Von Ceduna nach Melbourne

18. August 2023

Kleiner Highway, große Felder

Unter einem Regenbogen fahre ich aus der Küstenstadt Ceduna hinaus. Ein paar Kilometer mache ich noch auf dem großen Eyre Highway. Doch dann biege ich auf den kleinen Flinders Highway ab. Der Regenbogen schickt mir dort gleich ein paar große Tropfen zur Begrüßung. So scheint das hier um diese Jahreszeit an der Küste zu sein. Etwas Regen kann es immer geben. Doch jetzt am Morgen waren es zum Glück nur ein paar Tropfen.

 

Rötlicher Asphalt, keine befestigte Schulter, geradeaus wie ein Großer, so präsentiert sich die Straße. Sie führt mich durch weites, offenes Land. Die Farbe Grün dominiert. Wenige Schafwiesen, dafür umso mehr Getreidefelder, und die riesengroß. Das Meer zeigt sich erst am späten Vormittag wieder. Es ist noch immer gleich türkis, und vom Wind leicht aufgewühlt. Auf der Straße ist nicht viel los. Das fällt angenehm auf. Und vor allem: Keine Road Trains mehr. Oder nur eine Handvoll heute. Zwei davon mit Schafen. Die riechen anders als die Rindertransporte. Und sie hatten hier einen Anhänger weniger.

 

Der Wind beschäftigte mich dann weiter durch den Tag. Regenschauer mit dazu. Als graue Schicht schoben sich die Schauer rasend schnell über das satte Grün der Felder. Es dauerte keine halbe Minute von ihrem Entdecken irgendwo weit weg, bis sie mich erreicht hatten. Einmal waren es 400 Meter von den ersten Tropfen bis zu spürbar nassen Schultern und Schenkeln. Da war nämlich gerade ein Rastplatz angeschrieben. Rundum war plötzlich nasse, graue Tristesse. Doch bis ich unter dem kleinen Blechdach meine Regensachen hervorgekramt und angezogen hatte, zeigte sich schon wieder munteres Blau am Himmel. Mit einigen Minuten Warten ging es ohne Jacke wieder weiter. Die Sonne half dem Wind beim Trocknen meiner Kleidung.

 

Die schlagartigen Wetterwechsel wiederholten sich im Halbstundentakt. Manchmal bekam ich nur wenige Tropfen ab, und dann wieder einige mehr, oder richtig viel. „Das gibt es doch nicht“, hörte ich mich heute mehrfach ausrufen. Doch die Schauer waren dennoch da. Und die letzten gut 20 Kilometer war das Radeln dann harte Arbeit gegen den Wind. Wenn er mir schon am Vormittag so zugesetzt hätte, wäre ich wohl nie in der kleinen Ortschaft angekommen. Doch so hatte ich auch noch Zeit für einen Einkauf im dortigen Supermarkt. Vielleicht war es die Entwöhnung am Nullarbor, nur ich bin tatsächlich staunend die Regalgassen entlang. Kein großer Laden, doch ein großes, hochwertiges Angebot. Zum Glück fiel mir gleich am Anfang schon ein, dass ich das Gekaufte auch transportieren muss. So blieb es bei vielem nur bei einem Kaufen mit den Augen, bei erhöhtem Speichelfluss.

 

19. August 2023

Taktierendes Fahren durch mannigfaltiges Grün

Viel war auch gestern nicht los in dem kleinen Ort. Doch heute am Morgen war gar nichts los. Ich war anscheinend der Einzige, der sich schon frühmorgens auf die noch regennasse Straße traute. Wahrscheinlich warteten alle, bis die Geschäfte aufmachen. Oder zumindest die Bäckerei. Denn die schaute im Vorbeifahren richtig einladend aus, mit ihrer Bestuhlung auf überdachter Terrasse bei freiem Blick auf die Bucht und den langen Steg. Zwischenzeitlich weiß ich, dass so ein Steg Jetty heißt. Denn damit werben die kleinen Küstenorte hier, wenn sie ihre Attraktionen bei den Straßenabzweigungen auf Tafeln anschreiben.

 

Mit ein paar langgezogenen Kurven war ich raus aus dem Ort und wieder auf gerader Straße unterwegs. Das Fahren allein und zu früher Stunde hat mir gefallen. Windstill war es nämlich auch noch. Und wenn ich nicht ganz am Rand fuhr, so bekam ich auch keine Wasserspritzer vom Vorderrad ab. Auf den Wiesen waren Schafe zu sehen. Blöcken hörte ich sie nur ganz selten. Da waren die Vögel etwas lauter, wenn sie, von mir erschreckt, hektisch aufflogen. Einmal war es ein großer Schwarm Rosenkakadus. Denen musste ich ein lautes Wow nachrufen. Dieses synchrone Flügelschwingen mit dem Wechsel zwischen in der Sonne gespiegeltem Weiß an der Flügeloberseite und dem leichten Grau an der Unterseite war ein Spektakel sondergleichen. Oder wie sie im Schwarm Kurven fliegend davonzogen, und sich bald wieder gemeinsam auf einer kleinen, rötlichen Fläche kreischend am Boden niederließen, ebenso. Da gingen die grünen Ringnecks mit ihrem gelben Halsband fast etwas unter. Denn die zeigen sich meist nur paarweise, und mit zurückhaltendem Lärmen.

 

Und noch was zeigte sich, ganz wunderbar: Ein Regenbogen hatte sich weit über das Land gespannt. In voller Länge. Oder in vollem Bogen. Blauer Himmel, ein schmales Wolkenband, unten saftiges Wiesengrün mit dunkelgrünen Büschen als Abgrenzung zur rötlichbraunen Straße, das war seine Bühne. Im Scheinwerfer der Morgensonne ein Fest zum Staunen.

 

Doch bei einem Regenbogen ist meist der Regen auch irgendwo mit im Bogen. Und er zeigte sich recht bald als graue Front in meiner Fahrtrichtung. Ich entschloss mich zu taktischem Fahren. Abwarten war die Devise bei dieser Front. Denn hinter mir war kräftiges Blau. Und als sich das Blau dann irgendwann in kräftiges Grau verwandelte, versuchte ich es mit kräftigem Strampeln. Es hat funktioniert, sogar über den ganzen Tag hinweg. Wobei ich mich beim Stehenbleiben und Abwarten viel leichter tat, als beim Versuch, dem Grau und den kurzen Regenschauern schnell davonzufahren.

 

Stehen geblieben bin ich jedoch auch oft aus anderem Grund. Mir hat das satte Grün der Wiesen in unterschiedlichen Tönen sehr gefallen. Oder wie sich das markante Grün über die Hügel spannte, ebenso. Manchmal ging es fast in ein sanftes Gelb über, um sich dann wieder in kräftigem Dunkelgrün auf der anderen Hügelseite zu zeigen. Oder wie die Farbe der Wiesen mit dem matten Türkis des Meeres in den Buchten harmonierte, war genauso oft ein willkommener Grund für einen kurzen Stopp zum Schauen. Den Schafen hatte ich nur während des Fahrens zugeschaut. Das war kurzweiliger. Denn dann rannten sie meist vom Wiesenrand weg, alle ihre wolligen Hinterteile kräftig wackelnd. Das war lustig anzuschauen. Eine Fahrt übers Land. Das Wetter sorgt hier für Abwechslung, die Landschaft und die Tiere mit dazu. Es hat mir gefallen, auf unspektakuläre Art.

 

20. August 2023

Schafwiesen und Nieselregen

Richtig unlustig hat es beim Losfahren ausgeschaut. Die Straße nass, die Wolken tief, leichter Nebel, etwas frisch. Novemberwetter ist mir eingefallen. Und das an einem Sonntag. Dafür muss ich die Fahrbahn mit niemandem teilen. Entlang der Straße sind zum Teil niedere Steinmauern. Dahinter die Schafwiesen. Eine nach der anderen. Und je weiter ich nach Süden komme, desto steiniger werden die Wiesen. Und desto mehr Grau zeigt sich, vom Meer herkommend.

 

Anfangs meinte ich, dass mich das viele Grau nicht stören wird. Doch bald hatte ich gemerkt, dass damit auch leichter Nieselregen verbunden ist. Eine Zeit lang fuhr ich ohne Jacke weiter. Nur das Nieseln ließ nicht locker. Also machte ich den ersten Stopp, von wahrscheinlich 27 diesen Tag. Mit Regenjacke und Überziehschuhen stieg ich wieder aufs Rad. Während ich mir noch Gedanken machte, ob ich es bis ans geplante Ziel wohl schaffen werde, zeigte sich am Himmel ein blaues Fenster. Hey, das tat der Motivation gut.

 

Vielleicht lockert es auf, und es wird ein feines Radeln zwischen den Schafwiesen durch. Nur fein war es dann bloß für kurze Zeit. Denn vom Meer her schob sich wieder kräftiges Grau in meine Fahrtrichtung. Zu den Schafwiesen passte es gut. Oder die Schafe passten gut zu dieser Stimmung. Die waren weniger wegen des Nieselns, sondern mehr wegen mir etwas irritiert. Kaum rennt eines weg, setzt sich die ganze Herde in Bewegung. Radfahrer kommen glaub nicht so viele hier vorbei.

 

Der Wechsel zwischen heiterem Himmel und Nieselregen setzte sich den ganzen Tag über fort. Das Fahren war nicht ungut. Landschaftlich hat es mir gefallen. Steinige, weite Schafwiesen, ein paar größere Seen, viele sanfte Hügel, wechselndes Grün, eine Straße mit Kurven, später Büsche und auch Bäume, zahlreiche Vögel, kaum Verkehr. Ganz abwechslungsreich zeigte sich hier also der Süden der Eyre Halbinsel.

 

Irgendwann tauchten auch kleine gelbe Felder auf. Raps. Juhu. Fantastisches Gelb an einem grauen Tag. Das munterte auf. Auch wie sich die Felder um zahlreiche Buschreihen schmiegten, oder sich zwischen den Hügeln durchschlängelten, hat mir gefallen. Oder wie das Gelb entlang der Straße nur zwischen den Bäumen hervorschaute, und einem neugierig machte, wo denn das Feld nun anfängt oder endet. Später waren es dann große Felder. Eines gar geschmückt mit einem Regenbogen. Und viele am Horizont in dichtes Grau übergehend.

 

Als ich am Nachmittag vom Flinders Highway Richtung Küste abbog, war ich ganz erstaunt. Denn an der Coffin Bay war von Nieseln oder Schlechtwetter weit und breit keine Spur. Blauer Himmel, alles eitel Wonne. Doch kaum hatte ich den etwas längeren Hügel mit Blick zur Bucht erklommen und den Lenker für die Abfahrt fester in den Griff genommen, war das Blau plötzlich verschwunden. Nieselregen und Grau hielten nach mir Ausschau. Unglaublich, wie schnell sich hier die Verhältnisse ändern. Es sei halt noch Winter hier, konnte ich am Abend hören. Und für ideale Verhältnisse sei ich wohl fast 6 Wochen zu früh im Süden angekommen. Na ja, umkehren und wieder rauffahren in den Norden habe ich deswegen nicht im Sinn. Eher schauen, wie ich im Süden gut durchkomme. Heute hat es jedenfalls geklappt.

 

21. August 2023

Ein Fest in Gelb

Der Regen der Nacht ist noch auf der Straße zu sehen. In den Gräben sowieso, und auch im Gras. Doch rasche Trocknung ist bereits in Gang gesetzt. Die Sonne schaut zwischen ein paar restlichen Wolkenbändern hervor. Sie soll bis zum Abend bleiben, sagt der Wetterbericht. Und wenn er stimmt, zieht spätestens dann die nächste Front über Südaustraliens Küste hinweg. Ich hoffe, dass ich dann bereits einen trockenen Unterschlupf gefunden habe.

 

Das Meer liegt ruhig in der Bucht. Kein Wind, keine Wellen. Unaufgeregt, kommt mir in den Sinn. Entlang der Hauptstraße liegen viele Getreidefelder. Hie und da gibt es auch etwas Raps dazwischen. Er macht sich gut, mit seinem Gelb zwischen dem vielen Grün. Es gefällt mir. Mit Sonne ist es ein wunderbares Radfahren. Das gestrige Nieseln geht mir absolut nicht ab.

 

Als ich Port Lincoln erreiche, gönne ich mir eine ausgiebige Pause. Eine Bank unter Bäumen direkt an der Bucht hat mich angelockt. Davor glitzert das Meer in der Sonne. Ein paar Möwen sorgen für akustische Untermalung. Von Norden weht etwas Wind. Doch mit der wärmenden Sonne und einem Halstuch lässt es sich gut aushalten. Ich döse fast ein wenig ein. Habe keine Eile, vorwärts zu kommen. Ich staune, dass ich das auch kann. Na ja, mein Etappenziel ist nicht mehr so weit weg. Da die letzten Tage etwas anstrengend waren, backe ich zumindest heute kleinere Kilometer-Brötchen. Habe ich mir jedenfalls vorgenommen.

 

Bei der Weiterfahrt brauche ich etwas länger, bis ich meinen Rhythmus finde. Und dann bleibe ich doch immer wieder stehen. Denn kaum aus der Stadt draußen, reiht sich ein Rapsfeld an das nächste. Ich kann dem Gelb nicht widerstehen. Ich finde es faszinierend schön. Unglaublich, welch Abwechslung sich für das Auge bietet. Unterschiedlich angelegte Felder. Mal den Hügel hoch, mal flach in der Ebene, mal mit Bäumen in der Mitte, mal schmal und lang, und dann auch kugelrund, oder nur um eine Scheune, quadratisch, bis an den Horizont, und wahrscheinlich auch noch darüber hinaus. Keines gleicht dem anderen. Nur das Gelb ist gleich. Unglaubliches Gelb. Ich freue mich. Und heute kann ich den Raps auch riechen. Vielleicht sind die Pflanzen hier schon mehr gereift. Es duftet ungemein fein, nimmt die ganze Umgebung ein. Es ist kein aufdringlicher Geruch. Doch wenn er sich mal in der Nase festgesetzt hat, nimmt man ihn bei jedem Feld wahr. Ich pedaliere zufrieden vor mich hin. Mit dem Gelb unter blauem Himmel ist es ein Fest.

 

Am späten Nachmittag finde ich eine tolle Unterkunft. Die Rezeption ist zwar nicht besetzt, doch heraußen an der Tür ist ein einfaches Mobiltelefon mit der Nummer und Anleitung hinterlegt. Klasse Idee. Mein Appartement ist ein großzügiges Studio. Zwar schon etwas in die Jahre gekommen, doch sehr gepflegt. Hell, hoch, mit Stil eingerichtet, eine Schrankwand als Raumteiler. Hier würde ich gar nicht nur für eine Nacht wohnen wollen. Die Waschmaschine setzte ich gleich in Betrieb. Mal nicht in der Duschkabine rumkneten müssen hat schon was. Trockner hatte es auch. Nur beim Waschpulver musste ich improvisieren. Ich nahm stattdessen Seifenflocken. Fürs Herstellen leistete die Gemüsereibe aus der Küche vortreffliche Dienste. Vier Monate am Rad machen den Geist frei.

 

Und gekocht hatte ich dann auch noch. Ich glaub für drei Personen. Rote Kartoffeln, Karotten, Zucchini, Broccoli, Blauschimmelkäse, Tomaten, Orangen, Äpfel, Bananen, Mango, Joghurt. Gemüseeintopf mit Früchtedessert. Zwei Portionen schaffte ich am Abend. Die dritte wird dann mein morgiges Frühstück sein. Ein Fest also nicht nur beim Radfahren, sondern auch beim Essen. Modra’s Appartements in Tumby Bay werde ich mir merken.

 

22. August 2023

Entlang von weiten Feldern, gelb und grün

Das Fest beim Fahren von gestern setzte sich heute in ähnlicher Manier fort. Vielleicht zur Feier des Tages. Denn heute vor 4 Monaten bin ich in Melbourne gestartet. Doch heute waren die Felder viel größer. Soweit das Auge reicht, ist mir vorgekommen. Oder einfach bis zum Meer, das mich auf der rechten Seite als schmales blaues Band den ganzen Tag begleitete. Das Gelb des Raps ist gleichgeblieben, und auch dessen Ausstrahlung und Geruch. Mit der Weite der Felder kam es mir fast noch intensiver vor. Später wechselten sich die Farben der Felder ab. Es kam das Grün des Weizens dazu. In der Ausdehnung waren die Kornfelder gleich wie der Raps: Übergroß.

 

Ortschaften gab es nur wenige auf meiner Route. Und wenn, dann waren sie schon von weitem zu sehen. Jedes hatte am Ortseingang nämlich riesige weiße Siloanlagen. Irgendwo muss der Raps oder das Getreide ja auch gelagert werden. Architektonisch sind sie wahrlich keine Schönheiten. Es ist glaube ich alles dem Zweck untergeordnet. Doch die Leute in den kleinen Nestern sind vielleicht ohnedies auf das Meer fixiert. Das zeigt sich wunderbar.

 

Mittags mache ich bei einem Steg eine Pause. Mit dem gleichmäßigen Wellenrauschen schmeckt meine Jause vorzüglich. Und nebenbei verfolge ich das Geschehen am Steg. Einige Leute versuchen mit ihren Angelruten ihr Glück. Es ist ein emsiges Hantieren mit Auswerfen und Einholen. Manchmal spannt auch die Schnur. Doch Biss gab es glaub keinen. Zumindest hat es aus der Ferne so ausgeschaut.

 

Als ein paar der Fischer vom Steg zurückkommen, verkneife ich mir das Nachfragen nach ihrem Fang. Denn vom Fischen verstehe ich reichlich wenig. Vielleicht machen sie auch nur Pause, und sind auf einen großen Fang danach aus. Oder sie wollen etwas aus dem Wind sein, und sich aufwärmen. Denn es windet kräftig. Mir ist ohne Mütze kalt. Und draußen am Steg bläst es noch stärker.

 

Ich finde es etwas eigen, dass die Leute hier zumeist barfuß mit Flip-Flops unterwegs sind. Zwar eine dicke Jacke oder Mütze, doch die Füße immer nackt. Na ja, weite Strecken laufen sie ohnedies nicht. Dafür haben sie ihre Autos. Wenn der Steg breiter wäre, dann wäre der sicher vollgeparkt. Wäre fürs Fischen vielleicht ideal. Dann kann der Fang gleich in die Kühlbox im Kofferraum, und muss nicht an neugierigen Radlern an Land vorbeigetragen werden.

 

23. August 2023

Silo Art und Bergbau Art

Kalt war es in der Nacht, und am Morgen reichlich frisch. Doch von der Küste her schickt die Sonne schon ihre wärmenden Strahlen. So ist es zum Aushalten am Rad, auch beim Losfahren, und später sowieso. Am Ortsende passiere ich eine der großen Siloanlagen. Ein Hinweisschild führt mich zur „Silo art viewing aera“. Und so bestaune ich von ihr kurz danach die bunt gestaltete Rückseite der drei großen Türme. Zu meiner Freude fliegt mir vom rechten Turm gleich ein grüner Ringneck entgegen. Oder verharrt dort in der Luft. So viel Glück habe ich unterwegs nie. Da verschwinden sie meist recht flott irgendwo zwischen den Bäumen.

 

Und verschwunden sind danach auch das magische Gelb und das üppige Grün der Vortage. Sie tauchen den ganzen Tag nicht mehr auf. Die Landschaft scheint hier weniger fruchtbar zu sein. Es dominieren Mangrovenbäume, und später niederes Buschwerk. Nur einmal schaut es in der Ebene nochmals kurz danach aus, als ob sie zu grünem Agrarland werden will. Doch das war nur ein letztes Aufbäumen gegen das buschähnliche Gestrüpp. Es beherrscht die ganze Weite.

 

Am Horizont tauchen immer wieder größere Erhebungen auf. So als ob sich ein Gebirgszug ankündigen möchte. Doch meine Route führt mich immer flach und weit entfernt von diesen Höhenzügen Richtung Nordosten. An einem der näheren kleinen Berge sieht man die Spuren des Bergbaus. Es schaut so aus, als ob dieser Berg bereits komplett umgegraben und neugestaltet wurde. An der Zufahrtsstraße prangt ein großes Schild einer Bergbaufirma. Und auf der Straße sind für einige Zeit die roten Sandspuren der einbiegenden Road Trains zu sehen, bis ihre Reifen allen Staub abgeworfen haben. Von einem Hügel etwas später sehe ich beim Zurückschauen die Dimensionen des Bergbaus. Gewaltig, höre ich mich sagen. Wenn da mal irgendwo gebuddelt wird, dann aber kräftig, und radikal. Ein Schild zur „Mining art viewing aera“ hatte ich jedoch keines entdeckt.

 

Kurz vor Erreichen meines geplanten Tageszieles mache ich nochmals eine kurze Pause. Ich hatte zwar auf einen Rastplatz gehofft, doch es tauchte keiner mehr auf. Also parkte ich mein Rad vor einem Wiesengatter unweit der Straße. Und noch bevor ich stillstand, hatten mich Fliegen schon in Beschlag genommen. Während des Fahrens gibt es sie nicht. Doch an manchen Plätzen tauchen sie unvermittelt auf, und sind richtig lästig. So einen Ort hatte ich heute erwischt. Erdulden ist glaube ich die einzig vernünftige Abwehr, von einem Fliegennetz abgesehen, oder der Flucht. Und irgendwann meinte ich gar, dass die Fliegen mit der Zeit auch das Interesse an einem verlieren. Jedoch künstlich ausgedehnt hatte ich deswegen meine Pause nicht. Ich war froh, wieder am Rad zu sein, fliegenlos.

 

24. August 2023

Kräftiges Kurbeln und müheloses Gleiten

Schon gleich beim Losfahren sehe ich mein Tagesziel. Es schaut nicht so weit entfernt aus, habe ich den Eindruck. Dennoch werde ich bis dahin den ganzen Tag brauchen. Denn es liegt auf der anderen Seite der Bucht. Schemenhaft kann ich es im Gegenlicht der Morgensonne erkennen. Oder meine ich, dass es da drüben sein muss.

 

Vorher passiere ich jedoch noch ein Stahlwerk. Es trägt denselben Namen wie die Bergbaufirma gestern unterwegs. Vielleicht verarbeiten sie hier die dort gewonnenen Erze. Die Stadt selbst zeigt sich schmucklos. Wie halt solche Bergbau- oder auch Schwerindustriestädte ausschauen.

 

Später komme ich an einem gesperrten Militärgebiet vorbei. Wahrscheinlich ist es ein Übungsgelände. Über viele Kilometer prangen am Zaun Hinweisschilder. Eine rote Fahne ist irgendwann bei einer Zufahrt auch zu sehen. Sie zeigt strammt in meine Richtung. Dass ich Gegenwind habe, habe ich beim Fahren bereits gemerkt. Und es bleibt den ganzen Vormittag so. Ich muss mich kräftig anstrengen. Gegen Mittag sehe ich von weitem schon Windräder an einem Höhenzug. Sie rotieren gleichmäßig. Nicht überaus schnell, doch sicher so, dass sie selbst Freude an der Bewegung haben. Ich zähle sie ab, und komme auf über 50 Stück. Doch das war nur die Sicht von unten. Als ich die Geländekante oben erreicht habe, dehnt sich der Windpark nach hinten noch viel weiter aus. Da unterlasse ich das Zählen. Ich wäre wohl nicht so schnell fertig geworden. Auf der anderen Buchtseite, die Küste runter, stehen weitere. Auf diese freue ich mich schon. Denn dann habe ich Rückenwind, ist meine Hoffnung.

 

Und so ist es dann auch. Auf der Brücke in Port Augusta merke ich es schon. Kaum den Lenker in die andere Richtung eingeschlagen, spüre ich den leichten Anschub von hinten. Fein. Zwar ist auf der Straße jetzt viel mehr los, doch mein Fahren ist nicht mehr so anstrengend. Fast meine ich, mühelos dahingleiten zu können. Ein paar Mal checke ich gar die Geschwindigkeit. Knappe 40 Kilometer pro Stunde zeigt das Gerät. Das ist recht flott für mich. Da haben die Road Trains gar Mühe, mich zu überholen. Sicherheitshalber bleibe ich auf dem schmalen Seitenstreifen. Da fühle ich mich wohler. Denn mit der erhöhten Geschwindigkeit und dem Rückenwind ist der Luftzug der Fahrzeuge noch deutlicher zu spüren. Doch die Freude am schnellen Dahingleiten überwiegt. Irgendwann führt mich die Route wieder näher zur Küste hin. Die zeigt sich jetzt mit dem Licht der Nachmittagssonne von ihrer schönsten Seite. Und auf der anderen Seite der Bucht kann ich auch die Schornsteine des Stahlwerkes von heute Morgen erkennen. Juhu, dann habe ich mein Tagesziel bald erreicht.

 

25. August 2023

Getreidefelder und Tomaten

In der Nacht war es gar nicht so kalt, am Morgen sogar sehr angenehm. Gestern meinte der Platzwart schon, dass es viel zu warm sei für diese Jahreszeit. Die Weinrebe an seiner Hauswand habe schon die ersten Knospen ausgetrieben. Und die kleinen Echsen hätten ihren Winterschlaf auch schon beendet, viel zu früh. Es sei nur ein ausgenommen kurzer Winter gewesen.

 

Für mich passte es gut, dass der Winter gebrochen scheint. Noch am Vormittag hatte ich mich Schicht um Schicht meiner Kleidung entledigt. Um halb 10 Uhr zeigte das Thermometer 25 Grad, und ich fuhr kurz/kurz. Doch davor bin ich noch am längsten Holzsteg Australiens vorbeigekommen. Und wohl auch am kleinsten Leuchtturm. Doch für den hatten sie kein extra Schild angefertigt. Putzig schaute er dennoch aus. Doch das wird am Meer draußen egal sein, wenn er seinen Zweck mit Leuchten erfüllt.

 

Nach einigen Kilometern konnte ich den großen Highway verlassen. Ich hatte eine Nebenstraße entlang der Küste gewählt. Dort war entschieden weniger los. Und der Belag war superfein. Tolles Rollen. Wenn die Reifen so eifrig auf dem Asphalt surren, ist es fast wie Musik. Etwas Rückenwind hatte ich auch. Ein gelungener Start in den Tag. Entlang unendlicher Getreidefelder in sattem Grün fuhr ich Richtung Süden. Hey, das hat mir gefallen. Am entfernten Höhenzug parallel zu meiner Route hatten sich Windräder aufgefädelt. Jede Erhöhung scheint hier für die Energiegewinnung genutzt zu werden. Die Hügel waren hier viel sanfter. Keine schroffen Abbrüche oder Felsen wie gestern. Das Grasland der Ebene setzte sich über sie Ton in Ton fort. Es war schön anzuschauen.

 

Mittags machte ich an einem kleinen Hafenbecken Rast. Gepflegter Rasen, und das die ganze Hafenstraße entlang. Dazu überdachte Sitzmöglichkeiten, Spielplätze, Aussichtsplattformen, Hundeauslaufzonen, und einiges mehr. Ich denke, damit lenkt man geschickt die Aufmerksamkeit von der riesigen Siloanlage im Hintergrund ab. Bei der Zufahrt auf den Ort hat sie alles dominiert. Doch hier am Wasser habe ich sie wieder vergessen. Ich genieße die spezielle Atmosphäre an der Meeresbucht, und meine Jause mit Avocado, Oliven, Tomaten, Brot und Orangensaft.

 

Ich hatte einen Platz in der Sonne ausgewählt. Doch dort stand schon ein Mann am Tisch. Der Tisch war groß, also gesellte ich mich dazu. Einen kleinen Snack essend tippte der Mann nebenbei an seinem Handy wohl eine längere Mail. Doch irgendwann hatte er auch für mich Zeit. Es war ein lockeres Gespräch über Tomaten. Denn seine Firma erzeugt über 70 Prozent des australischen Bedarfs an Tomaten. Er machte auf der Heimfahrt hier Pause. So erfuhr ich allerlei über Glashäuser, Sonnenenergie, Meerwasserentsalzung, Dampfturbinen, Saisonarbeiter, und die produzierten Sorten. Dass die Früchte bis zu 3 Tage durch ganz Australien in die einzelnen großen Supermärkte gefahren werden, fand ich etwas schräg. Doch für ihn gehört es zum Geschäft dazu. Am Anfang fand ich das Gespräch nicht so interessant. Tomaten, nichts Besonderes. Doch mit allem Drumherum und des Anspruchs nach Optimierung und Ausnutzung alternativer Energien war es dann höchst interessant. Ich hatte meine Pausenzeit kräftig überzogen. Und er seine Heimfahrt nach Adelaide glaub auch für länger als geplant unterbrochen.

 

Am Abend erkundigte sich am Campingplatz ein ziemlich beleibter Mann über meine Route. Ich sagte einfach Melbourne to Melbourne. Im Nachsatz ergänzte ich, dass ich auch im Norden schon war. Daraufhin machte er richtig große Augen, und ich wurde reichlich verlegen. Denn allen Ernstes war es ihm ein aufrichtiges Anliegen, mir vor lauter Bewunderung die Hand zu schütteln. Sachen gibt es, unglaublich.

 

26. August 2023

Nebelmorgen und Sonnennachmittag

Meine Zeltnachbarn hörte ich schon früh wegfahren. Es waren zwei junge Männer, die wohl hier in der Gegend irgendwo arbeiten. Sie waren gestern kurz vor dem Eindunkeln zu ihrem Wohnwagenzelt gekommen, hatten ihre Angelruten gepackt, und sind dann erst spät wieder heimgekommen. Keine Ahnung, ob mit oder ohne Fisch. Ich hattes es mir da schon in meinem Schlafsack gemütlich gemacht, und bin früh eingenickt.

 

Jetzt am Morgen war ich schnell wach. Denn als ich das Außenzelt aufschlug, fühlte es sich klatschnass an. Und die Sichtweite war nur einige Meter. Es hing dichter Nebel über der Küste und dem Ort. Welch ein Kontrast zu gestern. Da war alles pipifein. Doch heute schaute es novembertrüb aus. Die einen Nachbarn mit dem Wohnwagen auf der anderen Seite zuckten die Schultern. Sie wollten es auch nicht recht glauben oder verstehen.

 

Schon beim Ortsausgang machte ich eine erste Pause. Eine Tankstelle lag am Weg. Ich gönnte mir ein Muffin und eine Limo. Danach schaute ich immer wieder nach links oben. Dort meinte ich, ein helles Fenster erkennen zu können. Dahinter musste die Sonne sein. Doch durchdringen wollte sie nicht. Es blieb immer nur beim Anschein als ob. Auch gutes Zureden nützte nichts. Herunten nässte der Nebel zwischenzeitlich meine Beinlinge und den Pullover. Vom Helm tropfte es auch regelmäßig auf die Lenkstange. Die Augen tränten. Ich fuhr ohne Brille.

 

Irgendwann schlüpfte ich in meine Regenkleidung. Denn ganz nass werden wollte ich vom Nebel nicht. Nur war das Fahren in der Regenkombi auch nicht so lustig. Mir war in ihr fast zu warm. Zum Glück führte mich die Straße langsam auf eine Geländeerhöhung. Und siehe da, ich hatte die Nebelgrenze überschritten. Vor mir war es in der Ebene unten leicht diesig. Hinter mir lag dichter Nebel. Der Höhenzug bildete die Grenze. Juhu, und das Meer war auch wieder zu sehen, in angenehmem Blau.

 

Als ich später in einer Bäckerei zukehrte, erzählten sie ebenfalls vom Nebel. Auf der Straße vor ihrem Lokal sei es gefährlich gewesen. Denn man hätte fast nichts gesehen. Also hatte ich auf dieser Seite am Morgen jedenfalls nichts versäumt. Jetzt aber war ich froh, dass die Sonne durch war, und das Fahren wieder normale Züge annahm. Auf dem Highway holte ich etwas Zeit auf, ohne dies unbedingt zu wollen. Denn leichter Rückenwind unterstützte mein Vorankommen. Kurz überlegte ich dennoch, ob ich es bis nach Adelaide durchziehen soll. Doch wenn sich leichte Zweifel eingenistet haben, lässt es sich sowieso nicht erzwingen. Und die hatte ich. Also Etappe abkürzen, ein Motel suchen, ein paar Radsachen vielleicht waschen, Zeltsachen und Regenkombi unbedingt trocknen, den Beinen eine Pause gönnen, das war der neue Plan. Er hat mir gefallen. Die Nachmittagssonne mit dazu.

 

27. August 2023

Großstadtverkehr und Fahren am Land

Gemüseanbau in Plastikgewächshäusern. So präsentierte sich mir die Umgebung links und rechts von der Straße heute am Morgen. Ein paar der Gewächshäuser waren am Verfallen. Doch daneben waren neue im Entstehen. Reinsehen konnte ich nirgends, außer bei den Verfallenen. Dort rankte Gras und Gestrüpp zwischen Folienresten empor.

 

Je näher ich zu Adelaide kam, desto mehr nahmen Industrieflächen zu. Statt Gemüse hätte ich hier Lastwagen und Caravans kaufen können. Riesige Areale mit allerlei Maschinen. Doch zwischendrin waren auch Olivenhaine zu sehen. Oder kleine Äcker mit Zitronenbäumen. Und in den Vororten dann einige Cafés entlang der Straße. Die Stadt selbst hatte für mich kein spezielles Flair. Zwar Großstadt, doch ohne pulsierende Zentren. Aber vielleicht hatte ich auch einfach nicht die passende Route gewählt, und bin am Herzen vorbeigefahren. Denn ich wollte möglichst rasch durch.

 

Das schaute anfangs auch so aus. Doch als es leicht hügelig wurde, bin ich mehr einem Wanderpfad, denn einem Fahrradweg gefolgt. Das war ein voller Verschneider. Später kamen mir dann Biker mit schwerem Downhillgerät entgegen. Sie meinten, ich könne hier schon fahren. Nur ich musste absteigen und schieben. Irgendwann suchte ich dann leicht frustriert einen Notausgang zur Hauptstraße. Mit einem passenden Rad mag der Naturpark, durch den ich durchwollte, ja Spaß machen beim Fahren. Nur mit meiner Ausrüstung hatte ich keinen. Und der Spaß hielt sich auch auf der Hauptstraße anfangs in Grenzen. Denn dort war einiges los. Sonntag und Großstadtnähe sorgten für regen Verkehr. Und Städter fahren anders als die Leute vom Land, ist mir noch aufgefallen. Neben den großen Road Trains der letzten Monate habe ich mich fast wohler gefühlt als hier neben den vielen Kleinwagen.

 

Erst gegen den späten Nachmittag hin hat es mir dann gefallen. Da hatte sich der Verkehr ausgedünnt. Da hatte ich all die vielen Vororte Richtung Süden passiert, und eine Hochebene erklommen. Mit gelegentlicher Aussicht auf das Meer war das Fahren auf der kurvigen Landstraße ein Genuss. Sattgrüne Hügel rauf und runter, oder zwischen ihnen durch. Lichte Waldstücke und Wiesen wechselten sich ab. Und dazu immer wieder die Aussicht auf das weite Umland. Einen schicken und fast leeren Holidaypark zum Zelten hatte ich auch noch gefunden, direkt am Strand. Und mit eindrucksvollem Panorama samt einer Sonntagsinszenierung für den Sonnenuntergang über Wasser.

 

28. August 2023

Fordernde Hügel und ein gutgelaunter Farmer

In der Nacht hatte ich wieder zwei Schichten mehr angezogen. Es kam mir ziemlich kalt vor. Am Morgen wurde ich beim Zusammenpacken des taunass triefenden Zeltes von einem Kakadu-Konzert begleitet. Ein ganzer Schwarm bevölkerte zwei Kiefern in unmittelbarer Nähe. Es war ein Höllenlärm. Vielleicht kommentierten sie gerade mein Tun. Oder diskutierten darüber, ob es nicht besser wäre, das Trocknen des Zeltes in der Sonne abzuwarten. Doch ich wollte los. Beim Radeln wird mir wieder warm.

 

Das Meer liegt ruhig da. Nur ganz schwache Wellen erreichen das Ufer. Bei einem Aussichtspunkt kann ich von oben zuschauen. Mit der Sonne ist es eine herrliche Morgenstimmung. Es gefällt mir, zwischen den grünen Hügeln die Aussicht zu genießen. Mal tut sich der Blick aufs Meer auf, und dann wieder auf die Hügel des Hinterlandes. Es ist zwar etwas diesig, doch das Ambiente ist wunderbar. Schafwiesen, Weideflächen für Kühe, Wald. Es ist ein grüner Mix und sehr abwechslungsreich. Gleich am Morgen schon gab es eine kräftige Steigung. Zum Glück lag eine kleine Ortschaft auf halbem Weg, oder eine Tankstelle und drei Häuser. Ich machte Pause und kehrte für ein spätes Frühstück ein. Die Frau hinter dem Tresen fragte, ob ich „exhausted“ sei. Anscheinend hat der Anstieg Spuren hinterlassen. Ich meinte, es sei gut für den Hunger, und einen solchen hatte ich dann auch.

 

Mittags schien mir eine Zufahrt zu einer Wiese ein geeigneter Jausenplatz. Am offenen Eisengatter konnte ich Zelt und Schlafsack zum Trocknen aufhängen. Mit Brot, Humus und Limonade breitete ich mich in der Wegmitte aus. Herrlich, so ein Essen am Boden und in der Sonne. Doch schon nach dem zweiten Bissen hörte ich Traktorenlärm. Der Farmer kam mit seinem großen, grünen John Deere ums Eck. Er war bei seinen Kühen auf der hinteren Wiese, und wohl auch gut gelaunt. Er deutete mir, dass ich bleiben kann. Und dann war er auch noch interessiert, wo ich mit meinem Rad denn schon war, und wohin ich will. Es war ein nettes Gespräch. Ich weiß jetzt, dass er 350 Köpfe auf der Weide hat. Und dass er über seinen Flecken hinaus noch nicht weit in Australien herumgekommen ist. Ihm passe es hier ganz gut. Das, was er von anderen höre, reiche ihm. Und ins hektische Sydney werde er garantiert nie hinwollen.

 

Mir reichte später dann der Abschluss der Steigung. Auf der Höhenlinie ließ es sich auch prächtig pedalieren. Das hat mir gefallen. Munter dahinzugleiten, und irgendwann dann Richtung Meer hinunterzustechen. Bei der Abfahrt hätte ich gerne meine Geschwindigkeit gecheckt. Die war nämlich abenteuerlich schnell, mit Gepäck vermutlich rekordverdächtig. Doch den Lenker loslassen zum Wechseln der Anzeige am Garmin hatte ich mich nicht getraut. Aber bremsen kam mir auch nicht in den Sinn. Ich wollte mutig den Speed auskosten, und unten auf den kurzen Gegenhang mitnehmen. Es ist gut gegangen, da war ich schon froh. Und es war richtig cool.

 

29. August 2023

Entlang einer weiten Seenlandschaft und ein Schulbesuch

Anstelle des gestrigen Kakadulärms gab es heute ein stimmiges, vielfältiges Vogelkonzert. Ich hörte gerne zu. Ein einzelner Vogel dominierte mit seinem gleichen, melodiösen Rufen wohl mehr als eine Stunde das Geschehen. Ich freute mich, dass es so wohlklingend war. Erst später kamen dann andere Rufe dazu. Und je heller es wurde, desto zahlreicher und unterschiedlicher waren die Vogelstimmen. Diese Vielfalt hatte ich bisher noch nie erlebt.

 

Am Rad überholte mich irgendwann ein Pickup mit einem Anhänger. Der Hänger war nur halbhoch vergittert. Und hinten raus schauten wohl sieben oder acht kleine Kälber. Dicht nebeneinanderstehend streckten sie ihre schwarzweiß gescheckten Köpfe halb über das Gitter hinaus. Voll lustig zum Zuschauen. Das Fahrzeug fuhr nur unwesentlich schneller als ich. Manchmal sind es genau solche überraschenden Kleinigkeiten, die für Abwechslung und gute Laune beim Fahren sorgen.

 

Die Route führte mich entlang eines überaus langen Sees durch flaches Gelände. Rechts der See mit hie und da etwas Schilf. Links zur Straße mal Getreide, und auch gelber Raps als Augenweide, Aufputzer und wohltuender Duftspender. Später kam Weinanbau dazu. Großflächig, oder riesengroß. Soweit das Auge reichte, eine Rebenreihe neben der anderen. Alle schon geschnitten und bereit, wohl bald auszutreiben. Einmal erschreckte ich einen kleinem Kakaduschwarm am Boden zwischen den Reihen. Doch weit flogen sie nicht. Jeder suchte sich schon nach wenigen Metern einen der Rankpfähle. Mich hat es auf der Schotterstraße vor lauter Lachen fast vom Rad geschüttelt, so spaßig sah das aus.

 

Für das Überqueren eines Flusses gab es eine Seilfähre. Ich hatte ihre Abfahrt um ein paar Sekunden verpasst. Doch der Fährmann entschuldigte sich gut 10 Minuten später. Er fahre ja sowieso permanent hin und her, da komme es auf die paar Minuten wohl nicht drauf an. Mir kam die Pause auch gelegen. Zum Herrichten dreier Brote mit Käse hat sie allemal gereicht. Eines davon ließ ich mir während der Überfahrt munden

 

Mit Rückenwind erreichte ich nächste Ortschaft schneller als gedacht. Und diese Zeit wollte ich zum Aktualisieren meiner Blogdaten nutzen. Doch freies Wifi gab es nur in der Öffentlichen Bücherei in der Schulbibliothek, teilte mir eine Passantin mit. Also fuhr ich ein paar Häuserzeilen weiter. Bereitwillig richtete man mir dort den Zugang ein. Und nebenbei bekam ich mit, welch feinen Umgang sie mit den Schülerinnen und Schülern haben. Das hat mich sehr beeindruckt.

 

30. August 2023

Gegenwind und rumpelige Fahrbahn

Ich hatte mir gestern den Pelican Point im Nationalpark Coorong am Meer als Zeltplatz ausgesucht. Just als ich die Zufahrt auf der Karte checken wollte, flog ein Schwarm Pelikane über mich. Schwerfällig lagen sie in der Luft. Doch schneller als ich mit dem Auspacken der Kamera war, flogen sie allemal dahin. Nur am Zeltplatz begrüßten sie mich nicht. Dort warteten jede Menge Moskitos. Und noch jemand kam dazu, nämlich Wind. Dieser rüttelte nicht nur beim Aufbauen kräftig am Zelt. Er zerzauste auch die Büsche rundherum, und ließ es gehörig rauschen. Später meinte ich gar, dass es richtig stürmte. Zum Glück hatte ich mit den Sträuchern und dem Gehölz etwas Schutz. Obwohl müde, tat ich mir mit Einschlafen schwer. Und mit Durchschlafen sowieso, denn das Rütteln am Zelt hielt munter die ganze Nacht an.

 

Am Morgen bildete ich mir ein, dass es draußen etwas ruhiger war. Bereit zum Zusammenpacken wartete ich dennoch länger. Denn ein plötzlicher Regenschauer sorgte für etwas trübe Stimmung. Doch so schnell wie er gekommen war, so schnell lockerte es auch wieder auf, und ließ mich munter starten. Auf der Straße war noch niemand am Weg. Ich hatte sie und die Landschaft für mich allein. Und für mich allein war etwas später wohl auch der Wind wieder aufgekommen. Blöderweise kam er vom Meer her, aus Richtung Süden. Gestern hatte ich mich am Nachmittag über den Rückenwind gefreut. Heute ärgerte es mich, dass er von vorne kam. Und das den ganzen Tag lang. Am Anfang dachte ich mir, dass er die Richtung schon ändern wird, irgendwann. Oder vielleicht nachlassen, untertags. Doch es blieb bei der Hoffnung allein.

 

Mit dem Gegenwind wollten die Kilometer nicht richtig purzeln. Es war eine zähe Partie. Ziemlich anstrengend, kam es mir vor. Doch was noch viel mehr nervte, war die ruppige Fahrbahn. An ein ruhiges, gleichmäßiges Fahren war nicht zu denken. Es schaukelte mich ständig auf, egal auf welcher Straßenlinie ich gerade fuhr. Beschwerlich, und an der Motivation zehrend. Und als i-Tüpfelchen eines gelingenden Tages kamen noch kurze Regenschauer dazu. Sie zogen unerhört schnell vom Meer her waagrecht übers Land. Bis auf ein einziges Mal konnte ich immer im Windschutz von Bäumen unterstehen und die paar Minuten zuwarten, bis der Spuk vorbei war. Mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Die wenigen Angus Rinder auf den weiten Wiesen ließen sich vom Regen jedenfalls nicht beeindrucken. Die schauten eher nur wegen mir auf. Wahrscheinlich wunderten sie sich, wieso ich mich beim Fahren heute so schwertat. Ich wusste es unzweifelhaft: Gegenwind und rumpelige Fahrbahn mag ich sicher nicht.

 

31. August 2023

Ein Wortreim rund ums "heiter werden"

Beim Losfahren war die Straße noch nass vom Regen der Nacht. Am Himmel zeigten sich zwischen dichten Wolken lichte blaue Flecken. Sie wurden zusehends mehr. Ich freute mich. Es wird also heiter werden, auch wenn der Wetterbericht „a fresh breeze“ ankündigte. Doch kaum hatte ich den Himmel lange genug betrachtet, musste ich auch schon ein erstes Mal unterstehen. Für ein paar Minuten war es gleich um ein paar Grad kälter. Ein Nieselschauer jagte die Straße entlang. Na habidere, dachte ich mir, das kann ja heiter werden. Wobei ich mir das heiter werden eigentlich anders vorgestellt hatte. Doch später kam ein wunderbarer Regenbogen dazu. Also passte es wieder.

 

Dieser schnelle Wechsel zwischen Sonne und Nieselschauern setzte sich den ganzen Tag lang fort. Im Dreiviertelstundentakt. Und bei jedem zweiten Mal zog ein Regenbogen auf. Zwischenzeitlich hatte ich im Umgang damit schon etwas Routine entwickelt. Entweder kurz bei Büschen oder Bäumen unterstehen. Oder durchtauchen mit dem Risiko, unbestimmt nass zu werden. Aber Sonne und Wind versuchen danach ohnedies, den Schaden möglichst wieder gut zu machen.

 

Am Vormittag hatte ich mit dem Wind noch etwas zu kämpfen. Er kam ziemlich frontal. Das machte das Fahren anstrengend. Doch irgendwann führte mich die Straße mehr Richtung Osten. Und damit hatte ich mich mit dem Wind auch wieder versöhnt. Ich meine, wir hatten fast Freundschaft geschlossen. Denn mit etwas Anschub, auch wenn nur von der Seite, ließ es sich munter pedalieren.

 

Keine Freundschaft hatte ich jedoch mit den Magpies mehr. Sie zeigen sich seit ein paar Tagen als überaus lästige Vögel. Und heute waren sie es besonders. Es gibt sie überall. Ihre Schreie kenne ich jetzt schon gut. Normalerweise fliegen sie weg. Doch darauf ist jetzt nicht mehr Verlass. Von hinten kommend schießen sie im Sturzflug auf einen runter, und kurz vor einer Helmberührung wieder hoch. Je nach Sonnenstand kann ich das Geschehen als Schattenspiel auf der Straße vor mir verfolgen. Doch die markanten Flügelschläge beim Abbremsen und Wiederhochjagen höre ich jedenfalls. Wenn die Magpies überraschend angreifen, erzeugt dies durchaus ein Angstgefühl. Doch auch wenn ich sie schreiend näherfliegen sehe, und den Angriff erwarte, ist es alles andere als angenehm.

 

Ich hatte aus Erzählungen schon von solchen Attacken gehört, sie jedoch als belanglose und überzogene Schilderungen von Einzelfälle abgetan. Doch heute Nachmittag hatte ich meinen Helm ebenfalls aufgerüstet. Ich erinnerte mich an Beispielbilder mit Kabelbindern. Diese nachahmend, knüpfte ich mir aus Funden an der Straßenseite ein paar bunte, nach oben abstehende, dünne Kunststoffseilreste auf die Helmoberseite. Diese sollen die Vögel vor Angriffen abhalten. Ausschauen tut es mehr als nur komisch. Doch bei ein paar Anflugversuchen danach meinte ich, dass sie wirken. Keine Ahnung, ob ich sie belasse. Denn die am Abend unternommene ausführliche Recherche zum „Magpie-Swooping“ bezeichnete die Kabelbinder als nutzloses Abrakadabra. Demnach verteidigen die Vögel während der Brutsaison von Mitte August bis Mitte Oktober lediglich ihr Revier. Vermeintliche Eindringliche greifen manche von ihnen dabei rücksichtslos an. Weiterfahren und den Nahbereich zum Nest möglichst schnell verlassen sei die einzige wirksame Methode. Das kann also heiter werden, die nächste Zeit. Womit mein „heiter werden“ von heute Morgen um eine weitere Facette ergänzt ist.

 

1. September 2023

Abzählen in einer Reihe

Den Kragen meiner Jacke hatte ich am Morgen weit hochgekrempelt. Es war nämlich ziemlich kühl. Und so blieb es auch den ganzen Tag. Die Sonne wollte sich nicht recht zeigen. Sie schaute nur hie und da zwischen den Wolken hervor. Auch der Wind hatte einen Ruhetag eingeschoben. Die Windräder an der Küste standen alle still. Doch auch meine Kamera stand still. Akku erschöpft, konnte ich auf der Anzeige lesen. Ich hatte wohl vergessen, sie zeitgerecht aufzuladen. Der Müsliriegel in der Tasche daneben half als Energiespender auch nicht weiter. Der gab nur mir die Energie, am Straßenrand nach dem Ladekabel und dem Akkupack zu kramen.

 

Meine Route führte mich anfangs durch ein weitläufiges Forstgebiet. Holzarbeiten waren gerade im Gange. Auch auf der Straße roch es nach frischem Holz. Die Trucks verloren hie und da Rindenstücke, die den Straßenrand säumten. Ein angenehmer Wohlgeruch.

 

Meine Vormittagspause machte ich heute in einer Grünanlage mitten in einer größeren Industriestadt. Eine Parkbank lud ein, auch wenn regennass. Die Avocado und der Nudelsalat schmeckten dennoch vorzüglich. Irgendwann tauchten plötzlich drei Schulklassen auf. Die Kinder störte der nasse Rasen beim Herumtoben nicht. Ihre Jause aßen sie am Boden sitzend. Mich fror, doch einige der Kinder hatten ihre kurze Uniformhose an. Wahrscheinlich abgehärtet, und dem winterlichen Klima angepasst. Plötzlich gab es Unruhe. Eine Begleitperson meinte, dass ein Kind fehlt. Mehrmaliges Abzählen brachte nicht mehr Kinder. Doch dann konnte ich australischen Schuldrill und Gehorsam erleben. Laute, klare Ansage für ein sofortiges Aufstellen in einer Reihe dicht an dicht hintereinander. Durchzählen. Erleichterung machte sich breit. Es waren alle Kinder da. Im Rudel hatte das Zählen nicht funktioniert, war die Erkenntnis der Lehrerin.

 

Meine Erkenntnis etwas später war, dass bei Kälte die Anstiege angenehmer zu fahren sind als die Abfahrten. Ich musste nämlich eine Steigung hoch, und kam an einem Kratersee vorbei. Der Blue Lake präsentierte sich mit Wolkenhimmel nicht sehr strahlend, doch beeindruckend mit seinem großen Volumen jedenfalls. Die Abfahrt führte mich dann durch leichtes Nieseln und grüne Wiesen geradewegs zur Küste hin. Und dort hat es mir gefallen. Das Meer mit kräftigen Wellen anrauschend, die Straße unmittelbar am Ufer, dessen unregelmäßiger Kurvenlinie folgend. Fast meinte ich, dass das Wasser jederzeit auf die Straße oder das Grün der angrenzenden Viehweiden überschwappen könnte. Alles war flach.

 

Irgendwann kündigte ein Schild Viehtrieb auf der Straße an. Ein Pickup voraus, einer hinten nach, und mittendrin eine kleine Herde Jungvieh. Ganz geheuer war mir nicht. Doch auch die Kälber hatten Respekt. Denn auf ein Mal ging nichts mehr weiter. Aufgefädelt standen sie in einer Linie da. Niemand wollte die Erste oder der Erste sein, sich an mir vorbeizutrauen. Mit etwas Verzögerung schafften sie es dennoch, im Eilschritt und die Hinterteile leicht schräg von mir gestellt.

 

Und ich schaffte es auch, eine Grenze zu überwinden. Von South Australia ging es nach Victoria. Bundesstaatengrenze. Unglaublich, dass ich hier nun schon bald rundum bin. Denn in Victoria bin ich im April gestartet. Während des Radfahrens eine unendliche Zeit im Sattel. Doch jetzt im Rückblick rucki zucki vergangen, weil schon wieder in Victoria. Ich glaub, ich muss die Tage auch mal in einer Reihe durchzählen, ob ich keinen ausgelassen habe mit Fahren.

 

2. September 2023

Durch Wald und an Protestplakaten entlang

Kurz nach dem Verlassen der Ortschaft führt die Straße leicht abwärts in eine weite Senke. Es gefällt mir, weil ich flott am Weg bin. Doch plötzlich höre ich Geräusche. Wegen des Fahrtwindes kann ich sie nicht gleich zuordnen. Zuerst meinte ich, dass hinter mir ein Fahrzeug kommt. Doch da war nichts. Und das Rad war auch ok. Erst beim Ausrollen und Langsamer werden checke ich die Quelle: In der Senke steht Wasser, und da tummeln sich quakende Frösche. Ein überlautes Morgenkonzert, was wohl den ganzen Tag und vielleicht gar die Nacht lang zu hören sein wird.

 

Ein paar Kilometer weiter gelange ich in ein großes Nutzwaldgebiet. Alle Bäume stehen streng in einer Linie. Gleiche Sorte, gleich hoch, gleich dick, gleich alt. Gerodete Flächen wechseln mit Neuaufforstungen und hohen Bäumen ab. Es ist ein Einheitswald. Alles ist gleich. Nur die Vogelwelt ist unterschiedlich. Schon gestern hatte ich Papageien in dunklem Rot entdeckt. Hier gab es viele Paare davon. Dunkles Rot, beim Flügelansatz etwas Creme, die Flügel in dunklem Grau. Schön, ihnen im Flug zuzuschauen. Da fallen die kohlschwarzen Krähen deutlich ab. Und mit ihrem Krächzen sowieso. Nur wenn sie in der Sonne auf einem Zaunpfahl sitzen und ihr Gefieder glitzern lassen, wirken sie attraktiv.

 

Bei einer abgeholzten Freifläche habe ich einen weiteren Vogel erschreckt, den allergrößten. Ein Emu lief trabend davon. Lustig, seine Bewegungsart. Und lustig war es auch, einem Känguru zuzuschauen, wie es nach kurzem Check der Lage hüpfend im hohen Farn verschwand. Erst weit entfernt konnte ich zwei Ohrenspitzen für einen Augenblick wieder sehen. Entlang der Straße waren immer wieder große, runde Betonwasserspeicher aufgestellt. Auf den Hinweisschildern stand dick und fett „Firefighting purpose only“.

 

Mittags erreichte ich Portland am Meer. Von einem Aussichtspunkt konnte ich das magische Türkis bewundern. Die Sonne war zwischenzeitlich ganz durchgekommen, und gab den Farben richtigen Glanz. Kurz vor dem Weiterfahren parkten zwei Pickups neben mir. Vier Männer in Neoprenanzügen und Daunenjacken stiegen aus. Mit Gummistiefeln, Rucksäcken und Flossen machten sie sich auf den Weg zur Stiege, die Klippen hinunter. Einer hatte eine große Harpune mit Pistolengriff. Zum Fischen, war die Erklärung. Doch wonach, das hatte ich nicht verstanden, und auch nicht nachgefragt. Neugierig wartete ich ab, wie sie unten ins Meer eintauchten. Es dauerte etwas, bis sie die Wellen am Ufer überwunden hatten, und nicht mehr zurückgeworfen wurden.

 

Direkt am Meer entlang folgte auf Wasserhöhe eine idyllische Straße der Küstenlinie. Die Ufersteine waren an manchen Stellen von bunten Blumen überwuchert. Immer wieder hörte ich das Wasser rhythmisch aufklatschen. Links und rechts der Straße gab es Häuserzeilen. Über einige Kilometer hatten alle Transparente an den Zäunen oder den Wänden hängen, oder Tafeln im Garten aufgestellt. „No abalonefarm in this valley“ war der Protest. Yumbah, ein großer Produzent, will in den Wiesen hinter den Häusern eine riesige Aquakultur für den Export der besonderen Muscheln nach China aufbauen. Das benötigte Wasser würde vom Meer in Rohren zu- und rückgeführt. Das Tal und die Wiesen wären verbaut, der paradiesische Strand zerstört, ihr Garten Eden der Industrie geopfert. Ein kurzer Stopp und Tratsch mit einer Frau über den Gartenzaun hinweg brachten mich auf den aktuellen Stand. Ich soll mir eine der Yumbah Farmen auf meiner weiteren Route am Meer mal anschauen, war noch der Tipp. Sie sei nicht weit entfernt. Dann wisse ich, um welche Dimension es sich hier handle. Beim Weiterfahren hing ich dann dem Gedanken nach, ob ein paar Transparente im Garten einen großen Konzern mit all seinen Einflüssen aufhalten können.

 

3. September 2023

Sonntägliche Great Ocean Road

Der Morgen empfängt mich mit einem wunderbaren Rot über der Küste. Es wird ein schöner Tag. Nur kalt ist es zum Starten auch. Bei 5 Grad verstecke ich die Finger hinter der Lenkertasche. Doch bis ich die vielen Hinweisschilder zur Great Ocean Road und der Abzweigung dorthin erreiche, ist mir bereits prächtig warm. Die Route führt mich abseits von der Hauptstraße zur knallblauen Küste. Rechts das Meer, und links intensives Grün mit Tausenden von gescheckten oder schwarzen Kühen. Bei einem Hof denke ich mir, ob sie ihren Tieren Beruhigungsmittel ins Futter geben. Es ist zwar eine große Wiese, doch die Herde dicht an dicht im Gras ruhender und wiederkäuender Kühe ist noch viel viel größer. Oder sie halten gerade ihre Sonntagsmorgenandacht, und sind deshalb so besinnlich ruhig auf engem Platz.

 

Aber bei mir geht es auch ruhig weiter. Obwohl ich auf die bekannteste Küstenstraße Australiens und eine der schönsten der Welt aufgefahren bin, bin ich fast allein am Weg. Nicht nur des Fahrrads wegen. Die magischen Hotspots der Great Ocean Road kommen erst etwas später. Ich kann mich also in Ruhe auf ihr spezielles Flair einstimmen. Doch das geht dann ziemlich schnell. Rasch jagt ein Aussichtspunkt den nächsten. Rötlich gefärbte Kalksteinklippen, anbrausendes Blau mit weißer Gischt, aus dem Wasser aufragende, erodierte Felstürme in bizarren Formen, unberührte Strände und Buchten. Dazu ein blauer Himmel wie noch nie. Ich freue mich, dass ich einen so feinen Tag für diesen Teil meiner Tour geschenkt bekommen habe. Das Timing hat gepasst. Eine Küste zum Staunen. Herrlich. Ein Fest für Augen und Ohren, atemraubend schön, und zum Radeln ebenfalls.

 

Erst bei den 12 Apostel-Felsen, dem Highlight des Küstenstreifens, merke ich deren touristische Vermarktung. Helikopterflüge, Besucherzentrum, großer Parkplatz, Wanderpfade, viele Leute. Doch ich konzentriere mich ab diesem Teil ohnedies auf das Radfahren. Ich will nämlich heute noch möglichst weit kommen, am besten über beide langen Anstiege landeinwärts hinweg. Es soll einen Wetterumschwung geben. Daher meine Eile.

 

Wahrscheinlich hat mir die Küste und deren Wunderwelt Auftrieb gegeben. Ich komme gut voran. Nur im ersten Anstieg merke ich, dass ich mit Gepäck doch etwas langsam bin. Die vielen Fotopausen haben auch Zeit gekostet. Die angepeilten 190 Kilometer bis Apollo Bay gehen sich bei Tageslicht nicht aus. Doch die Abfahrt vom Lavers Hill nehme ich noch mit. Und unten bin ich dann länger einen Zeltplatz am Suchen. Die Wiesen sind alle nass. Froschquaken überall. Keine Abzweigungen irgendwo in den Wald hinein. Als es schon leicht eindunkelt, kommt mir eine Straßenausbuchtung gelegen. Auf der Straße ist längst nichts mehr los. Ich bin ja auch mitten im Nirgendwo. Kühe und der Mond schauen mir beim Aufbau zu. Die große Dose Bohnen in Tomatensauce schmeckt mit Sauerteigbrot im Zelt lecker wie nie. Herrlich, das Fahren auf der Great Ocean Road mit ihren Naturattraktionen untertags, und herrlich auch das improvisierte Zelten an ihrem Rand in der Nacht. Einmalig, dieser Tag.

 

4. September 2023

Ein Pausentag des Wetters wegen

In der Nacht bin ich ein paar Mal aufgewacht. Sturmböen rüttelten am Zelt. In den Bäumen am Hang auf der anderen Straßenseite war ein stetiges Rauschen zu hören. Aber mein Eck war etwas windgeschützt. Manchmal drangen Geräusche der Kühe von der Wiese her durch. Und im Graben waren Frösche aktiv. Doch auf der Straße war es still. Keine Fahrzeuge weit und breit. Ich war mit meinem außergewöhnlichen Zeltplatz zufrieden.

 

Und wenn es gestern richtig kalt war beim Losfahren, so war es heute angenehm fein. Mütze und Pullover hatte ich bald ausgezogen. Es ging gleich bergauf. Rauschende Musik hatte ich auch dazu. Die Kronen der großen Eukalyptusbäume schwankten mächtig im Wind. Doch der Wald hielt auch einiges von ihm ab. Beim Fahren störte er vorerst nicht. Erst als ich nach der Steigung manchmal auf freies Gelände kam, musste ich mich gegen lästige Böen stemmen. Dafür beeindruckte mich die Aussicht auf das Grün im Hinterland zur Küste. Steile grüne Schafhügel, Wald, schnelles Wolkenziehen.

 

In der Abfahrt führten die letzten Meter direkt auf das Meer zu. Da war von herrlicher Stimmung keine Rede mehr. Es präsentierte sich aufgewühlt. Und als ich gänzlich von Bäumen oder Buschwerk ungeschützt dem Meer flach entlangfuhr, war es fast anstrengender als bergauf. Ich war voll im böigen Gegenwind angekommen. Und zum Glück auch in einer kleinen Ortschaft. Vor einem Lokal sah ich eine Frau unter einem Vordach frühstücken. Das machte auch mir Appetit, es zog mich sofort dorthin. Sie aß ihres Hundes wegen heraußen, mich trieb der Wind rasch hinein. Bei lässiger Musik ließ es sich gut aushalten, und dem Wanken der Bäume durchs Fenster zuschauen. Irgendwann checkte ich, dass sie auch Zimmer anboten. Schnell war mein Entschluss zu einem Pausentag gefasst. Zimmer mit Ocean View schon am Vormittag, herrlich. Da störten der böige Wind und die durchziehenden Regenschauer draußen reichlich wenig.

 

5. September 2023

Wetterkapriolen und schöne Buchten

Es dreht sich den ganzen Tag wieder mal nur rund ums Wetter. Mal Sonne, mal Regen, mal Rückenwind, mal Gegenwind, mal Regenkombi an, mal Regenkombi aus. Man könnte meinen, ein abwechslungsreicher Tag.

 

Dass ich später starten werde, hatte ich gestern am Abend schon beschlossen. Doch am Morgen war das Wetter noch schlechter als angekündigt. Der Regen kam waagrecht daher. Der Wind ließ die Fenster vibrieren. Doch bis ich mich angezogen hatte, schaute die Sonne zum Fenster herein. Also machte ich mich bereit, um dann doch bald wieder nur zum Fenster hinauszuschauen, wie es wohl werden wird. Es war ein Wechselspiel zwischen Regen und Sonne, und mit mir als geduldigem Zuschauer. Zumindest eine Zeit lang.

 

Nur irgendwann setzte ich mich dennoch aufs Rad, im Regen. Von Hoffnung auf Besserung angetrieben, pustete ich mir die Wassertropfen von der Nase, und suchte eine Spur zwischen den Wasserpfützen. Der Wind pustete derweilen die Regenwolken ein paar Buchten weiter. Also hatte ich es für ein paar Kilometer wieder leichter. So ging es den ganzen Vormittag lang dahin. Erst gegen Mittag wurde es etwas heller, und blieb es länger trocken.

 

Doch just bei einer Jause in der Sonne vor einer Bäckerei sitzend, kam der Regen wieder blitzschnell daher. Eine ältere Frau schien es nicht zu stören. Sie blieb eisern sitzen, und telefonierte weiter. Ihr Mann holte sie dann regennass an einen Tisch unter Dach. Es sei halt Frühling, da gehöre der Regen dazu, war ihr Kommentar. Das könne man schon aushalten. Mich fror es, trotz Beinlingen, Mütze und Regenjacke. Doch auch die Arbeiter auf Mittagspause hatten scheinbar ein anderes Wärmegefühl. Kurze Hose ging sich bei denen locker aus. Vielleicht hatten sie ja Wärmebatterien in ihre festen Arbeitsschuhe gesteckt.

 

Vor lauter Jammern über die Wetterkapriolen hätte ich fast vergessen, dass ich auf der Great Ocean Road am Weg war. Die war nämlich schon schön zum Fahren. Die Straße windete sich der steilen Küste entlang von einer Bucht zur nächsten. Es ging kurvig dahin. Und Höhenmeter sammelten sich auch. Mit Sonne hatte das Wasser an der Küste ein betörendes Türkis. Der Klang des Wasserklatschens und des Rollens der Wellen war gleich, egal ob Sonne oder düsteres Grau. Manchmal taten sich Ausblicke auf weite Buchten auf, mit breiten Sandstränden und Gischtkronen auf den Wellen. Die steilen Klippen und erodierten Felstürme vom ersten Teil der Route fehlten. Dafür bestach die Küste mit anderem Charme. Es war dieser Übergang zwischen Wasser und Land, mit Sand oder groben Steinen, mit schmalen Landzungen und engen Buchten, mit abschüssigen Hängen und dem dunklem Grün der Flora.

 

Am Abend meinte ich, dass das Wetter gepasst hat. Zur Küstenstraße auf diesem Teil der Strecke ganz sicher. Doch ich wäre sie bei strahlendem Sonnenschein ebenso gerne gefahren, oder vielleicht noch lieber.

 

6. September 2023

Bis vor die Tore von Melbourne

Am Morgen lockt mich beim Vorbeifahren McDonalds an. Ein Frühstück zum Aufwärmen. Denn mich friert es gleich auf den ersten Kilometern schon. Beim Bestellen kann ich den Schulkindern etwas abschauen. Die haben es viel flinker drauf als ich. Na ja, zu spät in die Schule kommen wollen sie wahrscheinlich nicht. Und öfter hier zum Frühstück sind sie ihrem Gehabe nach jedenfalls. Doch mir gefällt es hier auch. George Ezra singt im Lautsprecher über Budapest, während ich bei Hash Browns und Käsetoast mit Tomaten zulange. Irgendwann wird es ruhiger. Die Schulkinder sind weg, die mit Namen begrüßten Pensionisten kommen erst, als ich Halstuch, Mütze und Jacke wieder anziehe. Die wissen es demnach, wie hier der Hase läuft, denke ich mir.

 

An der Küste ist es wunderbar. Breiter Sandstrand, gepflegter Rasen, Wanderwege, Häuserzeilen mit Stil. Der Ort hier hat etwas mehr Großstädtisches. Und als mich eine Baustelle über ein paar Umwege über Wohnviertel weiterleitet, sehe ich architektonisch anspruchsvolle Häuser und schöne Gärten. Eine nette Gegend hier, denke ich mir, während mich ein Schüler in kurzer Hose mit seinem Scooter zu überholen versucht. Er schafft es gerade noch, bevor mich zwei auffällige Schülerlotsen an einem Zebrastreifen abbremsen.

 

Später kommen mir dann einige Radfahrer entgegen. In Großstadtnähe, da gibt es sie. Doch sonst, am Land, da sieht man keine. Und die vielen Surfer findet man meist auch nur nahe zu den Städten. Die Parkbuchten sind auf meiner Route alle voll. Im Wasser tummeln sie sich auch schon. Doch sie warten glaub noch auf mehr Wind. Denn auf den Wellen surfen sehe ich nur hie und da ein paar mit kurzen Versuchen. Ich hielt die Wellen mit ihren Gischtkronen und ihrem Rauschen schon für groß genug, und beeindruckend jedenfalls. Golfen wäre auch noch möglich gewesen. Denn hinter dem schmalen Dünenstreifen dehnte sich gleich ihr langes, weites Grün aus.

 

Mittags schaute ich auf der Halbinselspitze bei Queenscliff stolz auf die andere Seite der großen Bucht vor Melbourne. Dort war ich vor viereinhalb Monaten zur ersten Etappe gestartet. Jetzt hatte der Tacho schon fast 15.800 Kilometer mehr drauf. Hey, das war schon ein bisschen aufregend, der erste Tag damals. Und für etwas Aufregung sorgte ich auch jetzt, als ich den Lenker für die Rückfahrt Richtung Norden richtete. Da war ich voll im Gegenwind, und hatte Bedenken, ob ich es rechtzeitig bis nach Geelong schaffe. Denn dort wartete die Fähre für die nächtliche Überfahrt nach Tasmanien für die nächste Etappe.

 

Doch die Strecke war flach, und später führte sie auf einer ehemaligen Eisenbahntrasse windgeschützt durch lichten Wald. Es ist sich leicht ausgegangen. Am Kai angekommen war ich überrascht, wie groß das Schiff war. Die Spirit of Tasmania kann bis zu 500 Autos aufnehmen. Ich musste mich beim Einsteigen mit meinem Fahrrad in die überschaubare Schar der Fußgänger einreihen. Und der Platz für Fahrräder war wohl nicht größer als 5 Quadratmeter überhaupt. Dafür hatte ich jedoch die ganze Aufmerksamkeit des Personals. Als Radfahrer ist man auf einer Autofähre wohl eine Art VIP, zumindest für ein paar Minuten.