Auf den Lofoten-Inseln

6. September 2020

Grau in Grau, mystisch schön

Am unteren Fensterrand zeigen sich Wassertropfen. Dazu höre ich Windstöße und das Spritzen von Wasser vorbeifahrender Autos. Oje, den ersten Morgen auf den Lofoten habe ich mir anders vorgestellt. Mutig stehe ich dennoch auf und riskiere einen Blick aus dem Fenster. Zwischen den Bergen hängen dichte Nebel. Es regnet soweit ich sehen kann. Also habe ich etwas mehr Zeit für das Frühstück. Doch keine 20 Minuten später schaut es so aus, als ob der Regen vorbei wäre. Ich packe meine Sachen und düse los. Vom Hafen mit dem Ort mache ich ein paar Fotos. Diese Perspektive findet sich in vielen Prospekten zu den Lofoten.

 

Es sind wilde, schroffe Berge, die mit etwas Grün direkt aus dem Meer emporragen. Mit Brücken geht es von Insel zu Insel. Und einmal sogar unter dem Meer durch. Minus 86 Meter zeigt das Navi am untersten Punkt. Doch das Wetter spielt verrückt. Hinter jeder Kurve oder jedem Berg zeigt es sich wieder etwas anders. Manchmal bleibt der Nieselregen ständig. Doch ein paar Kurven später schaut es wieder freundlich aus. Bis zur nächsten Richtungsänderung in einen Fjord hinein, aus dem der Regen einem wieder entgegenkommt. Landschaftlich ist es wunderbar. Zwischen Wasser und Bergen kleben bunte Häuschen auf schmalem Grün. Oder sie stehen auf Stelzen im Wasser und haben das Grün auf den Dächern. Ja, die Lofoten wissen zu gefallen.

 

Ein paar Radler kommen mir auch entgegen. Man grüßt sich mit Zuwinken und einem Smile. Sie schauen alle gleich nass aus wie ich. Und wahrscheinlich meint jeder, dass man nicht in der Richtung des anderen unterwegs sein möchte. Um die Mittagszeit ist es dann etwas länger recht erträglich. Da ist es auch fein zum Fahren. In einigen kleinen Buchten gibt es immer wieder Holzgestelle. Fische hängen zwar keine mehr dran, doch dem Geruch nach tun sie es dennoch. Ein paar Linienbusse kommen mir auch entgegen. Sie fahren ans untere Ende der Inselgruppe. Å i Lofoten haben sie angeschrieben. Da gibt es doch tatsächlich einen Ort mit nur einem Buchstaben. Und dieses Å schaut auch auf den Straßenschildern lustig aus. Einfach nur ein einzelner Buchstabe. Ich fahre jedoch in die andere Richtung, in die mit dem R wie Regen. Schöne Eindrücke gibt es dabei dennoch, wie sich das Grau des Regens mit dem Grau des Meeres in den Buchten vermischt.

 

7. September 2020

Etwas nass und wechselhaft

Am Morgen spiegelt mir ein Fenster des Gebäudes auf der anderen Straßenseite die Sonne ins Bett. Fein, denke ich mir, dann ist ja alles gut. Denn bei Schlechtwetter ist das Radeln auf Dauer doch etwas mühsam. Nur, es war bloß ein kurzer Morgengruß. Dann verzog sich die Sonne wieder, machte Nieselregen Platz. Ich fuhr dennoch los, hoffte auf einen Wechsel nach der nächsten Biegung. Es waren dann zwar einige Kurven und Brücken mehr. Doch ich konnte die Regensachen wieder ausziehen.

 

Fast hätte ich sie einige Zeit später wieder gebraucht. Noch vor dem Erreichen des Fährhafens holten mich einige Spritzer einer kräftigen Front ein. Der Wind trieb die Regenwolken über die Berge. Nasses Grau breitete sich rasend schnell aus. Im Nur war alles trüb um mich herum. Ich sah dem weiteren Treiben jedoch schon aus dem Warteraum bei der Fährstelle zu. Fiskebol hieß der Ort. Und, Nomen est Omen, der Raum roch markant nach Fisch. Fast meine ich, dass meine am Morgen noch schnell gekaufte Banane auch danach schmeckte.

 

Nach dem Anlegen konnte ich für die Weiterfahrt auf der Insel die Richtung der Umrundung aussuchen. Linksherum war es etwas weiter, und eine kleinere Straße. Ich wählte diese Route. Auf der Hauptverbindung meinte ich mehr Wolken erkennen zu können. Diese haben dann auch brav auf mich gewartet. Denn als ich wieder auf die Hauptstraße kam, konnten sie das Wasser längst nicht mehr halten. Wäre ich rechtsherum gefahren, dann hätte ich die Regensachen wohl nur etwas früher wieder anziehen müssen.

 

Bei einer Tankstelle mache ich einen Stopp. Vorne schaute es nachhaltig finster aus. Das Warten hat sich dann auch gelohnt. So wie die Wolken gekommen waren, zogen sie auch schnell wieder weiter. Das andere Ufer ein paar Kilometer vis-à-vis hat sie angezogen. Und dazwischen sah ich entfernt ein Schiff der Hurtigruten vorbeiziehen. Das Sonnendeck ist bei so einem Wetter sicher leer, dachte ich mir beim Auspacken der Kamera.

 

Vielleicht fuhr das Schiff in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Dann müsste es unter einer imposanten Brücke durch. Sie hatte eine große Spannweite. Und ihre Steigung begann aus einer Kurve heraus, auf die man auf einem aufgeschütteten Damm zufuhr. Von der anderen Seite schaute die Brücke kurz wie nicht fertig gebaut aus. Oder wie eine Rampe in den Himmel. Denn sie war auch noch gebogen. Von meinem zufällig gewählten Anhalteort aus verdeckte die eine Seite die Straßenführung auf der anderen Seite. Lustig. Oder war es gar eine Sprungschanze? Das Skispringen hätte in Norwegen ja auch Tradition. Und dann fielen mir die norwegischen Hotspots für den Wintersport ein. Die liegen jedoch alle irgendwo im Süden, und jedenfalls nicht auf den Lofoten.

 

8. September 2020

Ein zu weiter Ausflug nach Norden

Auf nasser Straße starte ich zeitig los. Ich freue mich, dass sie später schnell auftrocknet. Hie und da zeigt sich am Vormittag sogar ein klitzekleines Sonnenfenster. Es tut nach den Regentagen davor richtig gut. Die Route habe ich am Vorabend noch gecheckt. Ich musste etwas umplanen. Denn laut meiner Recherche hat eine der Fähren der nächsten Tage den Betrieb schon eingestellt. Doch für die Fähre heute sollte alles passen.

 

Ich komme gut voran. Dem Fjord entlang und über eine steile Brücke auf die andere Seite. Und dann habe ich sogar feinen Rückenwind. Er treibt mich flott an das obere Ende der Lofoten. Ich trete kräftig in die Pedale. Weil dann geht sich statt der Abendfähre vielleicht sogar die mittägliche Überfahrt aus, waren meine Gedanken. Als ich nach 110 Kilometern den Fährhafen in Andenes erreiche, gibt es eine große Überraschung. Alle Wartespuren sind leer. Weit und breit kein Auto. Geht also nur abends die Fähre? Doch beim Aushang des Fahrplanes am Schranken konnte ich sehen, dass die letzte Abendfähre bereits vor einer Woche gegangen ist. Der Fährbetrieb wurde für dieses Jahr schon eingestellt. Auweia, da ging meine gestrige Recherche voll in die Hose. Ich meinte, eine ideale Route für mich gefunden zu haben. Nur ganz so ideal war sie heute für ein Weiterkommen dann doch nicht. Es war ein etwas zu weiter Ausflug nach Norden.

 

Ich entschloss mich, gleich wieder zurückzufahren. Das aber wurde zu einem zähen Unterfangen. Ging es am Vormittag mit Rückenwind flott hoch, so hatte ich jetzt für die Rückfahrt vollen Gegenwind. Es gab sogar einen Schranken und eine Signalanlage als Warnung bei Sturm, zur Sperre der Straße. Der Gegenwind heute war natürlich kein Starkwind. Doch stark genug, um das Fahren anstrengend zu machen.

 

Auch fuhr ich ständig auf eine Regenfront zu. Zum Glück schob sie sich mit meinem Tempo dem Fjord entlang immer weiter Richtung Süden. Ich bekam nur ihre Ausläufer mit ein paar kräftigen Regentropfen ab, doch das stetig. Den Ausgang des Tages habe ich mir wirklich anders vorgestellt. Landschaftlich war es heute zwar sehr schön. Und das Fahren am Vormittag mit dem Rückenwind der Nordsee entlang war genial. Links das Meer und rechts die Felsen. Dazwischen ein bunter Mix aus Grün-, Braun- und Rottönen der Gräser. In den Ohren das Rauschen der Wellen und das Surren der Reifen. Hie und da ein freudiger Juchzer von mir. Das war Radeln vom Feinsten. Doch das Missgeschick mit der eingestellten Fährverbindung wurmte mich. Dafür bin ich jetzt aber am nördlichen Ende der Lofoten gewesen. Das ist ja auch etwas, das den langen Tag am Abend zufrieden ausklingen lässt. Ich habe ihn in einer netten Unterkunft abgebrochen, ohne ganz an meinen Ausgangspunkt zurückzufahren. Da hätte ich mich sicher übernommen.

 

9. September 2020

Landregen und nasse Füße

Ui, es dreht sich wieder alles um das Wetter heute. Dabei hätte ich ja gar nicht zum Fenster hinausschauen müssen. Der Wetterbericht hat es schon angekündigt. Doch für den Gang von meiner Hütte zum Restaurant spielte das bisschen Nieseln vorerst mal keine Rolle. Der Frühstücksplatz war im Wintergarten. Eine breite Glasfront machte den Blick frei auf den Fjord und die Berge dahinter. Schön, trotz des verhangenen, trüben Himmels.

 

Es war ein feines Frühstück. Die Marmelade war fantastisch. Erdbeeren ganz flüssig, und nur leicht süß. Da leerte ich gleich das ganze Glas. Und als regionale Spezialität gab es noch Moltebeeren aus Lappland. Die sind brombeerähnlich, nur mit helloranger Farbe. Und weil ich wegen der weiteren Routenmöglichkeiten nachfragte, entwickelte sich ein nettes Gespräch mit dem Inhaber. Ich denke, dass die einsame Lage und die Umgebung des Fjordes etwas mit den Menschen machen. Da werden Naturbewusstsein und nachhaltiges Handeln sowie Empathie und Gelassenheit unaufdringlich spürbar. Seine beiden Kinder seien zwar nach Oslo gezogen. Doch er könne mit diesem Ort hier sehr viel anfangen. Dieser Aussage sinnierte ich dann einige Zeit beim Radfahren noch nach. Ja, auch ich möchte an diesen Ort gerne wieder hin.

 

Unter der hohen Brücke bei Sortland sah ich mittags gerade ein Schiff der Hurtigrutenlinie durchfahren. Aus der Entfernung meinte ich, als ob das große Schiff da nicht durchkommt. Doch es setzte mit einem kurzen Sirenenton seine Fahrt in gleichmäßigem Tempo unbeirrt fort. Ich dagegen tat mir da etwas schwerer. Denn statt des Nieselns zeichnete sich ein dauerhafter Landregen ab. Wenigstens war es nicht allzu kalt. Die Lastautos nahmen beim Vorbeifahren Rücksicht. Vom feinen Gischtnebel bekam ich hie und da dennoch etwas ab. Mehr störten mich jedoch meine nassen Füße. Irgendwo lassen meine Neopren-Überschuhe Wasser durch. Und die Socken saugen bereitwillig auf. Und wenn ich das mal im Kopf wahrgenommen habe, dann ist es noch stärker präsent und stört umso mehr.

 

Als ich am späten Nachmittag bei meinem Etappenziel ankam, sah ich ein Sportgeschäft mit Fahrrädern im Schaufenster. Also fragte ich gleich nach, was denn die Norweger als Regenschutz für die Füße verwenden. Die Antwort war enttäuschend. Auch sie fahren diese mit der Zeit durchnässenden Neoprenschuhe. Doch bei so einem Wetter wie heute treibe es niemanden aufs Rad. Und das Wetter wird die nächsten Tage so bleiben, war sein Hinweis noch beim Verlassen des Geschäftes. Keine guten Aussichten also für mich.

 

10. September 2020

Eine Überraschung schon am Morgen 

Gleich nach dem Aufwachen werfe ich einen Blick auf die norwegische Wetter-App. Und siehe da, sie zeigt ganz unerwartet eine vorübergehende Regenpause. Ich überlege kurz. Dann packe ich ruckzuck meine Sachen, so schnell wie noch nie. Das schon am Vorabend erhaltene Frühstück kommt in die Packtaschen. Um 6 Uhr stehe ich vor dem Haus. Und zu meinem Schrecken, auch vor einer verschlossenen Tür.

 

Der Personalraum im Nebenhaus, in dem ich mein Fahrrad unterstellen durfte, ist versperrt. Ich probiere mit meinem Zimmerschlüssel. Er passt nicht. Mah du, das gibt’s doch nicht, schreie ich verärgert in den regennassen Morgen. Doch Türe geht keine auf, und Fenster auch nicht. Da will ich die wenigen unsicheren Stunden in der Früh nutzen, und dem Regen davonfahren, doch dann kann ich nicht los. Volle Scheiße, denke ich mir. Dann suche ich aber nach einer Lösung. Ich laufe um das Haus herum. Es gibt eine unversperrte Hintertür. Ich bin erleichtert, jetzt kann ich doch noch los.

 

Die Straße gehört mir allein. Es hat noch keine Fähre übergesetzt. Der Wind bläst mich entlang des Fjordes nach Norden. Auf der anderen Fjordseite ziehen Regenschauer entlang. Auf meiner schaut es ganz gut aus. Ich entdecke sogar ein quadratmetergroßes blaues Fenster am Himmel, und bin voll motiviert. Einen Stopp mache ich nur, als ich hinter mir zwischen den düsteren Wolken einen kleinen freundlichen Regenbogenstumpen sehe. Ich nutze die Pause auch gleich, um meine Regensachen anzuziehen. Es hat etwas stärker zu nieseln begonnen. Doch ein paar kleine Aufhellungen zeigen sich ebenfalls. Jede Fjordbiegung bringt wieder eine andere Stimmung. Ich schaffe es mit halbwegs trockenen Füßen bis zur Tjelsundbrücke. Dann werfe ich einen Blick auf das Regenradar meiner Wetter-App. Auch es interpretiert die dunklen Wolken vor mir als starken Regen. Also doch rein in das Hotel an der Brücke und nicht weiter. Ich mag mein Wetterglück heute nicht allzu sehr herausfordern.

 

Ab Narvik aufwärts

11. September 2020

Militär am Weg

Gestern am Abend wurde mir ein frühes Frühstück angeboten. Es wäre immer jemand da. Kein Problem, wenn ich schon um halb sechs Uhr etwas essen möchte. Ja, und das habe ich dann auch gemacht. Mit Blick auf den Fjord, die mächtige Brücke, und den sich in der Morgendämmerung abzeichnenden zartblauen Himmel. Doch ich war eher hektisch als entspannt gelassen. Das fand ich interessant an mir. Da bin ich schon einige tausend Kilometer geradelt, und will doch am Morgen gleich wieder aufs Rad. So als ob ich etwas verpassen könnte. Nur weil der Wetterbericht Regen vorhersagte, schlinge ich das Frühstück runter, damit ich gleich loskann. Erst als ich mir das bewusst machte, nahm ich mir mehr Zeit. Ich schaute auf den Fjord, die Brücke, das Spiel der Wolken am Himmel. Und holte mir sogar noch eine dritte Tasse Tee. Es geht also doch, der Versuch um ein bewusstes und gelassenes Sein.

 

Als ich dann losfuhr, streifte ich meine gelbe Warnweste über. Sicher ist sicher. Es war zwar nicht viel Verkehr so früh. Auch wichen die Autos beim Überholen meist ganz auf die Gegenfahrbahn aus. Rechtzeitig gesehen werden hat auch Vorteile, ging es mir durch den Kopf. Nach einer langen Kurve bremste eines der Autos vor mir abrupt ab. Eine Elchkuh überlegte, ob sie die über Straße wechseln soll. Doch als sie mich mit meiner gelben Warnweste kommen sah, verzog sie sich wieder mit einem Kopfschütteln in den Wald. So früh schon ein Radler, und dann noch in dieser Aufmachung, das wollte sie wohl nicht länger ansehen müssen. Und ich sah dann auch die Elchkuh nicht mehr, nur noch als Symbol auf den vielen Straßenschildern über Wildwechsel. Wobei auf den Schildern immer nur der Elch als Symbol gezeigt wird, und nie eine Elchkuh.

 

Etwas früher als angekündigt setzte dann der Regen ein. Die feine Morgenstimmung mit dem zarten Licht auf den vom Neuschnee leicht angezuckerten Bergen währte nicht lange. Schnell zogen die Wolken tiefer. Der Fjord und die ihn umsäumenden Wälder wurden mit einem nassen Grau eingehüllt. Mir wollte das gar nicht schmecken. Doch ändern konnte ich es ohnedies nicht. Also Regenkombi an, rote Mütze auf, Brille ab, und etwas langsamer weiter. Dazu immer wieder kleine Spurwechsel, um dem Wasser in den tiefen Fahrrinnen auszuweichen.

 

Der sich hinter Narvik auftürmende mächtige Berg war total in Wolken gehüllt. Einen Saum von Neuschnee ließ er dennoch erkennen. Das muss bei Schönwetter sicher ein tolles Bild sein. Der Meeresarm, die Farben der Stadt, das Grün des Waldes, und dann der Bjornfjell mit Schnee. Doch ich fuhr ohnedies in die andere Richtung. Und ich wollte auch nicht warten, bis sich dieses Bild in ein paar Tagen vielleicht so zeigt.

 

Beim Anstieg auf eine Passhöhe klarte es auf. Ich freute mich, die Regensachen wieder loszuwerden. Wenn auch nicht sehr lange. Auf der anderen Seite warteten schon wieder düstere Wolken. Doch ein paar flotte Kilometer gingen sich dennoch aus. Und dann war ich mit meiner blauen Regenjacke und der roten Mütze ein etwas auffallender Kontrast zu dem, was sich sonst auf der Straße abspielte.

 

Ich war in der Nähe mehrerer großen Militärbasen angelangt. Vielleicht gab es auch gerade eine Übung. Denn Jeeps mit Geschützen und Tarnnetzen bekam ich bisher auf meinem ganzen Weg noch nie zu Gesicht. Einen Panzer hörte und sah ich auch noch im Wald neben mir. Alle paar Meter gab es grellrote Warnhinweise auf ein Sperrgebiet direkt neben der Straße. Und weil das kein Ende nehmen wollte, und plötzlich andere Orte angeschrieben waren, checkte ich auf der Karte meinen Standort. Ich hatte mich tatsächlich verfahren. Ich war nicht mehr auf der Hauptroute nach Norden, sondern auf einer anderen Straße irgendwohin am Weg. Also wieder ein gutes Stück zurück, und nochmals am ganzen Militäraufmarsch vorbei. Ganz finster schauten die Soldatinnen und Soldaten nicht drein. Es scheint alles in Ordnung zu sein, hier im hohen Norden. Das war vor vielen Jahren mal anders. Auf der Strecke waren nämlich immer wieder Mahnmale mit dem Hinweis auf die „Schlacht um Narvik 1940“ zu sehen.

 

12. September 2020

Ein langer Fjord

Windstille am Morgen. Dazu trockene Fahrbahn. Das fühlt sich gut an. Es geht flach dahin. In einer Landschaft, die sich zu den Vortagen geändert hat. Sie ist jetzt weiter. Keine Wiesen mehr, nur noch Wald. Und darüber Berge mit vielen Schneefeldern, sogar Gletscher auch. Die niederen, knorrigen Birken tragen schon gelbe Blätter. Herbst zeichnet sich ab.

 

Mittags mache ich bei einer Hauszufahrt Rast. Beim Postkasten an der Straße steht eine Holzbank. Haus ist weit und breit keines zu sehen. Mir passt der Platz. Er liegt in der Sonne. Beim Fahren war es eher kühl. Daher finde ich die kräftigen Sonnenstrahlen jetzt ganz angenehm. Das Brot habe ich schon vor 4 Tagen gekauft. Es schmeckt dennoch. Fetakäsewürfel mit getrockneten Tomaten und Kräutern in Öl, dazu Spitzpaprika und eine scharfe Pfefferoni, lautet das üppige Menü. Als Nachtisch Banane und zwei Snickers. Und dann schwinge ich mich wieder gut gestärkt auf mein Rad.

 

Ich fahre dem breiten Lyngenfjord entlang. Es zieht sich. Beim Zurückblicken sehe ich, dass mir eine Regenfront langsam folgt. Nur vorne, Richtung offenes Meer, schaut es freundlich und sonnig aus. Doch der Weg dorthin ist noch sehr weit. Mich erwartet davor eine Landzunge, oder vielmehr eine mächtige Bergnase. Die Autos durften schon viel früher durch einen Tunnel abkürzen. Und dann kommt noch das Umrunden eines langen Seitenarmes des Fjordes. Der ganz direkte Weg geht sich hier in Norwegen selten aus. Der ist nur Schiffen vorbehalten.

 

Ich schaue einer Fähre zu, wie sie über den Fjord tuckert. Fast zeitgleich erreichen wir miteinander die Spitze der Landzunge. So nahe kann ich das sonore Brabbeln des Motors deutlich hören. Und während ich dem Umweg an Land der Fjordküste entlang folge, setzt sie ihren Kurs geradeaus fort. Ja, mit der wäre ich wohl hier rübergekommen, wenn ich auf den Lofoten nicht umkehren hätte müssen. Und bei ihrem heutigen Zielhafen werde ich mit dem Rad erst morgen vorbeikommen.

 

13. September 2020

Ein feiner Sonntag

Es ist ein klarer Sonntagmorgen. Und dazu ziemlich frisch. Ich fahre mit Winterhandschuhen. Der Fjord liegt ganz still da. Nur ich bin in Bewegung. Rund um einen der vielen Seitenarme herum. Manchmal fahre ich im Schatten, und dann wieder in der Sonne. Die Straße verläuft nahe zum Wasser. Ich fahre recht flott. Doch richtig warm wird mir nicht. Kein Wunder. Am Abend lese ich Null Grad als niederste Tagestemperatur ab.

 

Der Lyngenfjord ist sehr lange. Ich bin schon gestern an ihm entlanggefahren. Und heute folgt der zweite Teil, auch fast tagesfüllend. Der Blick auf die schneebedeckten Lyngenalps ist fantastisch. „Summit to Sea“, wirbt eine Panorama Lodge am Weg. Und schreibt noch „Sailing & Skiing“ auf den Fahnenbanner. Von Radfahren haben sie nichts angeschrieben. Doch das geht hier auch. Und zwar ziemlich gut. Jedenfalls an so einem sonnigen Tag wie heute. Er setzt die Herbstfarben noch intensiver ins Bild, lässt die weißen Gletscher glitzern. Und mit dieser tollen Kulisse macht es mir mächtig Spaß. Das werde ich auch gleich nach Hause schreiben, dass ich die Lyngenalps gesehen habe. 

 

Die 3 Tunnel auf meiner Route sind für Radfahrer gesperrt. Ich kann sie auf der alten Straße umfahren. Das genieße ich. Einmal geht es auf einen Bergübergang hoch. Ich fahre mittig, und bin dann total überrascht, dass plötzlich doch ein Auto entgegenkommt. Oben am Scheitelpunkt ist ein Wanderparkplatz. Es stehen einige Autos dort. Ja, das geht hier auch, das Wandern. Und die Aussicht wird von weiter oben wohl noch schöner sein als nur am Pass. Denn am Gipfel ist eine 360 Grad Rundumsicht möglich. In der Abfahrt schiebt sich dann schon der nächste Fjord ins Bild, ebenso malerisch wie der davor.

 

Also dieser nördliche Teil von Norwegen zeigt sich wunderbar. Ich mache mittags Stopp. Ich mag mal einen kürzeren Radtag einlegen. Ein Hafenbecken mit bunten Booten lockt an. Ich setze mich auf einen der großen Steine, schaue entspannt dem sonntäglichen Treiben zu. Radfahrer gibt es hier keine, doch Bootsfahrer umso mehr. 

 

14. September 2020

Puh, ziemlich nass heute

Es gibt Regen, und vielleicht auch noch Sonne heute, sagt mir die Frau an der Rezeption beim Verlassen des Hotels. Wahrscheinlich viel Regen. Mir wäre aber Sonne lieber, antworte ich in Erinnerung an den tollen Tag gestern. Die 5 Kilometer bis zum Coop-Geschäft sind jedenfalls trocken. Ich packe die Taschen mit Bananen und Snickers voll. Im Regen geht fast nichts anderes unterwegs zum Essen. Und kaum habe ich alles verstaut und meinen Rhythmus am Rad gefunden, fängt es auch schon an, mit der Ungemütlichkeit. Ich ziehe meine Regensachen an. Über die Schuhe stülpe ich zuerst einen Plastiksack, und dann erst die Neopren-Schuhe. Diese Variante hält meine Füße in etwa eine Stunde länger trocken. Und danach dann anhaltend feucht den ganzen Tag. Kein Vorteil ohne Nachteil. 

 

Im Anstieg auf einen nebeligen Pass hört es auf zu regnen. Mir ist das nur Recht. Ohne Regenkombi fährt es sich aufwärts jedenfalls feiner. Abwärts probiere ich es dann auch noch ohne. Doch schnell wird mir zu kalt. Und über dem Fjord und den umliegenden Bergen hängen dunkle Wolken. Kaum unten angekommen, fängt es wieder kräftig an zu regnen. Ich habe meine Sachen also noch rechtzeitig angezogen. In einer Fischfarm arbeiten mehrere Männer auf einem Boot. Wahrscheinlich tragen sie die Gummisachen nicht nur jetzt des Regens wegen.

 

Als ich den Langfjorden erreiche, klart es endlich auf. Das macht dann richtig Spaß. Flach geht es nahe dem Ufer mit etwas Rückenwind entlang. Die Kilometer purzeln nur so dahin. Hey, das wäre am Vormittag auch fein gewesen.

 

Irgendwann ist dann die Stadt Alta zum Greifen nahe. Doch es geht noch viele Kurven und Buchten dem Fjord entlang. Und einer der Tunnel ist für Radfahrer gar gesperrt. Also fahre ich noch ein paar Kilometer Umweg mehr. Kurz vor meinem Etappenziel zieht dann eine kräftige Regenfront vom Fjord über die Stadt. Der Wetterbericht hat es so angekündigt. Doch wenn ich dem Regen ausweichen hätte wollen, dann wäre ich die letzten 10 Tage nicht zum Radfahren gekommen. So freue ich mich, dass es sich heute ausgegangen ist. Zwar mit kalter Nase und feuchten Füßen, doch immerhin 170 Kilometer weiter nach Norden.

 

15. September 2020

Eine karge Hochebene farbig bunt

Am Morgen schaue ich in Alta bei der Nordlichtkathedrale vorbei. Ein imposanter Bau aus Beton und Titan. Doch die Tür ist abgeschlossen. Ich kann sie nur von außen bewundern. Also fahre ich für einige Kilometer weiter dem Fjord entlang. Danach kommen ein paar lange Kurven, mit denen ich Höhe mache. Ich sehe sogar ein Hinweisschild auf ein Skigebiet. Doch es geht noch weiter hinauf. Irgendwann habe ich dann inmitten der Rot- und Gelbtöne eine weite Hochebene erreicht.

 

Es ist Rentierland. Niedere Birken säumen den Weg. Mit der zwischenzeitlich durchgekommenen Sonne strahlen sie golden. Mittendrin sehe ich immer wieder versteckt kleine Häuser. Sicher Wochenendhäuser. Und irgendwann sind dann auch die Birken weg. Was bleibt ist die große, weite Ebene. Karg, und dennoch bewohnt. Ein paar kleine, einfache Siedlungen. Meist mit Wohnwagen. Manche Gerade scheint fast nie zu enden. Oder es sind nur ein paar kleine Auf und Abs dazwischen.

 

Das Wetter meint es heute gut mit mir. Die Sonne wärmt mir schon am späteren Vormittag fein den Rücken. Ich genieße es, durch diese Landschaft zu rollen. Als ich einmal neugierig den Kilometerstand ablese, bin ich ganz erstaunt. Es waren gar nicht so viele Kilometer wie ich meinte. Die Weite und Eintönigkeit der Landschaft lässt die Zeit nicht so schnell verfliegen wie die Tage davor. Da ging es von einem Fjord zum nächsten. Und immer wieder mit anderen Perspektiven. Heute schaut es über weite Strecken immer gleich aus. Doch vielleicht war ich auch nur etwas müde von gestern. Denn die Landschaft versprüht trotz der Eintönigkeit der Umgebung mit ihren Herbstfarben einen eigenen Reiz.

 

Mittags setze ich mich auf einen mit Flechten überzogenen Stein. Ein paar Heidelbeeren sehe ich auch. Die verkoste ich gleich mit. Doch im Geschmack waren sie nicht sehr intensiv. Dann gab es noch eine Unmenge an schwarzen Beeren. Die hätte ich auch essen können. Es waren Krähenbeeren, und typisch für Lappland, wie meine Abendrecherche auf Google ergab. Und dann habe ich noch gegoogelt, wie weit es denn zum Nordkapp ist. Dabei stand das schon ab Alta immer wieder auf den Straßenschildern angeschrieben. Die letzte Angabe war 127 Kilometer. Schaut also ganz so aus, als ob ich mir das für morgen vornehmen kann.

 

16. September 2020

Erlebnis Nordkapp

In der Nacht hörte ich es noch regnen. Doch am Morgen suchte die Sonne zaghaft mit rötlichem Licht zwischen den Wolken durchzukommen. Es war ein schönes Bild über dem Fjord zum Start. Schnell hatte ich meinen Rhythmus gefunden. Ich fuhr dem Fjord entlang Richtung Norden. Herbstlich gefärbte Bäume, Holzgerüste der Fischer, ein paar Boote, Regenschauer weit entfernt, zunehmende Kargheit der Landschaft, und dann ein erster Tunnel, so zeigte sich mein Weg.

 

Ich blieb stehen, um mein Rücklicht einzuschalten. Zeitgleich hielt auch ein Pickup neben mir. Ob ich mit ihm durch den Tunnel fahren will, fragte mich freundlich ein junger Norweger in Arbeitskleidung. Das wäre sicherer. Sie hätten gerade Schichtbeginn. In diesem alten Tunnel seien daher viele Lastautos unterwegs. Und es läge Schotter auf der Straße. Sie würden einen neuen Tunnel bauen, mit einer Extraspur für Radfahrer. Warten bis der fertig ist? Natürlich nein. Also Fahrrad hinten auf die Ladefläche, und ich als Beifahrer mit durch den rumpeligen dunklen Tunnel. Ein feiner Shuttledienst gleich schon in der Früh.

 

Etwas später kam ich dann zum berühmten Nordkapptunnel. Fast 7 Kilometer lang geht es unter dem Meer durch. Und gleich ziemlich zackig hinunter. 9 Grad sind als Gefälle angeschrieben. Und die gilt es dann auch wieder von minus 212 Meter hochzukurbeln. Die Fahrt war ein ganz spezielles Erlebnis. Guter Belag und Beleuchtung, kein Verkehr, und alles muxmäuschenstill, bis auf meine eigenen Geräusche. Ich probierte ein paar bekannte Namen durch, für das Echo. Das war lustig, sich unterm Meer zu unterhalten. Oder die Namen in die Stille zu rufen und den Widerhall zu hören. Und wenn dann eines der wenigen Autos kam, dann war es ein langsames Anwachsen und Abnehmen des Geräusches. Nicht bedrohlich, gut berechenbar. Doch ich kann mir vorstellen, dass dieser Tunnel in der Hochsaison mit viel Verkehr eher eine Qual denn ein Genuss für Radfahrer ist.

 

Nach der letzten Ortschaft im Norden gab es nochmals eine kräftige Steigung. Ich war bereits etwas müde. Es zog sich scheinbar unendlich weit bis zum Nordkapp. Immer wieder kam mir eine Kuppe dazwischen, oder ein kleiner Landeinschnitt. Oft sah ich, wie die Straße sich an einem Hang weit entlang zog. Doch kaum oben, ging es wieder ähnlich von vorne weiter. Bei der letzten Abbiegung gute 10 Kilometer vor dem Nordkapp holte mich eine Regenfront ein. Sie spielte ein bisschen mit mir. Führte die Straße mehr in östliche Richtung, gab es nur wenige Tropfen. Fuhr ich mehr in westliche Richtung, bekam ich den Regen kräftiger zu spüren. Und Richtung Norden fuhr sie immer mit mir mit, und blieb den letzten Kilometer gar auf meiner Höhe.

 

Stehen bleiben und die Regensachen anziehen wollte ich nicht. Ich wollte nach den 8.100 Kilometern jetzt möglichst schnell zum Nordkapp. Dorthin, wo die Straße im Norden nicht mehr weiterführt. An der Schranke zum Eingang auf das Kappgelände bekam ich gratis mein Besucherticket. Und dann fuhr ich schnell um das Gebäude herum, über den felsigen und schottrigen Weg zum berühmten Wahrzeichen, dem Globus. Ein Foto mit Rad, ein Foto mit mir, und dann ab in das warme Besucherzentrum. Am Morgen habe ich mir das mit Sonne fein vorgestellt. Jetzt ist es im Regen etwas anders geworden. Doch die Freude war jedenfalls groß, das Nordkapp erreicht zu haben.

 

Vielleicht hat mein Smile noch länger angehalten. Denn in der Halle wurde ich wie ein VIP umsorgt, und das wirklich sehr herzlich. Ich konnte mein Rad mit hineinnehmen, bekam einen Tee, einen Hinweis zum bald startenden Film im Untergeschoss, und auch danach die Aufmerksamkeit von Rasa. Sie ist aus Litauen, arbeitet am Empfang, und wohnt in Honnigsvag, der letzten Stadt im Norden. Sie hätten an starken Tagen bis zu 6.000 Besucher hier. Heute war nur starker Regen. Ich zählte eine Handvoll Leute, die sich in dem großen Gebäudekomplex mit mir verloren.

 

In der kurzen Filmdokumentation zum Nordkapp waren auch Szenen über den Winter in Honnigsvag. Ich fragte Rasa, wie es denn für sie im Winter hier oben sei. Sie meinte, schon ein wenig extrem. Doch ihr gefalle das. Vielleicht sei sie deswegen auch nicht ganz normal. Und ergänzte den Satz mit der Frage, wer denn schon normal sei? Radfahrer, die bei diesem Wetter ans Nordkapp fahren, gehören nicht dazu, schob sie lachend nach. Der Globus am Felsen draußen zeigte sich dabei nur schemenhaft im Nebel. Vor den Fenstern spritzte der Regen. Am Dach hörten wir es prasseln. Ja, sie könnte recht haben, mit ihrer launigen Bemerkung, ging es mir durch den Kopf.

 

Ich aß allein im großen Foyer sitzend meine Jause. Dann sprach ich einen Mann mit Rucksack an, der, ähnlich wie ich auf das Aufhören des Regens wartend, etwas rastlos hin und her ging. Es war Paul aus Trondheim in Norwegen. Das Nordkapp war das Ende seiner dreimonatigen Wanderung mit 2.000 Kilometern durch die Berge im Norden. Für die letzte Woche hatte er sich ein Fahrrad ausgeliehen. Sonst wäre es sich zeitlich mit dem Nordkapp nicht ausgegangen. Schon spannend, was die normalen Leute so machen. Und dann tauschten wir uns über unsere Erfahrungen auf Reisen aus. Über nasse Schuhe, die Kunst der Eigenmotivation, das Wahrnehmen von sich selbst oder der Natur, über Familiäres, und dies und das. Wir freuten uns beide miteinander, von Rasa mit Getränken versorgt, uns an einem Regentag am Nordkapp getroffen zu haben.

 

Das Etappenziel Nordkapp hat sich bei mir die letzten Tage ziemlich verfestigt. Ich wollte da fix hin, möglichst schnell. Und ich nahm mit dem Fahren bei Regen auch einige Mühen auf mich. Jetzt, wo ich das Ziel erreicht hatte, löste sich die Spannung. Ich fuhr richtig zufrieden bis nach Honningsvag zurück. Der Nieselregen war mir egal. Der Nebel ebenso. Die kalten Finger, kein Problem. Es war eine tolle Erfahrung hier oben. Und auch viel Glück dabei, so weit gekommen zu sein.