzlich anders. Dazu setzt sich der Sandstaub an den nassen Rahmenrohren und den Satteltaschen fest. Die Naturstraße ist zwar zum Fahren ganz ok. Doch bei einem solchen Wetter hinterlässt sie Spuren am Rad. Und auch an mir. Und beim Zurückblicken kann ich meine gefahrene Spur auf der Straße nachverfolgen. Also den Morgen habe ich mir heute etwas freundlicher vorgestellt.
Doch vielleicht bin ich einfach nur zu früh gestartet. Denn nach einiger Zeit klart es merklich auf. Und als mich die Route von einer Kuppe Richtung Meer hinunterführt, zeigen sich plötzlich ganz kitschig knallige Farben. Blau, Grün, Weiß und Rot. Und ich fahre durch diese Mischung durch, in einem steten Auf und Ab. Die Gegend scheint kaum besiedelt. Unterwegs ist ebenfalls niemand. Radfahrer sowieso nicht, und Autos nur hie und da. Ich passiere viele kleine einsame Seen. Kaum ist der eine außer Sichtweite, kommt hinter der nächsten Biegung oder Steigung schon ein anderer hervor. Oder das Meer zeigt sich mit einem dünnen Arm weit in das Landesinnere hinein. Nur auf der Karte betrachtet sind die größeren Orte an der Küste nicht so weit voneinander entfernt. Doch sie abzufahren ist dann ein beträchtliches Mehr an Aufwand. Ich bleibe auf der mit Nummer 1 markierten Radroute. Im Vergleich zu den Ländern davor komme ich nur langsam voran. Mit den ruppigen Intensitätswechseln des Geländes wegen habe ich sichtlich Mühe. Sie wollen mir nicht so recht schmecken.
Als ich am frühen Nachmittag im Wald eine Steigung hochfahre, sehe ich in einer Kurve ganz überraschend eine Radlerin stehen. Es ist Melanie aus Frankreich, die himbeernaschend eine Pause einlegt. Das Nordkapp sei ihr großes Ziel. Doch mit dem Auf und Ab des Weges im Süden hat sie dieselben Probleme wie ich. Sie erzählt, dass sie in Amsterdam gestartet sei. Und dass sie davor in Patagonien unterwegs war. Sie wollte Südamerika bereisen. Doch wegen Corona kam sie nicht mehr weiter, saß ein paar Monate fest. Deswegen sei sie zurück nach Europa. Sie wolle es jetzt hier probieren. Schon spannend, wie unbeschwert sich das aus jungem Munde anhört. Mit Mitte Zwanzig scheint alles ganz easy zu sein. Mal schauen, ob ich davon was abschauen kann. Denn so leicht und flutschig ich bis nach Norwegen kam, hier reichlich Kilometer zu machen ist mit meinem bisherigen Strickmuster nicht möglich. Und an die ausgedünnte Infrastruktur unterwegs habe ich mich auch noch nicht gewöhnt.
Etwas zähe, ist meine Bilanz am Abend über die ersten Tage im Norden. Dabei sitze ich ganz entspannt auf einer Bank bei den Bootsstegen am Wasser. Die Sonne wärmt mir die eine Körperseite. An der anderen spüre ich die kräftige stetige Brise vom Meer her. Wasser klatscht an die Bohlen und Planken unter mir. Holz, Beton, Metall. Ich meine, unterschiedliche Töne herauszuhören. Richtung Meer ist am Fjord kräftig Verkehr. Mit Speedbooten die einen, gemächlich tuckernd in alten Holzbooten die anderen. Und jede Menge weitere in verschiedenen Variationen dazwischen. Bootfahren passt eindeutig besser zu Norwegen als Radfahren. Da beschränkt sich das Auf und Ab auf den Gashebel, und vielleicht noch auf die Sonnenbrille.
16. August 2020
Ein feiner Sonntag
Die Stadt zeigt sich heute Sonntagmorgen noch ganz verschlafen. Nur ein paar Wohnmobile sind mit mir am Weg. Es liegt leichter Dunst über der Landschaft. Ich fahre mit langen Ärmeln. Frisch kommt es mir vor. Meine Route führt mich mit einem langen Anstieg in eine mächtige, schroffe Felslandschaft. Abgerundet, glatt und grau türmt sie sich auf. Und dazwischen zeigen sich immer wieder Seen in kräftigem oliven Grün. Je höher ich komme, desto mehr zeigt sich die Sonne. Und mittags wärmt sie wohlig fein. Bei einem der Seen mache ich Rast. Ich bleibe länger sitzen. Die Felsen rund herum geben ein leichtes Echo. Über dem Wasser schwirren blaue Libellen. Sie freuen sich vielleicht ebenso wie ich über diesen feinen Platz. Das Wasser ist angenehm warm, lädt zu einer Schwimmrunde ein. Ein feiner Sonntag, denke ich mir. So lässt es sich aushalten. Ich gleite langsam ins Wasser. Genial. Einfach toll.
Am Nachmittag komme ich nach der Abfahrt wieder ans Meer und zu einem Fjord. An einer Tankstelle versorge ich mich mit Essen. Groß ist die Auswahl nicht, wenn ich keine Süßigkeiten oder Cola einkaufen will. Doch einen großen Laib Brot gibt es noch. Vom Vortag habe ich noch Spitzpaprika, Tomaten und etwas Käse in der Gepäcktasche. Das muss dann wohl für den Abend und den Morgen reichen. Denn ich fahre weiter. Das Grande Hotel am Platz war mir eindeutig eine Nummer zu groß.
Entlang der Küste geht es durch einen Naturpark. Hier ist das Fahren wieder ziemlich fordernd. Es ist eine Naturstraße mit ruppigen, kurzen Anstiegen. Dazu kommt noch eine Eisenbahntrasse, die es mehrmals zu überqueren gilt. Natürlich immer oben drüber, über den Tunnels. Nah zum Ort sind einige Leute am Weg, wandernd und auch radelnd. Doch irgendwann gehört das Gelände dann wieder nur mir allein. Auf den Kuppen habe ich eine schöne Weitsicht auf das Meer. Und dazwischen gibt es immer wieder kleine Seen, eingebettet in runde Felsmugel. Ein paar Schafe finden auch noch ihre Weide hier. Am Abend bin ich ganz zufrieden. Das Zelt habe ich auf einem Felsen aufgeschlagen. Es war der einzige ebene Platz neben dem sonstigen Gestrüpp. Doch ich finde ihn ganz gediegen. Ich habe freien Blick auf einen See, und etwas weiter weg auf das Meer. Und Gesellschaft bekomme ich auch noch. Melanie, die französische Radfahrerin vom Vortag, taucht unerwartet auf. Sie entscheidet sich ebenfalls zu bleiben.
17. August 2020
Zu zweit bis Stavanger
Sternenklare Nacht, kein Wind, und Sonne gleich schon am Morgen. Nur das Frühstück hätte etwas üppiger ausfallen können. Dafür schmeckt mir die Landschaft umso mehr. Irgendwann geht der Weg dann immer wieder nahe am Meer vorbei. Dazwischen liegen ein paar Weideflächen für Schafe oder Kühe. Entsprechend oft heißt es auch Absteigen, Gatter auf und Gatter zu. Doch weil heute zu zweit aufgebrochen, wechseln wir uns dabei ab. Auf der kiesigen Naturstraße habe ich mit meinen schmalen Reifen etwas Mühe. Nur gefällt es mir landschaftlich doch so sehr, dass ich diesen Weg der Alternative auf der Hauptstraße vorziehe. Da ist je näher wir zu Stavanger kommen, einiges los. Und Stavanger selbst ist glaub eine coole Stadt. Zumindest machte mir das Hafenviertel am Abend diesen Eindruck. Wie mir auch die vielen Radwege bis zum Zentrum gefallen haben. Auf denen war ebenfalls einiges los. Ein Erdölmuseum gibt es hier auch, habe ich so nebenbei gesehen. Eh klar, denn vom Erdöl hat Norwegen ja auch seinen Reichtum. Da kann man schon was herzeigen.
18. August 2020
Tunnel und Fähre
Am Morgen gibt es im Hotel die besten je von mir gegessenen Rühreier. Total flaumig. Und dazu ein feines Grahambrot. Und die Früchteecke ist mit Ananas und Melonen gut bestückt. Ich greife kräftig zu. So gestärkt radle ich mutig und schwungvoll los. Es herrscht Gegenverkehr am Radweg. Alles will in die Stadt. Oder muss zum Arbeiten in die Stadt. Nur ich fahre raus, verlasse Stavanger. Urlaub ist schon was Feines.
Als ich an der Landspitze ankomme, freue ich mich. Denn ich sehe eine Fähre einfahren. Bis zur Abfahrt sind es laut Anzeigetafel nur 10 Minuten. Also gerade richtig angekommen. Doch als ich mich nach dem Ziel der Fähre erkundige, schüttelt der Matrose den Kopf. Nein, nach Skudeneshavn fahren sie schon lange nicht mehr. Ich müsse zurück bis zur Hauptstraße. Und ich müsse wegen der Tunnels den Küstenbus nehmen. Oje, denke ich mir, das ist jetzt aber gehörig danebengegangen. Bei der Bushaltestelle der Kystbussen-Linie lese ich dann, dass ich dem Fahrer ein Handsignal geben muss, dass er hält. Das habe ich beim ersten Bus verpasst. Denn während ich den Hinweis lese, fährt gerade einer vorbei. Also noch eine halbe Stunde warten. Doch der nächste Bus nimmt mich dann mit. Das Fahrrad ist schnell im unteren Gepäckteil verstaut. Und so geht es mit dem Bus unters Meer in einen Tunnel, und dann auf eine Fähre. Dort kann ich während der Überfahrt aussteigen. Denn nach dem Anlanden darf ich wieder mit dem Fahrrad weiter.
Auf der Hauptstraße fährt es sich dann nach dem Übersetzen mit der Fähre ganz toll. Die Autos sind alle schnell weg. Daher gehört mir der Fahrstreifen alleine. Solange bis die nächste Fähre ankommt. Im Rhythmus des Fahrplans der Fähre kommen dann die Autos daher. Ich warte sie am Seitenstreifen stehend ab. Dann habe ich die Straße wieder nur für mich. Nach der ersten Ortschaft gibt es dann einen Fahrradweg. So komme ich gut weiter. Nebenan donnern immer wieder Auto-Lawinen vorbei.
Für mein Etappenziel Haugesund muss ich einen Umweg machen. Die Abkürzung mit dem Tunnel unterm Meer ist für Fahrradfahrer gesperrt. Ich erkundige ich mich in einem Tourismusbüro, was denn eine günstige Route für mich ist. Da sind sie beim Knobeln richtig gefordert. Sie meinen, mit dem Auto sei es an der Küste einfacher als mit dem Fahrrad. Ich bekomme dann doch noch eine Empfehlung, und eine Karte mit dazu. Das erleichtert mir unterwegs den Überblick. Denn die Gegend ist mit den vielen Inseln für mich unüberschaubar. Und weil ich mit den angeschriebenen Orten nichts anfangen kann, weiß ich nie, ob ich von dort auch weiterkomme oder nicht. Doch irgendwie schaffe ich es, auch wenn ein paar Verfahrer mit dabei waren. Beim Abspeichern der Strecke am Abend gratuliert mir mein Navigationsgerät sogar: Ich sei einen neuen Rekord gefahren. Ja, mit Unterstützung von Bus und Fähre für die Distanz von 30 Kilometer ging das heute ziemlich leicht.
19. August 2020
Inselhüpfen mit Fähren und Brücken
Die Straße ist noch nass vom Regen der Nacht. In den Buchten ist das Meer ganz ruhig. Die Landschaft spiegelt sich im Wasser. Ich bin allein am Weg, habe die kleine Straße nur für mich. Es gibt ein paar lange Geraden, doch sonst windet sie sich zwischen den Felsen und dem Heidekraut fahrradfreundlich hindurch. Es taugt mir. Nur das Surren der Reifen ist zu hören, und hie und da das Blöken eines Schafes. Schnell habe ich das Straßenende auf der Landzunge erreicht. Ich hätte mir gar etwas mehr Zeit nehmen können. Denn die Fähre zum Übersetzen kommt erst etwas später. Für Radfahrer sei sie gratis, erklärt mir freundlich der Matrose. Die Nummerntafeln der anderen Fahrzeuge checkt er mit seinem Handy. Die Kosten werden dann automatisch über ein eigenes Autopass-System abgebucht.
Auch auf der zweiten Insel ist kaum Verkehr. Die Straße ist hier neu ausgebaut. Sie ist breit und klotzig in die Felsen und die Landschaft gesprengt. Möglichst flach und gerade war anscheinend die Vorgabe. Entsprechend flott komme ich auch voran. Und dann geht es über mächtige Brücken auf die andere Uferseite. Zum Glück finde ich wieder eine Alternative zur Hauptroute. Denn je näher ich zu Bergen komme, desto mehr nimmt der Verkehr zu. Irgendwann biege ich dann wieder auf die Hauptstraße ein, und kann geradewegs auf eine Fähre auffahren. Ich setze zusammen mit großen Lastautos, Wohnmobilen und vielen anderen Autos über. Hier ist mächtig Betrieb. Nur auf dem Deck oben ist es ruhiger. Dort kann ich dem Regen zusehen, wie er an die Fenster klatscht. Zuvor bin ich dem Regen etwas davongefahren. Doch bei der Überfahrt hat er mich eingeholt. Und er begleitet mich mit leichtem Nieseln dann auch gleich an Land weiter. Irgendwann bleibe ich stehen und ziehe meine Regensachen an. Doch ein paar Kurven weiter kommt die Sonne wieder durch, und bleibt bis zum Abend. Es soll mir recht sein. Im Nassen macht das Fahren deutlich weniger Spaß.
Den Radweg teile ich jetzt mit vielen Rennradlern. Sie kommen mir aus Bergen entgegen. Es schaut so aus, als ob sie auf einer Feierabendspritztour wären. Eine Runde um die vielen Seen vielleicht. Es sind ein paar größere Radlergruppen dabei. Und alle sind sehr sportlich unterwegs. Die machen mächtig Dampf, ist mein Eindruck. Es rauscht, wenn sie mich passieren. Und daneben auf der Hauptstraße rauscht es von den Autos. Die Geräuschkulisse ist ein totaler Kontrast zu den Stunden davor. Es ist kein einsames Radeln mehr. Etwas ruhiger wird es erst wieder kurz vor der Stadt. Da wird der Radweg idyllisch durch Waldstücke und die Vororte geführt. Statt der Rennradler sind es jetzt die Büroradler, die mir ebenfalls recht flott entgegenkommen. Vielleicht sind sie in Eile, weil sie abends noch schnell aufs Rennrad wollen, für eine Tour um die vielen Inseln und Seen. Oder in der regenreichsten Stadt Europas das gute Wetter jetzt am Abend für was anderes nutzen.
20. August 2020
Sonne und Regen
Gleich in der Früh verfehle ich die richtige Landzunge für ein Weiterkommen. Ich verfahre mich im Hafen. Mit einer Extrarunde finde ich dann eine Straße Richtung Norden. Auf dieser komme ich mir fast wie ein Geisterfahrer vor. Denn es herrscht dichter Verkehr rein in die Stadt. Der Radweg ist hier nicht so gut zu fahren. Mal verläuft er links, dann wieder rechts der Straße. Mal geht er unter ihr durch, und dann wieder über sie drüber. Mal führt er zur Küste runter, und dann wieder hoch. Doch angeschrieben ist er gut, mit Nummer 1 in grünem Quadrat mit weißem Rand auf dunkelrotem Wegweiser. Und dazu Entfernungsangaben zu den größeren Orten. Ich bin mir jedoch unsicher, welchen Weg nach Norden ich die nächsten Tage wirklich nehmen soll. Eine Idee ist die Fortsetzung der Küstenroute. Doch da bin ich auf Fähren angewiesen. Und auch die Infrastruktur zum Reisen ist nicht sehr ausgeprägt. Da müsste ich die Etappen im Voraus besser planen. Nur das mag ich nicht so gerne.
Ich mag mehr einfach so drauflosfahren, nach Lust und Laune, und erst pausieren wenn mir danach ist. Landschaftlich ist es entlang der Küste nämlich toll. Mir gefallen das in der Sonne am Vormittag heute silbern schimmernde Meer, die weißen Boote an den Stegen als farblicher Kontrast zum Wasser, die grünen Schafwiesen mit Steinen kleinräumig abgeteilt, oder die roten und weißen Holzhäuser, und hie und da eine Villa. Und dann gibt es wieder einen See, Meereszungen überspannende Brücken, klein oder riesengroß, Heidekraut und sumpfige Wiesen, Birken, Kiefern, kleine schwarze Bäche. Ja, Norwegen zeigt sich hier sehr vielfältig.
Doch die abgelegenen einsamen kleinen Straßen finde ich heute erst kurz vor mittags. Dann sind sie aber bleibend für den Rest des Tages. Ich zweifle gar, ob ich eine Unterkunft finde. Denn laut Karte ist der Landstrich hier heroben dünn bis gar nicht besiedelt. Ich habe Glück. In einem kleinen Hafen sehe ich noch vor dem Eintreffen des Regens ein Hinweisschild mit Essbesteck und Bett. Und beim Einchecken geht das Gespräch rasch auf Deutsch weiter. Die Hotelmitarbeiterin hat in Wien studiert. Bis zum Abendessen hält draußen der Regen an. Danach klart es auf. Ein paar blaue Fenster zeigen sich wieder am Himmel. Also vielleicht doch gute Aussichten für morgen.
21. August 2020
Allein auf einsamen Straßen
Kurz vor halb acht fahre ich los. Bis zum Fährhafen ist es nicht weit. Ich habe mich nach den Abfahrtszeiten erkundigt. Es sollte sich leicht ausgehen. Doch mein Navi findet eine Abkürzung durch einen morastigen Wiesenweg. Und so wird es dann beim Fährhafen ein Ankommen just in time.
Gute 20 Minuten braucht die Fähre zum Übersetzen. In diesem Fjord hat sich die Erdölindustrie breit gemacht. An beiden Ufern sehe ich große Tanklager, Schiffe mit Bohrtürmen. Und rund herum wohl die für eine Weiterverarbeitung erforderlichen Anlagen. An ein paar Schloten wird Gas abgefackelt. Ja, vor dem Fließen des Benzins aus dem Zapfhahn bei der Tankstelle braucht es noch ein Fördern davor. Vielleicht kann die Fähre hier direkt tanken? Frisch von der Quelle sei es am besten, sagt man zumindest beim Wasser.
Nach dem Anlanden radle ich auf einer feinen Straße weiter. Allein durch eine einsame Gegend. Hie und da sehe ich ein paar einzelne Häuser. Und sonst nur Wald, Wiesen und Seen. Und natürlich das Meer, mal links, und dann wieder rechts von der Straße. Und am Nachmittag kommt das Wasser dann auch von oben. Da fehlte mir die eine gute Stunde am Mittag, die ich mit Warten auf die zweite Fähre verbrachte. Zuerst dachte ich, dass es bei einzelnen Tropfen bleibt. Denn in meiner Richtung schaute es noch ganz hell aus am Himmel. Doch die Straße wand sich durch bewaldete felsige Täler durch, und führte direkt in eine breite Regenfront. Bei einer Bushaltestelle stand ich unter. Ich zog meine Regensachen an. Um ein Zimmer schaute ich mich auch gleich um. Ich wollte vorreservieren. Zum Glück hatte ich beim Fährhafen mittags ein Plakat mit einer Karte der Region gesehen. Da waren die wenigen Nächtigungsmöglichkeiten eingezeichnet. Viel Auswahl hatte ich also nicht. So alle 40 Kilometer eröffnete sich mir diese Chance. Und bei Regen wollte ich gleich die Erstbeste nutzen. So bin ich in Dale gelandet, am Ufer des Veafjords. Das Nest zählt 1.200 Einwohner. Und 5 davon arbeiten in einem Kafé og Motell, das ich gebucht hatte.
22. August 2020
Füße hoch
Heute war Pausentag, regenbedingt. Nach einem Monat oder 3.100 Kilometern am Stück war es am Morgen etwas ungewohnt. Statt Taschen packen konnte ich alles einfach kreuz und quer verstreut liegen lassen. Und vor allem mal die Füße ausstrecken. Nur das Rausschauen aus dem Fenster wollte mir keinen Spaß machen. Es war akustisch schon bemerkbar, was sich vor dem Fenster abspielt. Das war dann auch den ganzen Tag so. Gleichmäßig starke Regenschauer, und zwischendurch stündlich kräftige Schütter. Ich war froh, dass ich eine trockene Bleibe hatte, und nicht raus musste.
Offensichtlich wollte auch sonst niemand aus dem Ort sein Haus verlassen. Zum Abendessen war ich nämlich der einzige Gast. Die Köchin erfüllte mir gar einen Herzenswunsch. Spaghetti mit Tomatensoße machten mich an, auch wenn sie nicht auf der kleinen Speisekarte standen. Es gab die Pasta dann etwas improvisiert mit Pizzasoße, fein geschnittenen Pilzen, Paprikastreifen, und andeutungsweise aufgestreutem Parmesan. Für mich war es ein Festmahl an diesem sonst so trüben Tag.
23. August 2020
Früh los und früh Schluss
Der Wetterbericht versprach noch gestern Abend, dass das Regenwetter die nächste Zeit anhalten wird. Doch ein paar Aufhellungen sollten auch dabei sein, und Regenpausen ebenso. Nur deckten sie sich nicht mit meiner geplanten Route. Am Morgen zogen Nebel durch. Der Himmel über dem Fjord war wolkenverhangen. Die Bergkuppen waren nicht zu sehen. Immerhin kein Regen, damit war ich jedenfalls zufrieden. Mein Zimmernachbar verließ zur selben Zeit das Haus. Er gehe fischen, war sein Kommentar. Am Vormittag bleibe es trocken.
Vielleicht traf dies für seinen Abschnitt des Fjordes zu. Mich holten schon recht bald die ersten Regentropfen ein. Doch bis dahin genoss ich die feine Morgenstimmung. Ein paar Sonnenstrahlen kamen durch. Sie schauten sich aber nur kurz die ringsum tief hängenden Regenwolken an. Dann zogen sie sich erschaudert wieder zurück, überließen dem Regen den Vorrang. Für mich hatten sie dennoch ein kleines Geschenk mitgebracht: Sie zauberten für einige wenige Minuten eine wunderbare Lichtstimmung in den Fjord. Ein paar einzelnstehende Gehöfte und Häuser wurden wie auf einer Bühne in gleißendes Licht gehüllt. Nebel und Regenwolken bildeten die Umrahmung. Und das glatte dunkle Wasser des Fjordes spiegelte seinen Rand wider. Bilder zum Staunen. Der frühe Start hatte sich heute also jedenfalls rentiert.
Weit gekommen bin ich danach jedoch nicht. Der Regen wurde intensiver. Wasser spritzte aus herabstürzenden Bächen auf die Straße. Auf der anderen Uferseite ergoss sich ein riesiger Wasserfall mit wohl noch mehr Wasser als sonst in den Fjord. Eine breite, meterhohe Gischt säumte den Fuß. Ein imposantes Schauspiel exklusiv für mich im Vorbeiradeln. Das knallgrüne Moos auf den Felsen am Straßenrand ließ erahnen, dass es hier sicher ganzjährig mehr feucht als trocken ist. Eine Steigung auf eine leichte Bergkuppe brachte mich in den Regensachen kräftig zum Schwitzen. Bei der Abfahrt zum nächsten Ort fror es mich jedoch bereits wieder an den Fingern. Da kam mir das Hinweisschild mit Pensjonat gerade recht. Ich entschloss mich zu einem frühen Stopp an diesem Tag. Für heute hatte ich genug vom Wasser genossen. Am Nachmittag war es dann zwar kurz wieder trocken. Doch ich hatte meine Sachen schon ausgepackt, mich an die Wärme gewöhnt. Und dazu ein neues Hörbuch angefangen.
24. August 2020
Erst gar nicht losgefahren
Am Morgen ein schneller Wettercheck durchs Fenster. Ups, das schaut nicht gut aus. Es wird mich wohl eher nicht auf das Fahrrad locken. Es ist nass. Und Nachschub davon soll es den ganzen Tag geben, sagte der Wetterbericht. Dann also wieder etwas länger unter die Decke. Das Wetter sei hier öfters unbeständig, meinte die Pensionsinhaberin schon gestern. Doch sie hoffe auf baldige Besserung. Ja, das wünsche ich mir heute auch, und zog dann erstmals eine lange Hose an.
25. August 2020
Wickel-wackel-Wetter und eine Drohne
Nach dem Aufwachen lauschte ich konzentriert nach draußen. Nein, Regen meinte ich keinen zu hören. Also traute ich mich auch einen Blick durchs Fenster zu machen. Der Himmel war grau und verhangen. Dazu die Straße nass. Doch in den Pfützen bildeten sich keine Kreise. Dann werde ich wohl gleich in der Früh schon starten. Beim Packen der Taschen schien mir gar etwas Blau am Himmel durchzukommen. Nur bis ich die Taschen am Fahrrad angebracht hatte und den ersten Pedaltritt machte, fing es leicht zu tröpfeln an. So war es dann auch die nächsten 2 Stunden. Ein kurzes Nieseln, irgendwo eine Regenfront, und dann auch ein paar blaue Fenster. Über den Bergen zogen Nebelschwaden durch. Nordseitig der Gipfel zeigten sich Reste von großen Schneefeldern. Und ein paar Kuppen war sogar frisch angezuckert. Ich fuhr mit langer Hose und Mütze. Die Regengamaschen ließ ich auch an. Denn das Thermometer zeigte nie mehr als 10 Grad. Das nennt sich wohl norwegischer Sommer, oder grüner Winter.
Auf der Hauptstraße war wenig Verkehr. Ich kam flott voran. Irgendwann bog ich auf eine andere Straße ein. Sie führte auf einen Passübergang zum Nordfjord. Im Anstieg hatte ich die Berge eines Nationalparks im Blick. Mit den Schneeresten waren sie fein anzuschauen. Bei einer Straßenausweiche rief mir ein Norweger zu. Er stand mit einer Fernsteuerung in der Hand am Straßenrand. Über ihm und mir surrte seine Drohne. Er bereitete sich auf ein Treffen von Drohnen-Fliegern vor, das hier in der Nähe stattfinden sollte. Und da kam es ihm gelegen, dass er mir im Straßenverlauf mit seiner Drohne etwas folgen und filmen konnte. Also kam ich mir für ein paar Augenblicke wie ein Rennradfahrer bei einer Liveübertragung eines wichtigen Rennens vor. Doch das Summen der Drohne verschwand dann recht rasch. Ich denke nicht, dass ich zu schnell war. Ich kurbelte in meinem gewohnten Tempo den Pass hoch.
Bei der Abfahrt schob sich dann der mächtige Nordfjord in den Mittelpunkt. Vielleicht hatte er auch von Filmaufnahmen gehört. Denn er ließ für kurze Zeit sogar einen Regenbogen über sich aufziehen. Den Fjord entlang zog es sich etwas zum Fahren. Ich hatte immer die andere Uferseite und die Ortschaft im Blick, wo ich hinwollte. Doch der Fjord machte einige Kurven mehr als mir lieb war. Und hinter einer dieser Kurven zeigten sich dann auch nochmals die Regentropfen. Doch dieses Mal ohne reflektierenden Lichtbogen. Ich stand kurz unter und wartete ab. Es waren jedoch wohl nur 5 Minuten, dann kam schon wieder etwas Blau durch. Wechselhaftes Wetter heute, doch zum Fahren war es ganz fein. Und mit den Radpausen die Tage davor war ich sowieso voll motiviert. Ja, der Tag hat mir getaugt.
26. August 2020
Ein Fjord zum Staunen
Es ist empfindlich kalt am Morgen. Dichter Nebel liegt über dem Fjord. Die Straße führt von ihm weg und steigt gleichmäßig an. Ich brauche 200 Höhenmeter um die Nebelgrenze zu überschreiten. Dann wird es fein zum Fahren. Doch mit 4 Grad in der Abfahrt friert es mich um den verschwitzten Hals. Aber bald kommt eine längere Steigung, und die Sonne wird kräftiger. Der Himmel hat sein Blau für den Tag schon gemischt. Es gefällt mir. Auf den Bergkuppen zeigen sich immer wieder kleine Schneefelder. Die nassen Flanken glitzern in der Sonne. Bergwiesen und Wälder wechseln sich mit Brachflächen ab. Knorrige kleine Birken säumen eine Zeit lang den Weg. Ich teile ihn mit ein paar Wohnmobilen. Doch sonst ist kein Verkehr. In Hellesylt, am Eingang zum Geirangerfjord, kommen dann dennoch ein paar Fahrzeuge zusammen. Alle warten auf die Fähre, und ich dazu. Eine Stunde Cruisen durch den Fjord ist das angesagte Programm. Darauf freute ich mich.
Während es an der Anlegestelle der Fähre fein warm war, ist es auf ihrem Sonnendeck mit der Brise aus dem Fjord wieder merklich frischer. Im T-Shirt losgefahren finden sich bald alle mit Schal und hochgezogenem Kragen oder Mütze. Und irgendwann dann auch alle mit offenem Mund. Denn der Geirangerfjord bietet ein einmaliges Naturerlebnis. Steile, fast senkrechte Felswände. Und dazu auf beiden Seiten Wasserfälle noch und noch. Und zu jedem gibt es eine Sage oder Geschichte. Der Fjord windet sich mit einigen Kurven durch die Felslandschaft. Hinter jeder Biegung tun sich neue Eindrücke auf. Ich bin am Staunen. Bei klasse Wetter hier durchzufahren hat schon was. Auch wenn es per Schiff ist, und das Bike nur als Passagier mit dabei ist.
Am Ende des Fjordes sehe ich dann die Adlerstraße. Sie führt mit 11 Spitzkehren in die Höhe. Bei der letzten findet sich eine Aussichtsplattform. Dort bin ich froh, eine Pause einlegen zu können. Die Steigung hat mich ziemlich gefordert. Als Belohnung gibt es dafür einen prächtigen Ausblick auf den Fjord. Und ein Jausenbrot dazu. Beides schmeckt mir ausgezeichnet. Diese Ecke Norwegens scheint überhaupt eine ganz feine zu sein. Denn auch die Landschaft im Übergang zum nächsten Fjord hat viel Charme und weiß mir zu gefallen. Hey, das war ein cooler Tag heute. Er hat ja auch schon so begonnen hat.
27. August 2020
Eine Straße zum Staunen
Heute starte ich mit einer klaren Aufgabenstellung für Kilometer 14. Ich müsse unbedingt die Gudbrandsjuvet-Schlucht anschauen, hieß es beim Frühstück. Die sei beeindruckend, wie die Sage dazu. Bei der geht es um einen Brauträuber, der sich dort in die Tiefe stürzte. Ihn und die Braut habe ich wegen der Gischt nicht gesehen, doch das tosende Wasser schon.
Der mächtige Bach begleitete mich dann das ganze Tal weiter. Leicht ansteigend ging es in eine alpine Gebirgslandschaft. Links und rechts flossen immer wieder Wasserfälle über die steilen Hänge herunter. Oben auf den Bergkuppen schaute Schnee hervor. Und am Passübergang des Trollstigen traf ich dann tatsächlich noch einen Skitourengeher. Er holte gerade seine Ski aus dem Auto. Erst gestern hätte es hier noch einen frischen Pulver gegeben. Ich staunte, denn ganzjährig Skitouren kenne ich von daheim nicht. Das würden sie normalerweise in Norwegen auch nicht machen. Doch gute Bedingungen solle man nutzen, war seine Erklärung für den Ausflug mit Tourenhose und Ski.
Für die Abfahrt am Trollstigen mummelte ich mich kräftig ein. Über die Mütze zog ich sogar noch ein Stirnband über. So schaffte ich die 11 Spitzkehren in flottem Tempo. Doch stehen geblieben bin ich auch ein paar Mal. Ich musste mir den fast senkrechten Talkessel gleich mehrmals anschauen, den mächtigen Wasserfall, und die in der Wand verlaufende Straßenführung. Und dazu auch immer wieder einen Blick talauswärts werfen, in das bewaldete Tal bis zum nächsten Fjord. Imposant fiel mir als Schlagwort ein, einmalig. Kein Wunder, dass der Trollstigen die berühmteste Straßenroute Norwegens ist.
Am Fjord angekommen sehe ich verankerte Hurtigrutenschiffe. Sie werden sich wohl erst nächstes Jahr wieder mit Touristen auf den Weg nach Norden machen. Auf meiner Straße den Fjord entlang ist wenig los. Die Fahrzeuge sammeln sich erst bei der Fähre. Voll wird sie aber nicht. Die Überfahrt über den Langfjord dauert eine knappe Viertelstunde. Die Weiterfahrt auf der anderen Uferseite dann entschieden länger. Der Langfjord macht seinem Namen alle Ehre. Und für mich macht er sich heute glaub noch extra lang. Es zieht sich kräftig, bis ich sein Ende erreiche. Norwegen, ein Land der Fjorde. Vom einen zum nächsten, manchmal fast nur ein Katzensprung. Doch hie und da ist es auch mit mächtig Anstrengung verbunden. Dann, wenn es Berge dazwischen gibt, so wie heute. Oder der Fjord kein Ende nehmen will in seiner Länge und sich Langfjord nennt.
28. August 2020
Tunnel zum Staunen
Der Fjord liegt mit ruhigem Wasser da. Nur weit draußen kann ich ein leichtes Kräuseln erkennen. Nach einem längeren Anstieg auf eine Kuppe sehe ich schon den nächsten Fjord vor mir. An ihm fahre ich entlang. Eine alte Straße führt direkt am Ufer, macht alle Aus- und Einbuchtungen mit. Richtung Osten ausgerichtet kann ich auch einen langen Tunnel der Hauptstraße auslassen. Die Sonne ist schon ein wenig durchgekommen. Sie taucht den Fjord in ein sanftes Licht. Nach einigen Kilometern muss ich aber doch wieder auf die Hauptstraße wechseln. Auf meiner ist kein Weiterkommen. Glatte Felswände ragen aus dem Wasser empor, gehen in einen steilen Wald über. Für ein Durchkommen gibt es nur einen 6 Kilometer langen Tunnel. Fahrverbot für Radler sehe ich keines. Also Lichter ein, und ab in die schmale Röhre. Nach 12 Minuten bin ich durch. Zum Glück war kaum Verkehr. Denn sonst könnte es da drinnen sicher ein bisschen unangenehm werden.
Das Reinfahren in den Tunnel war etwas kribbelig. Ich wusste ja nicht, wie die Verhältnisse da drinnen sind. Auch wenn alles gepasst hat, das Rausfahren am Portal auf der anderen Seite war mir jedenfalls willkommen. Eine letzte leichte Biegung, in der sich das Tageslicht abzeichnete, und dann blinzelte ich freudig in die pralle Sonne. Im folgenden Ort versorgte ich mich mit einer Jause. Mit Blick auf die hohen Felswände ringsum genoss ich auf einer Parkbank Roggenbrot, Fetakäse und Paprika. Dazu schaute ich mir die Karte an. Ich entdeckte noch einen weiteren langen Tunnel. Das kann ja spannend werden.
Bei dessen Portal angekommen, sah ich jedoch ein Fahrverbot. Auch gut, dachte ich mir, denn gleich 8 Kilometer am Rad in so einer Röhre müssen es ja wirklich nicht sein. Am Ufer führte nämlich eine schmale Straße weiter. Sie war für mich willkommener Ersatz. Die Absperrung nach einer Kurve ignorierte ich. Ich dachte, dass sie für Autos ist. Doch nach zirka 5 Kilometern war auch für mich Schluss. Ein Tunnel war mit Gitter und Schloss abgesperrt. Also fuhr ich wieder zurück in die Ortschaft. Dort fragte ich nach, wie ich als Radfahrer weiterkommen kann. Ich müsse den Bus nehmen, war der Hinweis bei einer Tankstelle. Dort sah ich noch 2 andere Radfahrer. Es war ein schottisches Bikepacker-Paar. Sie waren hier auf Kurzurlaub, hatten jedoch eine andere Route vor als ich. Die Geschichte mit dem Fahrverbot im Tunnel und dem Bus kannten sie. Sie hatten ihre Reisevorbereitung besser recherchiert als ich meine für den Tag.
Nach einer guten Stunde Warten konnte ich mein Rad in den Bus verladen. Und nach wenigen Minuten hatten wir schon die erste Haltestelle erreicht. Angesichts des Verkehrs im Tunnel saß ich dann doch entspannter im Bus als ich es wahrscheinlich am Rad gewesen wäre. Doch das Tempo des Busses nahm ich nicht mit. Ich war deutlich langsamer am Weg. Und so musste ich dann für die Überfahrt beim nächsten Fjord wieder auf die Fähre warten. Egal, die Sonne wärmte fein den Rücken. Und vor mir hatte ich ein feines Blau mit leichten Wellen. Dazu am anderen Ufer ein helles Wiesengrün mit ein paar weißen und roten Farbtupfern. Es lässt sich aushalten hier, selbst mit bloßem Warten. Norwegen ist schon schön.
29. August 2020
Radfahren mit Trillerpfeife
Kurz nach 8 Uhr starte ich los. Und kurz darauf hat auch das Navi die Temperatur heruntergezählt. Bei 8 Grad ist es heute stehen geblieben. Frisch, meine ich, und ziehe das Kopftuch etwas fester um die Ohren, und das Halstuch hoch. Die Straße führt flach durch ein breites Tal. Hie und da verläuft sie direkt einem Fluss entlang, oder quert ihn oft auf Brücken. Einsam in den Wiesen stehen große Bauernhöfe. Und auf den Feldern ziehen Traktoren mit ausgefahrenem Mähwerk ihre Runden ins hohe Gras. Dann wird es vielleicht sonniger die nächste Zeit, denke ich mir. Das kann mir nur recht sein. Denn auch am späten Vormittag ist es kaum wärmer als die 8 Grad vom Morgen.
Am Fluss sehe ich viele Fischer. Die einen blinkern vom Ufer aus. Andere waten bis in Flussmitte, um von dort ihr Glück zu versuchen. Und das Fischen ist auch im Straßenverkehr präsent. Denn viele Autos haben Fischerruten aufgeschnallt. Sie stecken vorne an der Motorhaube in einem Vakuum-Rutenhalter. Ein zweiter hält sie am Dach fest. Über die Windschutzscheibe ragen die Angelruten nach hinten und flattern leicht im Wind. Vielleicht fahren sie so auch ihren erspähten Fischen nach, wenn sie mal an einer Stelle nicht anbeißen. An diesem Fluss wäre es jedenfalls leicht möglich. Jäger habe ich hingegen keine gesehen. Oder zumindest niemand, der auf die Art auch Gewehre transportiert. Einmal lief mir aber ein Fuchs über den Weg. Er hatte die Ruhe selbst. Demnach dürfte es hier tatsächlich keine Jäger geben.
Am Nachmittag holt mich ein Radclub ein. Ich schließe mich ihnen eine Zeit lang an. Im breiten Windschatten der großen Gruppe fährt es sich merklich leichter. Einer von ihnen gab das Tempo von hinten mit einer Trillerpfeife vor. Ich glaube, sie fuhren ein spezielles Training. Oder er schaute von hinten, dass sie als Gruppe zusammenbleiben konnten. Ein Mal kurz pfeifen hieß Tempo runter, zwei Mal kurz bedeutete Gas geben. Und ein langer Ton war der Befehl für Tempo halten. Sie waren aus Trondheim. Ich hätte mich ihnen bis dorthin anhängen können. Doch die Pfeiferei machte mich nervös, oder vielmehr die Tempowechsel, die sie machten. Ich war mehr auf Konstanz eingestellt. Ein langer Ton am Morgen, das reicht für den ganzen Tag. So habe ich bisher schon 6.000 Kilometer auf meiner heurigen Tour geschafft. Bei der Stadteinfahrt von Trondheim sprang das Zählwerk gerade über.
30. August 2020
Nieselregen als treuer Begleiter
Nieselregen am Morgen. Und dann auch immer wieder den ganzen Tag. Aus Trondheim raus fahre ich am Radweg. Die Stadt ist noch nicht aufgewacht. Ich sehe nur ganz wenige Leute auf der Straße. Kaum habe ich meinen Rhythmus zum Fahren gefunden, fängt es stärker an zu regnen. Ich stehe kurz unter, und lasse die dunkle Wolke vorbeiziehen. Dann mache ich mich wieder auf den Weg. Heute führt meine Route entlang der Hauptverbindung nach Norden. Die Straße ist eher schmal, ein Seitenstreifen kaum vorhanden. Meine Freude hält sich in Grenzen. Die Autofahrer sind zwar alle rücksichtsvoll, und halten beim Überholen ausgiebig Abstand. Doch etwas stressig ist es dennoch. Nur ein paar Mal finde ich längere Passagen, bei denen ich der Hauptstraße ausweichen kann. Dort ist es dann allein ganz fein zum Fahren.
Auf Höhe Flughafen Trondheim stehe ich bei einer Tankstelle unter. Es regnet wieder etwas mehr. Eine Autofahrerin faltet umständlich einen Regenschirm neben mir zusammen. Ich frage sie, ob sie den beim Fahren gebraucht hat. Sie lacht. Nein, es wäre nur für den Weg vom Hotel zur Tankstelle gewesen. Und jetzt fahre sie zum Flughafen, und hebe dann ab in die Sonne. Ich habe sie nicht gefragt, ob sie mir den Schirm dalassen kann. Denn ich hatte auch schon ein blaues Fenster am Himmel entdeckt. Und in diese Richtung fahre ich auch. Norwegen, hier ist der Regen oft schnell da. Doch zum Glück kann er sich auch schnell wieder verziehen. Heute hat er es am Vormittag etwas übertrieben, wollte einfach länger bleiben. Doch am Nachmittag nahm er sich jedenfalls zurück. Und mit der Sonne zeigte sich die Landschaft dann auch wieder deutlich freundlicher. Manchmal kam ich nahe zum Fjord hin. War gestern das Wasser noch blau, so zeigte es sich heute in einer dunkleren und gräulichen Stimmung. Vielfältig, fiel mir dazu ein. Und auch schön, wie die Wellen in dieser Stimmung glitzern.
Kurz vor meinem Etappenziel in Steinkjer holten mich nochmals einige dicke Regentropfen ein. Tiefschwarz hingen die Wolken über dem Landesinneren. Doch über dem Fjord war Sonne. Ich schaffte es ohne Regensachen bis zum Hotel. Beim Einchecken meinte ich, dass es heute fast ein wenig zu viel Regen für mich gab. Und dass ich froh sei, jetzt im Warmen sein zu können. Die Frau an der Rezeption war nicht verlegen. Sie sagte, dass es in Norwegen nur 2 Jahreszeiten gibt. Das sei der weiße Winter von Oktober bis Juni, und der grüne Winter die restlichen 3 Monate, zu denen man woanders Sommer sage. Wir mussten beide herzhaft lachen. Und dann verriet sie mir noch, dass sie den österreichischen Regen auch kenne. Sie sei schon mal in Salzburg gewesen. Ok, dachte ich mir, die versteht ihren Job ganz gut.
31. August 2020
Ein Laugenbrezel für den Gusto
Am Morgen checke ich noch im Bett meine geplante Route. Die Hauptstraße möchte ich jedenfalls vermeiden. Viel Auswahl habe ich dabei nicht. Die Gegend ist spärlich besiedelt. Und die Landschaft in dem schmalen norwegischen Landstreifen zwischen der Küste und dem Nachbarland Schweden lässt ohnedies nicht viel zu. Sie zeigt sich jetzt anders als die Woche davor. Die hohen Felsen sind gewichen. Die Täler sind offener, weiter. Die Berge nicht mehr spitz, sondern mehr abgerundet als Kuppen. Vielleicht auch nicht mehr so spektakulär. Geblieben sind zusammenhängende Wälder und große Seen.
Die von mir gewählte Straße hat über viele Kilometer einen neuen Straßenbelag. Auf ihm rolle ich fein dahin. Doch trotz flottem Kurbeln habe ich kalte Zehen. Ich bastle mir aus einem Plastiksack winddichte Zehenhauben. Ein Versuch, und ein bisschen Improvisation zwischendurch. Die warmen Socken sind nämlich in der Tasche ganz unten. Es funktioniert, bilde ich mir ein.
Mittags erreiche ich eine größere Ortschaft. Und weil vor einem Supermarkt auch Tische und Bänke stehen, mache ich dort meine Pause. Es gibt mein Standardmenü mit Käse und Paprika. Das habe ich auf die Schnelle in dem Laden gefunden. Mehr Zeit wollte ich da drinnen mit Suchen zwischen den Regalen nicht verbringen. Denn draußen waren die Wolken weg, und die Sonne wärmte ganz angenehm. Doch etwas Spezielles habe ich dann doch noch entdeckt: Einen Laugenbrezel mit Salz. Der machte mich an. Er schmeckte zwar nicht so knusprig wie beim Kaufen erhofft oder in Erinnerung von daheim, doch köstlich war diese Jause dennoch. Im Bistro hatten sie nur Fleisch und Fisch als Menü. Für Vegetarisches sind sie hier im Norden wenig bis gar nicht aufgeschlossen.
Im nächsten Ort entscheide ich mich für einen früheren Stopp als sonst. Etwas neugierig schaue ich bei einem Sportgeschäft vorbei. Sommersachen stellen sie bei der Kleidung keine mehr aus. Sie wollen anscheinend Mützen und dicke Jacken verkaufen, war mein Eindruck. Warme Socken hätten sie auch, habe ich noch erspäht. Am meisten gibt es jedoch Angelsachen. Da staune ich, was man für das Fischen alles brauchen oder kaufen kann. Im Hotel erfahre ich, dass die Provinz Trondelag nicht nur national berühmt sei für die ausgezeichneten Angelmöglichkeiten. Neben zahlreichen Fischerfotos und Angelutensilien schmückte auch eine große Lachs-Trophäe den Speisesaal. Ein Radlerhotel ist es jedenfalls nicht. Doch froh um die Unterkunft war ich dennoch sehr.
1. September 2020
Wundersame Landschaft
Am Morgen ringen Nebel und Sonne darum, wer den Tag gestalten darf. Es gibt eine salomonische Lösung, zumindest für die erste Stunde am Rad. Doch dann kriegt die Sonne den Vorzug. Es wird angenehm zum Fahren. Gestern hatte ich am Nachmittag noch ein Lastauto überholt, das Schneestangen montiert hat. Und heute sehe ich, dass der Fahrer wohl bis in den Abend gearbeitet hat. Dann dürften ihm die orangen dünnen Kunststoffrohre ausgegangen sein. Er hatte am Heck seines Lastautos einen Erdbohrer montiert. Dazu eine Vorrichtung, die die Stangen automatisch in das Loch gleiten ließ, und das Erdreich danach rundherum wieder feststopfte. Bis zum Mittag nahm ich heute dieses Spalier in Orange mit den reflektierenden Folienstreifen im oberen Drittel wahr.
Irgendwann passierte mich ein Traktor mit einem übergroßen Anhänger. Aufgeladen hatte er Holzkisten. Etwas später sah ich ihn dann in einem Kartoffelfeld stehen. Da musste ich schmunzeln. Der 1. September scheint demnach auch in Norwegen jener Tag zu sein, an dem Kartoffeln geerntet werden. Zumindest habe ich das so von meinen Eltern als Tradition in Österreich mitbekommen. Etwas weiter gab es noch ein riesiges Erdbeerfeld. Jordbær war angeschrieben. Doch zum Selberpflücken werden hier wohl nicht so viele vorbeigekommen sein. Denn weit und breit gab es rundum keine Siedlung. Wie auch mein ganzer Tag durch eine fast menschenleere Gegend führte. Ein paar einzelne Häuser und Gehöfte. Das war es dann schon, von einem kleinen Ort noch abgesehen.
Landschaftlich hat es mir heute wieder sehr gefallen. Blanke Felskuppen und niedrige Wälder, und dazwischen immer wieder große Seen oder ein Arm eines Fjordes. Genial. Bei kaum Verkehr wand sich eine breite Straße mit einem leichten Auf und Ab durch diese immer wieder von betörendem Blau dominierte Märchenlandschaft. Oder es glitzerte im Gegenlicht ein See. Oder das Rot eines einsamen Hauses stach das Grün aus, das sich ganz kräftig zeigte. Ich genoss es mit einigen Juchzern.
Vor einer Brücke über den Fjord sah ich ein Motorrad mit Anhänger stehen. Es war eine alte Royal Enfield. Und es war ein holländisches Paar, das die Stimmung am Fjord mit der Kamera einfangen wollte wie ich. Sie waren schon seit März unterwegs, wollten mit ihrem exotischen Gefährt in die Mongolei. Doch nach Russland konnten sie wegen der Einreisesperre nicht. Sie sind über Polen, die baltischen Staaten und Finnland hoch ans Nordkapp. Jetzt wollen sie wieder heimwärts, denn nach Osten gibt es für sie nach wie vor kein Durchkommen. Er meinte noch, dass Norwegen für mich ideal sei. Denn das Land sei lang genug. Und die vielen Fjorde würden dafür sorgen, dass es noch weiter sei zum Fahren. Spannend, so ein kurzer Tratsch in sonst menschenleerer Gegend.
Für das Übersetzen mit der Fähre musste ich am Nachmittag etwas warten. Doch ich durfte schon gleich nach ihrer Ankunft an Bord. So genoss ich die wärmende Sonne im Salon, staunte über das atemraubende Blau des Meeres, und war ziemlich happy. Da hat der Tag mit 2 Grad am Morgen begonnen, und lässt sich jetzt gar ohne dritte Schicht angenehm aushalten.
2. September 2020
Abenteuer Fährverbindungen
Heute steht Inselhüpfen am Programm. Zwei Mal muss ich eine Fähre benützen, damit ich weiterkommen kann. Die Abfahrt der ersten Fähre habe ich gestern schon nachgefragt. Entweder muss ich ohne Frühstück los, oder ich kann mir am Morgen etwas Zeit lassen. Die Fähren haben nämlich mit Beginn September auf Winterfahrplan umgestellt. Die Intervalle sind deutlich größer.
Ich habe mich für einen ruhigeren Morgen entschieden. Ich starte später und kann es gemächlich angehen. Die Landschaft ist wunderbar. Immer wieder gibt es kleine Seen, die in der Morgensonne ihr Ufer spiegeln. So etwas mag ich gerne anschauen. Den Fährhafen erreiche ich rechtzeitig. Es sind 5 Kilometer bis zum anderen Ufer. Von den 3 Wartespuren ist nur eine halb voll belegt. Es sind einige Lastautos und ein paar Wohnmobile, die mit mir übersetzen wollen. Ich frage bei der Mannschaft nach, wann ich bei der zweiten Fähre sein muss. Sie meinten, das gehe sich locker für mich aus. Ich weiß nicht, ob sie mich über- oder unterschätzt haben. Denn die eine Fähre, auf die ich mit Anschluss wollte, sah ich nur noch entfernt um einen Felsen verschwinden. Und auf die nächste wartete ich dann eineinhalb Stunden. Diese ist sich also jedenfalls leicht ausgegangen.
Ich nutzte die Zeit beim Warten für mein Mittagessen. Bohnen in Tomatensauce mit Haferknäckebrot und Sprite. Etwas anderes habe ich für mich in dem kleinen Laden nahe der Anlegestelle nicht aufgetrieben. Dafür war der Essplatz ganz gediegen. Aussicht auf das Meer, die Berge und ein paar bunte Häuser rund herum. Dazu von der Sonne fein vorgewärmte dicke Metalltische und Bänke. Auf denen konnte ich mich sogar hinlegen zum Dösen. Doch ein richtiges Nickerchen war nicht drin. Ich ließ mich vom Treiben am Warteplatz etwas ablenken. Denn es kamen in einigen Abständen immer wieder neue Fahrzeuge an. Aus den Wohnmobilen schleppten sie Campingstühle und Tische heraus, machten es sich auf dem Asphalt bequem. Andere packten ihre Kühlhalteboxen aus. Am Nebentisch servierten sie ein deutlich üppigeres Menü als ich es hatte. Und einer ging gleich zum Angeln an den Kai. Er war auch erfolgreich. Doch er warf die 2 Fische wieder zurück. Keine Ahnung ob es nur Zeitvertreib war, oder ob er tatsächlich einen großen Fisch zum Mittagstisch wollte.
Die Fahrt auf der lang erwarteten Fähre war dann sehr kurzweilig. Zum einen gab es diese wunderbare Küste als tolle Kulisse. Da waren Berge, die als runde Felsmugel abenteuerlich aus dem Meer emporragten. Zum anderen war es die Fahrspur der Fähre zwischen den kleinen Inseln im glitzernden Meer. Ich merkte es auch den anderen Fahrgästen an, dass sie gleich neugierig waren wie ich, wie und wo es da ein Durchkommen gibt. Und einen Zwischenstopp gab es auch noch. Dafür musste das Schiff in einem kleinen Hafen wenden. Es gab einiges zum Schauen in der einen Stunde der Überfahrt.
Danach gab es wieder grüne Wiesen, und weiße Siloballen. Ein paar verstreute rote Holzhäuser, kleine Ortschaften. Schafe links von der Straße, und Schafe rechts von der Straße. Und natürlich der Blick auf das glitzernde Meer und den bunten Farbkasten der Natur. Ich mache hier an der Küste zwar einige Kilometer mehr als auf der Hauptverbindung im Landesinneren. Doch die Landschaft gefällt mir sehr. Und mit den vielen Pausen wegen der Fähren ist es auch gar nicht so anstrengend zum Fahren.
3. September 2020
Ein feiner Sonnenuntergang nach tollem Tag
Heute starte ich kurz vor 8 Uhr. Damit habe ich etwas Reserve zum Erreichen der Fähre am Vormittag. Mit Schwung fahre ich auf die imposante Brücke über den Fjord. Oben bläst es kräftig. Und dieser Wind begleitet mich heute den ganzen Tag. Später war ich dann ganz froh um ihn. Denn mit Rückenwind in so einer Landschaft der Küste entlang dahinsausen macht mächtig Spaß.
Zuerst dachte ich mir noch, dass es heute nicht so spektakulär aussieht. Doch bald schon komme ich auf einen kleinen Pass, und bin dann inmitten der kahlen Berge am Weg. Ein paar Mal geht es auch unter ihnen durch. Um diese Tunnel war ich heute ganz froh. Sie waren gut zu fahren. Zwar schlecht beleuchtet, doch breit aus dem Berg herausgehauen und ohne Verkleidung belassen. Ohne Verkehr machten die 2 mal 3 flachen Kilometer im fahlen Licht sogar Spaß.
Autos waren heute nicht viele am Weg. Dafür ein paar Radler. Gleich 3 an einem Tag. Und wenn man so einen Radler sieht, dann freuen sich meist beide. Der erste war mit Schwung in einer Abfahrt. Bei ihm ist es beim Zuwinken geblieben. Der zweite war ein Norweger. Er kam schwer bepackt von den Lofoten. Er gab mir einen Tipp, welchen Campingplatz ich dort nicht auslassen dürfe. Und er kündigte mir noch an, dass ich gleich einen weiteren Radler einholen werde. Das war dann Christian aus Augsburg. Der war auf der Straße nicht zu übersehen. Bei einem Lastwagen hätte er wohl ein Schild „Schwertransport“ anbringen müssen. An den Packtaschen hatte er seitlich noch Plastiksäcke hängen. Er brauchte fast die ganze Fahrspur. Und sein Rad war ebenfalls Marke „heavy duty“. Er meinte, dass es schon extrem viel sei, im Gegensatz zu mir. Doch so sei er jetzt schon seit Mai am Weg. Mit geringstem Budget weit kommen und möglichst viel sehen, ist seine Devise. Wir tratschten während des Fahrens eine Zeit lang. Doch sein Tempo war mir dann etwas zu langsam. Ich wollte die zweite Fähre am Nachmittag nicht versäumen.
Die Fährfahrt war ebenso spannend wie die am Vortag. Eine tolle Kulisse zum Staunen. Ich stand an Deck und schaute und schaute, während drinnen 3 Frauen am Stricken waren. Ja, auch das kann man während einer Schifffahrt machen. Vielleicht kannten sie die Gegend schon auswendig. Hatten wahrscheinlich auch schon zum wiederholten Mal dieselbe Durchsage gehört: „We are crossing the arctic circle. On the right hand you can see a globe on a rock. That marks the line“. Eigentlich gibt es auf den Fährschiffen außer den Sicherheitshinweisen keine Durchsagen. Doch die Grenze des nördlichen Polarkreises zu passieren, muss eine Ausnahme wert sein.
Aufs Geratewohl bin ich gleich nach der Ankunft der Fähre in dem kleinen Ort einem Unterkunftsschild gefolgt. Es führte mich weg von der Straße in eine Bucht. Dort standen ein paar einfache Holzhäuser. Und eines davon war für mich. Die Saison sei schon längst vorbei, meinte der Vermieter. Ich könne mich ruhig breit machen. Doch bei den Betten nur eines benützen, war seine einzige Vorgabe. So hatte ich einen großen Aufenthaltsraum mit Blick auf den Hafen und die Bucht und die Berge auf der Insel davor. Und dazu von der warmen Stube aus einen fantastischen Sonnenuntergang als abendfüllendes Programm zum Staunen. Hey, der Tag war ziemlich ok. Und die Abendstimmung feinste Sahne.
4. September 2020
Warten im Container
Gleich nach dem frühen Aufwachen mache ich als Erstes einen Blick nach draußen. Das Wetter ist besser als vorhergesagt. Also will ich die trockenen Stunden nutzen. Vielleicht geht es sich aus. Ich starte ohne Frühstück. Oben ziehen Wolken durch, herunten ziehe ich meine Bahn. Es ist niemand auf der Straße. Den langen Tunnel habe ich für mich allein. Bei der Anlegestelle der Fähre bin ich der Erste. Viele kommen auch nicht mehr dazu. Die meisten scheinen sich untereinander zu kennen. Auf der Fähre tratschen sie von Auto zu Auto. Viel Zeit zum Reden haben sie jedoch nicht. Es sind nur 10 Minuten für die Überfahrt.
Dann geht es einen langen Fjord rein und wieder raus. Ich muss statt der Hauptstraße eine andere Verbindung nehmen. Denn der knapp 8 Kilometer lange Svartisen-Tunnel ist für Radfahrer gesperrt. Er führt unter einem Arm des zweitgrößten norwegischen Gletschers durch. Die Ausweichstrecke geht an der Fjordküste entlang bis zu einem Fährhafen. Kurz vor der letzten Biegung holt mich der Regen ein. Und er bleibt dann den weiteren Tag. Schade. Ich wäre gerne im Trockenen weiter geradelt. So ziehe ich mir bei einem Schuppen eines Bauernhofes meine Regensachen an. Weit war es nicht mehr bis zum Fährhafen. Doch ohne Regenkombi wäre ich dort wohl klitschnass angekommen.
Zum Glück gibt es an der Anlegestelle einen halben Container als Warteraum. Er ist beheizt, doch sonst spartanisch eingerichtet. Aber zum Unternehmen ist hier ohnedies nichts. Denn alles ist grau in grau. Auch die Möwen schauen eher missmutig drein. Gestern so ein feiner Tag, und jetzt schlagartig das Gegenteil. Ein Norweger schaut kurz zur Tür herein. Er entscheidet sich jedoch für die Benutzung des Tunnels und kehrt um. Statt Warten will er dieselbe Zeit lieber mit dem Auto fahren. So bin ich dann wieder allein.
Ich schaue mir auf der Karte die Strecke an und suche nach einem Hotel. Ich mag im Regen nicht mehr weiter. Doch als ich das einzige in dieser Gegend buchen will, ist es leider voll. Sie vermitteln mich dafür an einen Campingplatz in ihrer Nähe. Statt einem Hotelzimmer gibt es heute also wieder eine Holzhütte. Doch die ist groß genug, dass ich meine nassen Sachen ausbreiten und über dem Heizlüfter trocknen kann. Und eine Küchenzeile finde ich auch vor. Spaghetti mit Broccoli, Pilzen und einer leicht scharfen Tomatensauce stehen auf meinem Menüplan. Es schmeckt mir ganz gut. Vielleicht auch deshalb, weil ich nebenher noch die Wettervorhersage anschaue. Da sollte es morgen wahrscheinlich trocken bleiben.
5. September 2020
Ab auf die Fähre nach Moskenes
Den Boden am Morgen nass rauswischen, wäre laut Hüttenordnung ein Teil der Grundreinigung gewesen. Ich habe es unterlassen. Denn er war schon wieder trocken, trotz meiner am Abend ausgebreiteten Regensachen. Und so wollte ich ihn auch belassen. Und weil es draußen ebenfalls wieder trocken ausschaute, schwang ich mich gleich aufs Rad. Statt Bodenwischen in der Hütte ab auf die auftrocknende Straße, der Küste entlang Richtung Bodo, war mein Vorhaben.
Auf der Karte hat es so ausgeschaut, als ob es ein lockeres Fahren wird. Nur Küste. Doch es kamen dann ganz unerwartet einige Steigungen dazu. Ich sammelte heute Höhenmeter, und auch Tunnelmeter. Die Berge sind hier alle steil und abweisend. Und manche ragen auch schon so aus dem Meer empor. Da lässt sich eine Straße schwer unterbringen. Mit den Tunneln geht es. Und die Tunnel sind auch problemlos zum Fahren, weil kein Verkehr auf dieser Route, oder zu meiner Zeit.
Beim letzten Fjord vor Bodo sehe ich schon weitem die Stadt am Meer. Doch bis ich dann dort bin, zieht es sich noch kräftig. Ein paar Rennradler sind auch am Weg. Die fahren hier mit kurzer Hose. Sie scheinen das kalte Wetter gewohnt zu sein. Ich bin um meine lange Hose froh, und ebenso um mein Kopf- und Halstuch. Und für das Warten auf die Fähre ziehe ich gar meine Jacke an.
Visavis am Kai ankert ein Hurtigrutenschiff. Die Passagiere trudeln langsam aus der Stadt ein. Sightseeing Bodo wird ihr Programm gewesen sein, und vielleicht auch ein bisschen Einkaufen, den Taschen nach. Irgendwann ertönt dann die Schiffssirene, und das große Schiff legt ab. Es überlässt den Hafenteil allein für meine Fähre auf die Lofoten.
Es sind gute 3 Stunden Fahrzeit zu der knapp 100 Kilometer entfernten Inselgruppe. Mir hat es gefallen. Es war eine ruhige Überfahrt. Ich bin sogar kurz eingeschlafen. Irgendwann in der letzten Stunde zeichneten sich dann die Berge der Lofoten am Horizont ab. Ein dickes weißes Wolkenband darüber ließ sie noch größer erscheinen. Doch beim Näherkommen wurden sie dann selber mächtig groß. Es war wie eine dunkle Wand, auf die wir zufuhren. Die kurz davor sich heute erstmals zeigende Sonne war dahinter gerade wieder am Verschwinden. Erst ganz aus der Nähe waren die Häuser des Fährhafens als bunte Punkte zu erkennen. Ich bin gespannt, wie das dann am Morgen ausschauen wird. Denn die letzten Meter zu meiner Unterkunft machte ich schon fast im Dunkeln.