Georgien mit Tiflis

2. Oktober 2019

Welcome to Georgia

Gleich an der Grenze gibt es ein freundliches Hallo. Mehrere Grenzbeamte sagen: Hello, welcome to Georgia. Das empfinde ich als eine feine Geste. Ich freue mich. Und beim ersten Dorf geht es in derselben Tonart weiter. Die Straße geht kurz recht steil hoch und ich bin entsprechend langsam. Bei einem Haus ernten sie grad die Trauben vom Spalier. Sie rufen mir zu und geben mir ein paar Trauben zum Kosten. Und weil sie mir schmecken, bekomme ich gleich einen halben Sack voll zum Mitnehmen. Ich esse sie auf einem Hügel. Ich genieße die süßen Trauben wie die schöne Aussicht. Kurze Zeit später suche ich in Achalziche ein Hotel. Denn den ersten Tag in Georgien will ich gemütlich angehen. Ich schaue mir die Festung an, und schlendere durch die Straßen. Beim Heimkommen isst der Hotelinhaber gerade ein Brot. Er lässt mich probieren. Es ist eine georgische Spezialität, die mich beeindruckt. Und gleich saust der Mann zum Bäcker nebenan. Er besorgt auch eines für mich. Ich staune, welch feine Überraschungen mein erster Tag in diesem Land zu bieten hat.

 

Ich gehe dann auch den zweiten Tag gemütlich an. Das Frühstück ist reichlich und ich tratsche noch etwas mit dem Hotelinhaber. Er ist halb Armenier und erzählt mir über die Bedeutung und die historische Vergangenheit der Stadt. Mittags suche ich mir einen netten Platz für eine Jause. Laut Karte sind es nicht so viele Kilometer, die ich mir vorgenommen habe. Nicht beachtet habe ich jedoch, dass da ein Pass zu bewältigen ist. Und auch nicht einkalkuliert habe ich, dass die Straße schon bald zu einer Schotterrumpelpiste wird. Sie zieht sich über 50 Kilometer so dahin. Ich bin beim Fahren also sehr gefordert. Dennoch habe ich gute Laune. Es gefällt mir landschaftlich sehr. Und mit der Sonne und den bunten Blättern der Bäume ist es eine feine Herbststimmung. Unterwegs treffe ich sogar einen anderen Radler. Es ist Guido, ein Journalist aus der Schweiz. Er radelt von Istanbul nach Baku. Wir tauschen uns über unsere Erlebnisse aus, über die Gastfreundschaft der Türken, über ideale Räder, und unsere gefahrenen Routen. Wir haben wohl fast eine halbe Stunde miteinander geplaudert. Und wir haben uns beide gefreut, einander zu treffen, mitten im georgischen Irgendwo.

 

Die Weiterfahrt ging dann an einem Skigebiet vorbei. Ich sehe nur einen einzigen großen Lift. Dafür einige klotzige Hotelbauten, und ebenso viele gerade im Entstehen. Dabei ist die Zufahrtsstraße durch das lange Tal ziemlich abenteuerlich. Die Straße ist in einem desolaten Zustand. Es ist mehr ein Holpern von Schlagloch zu Schlagloch denn ein Fahren. Die wenigen Häuser an den steilen Hängen am Weg machen denselben Eindruck wie die Schotterstraße. Desolat. Und weil kein schnelles Fahren möglich ist, zieht es sich ziemlich bis zum nächsten Ort mit einem Hotel.

 

Kurz vor der Ortschaft geht es mit einer kleinen Steigung noch etwas hoch. Ich merke, dass mein Hinterrad Luft verliert. Ich entscheide mich für ein Weiterfahren. So holpere ich schleichend in den Ort. Es ist Chulo, ein Bergdorf in Hanglage. Ich frage nach einem Hotel. Doch dafür muss ich dann noch ein paar Schleifen weiter hochfahren. Denn das eine Hotel an der Durchzugsstraße hätte heute zu, ließ ich mir erklären. Das Flicken des Rades verschiebe ich auf den nächsten Tag. Mein Abendessen ist mir wichtiger. Ich bekomme Pilze mit Kartoffeln und Salat. Und dazu einen selbst gemachten Quittensaft. Es schmeckt mir voll lecker. Ich bin trotz des Patschen happy über den Tag und mehr als nur zufrieden. Es ist ein feiner Start in Georgien. An die Straßenverhältnisse werde ich mich noch gewöhnen. Sie waren ja eigentlich so zu erwarten.

 

6. Oktober 2019

Batumi ohne großen Reiz

Mein Weg führt mich talauswärts und Richtung Schwarzes Meer. Die Straße ist jetzt zwar asphaltiert, doch fahren die Autos dennoch Schlangenlinien. Ich natürlich ebenso. Mal sind die Schlaglöcher links, und dann wieder rechts, und öfters auch auf beiden Seiten. Ich bin eher etwas lustlos am Weg, und vom Vortag noch müde. Das Highlight des Tages ist zweifelsohne eine Straßenbäckerei. Es gibt georgisches Brot aus einem nach oben enger werdenden, runden Lehmbackofen. Er wird am Boden mit Holz befeuert. Der Bäcker klatscht den Teig mit einem lederbezogenen, wattierten Holzstück an die warme Innenwand. Nach wenigen Minuten löst er dann das Brot mit einem Schaber von der Wand und zieht es mit einer Hakenstange hoch. Auf einem Holzbrett lässt er es auskühlen. Ein Mann gibt mir von dem gerade gekauften Brot zu kosten. Es überzeugt mich. Auch ich kaufe ein solches Brot. Sie bieten mir dazu noch Wodka an. Doch den trinken sie dann selber. Es schaut lustig aus, wie sie sich nach dem Schlucken alle schütteln, und kurz eine Fratze aufziehen. Der Wodka muss hier wohl ein spezieller Brand sein, schließe ich so vom Zuschauen. Mir schmeckt das Brot ohne Wodka besser.

 

Am Nachmittag stoße ich auf 3 junge deutsche Reiseradler. Sie sind mit der Fähre übers Schwarze Meer gekommen und nehmen sich jetzt die georgischen Berge vor. Danach wollen sie Richtung Iran weiter. Ich nehme mir jedoch heute nur Batumi vor, die Großstadt an der Küste. Das Reinfahren ist mühsam. Viel Verkehr auf staubiger Straße, und dazu rücksichtsloses Treiben. Mit Glück kann ich der mit vollem Schwung aufgestoßenen Seitentüre eines tiefergelegten Sportwagens gerade noch ausweichen. Und danach geht es an großklotzigen Hochhäusern und Spielsaloons vorbei zum Meer. Ein Selfie mit Rad am Schwarzen Meer, das stellt mich dann wieder zufrieden. Ich freue mich, dass mich meine Reise schon bis hierher geführt hat.

 

Schwarzmeerküste und dann rechts ab

Am nächsten Tag kaufe ich am Morgen gleich wieder dieses spezielle georgische Brot. Sie nennen es Tonis Puri. Es gibt das Brot durch ein offenes Guckfenster bei einer Straßenbäckerei. Ich schaue zu, wie die Leute vor mir sich anstellen. Die Hand mit einem Lari reingehalten, bringt kräftige mehlige Bäckersfinger mit dem frischen, warmen, in ein kleines Stück Papier eingeschlagenen Brot nach außen. Das ist zum Nachmachen nicht schwer. Gleich habe auch ich so ein ovalgeformtes warmes Backstück in den Händen. Im Mini-Market daneben decke ich mich noch mit Obst, Paprika und Limonade ein. Das ist mein super feines Frühstück ein paar Kilometer außerhalb von Batumi, mit Schwarzmeerrauschen bei leichtem Wellengang am hier noch menschenleeren Strand.

 

Zum Fahren geht es dann auch ganz fein weiter. Ich wähle die kleine Straße direkt am Meer. Sie führt über viele Kilometer ziemlich gerade nach Norden. Im Sommer dürfte der Strand sehr frequentiert sein. Denn es gibt zahllose Bars und Cafés entlang des ganzen Weges. Jetzt Anfang Oktober haben aber nur noch ganz wenige offen. Irgendwann biege ich dann wieder ins Landesinnere ab. Die hügelige Landschaft ist geprägt durch mehr oder weniger gleiche Bauten. Zwei Geschosse, quadratischer Grundriss, Wellblech-Pyramidendach, überdachte Terrasse zumindest eine Hausseite lang, grau verputzt – so stehen die Häuser einzeln in den Gärten. Zur Straße hin sind sie immer mit einem Holzzaun oder meistens mit einem Metall- oder Blechzaun abgegrenzt. Den Eingang ziert immer ein großes schmiedeeisernes Eisentor. Und vor dem Zaun gibt es noch einen Grünstreifen und einen Abwassergraben. Dort finden die freilaufenden Kühe und Schweine ihr Futter. Diese scheint der Verkehr nicht sonderlich zu stören. Oder umgekehrt kommen die Autofahrer auch gut damit klar. Sie machen dann einfach einen Schlenker auf die andere Straßenseite, und rauschen bei gleicher Geschwindigkeit weiter.

 

Schotterrüttelstrecke zum Vergessen

Ich habe in einem kleinen Hotel übernachtet. Die am Boden entdeckten Tierchen habe ich mit Hilfe von Google als Kakerlaken identifiziert. Danach fiel das Internet jedoch aus. Und damit auch meine Recherchen zu den Tierchen. Im Nebenzimmer nächtigte ein Mann, der für eine Firma aus Linz arbeitet. Ich kam mit ihm kurz ins Gespräch. Ihn interessierte, wieso ich denn gerade in dieser Ortschaft Halt mache. Denn sie sei für ihn gar nicht anziehend: Nur heiß, kein Wind, kein Wasser, Hügel rund herum, keine Geschäfte, und nur viel Arbeit. Meine Formel klang für ihn dann jedoch einleuchtend: 100 Kilometer, müde Beine, Hunger – das nächste Hotel wird es sein. Die Küche war jedenfalls gut. Die Köchin ging mit mir einfach in den Laden im selben Haus. Dort suchte ich mit Fingerzeigen aus, was sie mir kochen wird. Kein langes Suchen im Wörterbuch. Einfach nur hinzeigen, dann 10 Minuten warten, und fertig ist das Radlermenü.

 

Aus der Ortschaft raus ging es zuerst richtig fein. Über die Hügel mit zahlreichen Kurven auf und ab komme ich flott voran. Doch dann erreiche ich eine große Ebene. Auf ihr entdeckt mich der Gegenwind. Und zu allem Übel habe ich mich dann noch für eine Route abseits der großen Straße entschieden. Es ist ein längeres Verbindungsstück zwischen zwei Ortschaften. Es scheint nur aus Schlaglöchern zu bestehen. Nach 2 Stunden Rüttelfahrt bin ich richtig froh, dass es nur noch der Gegenwind ist, der nervt.

 

Am späten Nachmittag ist die Straße dann besser. Nur gibt es jetzt richtig steile Rampen. Es kostet mich ziemlich Substanz, mein Fuhrwerk da hochzuwuchten. Doch in den Abfahrten kann ich mich immer wieder gut erholen. So mache ich Hügel um Hügel, bis ich Sestaponi erreiche.

 

In einem der vielen Fastfood-Lokale an der Hauptstraße bestelle ich eine Veggie-Pizza. Als Nachtisch gibt es überraschend ein Mus aus aufgekochten Weintrauben mit Mehl verdickt. So ist jedenfalls meine Interpretation. Sie konnten mir den Namen oder die Machart nicht mitteilen. Das Dessert hat ihnen jemand in einer Kasserolle vorbei gebracht, als ich gerade mit meiner Pizza fertig war. Spontan ließen sie mich davon kosten und schöpften gleich einen kleinen Teller für mich mit. Bei solchen Sachen sage ich dann immer ganz freundlich: „Didi Madloba“. Entweder ist es mein zauberhafter georgischer Slang, oder einfach die Überraschung, statt dem von einem Ausländer erwarteten „Thank You“ ein georgisches Dankeschön zu hören. Denn dieses Madloba freut dann alle sehr. Sie grinsen vor Freude, ebenso wie ich.

 

Mehr vom selben

Wenn es am Vortag eine Rüttelstrecke war, die schlimmer nicht sein kann, so war es heute Sonntag nochmals eine Steigerung. Ich wollte nicht entlang der großen Verbindungsstraße fahren, sondern wollte südlich davon durch kleinere Ortschaften. Auf der Karte hat es fahrbar ausgeschaut und easy. Tatsächlich waren es dann 50 Kilometer auf einer absolut grässlichen Schotterpiste. Dazu noch eine von Wald und Hügeln geprägte Landschaft, sowie Kleinstbauernanwesen, von denen wohl niemand Leben kann. Jedenfalls boten die Häuser einen tristen Anblick. Und statt Traktoren sind es hier Ochsen, die einem auf der Straße begegnen.

 

Am späten Nachmittag bleibt dann ein Auto auf gleicher Höhe stehen. Es sind Bauarbeiter, die sich nach mir erkundigen. Sie meinen, dass ich eine schreckliche Straße ausgesucht hätte. Und dass ich um ein paar Jahre zu früh da sei. Denn sie machen gerade die Pläne für eine Neuerrichtung der Straße. Auch wenn der Straßenzustand nach dem Gespräch gleich schlecht war wie zuvor, so hat mir der kurze Tratsch dennoch gut getan. Denn ich fuhr motiviert weiter. Wahrscheinlich war es auch die Aussage, dass es nur noch 10 Kilometer bis zur asphaltierten Hauptstraße seien. Damit hatte ich einen Anhaltspunkt zur Orientierung. Die Schlaglöcher und groben Steine konnten mich nicht mehr aus dem Tritt bringen. Kaum auf der Hauptstraße angekommen sah ich auch schon ein Hotelschild. Nix wie rein, war mein Entschluss. Denn mit Radfahren verbinde ich doch auch ein flottes Vorwärtskommen. Jedenfalls nicht nur ein Holpern mit viel Gepäck von einem Loch zum nächsten, so wie es heute fast den ganzen Tag so war.

 

11 Oktober 2019

Über Gori nach Tiflis

In der Nacht hat es kräftig geregnet. Doch am Morgen war die Straße schon wieder trocken. Auf der Hauptstraße war reger Verkehr. Entlang der Straße gab es viele kleine Holzhütten. 5 plus 1 war überall angeschrieben, und aus den meisten Hütten stieg Rauch auf. Es waren Frauen, die ein süßes Hefegebäck mit Rosinen im Ton-Ofen hatten und es feilboten. Eines davon war dann auch mein Frühstück. Irgendwann ging dann die Straße in eine Autobahn über und ich konnte abzweigen. Durch Obstbaumkulturen und Gemüseplantagen gelangte ich bei wenig Verkehr bis nach Gori, und dort eher zufällig in ein feines Guesthouse. Es stand sogar eine Waschmaschine zur Verfügung. Zusammen mit Leintüchern und Handtüchern flatterten meine Radlersachen bald im Garten in der Sonne. In einem Dachrestaurant gönnte ich mir am späten Nachmittag eine Gemüsesuppe und Lobio. Der Bohnentopf war eine Empfehlung meiner Tochter. Doch auch Lia vom Guesthouse meinte, dass ich den unbedingt probieren soll. Sie zählte mir noch andere georgische Spezialitäten auf. Die regionale Küche hier sei was ganz Besonderes, merkte sie mit sichtlich Stolz gleich mehrfach an.

 

Aus Gori raus erwische ich eine fast unbefahrene Straße. Ich komme flott voran. Mittags entdecke ich in einem Ort eine Straßenbäckerei und will mir ein Tonebrot kaufen. Doch der Bäcker will kein Geld von mir. Er schenkt es mir, und hat seine Freude damit, weil ich total verwundert bin. Mit etwas Käse und Gemüse von einem Verkaufswagen daneben ist es ein leckeres Mittagsmenü. Gestärkt fahre ich weiter und mute mir dann eine Abkürzung zu. Doch leider fehlt eine Brücke. Ich muss einen Umweg machen, und das auf einer Straße, die eher keine mehr ist. Mit kräftiger Schieberei komme ich endlich wieder auf meine ursprüngliche Route zurück.

 

Nahe zu Tiflis nimmt dann der Verkehr drastisch zu. Die Straße hat plötzlich mehrere Spuren. Ich bin auf dem Highway Richtung Zentrum am Weg. Und es zieht sich kräftig. Vor einem Hotel frage ich nach dem Weg. Ich meine, schon zentrumsnahe zu sein. Doch es sind dann nochmals 15 Kilometer bis zur Altstadt. Trotz forderndem Verkehr bin ich recht zufrieden. Nach Tbilisi ist es mit dem Rad ja nicht grad ein Katzensprung. Und dennoch habe ich es geschafft. Entsprechend gut gelaunt checke ich im Hotel ein. Die Zufallsauswahl erweist sich als sehr erfreulich. Mir wird Tee angeboten. Im Hintergrund läuft Yellow von Coldplay. Es sei die Lieblingsband der jungen Frau an der Rezeption, erklärt sie mir. Und mit etwas Nachfragen darf ich dann mein Fahrrad im Garten abstellen. Das Grün meines Rades passt gut zum anderen Grün des Gartens dazu. Fein, denke ich mir. Ein gediegenes Ambiente mag ich sehr.

 

Hauptstädtisches Treiben

Zum Frühstück gibt es exotischen Kartoffelsalat mit Granatapfel. Ich gönne mir gleich 3 Teller davon, obwohl ich heute nur eine Stadtbesichtigung vorhabe. Tiflis ist eine interessante Stadt. Sie ist zwar riesengroß und augenscheinlich ständig dem Verkehrskollaps nahe. Doch mit der Altstadt und der zu ihr hinführenden Rustavelistraße schon etwas Besonderes. Das ist auch die kleine Ecke von Tiflis, in die ich mal reinschnuppern will. Ich staune, wie kreativ die Leute ihren Verkaufsraum nutzen. So einer lässt sich anscheinend überall finden. Selbst wenn man im Keller nicht mehr aufrecht stehen kann, bietet er sich dennoch als kleine Verkaufsfläche an. Und daneben um die Ecke gibt es Designerläden aller großen Marken.

 

Wenn man mal von der Hauptstraße abbiegt, kommt man in ganz verwinkelte Wege. Dort sieht man Bauten, die noch viel mehr verwinkelt sind. Eine gerade Mauer ist selten. Überall wird baulich improvisiert, und das wohl schon über Generationen hinweg. Doch manche große Bauten mit tollen Fassaden werden auch fachmännisch wieder instand gesetzt. An den verschraubten Baugerüsten aus Holz oder den Absperrungen sind Bilder zu sehen. Sie zeigen, wie das Gebäude mal ausschauen wird, oder vor vielen Jahren mal ausgeschaut hat. Daneben gibt es jedoch auch schreckliche Neubauten oder stillose Gebäude. Und je weiter ich zum Stadtrand komme, umso mehr sind davon zu sehen.

 

Dennoch gefällt mir dieser eine Teil von Tiflis. Es dominiert zwar fahrradfeindliches Kopfsteinpflaster. Nächtliche Fahrten sind der fehlenden Kanaldeckel wegen sicher nicht zu empfehlen. Doch es ist eine Stadt mit viel Flair. Modern und westlich ausgerichtet. Und dazu die Toleranz, dass nicht alles perfekt sein muss. Oder das Wissen um die eigene Kreativität, dass sich selbst mit bescheidenen Mitteln Gegebenes langfristig nutzen lässt. Ich denke, dass ich es hier sicher eine etwas längere Zeit gut aushalten könnte. In Tiflis wohnen wäre vielleicht was zum Ausprobieren. Doch mein Interesse ist im Moment eher das Radfahren. Und darum bleibe ich nicht sehr lange, fahre gleich schon wieder weiter.

 

Nach Norden im Großen Kaukasus

Ich habe mir auf der Karte eine Route rund um Tiflis nach Norden ausgesucht. Sie führt mitten durch den Nationalpark Tiflis. Doch sie erweist sich für mich mit dem Gepäck als unfahrbar. Es sind nur Schotter- und Wiesenwege, und dazu steile Anstiege. Zwar probiere ich ein paar Kilometer, nur kehre ich dann schnell wieder um. Ich mühe mich zwischen oder neben den vielen Lastautos auf der Hauptstraße ab. Doch das ist der Preis jeder großen Stadt: Dort dominieren immer die Autos und entsprechende Hektik. Ich mache gleich ein paar Mal Halz zum Routencheck. Denn ich sehe irritierende Schilder: Es ist nämlich Istanbul, 2.000 Kilometer, angeschrieben. Also im Kreis wieder zurück in die Türkei möchte ich zumindest jetzt noch nicht. Doch irgendwann teilt sich die Straße dann, und damit auch der Verkehr. Ich erreiche am frühen Nachmittag die Abzweigung nach Stepantsminda und zur georgischen Heerstraße. Auf die bin ich sehr gespannt. Im Hotel meinten andere Gäste, dass sie für Radfahrer sicher eine Herausforderung sei, wegen des Verkehrs und des Anstieges mit den vielen Serpentinen. Der Pass liegt fast auf 2.400 Meter, doch landschaftlich sei die Gegend traumhaft. Ich freue mich also auf die nächsten Tage. 

 

13. Oktober 2019

Georgische Heerstraße

Es zieht sich weit in ein sich windendes Tal hinein. Die Straße steigt nur unmerklich an. Irgendwann geht es dann doch kontinuierlich und gleichmäßig hoch. Mit ein paar Serpentinen mache ich erst zum Schluss kräftig Höhenmeter. Verkehrsmäßig ist es auszuhalten. Nur einmal kommt mir ein Lastwagen in einer engen Kurve sehr nahe. Ich flüchte reflexartig seitlich raus ins Kiesbett. Nachmittags bin ich froh um die Sonne. Denn ich bin schon auf über 2.000 Meter Höhe. Die Serpentinen sind fein zum Fahren. Immer wieder habe ich einen tollen Ausblick ins Tal. Oder auf den Gegenhang mit ein paar einzelnen kleinen Bauernsiedlungen. Von oben zeichnen sich die genutzten Wiesenflecke schön ab. Die Heuschober schauen winzig klein aus. Mit den bunten Farben weniger Waldstücke wirkt es fast wie in einem Bilderbuch gezeichnet.

 

Die Heerstraße ist insgesamt ganz gut zum Fahren. Doch sie ist im Anstieg nicht so überwältigend wie zuvor angekündigt. In Gudauri, einem Skiort, der typischerweise auch so ausschaut, suche ich erst gar nicht lange nach einem passenden Hotel. Ich nehme gleich eines am Ortsanfang. Die Inhaberin telefoniert mit ihrer Enkelin. Die springt als Übersetzerin ein. Und so bekomme ich ein Zimmer mit Abendsonne und Abendbrot. Ich bin mit dem Tag zufrieden. Ich bin ihn großem Respekt angegangen. Und dann doch ganz flott und ohne Einbruch die vielen Höhenmeter raufgekurbelt.

 

Höhepunkt Kasbek

Am Morgen ist es mit 3 Grad recht frisch. Doch ich finde schnell eine Bäckerei. Ich wärme mich und meine Finger an köstlichem Tonis Puri, direkt aus dem Ofen. Dazu gibt es etwas Käse aus dem Market daneben. Leider ist er ziemlich salzig. Als ich dann Richtung Kreuzpass weiterfahre, ziehe ich meine warmen Handschuhe an. Denn auf den Bergspitzen ist Schnee zu sehen. Dazu sind die Wasserpfützen bei den Ausweichstellen noch eisig gefroren. Die Regenroste bei den Galerien haben mehr als 5 cm breite Abstände zwischen den einzelnen Elementen. Ich kann sie nur ganz vorsichtig und schräg zur Straße queren, trotz meiner breiten Reifen. Im Aufstieg ist das ja kein Problem. Doch wenn man in der Abfahrt davon überrascht wird, ist das sicher nicht so fein. Am Kreuzpass oben bin ich dann ganz alleine. Bei herrlicher Herbstsonne, klarer Luft, und feinem Rundumblick freue ich mich über dieses Etappenstück.

 

Beim Runterfahren wird es landschaftlich nochmals schöner. Steile Straßenstücke wechseln sich mit grünbraunen Hochflächen ab. Neben der Straße gibt es Sinterterrassen mit Eisen- und Schwefelablagerungen. Da gibt es dann auch viele Souvenirshops. Hier stoppen auch die vielen Busse, die die Touristen aus Tiflis hochfahren. Und immer wieder stechen goldgelbe Laubbäume hervor, wie als Zierde in der sonst kargen Natur. Nach Stepantsminda hinunter komme ich auf fast 75 Stundenkilometer Geschwindigkeit. Das ist mit dem Gepäck am Rad fast atemberaubend schnell.

 

Irgendwann stoße ich auf eine Lastwagenkolonne. Ich frage nach. An der russischen Grenze sei Blockabfertigung, da müssten sie warten, erklärt mir ein russischer Fahrer. Er nutzt die Pause und repariert etwas an seinem Auto. Er hat die Fahrerkabine hochgeklappt. Das Reparieren gehört auf dieser Strecke wohl zum Alltag der Fahrer. Denn noch vor der Passhöhe haben sie bei einem Lastwagen den ganzen Motor ausgebaut. Es waren einige Leute rund um einen alten russischen Kamaz-Lastwagen damit beschäftigt. Der Motor lag in der Wiese, die gleich schwarz ausschaute wie die Overalls und Hände der Fahrer, die daran werkten. Ich denke, es war mehr als nur ein kleiner Ölwechsel, was sie da vorgenommen haben.

 

Als ich Stepantsminda erreiche, zeigt sich dann endlich der lang gesehnte Kasbek in voller Größe. Ein Berg mit 5.000 Meter ist schon schön und erhaben anzuschauen. Davor habe ich immer nur kurz seinen Gipfelgletscher erspäht. Ich lade mein Gepäck im Hotel ab. Dann fahre ich als Draufgabe über mehrere enge Serpentinen einige Kilometer zu einer Wallfahrtskirche hoch. Dort ist man dem Kasbek noch näher. Doch das wollen offensichtlich auch ganz viele andere sein. Rund um die kleine Kirche wimmelt es von Touristen. Mit Kleinbussen fahren alle hier hoch, und das nicht nur sonntags, wie mir der Hotelinhaber dann sagt.

 

Vom Hotelzimmer habe ich einen wunderbaren Blick auf den Berg. Ich google, wie schwierig er zu besteigen ist. Man geht zwar wegen der Spaltengefahr am Seil, doch ist er nicht so schwer, schreibt der Deutsche Alpenverein. Er hat den Berg jedes Jahr in seinem Programm. Nur der Gipfelhang hat 45 Grad, auf einer Länge von zirka 100 Metern. Das wäre vielleicht mal was, denke ich mir. Doch ich frage nicht nach einem Bergführer, sondern nach einem Restaurant. Ich gönne mir zur Feier des Tages Khinkali mit Pilzen und Käse. Das sind gefüllte Teigtaschen und eine georgische Spezialität. Sie werden kunstvoll zusammengedreht. Beim Nachbartisch schaue ich zu, wie sie die Gäste dort essen. Anscheinend kann man je nach Lust und Laune egal wo reinbeißen. Jedenfalls mit beiden Händen zugreifen, und nicht mit Messer und Gabel essen. Und aufpassen, dass es nicht spritzt, ist meine Erkenntnis. Es ist mein letzter Tag in Georgien. Ich lasse ihn gemütlich und lustvoll ausklingen.