10. September 2021
Verhangener Himmel
Als ich aufwache und nach draußen schaue, ist es noch total dunkel. Da wird mir bewusst, dass ich weit im Westen am Weg bin. Am Rande der Zeitzonengrenze der mitteleuropäischen Zeit. Mehr als eineinhalb Stunden Unterschied sind es beim Sonnenaufgang zu Wien. Doch ich mag lieber am Morgen zeitig los. Da ist auf der Straße meist noch wenig los. Und die Kilometer, die ich am Vormittag nicht mache, fallen mir dann später umso schwerer. Nur heute wird es untertags sicher nicht heiß. Denn der Himmel ist verhangen. Die Berghügel sind mit Wolken und Nebel eingedeckt.
Eigentlich habe ich mir hier im Nordwesten Spaniens noch einen kleinen Abstecher auf eine schmale, nach Norden vorstehende Halbinsel vorgenommen. Doch diese Runde lasse ich jetzt aus. Wenn sowieso nichts zu sehen ist, dann muss ich auch keine Extrakilometer machen. Ich schlage also gleich den Weg Richtung Süden ein.
Wahrscheinlich liegt es auch am Wetter. Die Landschaft mag mir nämlich nicht sehr gefallen. Schmucklos kommt sie mir vor. Und das Grau des Meeres und des Himmels verstärken diesen Eindruck. Da kommt mir etwas Abwechslung gerade recht. Der Duft von frischem Brot liegt in einer Straße. Das zieht an. Eine eher unauffällige Werbetafel ziert den schmalen Türbogen zu einer Bäckerei. Der Verkaufsraum ist nicht sehr groß. Fast könnte man meinen, dass sie direkt aus dem Backofen heraus verkaufen. Ich wähle ein etwas dunkleres Brot. Von der Form ist es einem Baguette ähnlich. Der Duft in der Bäckerei ist verführerisch. Doch später bei der Jause schmeckt es dann gar nicht so speziell. Vielleicht hätte ich doch eines von den helleren nehmen sollen. Bei denen war auch die Auswahl größer.
Je näher ich am Nachmittag zur Hafenstadt A Coruna komme, desto dichter wird der Verkehr auf meiner Straße. Ich weiche dann ein paar Mal auf alternative Strecken aus, und mache ein paar Höhenmeter mehr. Am Abend staune ich, dass es fast 2.000 geworden sind. Dabei bin ich doch nur entlang der Küste gefahren. Nur die vielen Hügel summieren sich. Und heute habe ich die beiden Schalthebel jedenfalls oft betätigt. Volles Menü, oder alles durchprobiert an den unteren Gängen. Und das Mittreten abwärts habe ich mir erspart. Da war ich mit meinem Gepäck so schon schnell genug.
11. September 2021
Am Ende der Welt
Waren es letzten Samstag in Bilbao die Rennradfahrer, die in Scharen aus der Stadt fuhren, so fallen mir heute nach A Coruna die Wanderer auf. In kleinen Gruppen strömen sie Richtung Strand. Oder sind wie ich auf demselben Weg der Küste entlang. Fast alle tragen gelbe oder gelbgrüne Warnwesten. Ich habe dafür mein Rotlicht von Lupine unterm Sattel aktiviert. Die Küste liegt hier am Morgen noch etwas im Schatten der Hügel. Und weil immer wieder Waldstücke dazwischen liegen, wird es schon seinen Grund haben, dass da Westen getragen werden. Doch die tragen sie dann auch noch später, als die Sonne schon hoch am Himmel steht.
Es war ein feiner Tag. Am Morgen zwar noch etwas frisch. Doch dann mit Sonne und dem blauen Himmel erste Sahne. Wie mir auch die morgendliche Routenwahl über kleine Nebenstraßen quer übers Land gefallen hat. Hie und da lag noch etwas Dunst über dem Farn der taunassen Wiesen. In den Wäldern dominierten Eukalyptusbäume. Ihre olivsilbernen Blätter glitzerten vom Wind bewegt in der Sonne. Die Straßen waren etwas holprig, doch dennoch halbwegs gut zu fahren. Es ging kurvig zwischen den Steinmauern der Wieseneinfriedungen dahin. Oder durch enge Gassen, wenn es mal eine Ansiedlung von Häusern gab. Die waren dann auch gleich gebaut wie die Mauern rund um die Wiesen, unverputzt und aus Stein.
Mit dem Morgenlicht oft im Rücken war die Landschaft fein anzuschauen. Hundegebell und Hahnengekrähe wechselten sich ab. Vielleicht verständigten sie sich so, dass ein Radler am Weg ist und in Hausnähe vorbeikommen wird. Eine Situation war lustig anzuschauen: Die Straße führte gerade auf eine mannshohe Steinmauer zu. Dahinter war offensichtlich jemand mit Holzspalten beschäftigt. Doch ich sah nur das Ausholen der Axt über der Mauer, und hörte dann den markanten Ton des Schlages. Immer wieder, oder in gleichem Rhythmus schwang die Axt hoch nach hinten, und verschwand dann wieder hinter der Mauer, um dann von neuem wieder kurz aufzutauchen.
In den Wäldern war hie und da Motorsägenlärm zu hören. Samstags gehen sie hier anscheinend auch ins Holz. Und der Samstag scheint auch ein Trainingstag für die Motorradrennfahrer zu sein. Ich kam entfernt an einem Renngelände vorbei. Dem Ton nach, waren es keine schweren Maschinen. Doch schnell hörten sie sich an. Und der Kurs war möglicherweise mit einigen engen Kurven. So war es ein stetes Auf und Ab der Lautstärke beim Beschleunigen und Bremsen. Na ja, irgendwo müssen sie ja auch trainieren, die jungen Marc Marquez, ging es mir durch den Kopf. Doch ich habe mich da mehr interessiert als die Wanderer, die ich wegen des Renngeländes angesprochen hatte. Die vernahmen wohl auch den Lärm, doch Auskunft über das Drumherum konnten sie mir keine geben.
Am frühen Nachmittag erreichte ich dann Fisterra. Dort gibt es einen Leuchtturm. Und der Ort markiert für die Jakobswegpilger das Ende ihrer Reise, falls sie nicht schon in Santiago de Compostella aufhören. Fisterra steht auch für das Ende der Welt, oder soll es dem Namen nach sein. Schon komisch, dass es ein Ende der Welt geben kann, und scheinbar nirgends einen Anfang. Für meine Tour denke ich, dass ich wohl gerade so mittendrin bin. Etwas weiter nach Süden sollte sich noch ausgehen. Weiter westlich ginge hier nur noch per Schiff. Doch da warte ich noch mit Umsteigen.
12. September 2021
Müde Beine und großer Hunger
Am Vormittag war es fein zum Fahren. Es herrschte sonntägliche Ruhe auf der Küstenstraße. Ich konnte von der Bucht aus den Blick zurück auf das in der Morgensonne liegende Fisterra in Ruhe genießen Nur auf den Bergen war was los. Dort drehten sich viele Windräder. Ich versuchte sie zu zählen, als ich auf die Bergkette zufuhr. Sie waren am langen Grat aufgefädelt. Eines neben dem anderen. Und bei 77 machte die Straße leider eine Kurve und änderte die Richtung. Ich konnte nicht mehr weiterzählen. Eine Bucht weiter hätte ich das Spiel auf der nächsten Bergkette wiederholen können. Auch dort waren wieder unzählige Windräder.
Einmal bin ich am Nachmittag am Rad richtig erschrocken. Eine größere Eidechse huschte vor mir aus dem Gras der Straßenböschung hervor. Sie war auffällig gelbgrün gemustert. Sah fast wie mit Warnweste angezogen aus. Wahrscheinlich hat sie der warme Asphalt angezogen. Zum Glück reagierte sie schneller als ich es hätte tun können. Sie machte wieder kehrt, noch bevor ich die Finger an der Bremse hatte. So schnell sie herausgesprungen ist, so schnell ist sie auch wieder verschwunden.
Gegen Abend hatte ich etwas müde Beine. Oder war ich auch nicht mehr überaus motiviert zum Fahren. Es hatte nämlich eine Zeit lang mehr Verkehr gegeben. Das hatte mir weniger gefallen. Und mit den Einschnitten an der Küste muss ich mich auch erst anfreunden. Man sieht das Ufer an der anderen Seite, und auch die weißen Tupfer der Häuser in den Ortschaften dort. Nur bis man dann dort ist, gilt es noch weit Richtung Landesinneres zu fahren, bis man das Ende der Bucht erreicht hat. Und wenn man die Landzunge oder Auskragung Richtung Meer umfahren hat, fängt es wieder von vorne an. Beim Losfahren am Morgen hatte ich mein Tagesziel an der Küste im Dunst ausmachen können. Doch es hat sich dann ziemlich gezogen, bis ich es erreicht hatte. Dafür schmeckte mir die Tortilla mit Salat ausgezeichnet. Die Bedienung im Strandcafé meinte zuerst, dass ich mit einem von beidem genug hätte. Als sie aber merkte, wie schnell ich die Tortilla weg hatte, brachte sie mir lachend auch den Salat dazu.
13. September 2021
Mehr los auf der Straße
Bei mäßigem Wetter starte ich schon früh los. Die kleine Pension, in der ich gestern noch untergekommen bin, war etwas eigen. Ihre besten Jahre hatte sie sicher schon viele Jahre zurück mal gehabt. Der Eingangsraum war Rezeption, Wohnzimmer, Bar und Garage in einem. Eine superschnelle schwarze Kawasaki hatte da auch ihren Platz. Gleich daneben durfte ich meinen Flitzer abstellen. Am Morgen genügte eine kleine Leselampe beim Auschecken. Wahrscheinlich wollten sie mir das Gramure dahinter nicht zeigen, oder selber sehen. Doch mein Zimmer war aufgeräumt und sauber. Und freundlich waren sie ebenfalls. Mir hat es gepasst, wie auch der Ausblick auf den Hafen und auf die andere Seite der Bucht.
Als Frühstück mussten heute 3 Müsliriegel und ein halber Liter Aquarius, ein Erfrischungsgetränk mit Magnesium, genügen. Das gab es bei einer Tankstelle. Dort konnte ich auch erfahren, dass schon mal einer zugekehrt war, der von Spanien bis zum Nordkap gefahren ist. Der Tankwart erzählte es mit so viel Stolz, dass ich ihm von meinem Routenbuch nicht erzählen wollte. Denn meine Tour bis hierher hatte ihm ohnedies auch schon imponiert. Er selber habe mal Spanien durchquert, bis nach Valencia. Das hätte auch viele Kilometer und einige Höhenmeter ergeben. Mir hat dieses Frühstücksgespräch gefallen. Ich konnte mit vollem Mund reden, denn der Austausch erfolgte mit Handzeichen, Gesten, und ein paar Brocken spanischem Englisch. Oft genügte einfach hie und da ein Kopfnicken, und sein Redefluss hielt an, bis dann ein Auto vorfuhr. Dann war der Mann beschäftigt. Denn Selbstbedienung gibt es hier beim Tanken nicht.
Auf der Straße war mir fast zu viel los. Meine Route führte durch viele Küstenorte. Und dazwischen waren auch immer Häuser entlang der Straße. Da heißt es mehr aufpassen. Es war etwas mühsamer zum Fahren als auf Nebenstraßen in kaum besiedeltem Gebiet. Dafür konnte ich heute Weinbau bestaunen. Die Reben haben sie jedoch anders angebaut als gewohnt. Kein Spalier. Nein. Die Rebstöcke bildeten mit ihren Trieben und Blättern Dächer oder Lauben. Sie waren weit auseinander gesetzt, und rankten an waagrechten Drahtgerüsten in knapp 2 Meter Höhe. Dazu waren Metalldrähte oder Gitter auf dicken Steinsäulen abgespannt. Darunter war feiner Schatten. Mittags fast einladend zum Hinflacken für ein Nickerchen.
Mitten in den großen Buchten waren viele Holzplattformen zu sehen. Bei einem Aussichtspunkt war ihr Zweck auf einer Hinweistafel beschrieben. Sie dienen den Fischern zur Muschel- und Austernzucht. Bei einer Plattform hatte ein Boot mit Kran angelegt. Wahrscheinlich werden damit die Behelfsmittel für die Aufzucht gewartet.
Weiter draußen bewachte ein kleinerer Militärkreuzer die Einfahrt der Bucht. Mir kam es jedenfalls so vor, weil das Schiff den Standort kaum veränderte, und eher nur hin und her fuhr. Als ich auf der anderen Seite der Bucht war, kam ich bei einer Marinestation des Militärs vorbei. Das weiß gestrichene Gebäude beeindruckte mit dem schmiedeeisernen Zaun und dem gepflegten grünen Rasen und einem großen Tor. Fast wollte ich die Einfahrt bei der Wache ausprobieren. Doch ich habe mir diesen Spaß dann doch nicht erlaubt, und meinen Schwung für die zweite Ausfahrt beim Kreisverkehr genutzt.
14. September 2021
Ein genialer Küstenstreifen
Der Wetterbericht hatte für den heutigen Tag Regen angekündigt. Doch zum Start am Morgen war der Himmel kitschig blau. Das freute mich. Ich fuhr die Gran Via hoch. Dort wo ich gestern in der Mitte noch zu Fuß bequem auf einem Förderband fahren konnte. Für Fußgänger wurde in der Straßenmitte eine lange Oase geschaffen. Mit Glas überdacht, Pflanzengrün als Wände, Wasserspiele, Sitzgelegenheiten, und ein Förderband. Bei den Querstraßen ist es unterbrochen, doch sonst kommt man ohne große Mühe den Hügel hoch. Links und rechts brausen die Autos vorbei. Oder stauen sich durch die Stadt. Fahrradfahrer sind keine zu sehen. Dafür viele E-Scooter. Ist sicher bequemer, sich so in der Stadt mit den vielen Hügeln zu bewegen.
Am Morgen waren nicht viel weniger Autos unterwegs als am Abend. Und ich mittendrin. Nach einem längeren Anstieg konnte ich bei der Abfahrt aus der Stadt hinaus mit den Autos durchaus mithalten. Nur die vielen Kreisverkehre waren etwas kritisch, oder brauchten Mut, sie in vollem Schwung zu nehmen.
Bei einer Ampel unterhielt ein junger Jongleur auf dem Zebrastreifen mit ein paar Bällen die wartenden Autofahrer. Kurz bevor diese dann anfuhren, lief er schnell die ersten Autos ab. Bei einem bekam er etwas zugesteckt. Von mir erhielt er ein freundliches Zuwinken. Ich musste schauen, dass ich auf der Mittelspur möglichst schnell wieder Fahrt aufnehmen konnte.
Später kam ich am Fußballstadion von Celta Vigo vorbei. Da wird gerade umgebaut. Eine neue Osttribüne mit tollem Dach wird es geben, war auf einer riesengroßen Tafel zu bestaunen. Vielleicht gewinnen sie dann, wenn sie zu Hause spielen. Denn an diesem Wochenende hatten sie auswärts gegen Real Madrid noch verloren. Ja, dem Fußball kann man sich in Spanien nicht entziehen. Da bekommt man einiges nebenbei so mit.
Doch mehr als für Fußball interessierte ich mich heute für die Küste. Da war der Vormittag ein absoluter Hammer. Die Straße hatte einen breiten Seitenstreifen. Hie und da machte dieser einen weiten Bogen näher zum Meer hin. Das war dann spektakulär. Ich kam kaum vorwärts, so oft musste ich stehen bleiben zum Schauen und Staunen. Das Meer ließ es nämlich kräftig klatschen und spritzen. Das war nicht nur fein anzusehen, mit der weißen Gischt als Kontrast zum Blau, sondern auch im Ton imponierend anzuhören. Mir hat es gefallen, zu warten, bis sich eine große Welle aufgebaut hat, und dann ihren Weg ans Ufer zu verfolgen. Und mich dabei am Klatschen und Spritzen erfreuen. Und wenn sie nicht ganz groß war, dann gab es noch eine nächste, und eine weitere, und dann kam ganz sicher wieder eine ganz Große. Ja, man muss auf die Kleinen wie die Großen warten können. Denn sie gehören wohl alle irgendwie zusammen.
Oder ich warf einen Blick auf das angenehme Grün und die vielen Steinmauern im Küstenstreifen. Dort waren Wanderer unterwegs. Jakobspilger mit Rucksack unterwegs nach Santiago. Und wenn sie den Seitenstreifen der Straße mit mir teilten, so teilten wir auch das Strahlen und die gute Laune. Es hatte den Anschein, als ob nicht nur ich an dem Küstenstreifen Gefallen fand.
Bei der kurzen Überfahrt über einen Fluss und die Grenze nach Portugal war ich allein auf der Fähre. Einziger Passagier, das gibt es sicher selten. Ich brachte daher in aller Ruhe mein Fahrrad auf der freien Fläche für ein Foto in Pose. Es schaute gut aus. Mindestens so lässig wie der Fährenmitarbeiter, der mein Ticket kontrollierte. Etwas Gel im Haar und die eine Hand in der Hosentasche der Jeans. Das Werfen des Taus beim Anlegen hatte er auch gut drauf, aber dies machte er beidhändig.
Nach dem Verlassen der Fähre checkte ich die Uhrzeit. Jawohl, eine Stunde mehr Radfahren heute. Denn Portugal hat am Festland die Westeuropäische Zeit. Ich denke, das passt jetzt wieder besser mit der Helligkeit am Morgen zum Radfahren.
15. September 2021
Kopfsteinpflaster und viel Verkehr
Zu einem lieb gewonnenen Ritual am Morgen ist zwischenzeitlich das Anziehen der Radschuhe geworden. Sie sind zwar schon etwas verschlissen, doch den Dienst tun sie noch immer. Es sind Schuhe von Sidi. Im Zehenbereich haben sie Klettverschlüsse. Die lasse ich immer unverändert. Über den Rist führt eine Schnalle zum Einrasten. Es ist dieses Ratschengeräusch das ich so gerne höre. Und das gleich zwei Mal. Und zum Feinjustieren drücke ich nochmals leicht nach. Dann klickt es nochmals ganz kurz, und ich bin parat zum Aufbruch.
Es gibt noch ein weiteres Geräusch, das mir gefällt. Es ist das metallene Geräusch der Klickpedale beim Aufsteigen. Es vermittelt ein Gefühl der Sicherheit, wenn die Schuhe durch die Pedale fixiert werden. Und das laute Klicken von Metall auf Metall beim Einrasten gefällt mir. Es ist wie ein Signal, dass es jetzt los geht. Es erinnert mich hie und da ans Skitouren. Dort ist es das Einrasten der Schuhe in die Bindung, das ein ähnliches Geräusch abgibt.
Doch heute dominerten ganz andere Geräusche. Es waren Motorengeräusche. Autos und Lastwagen, die mich überholten, mit und ohne großen Abstand. Ich war unterwegs nach Porto. Je näher ich zur Stadt kam, desto stärker wurde der Verkehr. Ein paar Mal versuchte ich es über Nebenstraßen. Doch es blieb beim Versuch. Ich kehrte jedes Mal wieder auf die Hauptstraße zurück. Denn die Nebenstraßen waren alle aus Kopfsteinpflaster. Unfahrbar, wenn man vorwärtskommen will. Also blieb mir nur die Hauptstraße. Die vielen Auffahrten auf die Autobahn ließ ich alle aus. Dort wäre wenigstens ein breiter Seitenstreifen gewesen. Den gab es auf der Hauptstraße nicht. Oder es war dort nur ein gepflasterter, abschüssiger Graben.
Die Anfahrt nach Porto war eine ziemliche Herausforderung. In der Stadt selbst ging es etwas besser. Dort waren zwar noch mehr Autos unterwegs, doch sie stauten eher als dass sie fahren konnten. Und so war ich immer auf der Überholspur, oder fuhr mehr oder weniger auf der Gegenfahrbahn, oder zwischen den stehenden Autos durch. Bei einigen Ampeln gab es vorne sogar einen markierten Platz für Fahrräder, damit die als erste losfahren können. Den Platz hatte ich immer für mich allein. Denn andere Radfahrer sah ich keine. Durch Zufall habe ich dann eine hohe Brücke über den Duoro gefunden. Sie ist für die Straßenbahn reserviert, und seitlich mit einem schmalen Steg auch für Fußgänger. Da hatte ich dann sogar eine gute Aussicht auf die Stadt. Entlang der Straßenbahn, die gerade durch die Stadt zu führen scheint, kam ich dann auch fast komfortabel aus ihr heraus. Nur richtig gefallen wolle mir der weitere Weg dennoch nicht. Es war einfach zu viel los. Und auf die Kopfsteinpflasterstraßen ausweichen wollte ich auch nicht.
Mittags machte ich am Strand Pause. Das war eine gute Wahl. Zwischenzeitlich kam die Sonne durch, und am Sandstrand gab es kräftige Wellen mit viel Gischt. Das intensive Blau des Himmels und des Meeres war betörend schön. Mit dem hellen Sandstrand, der weißen Gischt, und dem Tosen der Wellen schmeckte mir meine Jause ausgezeichnet.
Ein paar Schwimmer wagten sich nach draußen. Sie mussten einige Male abtauchen, bis sie es aus der Strandzone hinaus geschafft hatten, wo die Wellen nicht mehr so hoch waren. Mir hat das rhythmische Tosen der Wellen gefallen. Jedoch auch die kurze Stille dazwischen. Das war wie ein Zeichen, als ob sich das Meer still sammeln würde, um dann mit neuem Anlauf kräftig anzubrausen.
Der mittägliche Zwischenstopp hat jedenfalls gutgetan. Danach stieg ich wieder motiviert aufs Rad. Zum Glück schloss unmittelbar danach eine Naturschutzzone an. Dort kam ich auf einem Holzsteg weiter, und fand dann auch einige Routenabschnitte nahe zum Meer, auf denen es halbwegs erträglich war zum Fahren. Denn der Vormittag mit Porto hatte merklich gefordert.
16. September 2021
Ein guter Tag
Am Abend bilanzierte ich die Streckenverhältnisse heute ganz anders als ich es noch am Morgen kurz nach dem Start getan hatte. Die von mir gewählte Straße war am Anfang recht einladend. Doch nach ein paar Kilometern änderte sich dies schlagartig. Der Belag war ruppig, und eigentlich oft nur am Rand fahrbar. Ich ärgerte mich zuerst, dass ich diese Route gewählt hatte. Doch abzweigen ging nicht mehr. Also fuhr ich so gut es ging einfach weiter, manchmal von Schlagloch zu Schlagloch holpernd. Und das durch eine Gegend, die mir ganz eigen vorkam. Es gab nur niederes Gebüsch, so als ob alles andere abgeholzt worden wäre.
Nach einiger Zeit kam ich an einem hohen Rohrgerüstturm mit einer Aussichtsplattform vorbei. Weil oben ein Mann zu erkennen war, stieg ich zu ihm hoch. Ich wollte ihn um ein Foto aus der Vogelperspektive bitten. Dabei stellte sich heraus, dass es ein Feuerwachturm war, und der Mann hier seinem Job nachging. Zumindest im Sommer. Denn im Winter arbeitet er in der Schweiz bei einem Skilift. Es sei eine gute Kombination, Berge mit Schnee und Meer mit Strand. Da konnte ich ihm nur beipflichten. Und dann konnte ich noch erfahren, dass hier vor ein paar Jahren alles abgebrannt sei. Deshalb sei auch die Straße in einem solch schlechten Zustand.
Als ich dann zu einer Ortschaft kam, waren es fast 30 Kilometer durch eine zerstörte Landschaft. Zum Teil standen die verkohlten Bäume noch. Oder sie waren am Straßenrand in großen Haufen gelagert. In einer Senke wurde so ein Haufen gerade geschreddert. Ein Lastwagenzug stand für die Hackschnitzel bereit. Anderswo war Motorsägenlärm zu hören. Da war dann auch Langholz zu kleinen Haufen geschlichtet. Später las ich auf einer Hinweistafel, dass die Europäische Union die Rekultivierung unterstützt.
Irgendwann habe ich auf dieser Teilstrecke noch einen Wanderer eingeholt. Es war Georg aus Stuttgart. Ein junger Banker und Bitcoinfan auf Auszeit, und mit beruflicher Portugalerfahrung dazu. Ich kam mit ihm ins Gespräch. Die Straße ließ ohnedies kein viel schnelleres Fahren zu. Es war spannend zu erfahren, was ihn so antreibt, und mit welcher Ausrüstung er am Weg ist. Doch so im Nebeneinander den Weg zurücklegend meinte er, dass Fahrradfahren vielleicht auch eine Alternative für ihn sein könnte. Denn während er merklich zu kämpfen hatte, saß ich in seinen Augen ganz entspannt auf dem Rad. Und das war es bei diesem Tempo für mich auch wirklich.
Wie als Entschädigung für die schlechte Straße am Vormittag fand ich für den Nachmittag dann richtig tolle Bedingungen vor. Ich hatte meine geplante Route verlassen und bin aufs Geratewohl weitergefahren. Der Grund war, dass ich zuerst lang einem Kanal entlang fahren musste bis ich eine Brücke fand. Da wollte ich auf der anderen Kanalseite nicht nochmals dieselbe Strecke Richtung Küste zurücklegen. So bin ich von kleinem Ort zu kleinem Ort mehr im Landesinneren gekommen, und das auf ganz ungewohnt guten Straßen. Etwas Auf und Ab war dabei, viel Eukalyptuswald, wenig Verkehr, kaum Wind, weite Aussicht, und gute Stimmung bei mir. Das ursprünglich geplante Etappenziel habe ich mit diesem Abstecher zwar nicht erreicht. Doch einfach Absteigen wenn die Lust dazu da ist, ist ja auch was Schönes. Und eigentlich auch ein Ziel für jeden Tag.
17. September 2021
Villengegend ohne Leute
Mit morgendlichem Schwung düse ich Richtung Küste. Am Weg dorthin komme ich wieder durch ein ehemaliges Waldbrandgebiet. Es scheint noch größer zu sein als das von gestern. Erst kurz vor dem Meer gibt es wieder Kiefern als schmalen Waldgürtel. Durch diesen ist es auf guter Straße fein zum Fahren. Ich freue mich, denn schon bald sollte ich auf die großen Wellen von Nazaré stoßen. Doch die schienen noch zu schlafen, wie es wohl auch die Surfer noch taten. Am Strand herrschte vormittägliche Ruhe. Es war fast nichts los. Nur die vielen Restaurants und Krimskramsläden deuteten an, dass es hier in der Hauptsaison sicher anders zugehen wird.
Der Streckenteil danach war erste Sahne. Ich gelangte auf einen Höhenkamm Richtung Süden. Von oben hatte ich einen weiten Blick voraus, und einen feinen Blick auf das türkise Meer rechts unter mir. Bei leicht kühlendem Wind genoss ich die Aussicht und die Sonne, und dazu die intensiven Farben.
Mittags mache ich in einem kleinen Städtchen Rast. In einem Mini-Supermercado im Tante Emma-Stil fand ich Brot und Käse, und als Nachtisch Obst. Halb im Schatten eines Gebäudes und halb in der Sonne ließ ich mir mein Picknick auf einer steinernen Bank schmecken. Es war ein mit einer weißen Mauer abgeschlossener Platz über dem Hafen. So eine Jause gefällt mir. Einfach dasitzen und schauen. Etwas essen. Ausruhen. Südliches Ambiente spüren mit dem Meer, den bunten Booten, den weißen Häusern, den roten Ziegeldächern, den gepflasterten engen Gassen und den steilen Stiegen. Hie und da musste ich einen Gruß erwidern, wenn jemand über den Platz ging. Den Plastiktaschen nach, waren sie auch in meinem Supermercado einkaufen.
Am Nachmittag bin ich sicher mehr als 2 Stunden lang durch eine Villengegend gefahren. Schmucke, gepflegte Häuser mit Blick aufs Meer, und dennoch alles verschlossen. Überall Rollläden zu. Keine Autos vor den Garagen, keine Kinder auf dem Rasengrün, keine Läden, keine Bars, keine Restaurants, kein Hundebellen, keine Gemüseäcker, keine Abfallcontainer. Außer ein paar Arbeitern, Gärtnern oder vielleicht auch Hausmeistern war niemand zu sehen. Nur auf dem Golfplatz huschten ein paar Leute rum. Ich fand es verstörend.
Irgendwann gelangte ich zu einer Einfriedungsmauer, die entlang der Straße nicht enden wollte. Eineinhalb Meter hoch, mit weißen, großformatigen Steinplatten beplankt, zog sie sich endlos dahin. Sie machte jede Straßenkurve und Steigung mit. Hotelvillas war mal bei einem bewachten Tor angeschrieben, und irgendein Resortname dazu. Auf der Karte sah ich dann, dass es ein riesengroßes Areal war. Auch wenn alles fein herausgeputzt und sauber war, gefallen tut mir ein belebtes Portugal eindeutig mehr.
18. September 2021
Monsterwellen und traumhafte Küste
Beim Auschecken reckt der junge Portugiese von der Rezeption den Daumen hoch und sagt, dass ich ein schönes Rad fahre. Doch als ich ihn frage, ob er auch ein Rennradler sei, schüttelt er den Kopf. Er sei ein Surfer. Eh klar, hier am Meer, da gibt’s halt andere Schwerpunkte. Daraufhin frage ich ihn nach den großen Wellen von Nazaré, von denen sich gestern keine zeigen wollte. Das sei saisonbedingt, meint er. Große Wellen könne es immer wieder geben. Doch die richtige Surfsaison sei hier eher im Winter. Mit leuchtenden Augen ergänzt er, dass es da richtige Monsterwellen gebe. Er würde sich sowas nie surfen trauen. Doch ich müsse mir unbedingt die Videos auf Youtube ansehen. Wellen wie mehrstöckige Häuser hoch, und irgendwo oben drauf der Mensch winzig klein. Das sei gigantisch. Ok, antworte ich augenzwinkernd, dann komme ich mit dem Rad im Winter nochmals her. Denn es sei an der Küste auch so fein zum Radeln.
Und das war es dann auch wirklich den ganzen Tag. Es hat mir heute sehr gefallen. Es war etwas mehr Wind. Auf den Anhöhen und nah zum Meer gar etwas frisch. Doch mit der Sonne richtig fein. Und dazu eine Bucht um die andere, mit viel Gischt und tollem Blau. Die Buchten brachten auch ein Auf und Ab der Straße mit sich. Am Vormittag war ich zudem etwas querfeldein am Weg. Kleine Orte, viele Gemüsebauern, Gewächshäuser hie und da, und auch Weinanbau. Zum Teil waren die Trauben schon gelesen. Oder die Ernte war gerade im Gang. Doch es waren eher kleine Weingärten. Ein paar Mal wollte ich auch kosten. Doch gerade dann kam es mir vor, als ob die prallen blauen Trauben einen milchigen Belag haben, und noch Reste eines Spritzmittels zeigen. Später im Supermercado beim Einkaufen war dieser dann weg. Gekauft habe ich sie dennoch nicht. Es waren ja sicher auch Trauben von woanders her.
Irgendwann erreichte ich dann Cascais, und querte Richtung Lissabon rüber. Hey, da war was los, im Ort und am Strand. Angenehme Stimmung und gut gelaunte Leute. Sommerfeeling pur. Und ich nach dem Tag auch gut drauf.
19. September 2021
Zufrieden mit dem Tag
In Lissabon ist am Morgen noch nicht viel los. An der langen Uferpromenade sind ein paar Jogger unterwegs. Nur am Kai, an dem die Fährschiffe ans gegenüberliegende Casilhas anlegen, feiert eine größere Clique noch immer bei lauter Hip-Hop Musik. Wahrscheinlich durchgemacht. Oder erst spät angefangen.
Ich fahre weiter Richtung Castelo de São Jorge. Da müsse man unbedingt hin, habe ich über Lissabon nachgelesen. Es liegt etwas erhöht auf einem der vielen Hügel. Die Straßenbahnschienen sind etwas heikel zum Fahren oder Queren. Und das grobe Kopfsteinpflaster im Anstieg natürlich auch. Doch mit der erwarteten schönen Aussicht von der Festungsanlage auf die Stadt wird dann dennoch nichts. Ich bin viel zu früh dran, und hätte warten müssen. Also streiche ich auch diese Sehenswürdigkeit von meiner Liste. Nur Radfahren lasse ich stehen. Und das gehe ich dann auch gleich an. Mit der Fähre überquere ich den Rio Tejo, und schon geht’s weiter.
Doch kaum durchgestartet, muss ich auch gleich wieder einen Stopp einlegen. Bei einer Ampel stehen Polizisten. Dann kommen weitere mit Motorrädern langsam aus einer Seitengasse heraus. Und hintennach in gemütlichem Tempo ein Korso von Fahrradfahrern in Gänsereihe. Den Fahrrädern nach waren es alle wohl nur Gelegenheitsradler. Doch es waren viele davon.
Waren sie am Anfang noch flott hinter dem Polizeischutz geradelt, dünnte sich die Reihe dann immer mehr aus. Die Abstände nahmen zu, dennoch war die Straße weiter gesperrt. Und irgendwann kam dann vor dem Besenwagen mit Blaulicht noch eine Familie mit einem Kind daher. Der kleine Bub mit schwarzem Helm war sichtlich bemüht. Er strampelte fast um die Wette. Doch mit dem Minifahrrad ließ sich nicht mehr machen. Er tat mir grad ein bisschen leid. Keine Ahnung, wie weit er es dann noch geschafft hat. Oder ab wann ihn die Polizisten auf dem Motorrad mitfahren ließen. Die Straße war danach jedenfalls wieder frei. Frei für mich, und die aufgestaute Autokolonne.
Für ein paar Stunden danach hat es mir dann nur mäßig gefallen. Es ging durch irgendwelche Vorortsiedlungen. Und es war recht heiß. Erst nach einem längeren Anstieg auf einer staubigen Straße auf einen Höhenkamm konnte ich die frische Brise vom Meer her genießen. Und die Abfahrt hinunter auch. Da hat es mir dann wieder sehr gefallen. Der Blick auf das Blau und das Türkis des Wassers, die Boote, die Aussicht, das war klasse.
Und nach einer weiteren Fährübersetzung hatte ich gar ein wenig Rückenwind. Damit machte ich ordentlich Kilometer auf der geraden Straße. Sie zog sich für mich fast endlos durch ein Schutzgebiet und ausgedünnten Kiefernwald. Am Abend las ich dann, dass der Sieger im heutigen Zeitfahren bei der Radweltmeisterschaft einen Stundenschnitt von 54 Kilometern erreichte. Das ist sich bei mir bei weitem nicht ausgegangen. Ich habe nicht mal die Hälfte erreicht, und war dennoch mit dem Tag zufrieden.
20. September 2021
Morgenmeditation
Es ist heute wieder ein schöner Morgen. Der Himmel zartblau, die Sonne noch tief, die Temperatur schon angenehm, die Straße flach, der Belag gut, das Meer rechts, der Wind still, der Verkehr woanders. So lässt es sich bolzen. Wenn ich nach einigen Metern mal Schwung aufgenommen habe, und meine Position am Rad gefunden habe, dann ist es bei solchen Verhältnissen wie eine Morgenmeditation. Das Geräusch der Räder hörend lasse ich Gedanken kommen und gehen, bleibe nicht an ihnen hängen. Vielleicht sinne ich hie und da kurz etwas nach, doch das Kurbeln beflügelt las Loslassen. Leben pur, fällt mir ein, im Hier und Jetzt.
Jedenfalls ein feiner Morgen. Doch mit dem Vormittag kommen auch andere Verhältnisse. Die Meeresnähe muss ich mir immer wieder mit ein paar Schotter- oder Sandpisten als Verbindungsstraßen erkaufen. Heute habe ich es weniger gut getroffen. Die Schotterstraßen sind leider wellblechmäßig, und die Sandpisten oft tief. Entweder rumpelt es kräftig, oder ich schwimme durch den Sand. Dennoch passt es mir, denn sonst hätte ich die vielen kleinen Buchten nicht gesehen, und das Rauschen der Wellen nicht gehört, ganz nah.
Je weiter ich nach Süden kam, desto dichter wurden die Anbauflächen mit Foliengewächshäusern. Gemüsering Portugal war auf einem Schild zu lesen. Auf vielen anderen war immer wieder das Symbol von Beeren. Die Foliendächer glitzerten etwas in der Sonne. Eigentlich ein schöner Anblick, dachte ich mir. Von hier kommen also die Himbeeren und Erdbeeren her, wenn zu Hause Portugal auf der Verpackung steht.
Bei einer Gärtnerei habe ich kurz angehalten. Dort waren einige Frauen und Männer unter einem Zeltdach gerade mit dem Herrichten und Verpacken von Blumen beschäftigt. Am Feld faszinierten mich die bunten hohen Blumenreihen, die wie Sträucher wuchsen. Ich habe sie sonst noch nie gesehen. Also fragte ich nach. Es waren Aloen, aus denen Bouquets gemacht werden, ließ ich mir erklären. Und die angebaute Sorte hieß Safari.
Später hätte ich gerne nochmals nachgefragt. Auf einem Feld standen viele Säcke, und auch einige kleinere Holzkisten. Die Kartoffelernte war gerade im Gang. Oder vielmehr lagen große, längliche Kartoffeln mit roter Schale zum Trocknen am Boden und wurden gerade eingesammelt. Den Sortennamen hätte ich gerne gewusst. Doch der Weg zu den Arbeitern durch das sandigerdene Feld war mir mit meinen Schuhen dann doch zu weit. Also beließ ich es bei einem Foto. Vielleicht recherchiere ich das irgendwann mal nach.
Ja, und dann gab es noch diese kleinen, feinen Buchten. Richtig tolle. Mit Sandstrand und gut aufgelegtem Meer, das kräftig anrollte. Nur war das Hinunterfahren zu den Buchten und wieder Hochfahren aus ihnen heraus ziemlich mühsam, weil steil. Doch noch mehr störten die Betongittersteine, mit denen die Straße in den Steilstücken belegt war. Schieben war mir da einmal als Notlösung eingefallen, um überhaupt hochzukommen.
21. September 2021
Ein Hirtengruß
Beim Blick aus dem Fenster am Morgen sehe ich weiße Häuser. Viele mit Flachdach, einige mit blassroten Ziegeln gedeckt. Dazu ein im Werden begriffener blauer Himmel dahinter. Dieses Weiß passt zu dieser Landschaft und zu diesem Klima, denke ich mir. Total stimmig kommt es mir vor. Und das nicht nur jetzt am Morgen.
Weniger stimmig empfinde ich die Schotterpiste, die mir mein Navi gleich am Beginn schon vorschlägt. Ich mache ein paar Kilometer mit. Doch bei der ersten sich anbietenden Abzweigemöglichkeit wechsle ich auf die Hauptstraße zurück. Dort passt es mir weitaus besser.
Nach einer Ortschaft sehe ich einen Mann mit Baskenmütze und langem Stock. Er hütet eine kleine Viehherde. Kühe mit Hörnern. Ihr Fell glänzt in der Sonne goldbraun. Auf der kargen braunen Wiese wirkt ihre Fellfarbe nochmals intensiver. Ich bleibe kurz stehen, und grüße den Mann mit „Bom dia“. Das habe ich zwischenzeitlich so schon gelernt. Er scheint es verstanden zu haben, und grüßt zurück. Doch das was ich höre, klingt wie „Hüa“, und erinnert mich an die Hirten beim Treiben der Kühe zu Hause. Oder an einen Kutscher beim Lenken der Pferde. Na ja, vielleicht wollte der Mann auch nur mich ganz freundlich antreiben, dass ich vorwärtskomme, auf meinem Weg Richtung Süden.
Gegen Mittag erreiche ich die Steilküste an der südwestlichen Spitze des europäischen Festlandes. Da war ich doch gerade erst in Spanien am Ende der Welt, und jetzt habe ich schon wieder eines erreicht. Cabo de São Vicente nennt sich der Ort mit dem weißroten Leuchtturm. Am Fuß der Felsen brandet das Meer an, oben tummeln sich die Touristen, und schauen dem Schauspiel zu. Doch allzu viele sind es nicht. Lustig fand ich, dass bei diesem Kap auf Google-Maps ein Würstelstand ausgewiesen ist. Und ich sah dann tatsächlich die Bude. „Letzte Bratwurst vor Amerika“ nennt sie sich.
Am Weg über Lagos nach Portimão komme ich am späten Nachmittag wieder bei einer kleinen Viehherde vorbei. Der Mann mit Stock, der neben der Straße die Kühe hütet, schaut genau gleich aus wie der Hirt am Vormittag. Baskenmütze, hellblaue leicht ausgebleichte Hose, weißgraues Hemd, mannshoher dicker Stock. Ich erschrecke fast ein wenig. Doch ich bin mir sicher, dass ich trotz der Hitze nicht im Kreis gefahren bin. Und dass er mit seinen Kühen die 100 Kilometer weidend geschafft hat, hielt ich für ausgeschlossen. Ein „Bom dia“ kommt mir vor lauter Überraschung leider nicht über die Lippen. Doch die Antwort wäre sicher ein „Hüa“ gewesen, da bin ich mir sicher, auch wenn der Mann ein anderer war.