Ab Perpignan an der Küste nordwärts

18. Oktober 2021

Mein Navi nervt  

Am Morgen hängen graue Wolken über dem Land und dem Meer. Es ist windstill. Es ist eine eigenartige Stimmung über dem Meer. Und an Land macht alles einen verschlafenen Eindruck. Nur am Strand ist schon was los. Da sind Arbeiter am Werken. Abbau der Verkaufsbuden an der Küste. Dieses Bild wiederholt sich dann den ganzen Tag. Was nicht winterfest und ortsfest verbaut ist, wird abtransportiert. Und sonst ist ohnedies schon alles zu. Campingplätze, Restaurants, Cafés, Hotels, Vergnügungsparks, Lebensmittel- und Krimskramsläden, alles ist geschlossen. Die Orte an der Küste wirken wie ausgestorben. Riesige Parkplätze ohne Autos. Große Straßen ohne Verkehr. Häuser nur mit heruntergelassenen Rollos.

 

Meine Route führt auf einer schmalen Landzunge durch ein Naturparkgebiet. Zum Teil ist die Straße gut. Und oft jedoch auch nervig, weil mit vielen Löchern. Doch was viel mehr nervt, ist mein Navi. Obwohl ich meinte, alle Systemeinstellungen korrekt gesetzt zu haben, versucht es ständig eine Neuberechnung der Route. Und ist dabei nur bedingt erfolgreich. Bei 71 Prozent gibt es auf, und startet neu durch. Das dauert, und während dieser Zeit habe ich keine Karte. Ausgerechnet heute. Es sind durchwegs kleine Wege am Strand, in den Orten, im Naturpark. Und immer wieder viele Abzweigungen. Ich habe daher einige Verfahrer, bis ich wieder einen Blick auf die Karte werfen kann. Doch meinem Navi ist das egal. Es fährt stur sein eigenes Programm. Neuberechnung bis 71 Prozent. Und dann Ciao. Keine Ahnung, was mit dem Gerät los ist. Vielleicht ist es ebenso verschnupft wie ich. Wir arbeiteten zwar nicht im Gleichklang. Doch sicher ebenso oft wie mein Gerät neu durchstartete, musste ich heute unterwegs Niesen.

 

Ein Mal ging der Weg kilometerweit einem Kanal entlang. Links der Kanal, dann mein schmaler Schotter- oder Sandweg auf einem nicht viel breiterem Landstreifen, und rechts das Meer. Landschaftlich wunderbar. Und wunderbar muss es hier wohl auch für Vögel sein. Einfach nur mit offenem Schnabel niedrig fliegen. Dann gibt es ein volles Menü an Mücken. Ich hielt jedenfalls den Mund geschlossen, und wollte mich auf keine Pause einlassen. Etwas gemächlicher ging ich es dann später an. Da war der Himmel längst wieder blau, und die Sonne wärmte fein. Die Route führte durch farbenprächtige Weinberge. Dazu waren die Kanäle immer wieder von Bäumen gesäumt, die ein schönes, herbstliches, goldenes Gelb zeigten. Manchmal waren in den Wiesen auch Pferde zu sehen. Das war dann nochmals eine Draufgabe beim Schauen.

 

19. Oktober 2021

Umstieg auf Zug

Von den vielen möglichen Routenvarianten entlang der Mittelmeerküste und der Alpen habe ich heute eine gewählt, die ich eigentlich für ausgeschlossen hielt: Umstieg auf Zug und Abkürzung der Tour.

 

Ich fühlte mich in der Nacht unwohl. Der Husten war eher noch schlimmer und brennender geworden. Und zum Ohr hin strahlte es auch irgendwie aus. Radfahren bei herbstlichem Wetter erschien mir so keine gute Option. Und wenn ich nicht fit bin, gehen auch keine Pässe. Ein paar Tage Pause brauche ich jedenfalls. Und vielleicht auch einen ärztlichen Rat. Oder einen Booster, der mich schnell wieder gesunden lässt. Doch mit jedem langen Warten im Süden wird es immer später für die Alpen und das Heimkommen. Daher war die Entscheidung schnell gefallen: Ich kürze die Tour hier in Frankreichs Süden ab, und kuriere mich daheim aus. Und dann schaue ich, was das Leben sonst noch für mich bereithält. Es besteht ja nicht nur aus Radfahren allein.

 

Doch ganz so leicht ging das Abkürzen dann auch wieder nicht. Das Mitnehmen des Fahrrads war in Frankreich nur mit Regionalexpresszügen möglich. So schaffte ich es immerhin an einem Tag bis Genf. Und dort hatten sie am Schalter der SBB ihre liebe Not und Mühe, im Railjet der ÖBB mein Fahrrad einzubuchen. Das ging dann nur im Team zu fünft, und war spannend für alle Beteiligten.

 

 

Nachspann

Knappe 3 Monate am Rad, und das durchgefahren jeden Tag. Am Tacho stehen 9.500 Kilometer. Mit dem Wetter hatte ich Glück. Das Fahren entlang der Küste war großartig. Auch auf unbefestigten Wegen kam ich mit dem vielen Gepäck gut voran, wenn auch etwas schwerfällig. Die Orientierung war nicht schwierig. Das Meer musste einfach immer rechts sein, so wie die Kette am Rad. Von der Jahreszeit her war es stimmig. Europas Süden ist im Spätsommer und Herbst ideal. Hie und da hätte ich gerne etwas mehr an Einsamkeit und ihrem Flair gehabt. Denn die dichte Besiedlung und der Badetrubel waren mir fast zu viel. Doch die gute Infrastruktur des Tourismus macht das Radeln auch leicht.

 

Dem Rhein entlang hat es mir nicht so gefallen. Utrecht als Radlerparadies war ein Hit. Die Küste am Ärmelkanal musste ich mit vielen Badenden teilen. Das Reinfinden in die Normandie ging etwas zähe, wie auch das Wetter mich forderte. Doch dann kam die Bretagne, und ich war mit meinem Radfahren zufrieden. Der weitere Weg entlang des Golfs von Biskaya war ebenfalls großartig, und Portugal mit dem Atlantik sowieso. Richtig schön, die Buchten, das Meer, die Farben, die Stimmung. Algarve und Andalusien hielten was sie versprechen, nämlich entspanntes Sommerradeln. Das hätte noch länger dauern können. Ab Gibraltar kreisten meine Gedanken dann schon ein bisschen rund ums Heimkommen. Die Mittelmeerküste nach Norden war ganz prächtig, doch auch dicht besiedelt. Beeindruckt haben mich dort die kleinen Abstecher ins Landesinnere. Und der eine nach Andorra hat sich jedenfalls rentiert. Da hat alles gepasst. Und der Rest? Den kann ich ja nachholen, irgendwann. Oder auch auslassen.

 

Vielleicht hätte ich sie durchziehen sollen, meine Fahrt ins Blaue, ich meine am Rad. Doch einige Zeit anhängen geht im Herbst nicht so einfach. Zumindest dann nicht, wenn man über die Alpen retour möchte. So ist es als spontaner Abschluss der Fahrt ins Blaue eine solche mit dem Zug geworden. Das passte auch. Am Fenster sitzen. Schauen wie draußen die bunte Landschaft im Schnellzugstempo vorbeizieht. Drinnen im Radlertempo in bunte Fotos eintauchen. Mich freuen, was ich alles gesehen habe, mit wem ich in Kontakt war, wie mein Radfahren war, wie die Welt abseits von daheim ausschaut. Einfach fein.