12. August 2022
Ein erster Tag in Montana
Mit Sonne und blauem Himmel starte ich gut gelaunt in den Tag. Ich finde gleich eine Nebenstraße, die mir gefällt. Durch eher niederes Gehölz geht es leicht kupiert, kurvig, ohne Verkehr, und weit vom Schuss dahin. Schafe blöken. Hie und da eine Pferdekoppel. Hirschkühe, die im Wald nach mir Ausschau halten. Fein, denke ich mir, so könnte es bleiben.
In einem kleinen Ort entdecke ich am frühen Vormittag ein verschlafen wirkendes Café. Das Gebäude schaut nach einer ehemaligen kleinen Werkstatthalle aus. Es zieht an. Drinnen ist es durchaus herzeigbar. Mit Geschmack so gestaltet, dass man gerne bleiben mag. Die Bedienung ist überaus freundlich. Sie meint, dass ich mit meinem Stopp hier eine gute Wahl getroffen hätte.
Rührei mit Kartoffeln, aber ohne Speck, lautet meine Bestellung. Dazu einen Kirschkuchen, den sie mir mit Vanille-Eis empfehlen. Ich freue mich auf das Essen. Dass sie mir dann dennoch Speck servieren, ärgert mich für einen kurzen Augenblick. Doch schnell finde ich wieder meine Ruhe, und sehe darüber hinweg. So was kann ja passieren, im Trubel eines Ladens, in dem ich der einzige Gast bin. Montana tickt vielleicht ein wenig anders. Mal schauen, wie das die nächsten Tage wird.
Für den frühen Nachmittag hatte ich in der nächsten Stadt eine Pause geplant. Ich wollte nochmals einkehren und etwas essen. Doch ich wähle gleich die erste Brücke über die Bahnlinie. Und bis ich es gecheckt hatte, war ich schon wieder aus der Stadt draußen. Also fahre ich weiter. Irgendwann kommt mir ein Radfahrer entgegen. Er schaut mit seiner Kopfbedeckung etwas lustig aus. Denn unter den Helm hatte er ein blaues Frotteetuch gesteckt. Es flattert seitlich über die Ohren und im Nacken. Wir winken einander kurz zu, und fahren weiter.
Doch nicht allzu lange später holt mich der Frotteetuchträger ein. Er hat umgedreht und zu mir aufgeschlossen. Neugierig erkundigt er sich nach meiner Route, und was ich heute so vorhabe. Er selbst stellt sich als Radler aus der Gegend hier vor. Dann erzählt er mir, aus welchen Ländern er dieses Jahr schon Leute getroffen hat. Es ist eine reichhaltige Sammlung. Österreicher bin ich jedoch der Einzige. Mit seiner Hilfe finde ich einen Lebensmittelladen nahe zu meiner Route. Er ist riesengroß, sodass ich fast besser mit dem Fahrrad drinnen meinen Einkauf hätte machen sollen. Und dann begleitet mich Ron weiter Richtung Glacier Nationalpark. Ich meinte, dass ihm heute etwas langweilig war, und ich für ihn gerade zur rechten Zeit aufgetaucht bin. Doch der Kontakt ist angenehm.
Vor dem Nationalparkeingang kennt Ron einen Schleichweg. Über einen Bikepfad fahren wir durch die Hintertür rein. Obwohl ein Gewitter rumzieht und ein paar schwere Tropfen fallen, fährt er weiter mit mir mit. Er begleitet mich sogar bis zum Zeltplatz. Für ihn wird es bis zum Heimkommen wohl dunkel werden. Doch mit seiner Unterstützung bin ich heute weiter gekommen als gedacht. Und dass ich morgen für den Logan-Pass wegen temporärer Straßensperren für Radfahrer sehr früh losfahren muss, habe ich so auch noch rechtzeitig erfahren. Ein etwas auffälliger, schrulliger Typ, doch ungemein herzlich und hilfsbereit. Toll, dass er mir nachgefahren ist, denke ich mir dann am Abend.
13. August 2022
Glacier Nationalpark und eine berühmte Straße
Ich werde früher wach als sonst. Denn ein Geräusch kommt mir etwas eigen vor. Irgendwas klopft beständig aufs Zelt. Und dann checke ich auch bald, was es ist. Es regnet. Zwar nur leicht, aber doch. Missmutig bleibe ich liegen. Das habe ich mir für heute anders vorgestellt. Ich wollte ja rauf zum Logan Pass. Und das auf der Going-to-the-sun Road. Da passt der Regen absolut nicht dazu. Doch ich habe Glück. Der Regen hört bald auf. Und als ich losstarte, ist der Himmel schon wieder klar und durchgehend blau.
Es sollen fordernde 50 Kilometer bis zur Passhöhe auf etwas über 2.000 Meter sein. Doch bis die Steigung dann endlich beginnt, dauert es einige Zeit. Ich fahre entlang des Lake McDonalds. Erst danach zeichnet sich ab, wo es hingehen wird. Ich sehe weit oben eine lange Rampe die hohe Felswand queren. Gleichmäßig ansteigend pedaliere ich hoch. Immer im selben Gang. Ungewohnt, denke ich mir, so lange nicht schalten zu müssen. Doch ich komme gut voran. Weil früh gestartet, fahre ich die letzten Kilometer bis zur Passhöhe im Schatten. So wird deren Erreichen dem Namen der Straße gerecht. Erst kurz vor dem Sattel tauche ich in die Wärme der Sonne ein. Ganz allein bin ich oben jedoch nicht. Der große Parkplatz beim Visitor Centre ist rammelvoll. Na ja, der Glacier Nationalpark ist schon schön anzuschauen. Das lockt bei einem so feinem Wetter natürlich auch andere an.
Die Abfahrt bis zu den beiden Seen in einem Indianerreservat geht durch abgestorbenen Wald. Ich erkundige mich bei einem Ranger am Parkplatz. Der große Waldbrand im Jahr 2017 ist die Ursache. Das ganze Tal war betroffen. Und so ragen kilometerweit und ringsum nur ergraute Storzen in den blauen Himmel. Der Schönheit der Landschaft tut es keinen Abbruch. Im Gegenteil. Faszinierend fällt mir als Eindruck ein. Bei einem Aussichtspunkt auf eine kleine Insel im See bleibe ich stehen. Ein wunderbarer Blick tut sich auf. Das Foto davon gefällt mir. Ich meinte dann, vor diesem Hintergrund selber auch noch mit aufs Bild zu müssen. Doch dieser Schnappschuss ging etwas daneben. Das Fahrrad wollte sich nicht fotografieren lassen. Egal, die ältere Dame hat sich mächtig gefreut, dass sie mir einen Gefallen tun konnte.
14. August 2022
Im Zentrum der Blackfeet
Nach dem Losfahren und einigen Kilometern traue ich meinen Augen nicht. Die großen Berge der Rocky Mountains sind plötzlich ganz klein. Und ganz groß ist dafür die Weite vor mir. Doch die Straßenführung ist dann später so, dass sie mich noch den ganzen Vormittag parallel zu den Rockies nach Südosten fahren lässt. Ich habe diesen langen Gebirgszug also weiter im Blick. Trockenes, weites, flaches Farmland mit nur wenigen Tieren vor mir, und rechter Hand als Abgrenzung die markanten Berge mit ein paar vereinzelten Schneefeldern.
Ein leichter Rückenwind treibt mich mühelos voran. Gestern wollte ich nochmals für eine Schleife rauf nach Kanada. Aber beim Nachfragen habe ich erfahren, dass der kleine Grenzübergang an dieser Nebenroute coronabedingt seit längerem geschlossen ist. Also belasse ich es. Extra einen weiten Umweg nur wegen eines kleinen Passes zu fahren, mag ich auch nicht. Daher genieße ich jetzt das flotte Pedalieren in der Ebene.
Beim angeschriebenen Zentrum der Blackfeet Nation schauen die Häuser alle reichlich verwahrlost aus. Etwas schmuddelig ist mein Eindruck. Dazu tragen vor allem die vielen verrosteten oder abgewrackten Autos und Fahrzeuge bei, die überall von Gras umwachsen in den Wiesen geparkt sind. Oder das in den Zäunen verhedderte Plastik. Oder die gänzlich verfallenen und aufgegebenen Holzbauten mittendrin. Andere Länder andere Sitten. Und bei Reservaten ist es wohl nochmals gänzlich anders. Oder für Durchfahrende noch schwieriger, die Umstände schnell zu ergründen und zu verstehen. Ich konzentriere mich auf mein Radfahren. Und das gefällt mir auch hier. Das daneben ist halt mal interessant anders.
Irgendwann passiere ich einen Fußgänger, der allein auf einsamer Straße am Weg ist. Ich winke beim Passieren mit der Hand, und höre ein freundliches Hello. Kurz danach ertönt ein Hupen. Ein Auto bleibt stehen, der Fußgänger kann mit. Nach einigen Kilometern gibt es eine Straßengabelung. Ich sehe denselben Fußgänger wieder am Seitenstreifen, die Jacke unterm Arm eingeklemmt. Unser Grüßen wiederholt sich. Zuwinken, ein Heallo als Antwort. Manchmal sind es solche ganz kleine, unwichtige Begebenheiten, die für Abwechslung beim Radfahren sorgen. Dann sind die Gedanken wieder woanders und werden frei.
War die Umgebung anfangs Grasland, so wird sie später zu goldgelben Getreidefeldern. Zum Teil sind sie schon abgeerntet. Den vielen silberfarbenen Getreidespeichern sieht man es von außen nicht an, ob sie schon gefüllt sind, oder noch darauf warten. Und wie in solchen Gegenden üblich, finden sich auch hier Werkstätten und Firmen für Traktoren und Erntemaschinen. Riesentiere, fällt mir als Begriff ein, beim Anblick der Ungetüme von Zugmaschinen, die auf den Verkauf oder Einsatz warten.
15. August 2022
Flach im Goldgelben
Es ist ein großartiger Morgen. Ich liege im Zelt und schaue nach draußen. Die Sonne hat schon die oberen Zweige des Baumes davor erreicht. Und dann klettert sie recht schnell nach unten. Ast um Ast, oder Zweig um Zweig. Kaum ist sie beim Zeltdach angelangt, wird es heller, und auch gleich wohlig warm. Beim Zusammenpacken genieße ich den leeren Platz und den Weitblick in die sanften Hügel rundum. Das hat mir am Abend schon gefallen. Doch jetzt in der klaren Frische des Morgens ist es nochmals um eine Spur schöner.
Entlang der Straße stoße ich immer wieder auf Hinweistafeln zu historischen Punkten. Die Geschichte der Region, der Indianer, der Auseinandersetzungen, der Rache und der Vergeltung, der Besiedelung, der Entwicklung. Es ist ganz interessant, was es da zu lesen gibt. Und es macht den Vormittag auch recht kurzweilig. Oder regt an zum Nachdenken, was denn jetzt gerade in der Welt passiert, und ob das ähnlich ist, und sich manches wiederholt.
Ich fahre durch ein flaches, goldgelbes Land. Zuerst noch ein wenig Grasland, doch bald überwiegt der Getreideanbau. Und die Ernte ist in vollem Gange. Immer wieder sehe ich die großen Mähdrescher, und wartende Trucks zum Abtransport. Es ist heiß. Das macht den Geruch nach dem Getreide oder der Umgebung noch intensiver. Trocken strohig, fällt mir ein, wie ich es beschreiben könnte. Ich mag das sehr. Und ich fühle mich wohl, durch diese Landschaft und diesen Duft zu radeln. Oder in sie einzutauchen und mich darin zu bewegen.
Entlang der Straße sehe ich jede Menge Getreidespeicher. Silbern glitzern sie in der Sonne. Die größten sind meist an der nahe verlaufenden Bahnlinie. Doch eigentlich stehen sie überall, auch in den Feldern. Am Abend denke ich mir, dass es wohl mehr Getreidesilos als Menschen in dieser Gegend gibt. Und Bäume gibt es überhaupt keine. Oder nur hie und da ein paar Einzelne, meist rund um die Getreidespeicher oder die seltenen Farmhäuser.
Mittags mache ich in Chester Rast. Hier dreht sich alles um das Getreide, eh klar. Erntemaschinen, groß und klein, Saatgut, Bodenbearbeitungsgeräte, Reparatur und Verkauf, Schauräume, Lagerhallen, Silos, Trucks mit leeren und vollen Anhängern, Pickups, Güterzüge. Und überall emsiges Treiben, Beladen und Entladen, Anfahrt und Abfahrt. Es ist einiges los.
Doch abseits von diesem Zentrum ist es auf der Straße eher ruhig. Da beschäftigt mich mehr die Hitze des Tages und der aufkommende Gegenwind. Irgendwann passiere ich einen kleinen Flugplatz. Der Windsack steht entgegen meiner Fahrtrichtung waagrecht in der Luft. Für meine Motivation alles eher als förderlich. Den Wind von vorne zu spüren ist schon schlimm genug. Doch ihn auch noch zu sehen, macht das Fahren nochmals anstrengender. Doch die Landschaft entschädigt. Dieses Goldgelb ist einfach wunderbar. Und der Geruch nach Korn sowieso. Nur die Beine wollen davon wenig mitbekommen. Wenn schon Wind, dann gerne von hinten, ist deren Erkenntnis zum Tag.
16. August 2022
Ein hupender Truck und ein spaßiger Arbeiter
In der Nacht ist ein Gewitter mit einem kräftigen Schütter durchgezogen. Doch am Morgen strahlt schon wieder die Sonne vom Himmel. Nur auf der Straße sind noch Spuren davon zu sehen. In den gefrästen seitlichen Randvertiefungen steht teilweise noch ein wenig Wasser. Es glitzert in der Morgensonne und hebt die Laune.
Der Straßenschulter ist auf diesem Abschnitt nicht sonderlich ausgeprägt. Also fahre ich meist auf dem glatten, weißen Begrenzungsstreifen. Irgendwann hupt ein Truck kräftig hinter mir. Normalerweise wechseln sie die Fahrspur. Doch hupen bedeutet nichts Gutes. Ich weiche schleunigst seitlich aus. Und schon braust ein Ungetüm an mir vorbei. Geladen hat er einen Mähdrescher. Doch der ist überbreit. Seine Räder stehen nur zur Hälfte auf der Ladefläche. Der Rest und ein Teil der Karosserie ragen darüber hinaus. Glück gehabt, denke ich mir. Im Getreidefeld ist der Mähdrescher etwas langsamer am Weg. Doch hier Huckepack auf dem Lastwagen gab er mächtig Gas. Wenigstens hat er sein Mähwerk nicht auch noch ausgefahren mitgehabt. Das war auf einem der folgenden Pickups mit Anhänger längsseitig drauf.
Später treibt es mir den Puls dann nochmals kräftig in die Höhe. Bei einem Farmhaus hat mich eine Hundemeute entdeckt. Sie sind zwar hinter einem Zaun, doch mit einem Umweg ums Haus finden sie die Lücke, und nehmen die Verfolgung von mir auf. Der seitliche Graben mit Gebüsch bremst sie dann etwas ein. Und weil ich zwischenzeitlich kräftig in die Pedale getreten habe, können sie mich nicht mehr erreichen. Aber ganz aufgeben tun zwei von ihnen nicht. Sie sorgen dafür, dass ich recht lange am Anschlag fahren muss, bis sie abstoppen. Das Hundethema hat mich jetzt wohl zwei Monate nicht mehr beschäftigt. Und es ist mir auch nicht abgegangen. Hoffentlich nimmt das nicht neuerlich Fahrt auf.
Vom Getreideanbau ist auf der heutigen Strecke fast nichts mehr zu sehen. Es wird straßennah überall bewässert und Heu gemacht. Später sind es dann Weideflächen, die das Bild dominieren. Doch fette Wiesen sind es keine. Es wuchert der Wüstensalbei. Auf den weiten Flächen sind nur vereinzelt Tiere zu sehen. Am meisten gibt es hier wohl Heuschrecken. Kaum einen Fuß seitlich der Straße gesetzt, fliegen sie erschreckt in alle Richtungen auf. Und sie zieren als gelbliche Schicht auch die Vorderfronten aller Autos in Montana. Da muss ich gar nicht auf die Nummerntafel achten. Ein Auto mit dicker Insektenlackierung vorne ist dem Regionalverkehr zuzuordnen.
Irgendwann passiere ich dann eine unscheinbare Hinweistafel zum Bears Paw Battlefield aus 1877. Ich fahre also durch ehemaliges Indianergebiet. Wenigstens steht zum Schluss des Textes, dass die Amerikaner selbst enttäuscht sind, dass sie sich nicht an ihre Vereinbarungen gehalten haben. Keine Ahnung, wie sie es heute handhaben, im eigenen Land oder anderswo in der Welt.
Am Nachmittag kehre ich in einem kleinen Laden an der Straße zu. Es ist drückend heiß. Der Inhaber meint, dass es heute wohl über die 100 Grad gehen wird. Ich rechne schnell um: Minus 30, dividiert durch 2. Aha, gefühlt ist es noch heißer. Doch es hätte hier im August auch schon Schnee gegeben. Egal, beides nicht gerade ideal zum Radfahren. Doch heute jedenfalls gut für das Getränkegeschäft.
Vor dem Laden sitzt ein Arbeiter im Schatten des Gebäudes. Auch ihm ist heiß. Wir kommen kurz ins Gespräch. Gerne hätte ich mit ihm noch länger getratscht. Denn es war ein lustiger Typ. Er erkundigte sich nach meiner weiteren Route. Sein Vorschlag war dann, doch einfach das Rad entscheiden lassen, wenn ich noch unschlüssig sei. Und er demonstrierte es mir lachend und gestikulierend vor: Die Hände vom Lenker nehmen und in die Luft strecken. Und dann schauen, was das Fahrrad macht. Ob es links hin will, geradeaus, oder nach rechts. Auch ich musste bei seinem Schauspiel kräftig lachen. Da kann es also noch so heiß sein, dem Spaß der Leute tut es keinen Abbruch.
17. August 2022
Ein geteilter Tag
Gestern am Abend meinte ich noch, dass ich eine gute Zeltplatzwahl getroffen hatte. Wiesengrund, Schatten, allein mit Zelt, saubere Anlage. Doch in der Nacht änderte ich dann meine Meinung schnell. Es waren die Güterzüge, die etwas überhöht zum Platz ganz nahe über eine Brücke ratterten. Punkt Mitternacht fing es an. Und dann ging es glaub im Stundentakt weiter. Eine Lärmkulisse, die lauter glaub nicht mehr möglich war. Durchschlafen war unmöglich.
Doch die Leute von den paar Wohnmobilen daneben taten am Morgen so, als ob sie fit und ausgeschlafen wären. Ich hingegen fühlte mich gänzlich anders. Die Nacht war wirklich zum Vergessen. Untertags zählte ich dann die Waggons bei einem Zug. Ich kam auf 137, plus 4 Lokomotiven. Dann waren es in der Nacht vielleicht jedes Mal an die 1.000 Räder, die auf der Eisenbrücke für Akustik sorgten. Kein Wunder, dass ich mich beim Aufwachen wie gerädert fühlte.
Und dann hatte ich es auf der Strecke auch gleich noch mit Gegenwind zu tun. Obwohl es flach dahin ging, musste ich kräftig strampeln um vorwärts zu kommen. Dazu waren die Turbulenzen der vorbeifahrenden Trucks äußerst lästig. Die einen zogen mich zur Straßenmitte hin, die anderen drängten mich seitlich weg in den Graben. Ich wurde jedes Mal kräftig durchgerüttelt. Mein Tagesziel änderte ich schnell. Einfach fahren soweit ich halt komme. Und es mit der Hälfte des Planes vielleicht auch gut sein lassen. Denn heiß war es ja auch noch. Jede Abwechslung und jeder Stopp waren mir nur recht. Etwas trödlerisch am Weg, hörte ich mich mittags zu mir selber und den auf der Lenkstange mitfahrenden Heuschrecken sagen. Und fast wäre ich bei einem Rastplatz auch eingeschlafen, weil so müde und auch etwas lustlos am Rad.
Doch die Landschaft weckte mich am Nachmittag dann schnell wieder auf. Die war nämlich erste Sahne. Oder so, wie ich sie gerne mag. Blassblauer Himmel. Weißliche Wolken, die am Horizont in ihm untergehen: Wind, der die gelblichen Gräser neben der Straße wellenartig durchkämmt und die Halme sich biegen lässt. Mähdrescher, die Staubwolken in die Felder zaubern. Vereinzelte schwarze Kühe als Punkte in den kargen Hügeln. Wüstensalbei, der einem Teppich gleich den Boden ziert und ihm Farbe gibt. Sanfte Hügel, die die Straße in ihrem Auf und Ab beim Blick nach vorne unterbrechen. Von der Sonne goldfarben gestrichenes Getreide, in das man eintauchen möchte. Von der Tageshitze geprägter Duft nach reifem Korn und Stroh. Ich war am Schwärmen, so schön.
Und fast für mehr als eine Stunde hatte der Wind am Nachmittag dann auch noch gedreht. Ich meine so, dass ich mit ihm gleiten konnte. Das war der Hammer. Nur das Surren der Reifen hören, und gleich schnell wie der Wind durch diese Landschaft brausen. Am Rad stehen können, und dennoch so voran kommen als ob man am Pedalieren wäre. Dazu das Goldgelb der Umgebung, der leicht rötliche Asphalt, die weißen Seitenlinien, die gelbe Mittellinie, der blassblaue Himmel, die trockene Luft, die Sommerhitze des Landes. Und ich nach den Mühen des Vormittags jetzt total gut gelaunt am Rad. Stimmig zum Juchzen. Es hat mir gefallen.
18. August 2022
Heuschrecken und Rodeo-Cowboys
Schon früh los genieße ich die Morgensonne und den leichten Rückenwind. Zuerst noch durch Grasland fahrend tauchen schon bald wieder Getreidefelder auf. Riesengroß, goldgelb, und sanft sich über Hügel und Hügel erstreckend. Einfach schön anzuschauen. Und noch schöner ist es, darin mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Spannend finde ich die hie und da auftauchenden Muster in den Feldern. Dort wo die Saat vielleicht nicht aufgegangen ist, oder das Gelände starke Konturen zeigt, wächst kleinflächig was anderes als Getreide. Farblich unterscheiden sich diese Stellen, und bieten so zum Rest des Feldes einen stimmigen Kontrast und eine feine Abwechslung.
Irgendwann zweige ich vom Highway ab. Ich fahre auf einer parallel verlaufenden Nebenstraße, und bin den Rest des Vormittags auf ihr allein am Weg. Zumindest was andere Fahrzeuge betrifft. Denn sonst wimmelt es auf der Straße nur so von Heuschrecken. Manche fliegen mir in die Speichen rein und prallen ab. Oder sie setzen sich an mir oder am Rad irgendwo fest und fahren ein Stück mit. Oder sie fliegen erschreckt auf. Das schaut dann fast wie ein Schneegestöber aus, wenn die hellen Flügel sich im Licht spiegeln. Unvorstellbar viele Heuschrecken. Und Kannibalismus betreiben sie auch. Denn viele ihrer Artgenossen finden sie als Futter auf der Straße, von Fahrzeugen überrollt. Ich habe mich zuerst über die Nebenstraße gefreut. Doch fast wäre mir der etwas entfernt verlaufende Highway mit weniger Heuschrecken lieber gewesen.
Am späten Nachmittag treffe ich auf der Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit auf zwei andere Radfahrer. Jerry und Christine, aus den USA. Die beiden haben sich auch erst kurz vorher auf der Straße kennen gelernt. Sie wollen bei einem Wohnmobilpark übernachten. Ich schließe mich ihnen an. Denn sie haben auch noch erzählt, dass sie am Abend auf ein Rodeo im Ort gehen werden. Sie hätten die Arena beim Vorbeifahren schon gesehen. Ja, und so finde ich mich wenig später mit vielleicht tausend anderen auf der Tribüne des lokalen Rodeoclubs wieder. Ich höre die Nationalhymne, erlebe begeisterte Zuschauer, sehe Familientreiben, leichte Pausenunterhaltung, großartigen Sport. Und ich bekomme knisternde Spannung und die gesamte Atmosphäre so eines amerikanischen Events mit.
Ich staune über die Geschicklichkeit der Cowboys, wie sie vom Pferd aus Lassos schwingend Kälber einfangen. Oder wie sie im Galopp aus dem Sattel springend die Tiere niederringen und auf den Rücken legen. Oder wie sie sich länger als 8 Sekunden auf dem Rücken buckelnder Pferde halten können. Oder welche Souveränität sie beim Reiten zeigen. Oder wie die Pferde sich den Reitern fügen und athletisch mitarbeiten, ihre Körper und den Umgang mit der Schwerkraft beherrschen. Doch daneben sehe ich auch, dass Pferde in den Boxen vor dem Rauslassen durchdrehen und nicht mehr zu besänftigen sind. Oder dass bei den Befehlen zum Teil auch drastische Hilfen gegeben werden, und es rau zugehen kann.
Ich ging mit gemischten Gefühlen heim. Ich bewunderte die Fähigkeiten der Cowboys auf dem Pferd und in ihrer Arbeit mit den Tieren. Mich faszinierten die Pferde, ihre Beweglichkeit, ihr Arbeitswille, ihr Mut, ihr Vertrauen, und ihre Unterstützung für die Reiter. Doch gleichzeitig ist es auch ein etwas fragwürdiger Umgang mit den Tieren selbst. Rodeosport ist halt große Tradition. Und damit ist er auch sehr vielschichtig. Ich habe mich jedenfalls gefreut, so etwas typisch Amerikanisches aus dem mittleren Westen mal hautnah und authentisch miterlebt zu haben.
19. August 2022
Grüne Hügel und wunderbare Abendsonne
Das Zelteinpacken dauerte heute etwas länger. Denn ich habe mich noch nebenbei unterhalten. Es war ganz interessant zu erfahren, wer denn die vielen anderen Wohnwagenbewohner des Platzes waren. Zumeist Erntearbeiter aus Oklahoma. Einige hatten ihre Familien mit dabei. Angeblich ziehen sie mit dem Reifen des Getreides von einer großen Farm zur nächsten nordwärts hoch. Als ich das hörte, hatte ich die Bilder von Mähdreschern der vergangenen Tage im Kopf. Wie sie ihre Spuren in die Felder ziehen. Und obwohl riesengroße Maschinen, waren sie in den Weiten der Felder oft dennoch nur winzige Punkte. Keine Ahnung, wie lange diese Leute damit beschäftigt sind. Doch vielleicht werden sie ja nicht nur zum Ernten gebraucht, sondern auch für die Aussaat oder die Feldaufbereitung davor.
Am Nachmittag bin ich schon nahe zur Grenze von North Dakota am Weg. Hier zeigt sich die Landschaft etwas anders. Mehr hügelig, und mehr grün. Und die Hügel etwas rauer. Oder mit mehr Farben. Denn andere bunte Farbkleckse gab es auch noch. Nämlich das Gelb der Sonnenblumenfelder, und das helle Grün der Maisfelder.
Als ich mich schon für ein Ende der Tagesetappe einrichten will, erweist sich der Campingplatz lediglich als großer Lastwagenparkplatz, und wenig anziehend. Ich entschließe mich zum Weiterfahren. Die folgenden 30 Kilometer in der Abendsonne und der hellgrünen Landschaft waren erste Sahne. Mit dem Licht waren die Farben besonders klar. Manchmal wollte ich schon in einen Feldweg einbiegen, doch die Lust auf ein Auskosten bis zum Sonnenuntergang war groß. Ohne Verkehr, kurvig mit leichtem Auf und Ab zwischen den Hügeln dahinschlängelnd. Ich hatte richtig Freude am Fahren. Und am Staunen über diese Gegend hier im mittleren Nordwesten.
20. August 2022
Ein grandioser Canyon und pflichtbewusste Ranger
Am Zeltplatz war schon frühmorgendliches Treiben, als ich mich später als sonst auf den Weg machte. Zwar fit, und doch etwas müde ging ich die ersten Kilometer an. Und ich machte auch gleich einen Stopp. Ein kleiner Tankstellenladen lud zum Einkaufen und Auffüllen meiner Vorräte an. Und weil ich in den Packtaschen nicht alles unterbringen konnte, gab es die für später geplante Jause gleich vorweg. Ein Apfel stand übrigens auch am Einkaufszettel. Er hätte in den Taschen noch leicht Platz gefunden. Doch beim Packen auf einen Zaunpfahl gelegt, wird er vermutlich immer noch dort aufs Einpacken warten. Außer ein Cowboy hat ihn mit dem Lasso bereits herunter geholt.
Meine Route führte mich parallel zum Highway auf seiner alten Trasse. Hier war fast nichts los. Und das Radfahren gefiel mir. Zerklüftete Hügel mit Sandsteingrau und etwas Rot fiel mir als Beschreibung beim Fahren ein. Jedenfalls eine tolle Landschaft. Ich spüre die Weite, und genieße das nahe Umfeld, die Sonne, und den klaren, blauen Himmel. Herrlich.
Als ein Hinweisschild zum Painted Canyon und zum dortigen Visitor Centre auftaucht, biege ich sofort ab. Der Blick von oben auf die vom kleinen Missouri-River geprägte Natur war beeindruckend. Geologisches Wunder war auf Erklärungstafeln zu lesen. Und natürlich bin ich mit dem Rad auf dem Fußweg bis ganz nach vorne gefahren. So oft komme ich hier ja nicht vorbei. Also mag ich mir auch keinen besonderen Aussichtspunkt entgehen lassen, war mein Gedanke. Nur zwei Park-Rangern hat das nicht so gefallen. Mit dem Rad auf einem Fußweg, das geht in einem Nationalpark keinesfalls, war ihre Belehrung.
Sie dauerte dann etwas länger. Denn bei solchen Kontrollen und Unterweisungen durch Uniformierte bin ich fürs Erste meist wenig kooperativ. Doch rechtzeitig hatte ich mein Verhalten noch gecheckt und zeigte mich einsichtig. Weder war mein Englisch gut genug für ein paar pointierte Spitzen, noch schienen mir die beiden Ranger gewillt, Humor für mein Verhalten aufzubringen. Ich zeigte also Verständnis für ihr Einschreiten, übergab ihnen letztlich doch meinen Pass zur Kontrolle, und kam so wohl noch mit einem blauen Auge davon. Ihr abschließender Gruß mit Händedruck war jedenfalls freundlich. Er hat mich überrascht, aber auch gefreut. Es hatten also auch sie noch die Kurve für einen guten Ausgang gefunden.
21. August 2022
Rumpelpiste durch tolle Landschaft
Sonntagsruhe den ganzen Tag. Es geht flach durch Grasland mit vielen Heu- und Strohballen auf guter Straße dahin. Und der Wind begleitet mich. Ich wurde kräftig durchgelüftet. Meine Sachen waren beim Anziehen zwar trocken. Doch bei dem Wind hätte ich sie auch nass anziehen können.
Viele Häuser stehen als einzelne Objekte mitten im Grasland. Sie sind meist grau und wirken schmucklos. Kein Garten oder Gebüsch rund herum. Rasen bis vor die Haustüre, oder Asphalt rund ums Haus. Alles wirkt aufgeräumt, und gleichzeitig auch sehr steril. Mit Nachbarn kann man hier glaub nicht zum Streiten kommen. Die sind weit außer Sichtweite.
Die meisten Getreidefelder sind auf dieser Strecke bereits abgeerntet. Die Felder wirken mit ihren kurzen Stoppeln wie frisch gekämmt. Für den Sonntag vielleicht gar mit etwas Gel hergerichtet. Bei einem habe ich den Eindruck, als ob man mit der Ballenpresse freihändig gefahren ist. Denn deren Spur geht etwas wackelig die Hügel hinauf. Oder jemand hat den Traktor einfach so im ersten Gang ohne mitzufahren losgeschickt, und dann geschaut, wo er hinfährt.
Am Nachmittag erwische ich eine Rumpelpiste. Sie ist als alter Highway Nummer 10 ausgeschildert, und bietet festen Schotter. Manchmal geht es über ein paar Kilometer gut zum Fahren. Und dann kommt wieder ein Waschbrettabschnitt, auf dem Einschlafen unmöglich ist. Dafür ist es landschaftlich richtig toll. Und die Hitze des Tages passt gut dazu. Trocken, und kräftiger Wind von der Seite. Ich komme voran, wenn auch nur mit kräftigem Einsatz.
Irgendwann kommt mir ein Traktor entgegen. Er ist ganz langsam unterwegs. Kein Wunder. Der Fahrer mit dem breiten Strohhut und dem ledergegerbten Gesicht will wahrscheinlich auch nicht zu sehr durchgerüttelt werden. Oder er muss achten, dass er barfüßig nicht von den Pedalen rutscht. Wir winken einander freundlich zu. Er etwas länger als ich, braucht ja nur eine Hand fürs Lenkrad. Ich muss meinen Lenker hingegen doch mit beiden Händen halten. Der Untergrund lässt nichts anderes zu. Nach dem Passieren denke ich mir, dass wir alle vielleicht vom selben Jahrgang waren. Der Traktor, sein Fahrer, und ich.
Abends bin ich richtig müde. Streichelweich, aber voll zufrieden mit dem Tag. Bei der Zeltplatzsuche finde ich einen Platz zwischen zwei Strohballen an einem Nebenweg. Ich lege die Zeltunterlage aus, und flacke mich hin. Das gefällt mir über alles. Mit Genuss vom Rad steigen und die Füße überkreuzt gegen den blauen Himmel strecken. Ich nicke fast ein wenig ein, noch bevor ich das Zelt aufgebaut hatte. Ganz so locker war es heute also doch nicht zum Fahren. Der Wind, die vielen Kilometer, und die lange Schotterpassage am Nachmittag hatten mich mehr gefordert als erwartet.
22. August 2022
Im Land der Millionen Heu- und Strohballen
Bei der großen Stadt kürze ich etwas ab. Ich nehme eine Route entlang deren Vororte. Durch schöne Parkanlagen, neu errichtete Wohnhäuser und einige Baustellengebiete finde ich den Weg Richtung Südosten. Bei einer der Sprinkleranlagen zur Rasenbewässerung mache ich einen kurzen Stopp. Ich wasche meine Packtaschen, lasse mir den Staub von gestern Nachmittag wegspritzen. Immer wieder finde ich etwas Schatten bei großen Bäumen an der Straße. Er ist mir willkommen. Denn auch heute ist es wieder ein heißer Tag.
Die vielen Heu- und Strohballen in den Feldern sind mir schon die vergangenen Tage aufgefallen. Doch heute gibt es glaub noch mehr davon. So weit das Auge reicht, runde Ballen noch und noch. Keine Ahnung, wie lange die in den Feldern liegen bleiben. Ob sie auf ein Mal eingesammelt werden, oder ob man sie nach und nach je nach Bedarf von den Feldern holt. Oder ob dann irgendwann im Herbst die großen Trucks vorbei kommen, und sie in ganz Amerika verteilen. Jetzt sind diese jedenfalls noch mit Getreidetransporten vollauf beschäftigt.
Am frühen Nachmittag kehre ich bei einer Tankstelle zu. Ich muss nachtanken, meine Getränkeflaschen wieder auffüllen. Denn bei der großen Hitze habe ich kräftig Durst. Der Verkäufer fragt mich nach meinem Tagesziel, oder ob ich hier in der Stadt bleibe. Es gebe da auch einen Park mit Duschen. Damit hat er mir gleich ein Stickwort geliefert. Die Motivation zum Weiterfahren ist sofort weg. Ja, ich könnte den Tag mal etwas kürzer gestalten. Und so nehme ich gleich die nächste Abbiegung, und finde mich in einer schönen Parkanlage wieder. Überdachter, schattiger Sitzplatz, Strom für meine elektronischen Geräte. Und die Dusche werde ich jetzt gleich nach diesen Zeilen hier ausprobieren.
23. August 2022
Eine einsame Gegend und eine nette Unterkunft
Kaum auf dem Rad und aus der verschlafenen Ortschaft raus, empfängt mich schon der Gegenwind. Wenigstens weiß ich damit gleich, dass ich mir für heute keine hehren Ziele setzen muss. Die Kräfte gut einteilen, lautet die Devise. Und das mit dem Wind nicht ständig im Kopf mit mir rumtragen. Dann geht es schon voran. Die Straße bietet wenig Abwechslung. Auf der Karte habe ich gesehen, dass sie meist geradeaus gehen wird. Wie es übrigens jede Menge Straßen hier in North Dakota gibt, die einfach als gerade Linie quer durch das Land führen. Doch beim Fahren sieht man dann doch nur von Kuppe zu Kuppe, zum Glück.
Die Gegend ist geprägt von Getreideanbau und Weideland. Auf den riesigen Wiesen verlieren sich die paar Kühe als winzige schwarze oder braune Punkte. Manchmal sammeln sie sich auch rund um die Wasserstellen. Wenn sie nahe zur Straße stehen und mich kommen sehen, nehmen einige meist Reißaus. Radfahrern scheinen sie nicht recht zu trauen. Oder vielleicht auch nur mir nicht. Doch groß bewegungsfreudig sind sie nicht. Ein paar Sprünge genügen, dann sondieren sie die Lage wieder neu. Es ist lustig anzuschauen, wie einem dann viele schwarze Augenpaare zwischen großen roten Ohrmarken neugierig anstarren können.
Hie und da höre ich auch Vogelrufe von den Stromleitungen. Ein Mal meinte ich gar, dass mich eine Bachstelze einige Zeit begleitete. Fliegend, und dann abwechslungsweise immer wieder mehrere Meter schnell fußelnd, und stets irgendwas singend oder rufend. Doch irgendwann war ich ihr glaub zu schnell. Sie bog in Richtung eines der vielen kleinen Seen hier im Weideland ab. Die waren richtig schön anzuschauen. Heiß und trocken ringsum, und dann doch immer wieder etwas Wasser, eingebettet in kleine Mulden.
Irgendwann sehe ich weit vorne mitten auf der Straße etwas, das ich nicht gleich zuordnen kann. Es bewegt sich in meine Richtung, schaut aus wie ein kleines Tier. Doch die Überraschung ist dann groß: Es ist eine leere Verpackungsschachtel für Weißbier, die der Wind vor sich hertreibt und über den Asphalt schleift. Ich bleibe stehen, und schaue dem Schauspiel länger zu. Erst nach einiger Zeit driftet der Karton von der Straßenschulter in die Wiese ab, und bleibt dort liegen. Eine spannende Unterhaltung, in sonst einsamer Gegend.
Am Nachmittag finde ich in einer kleinen Ortschaft eine nette Unterkunft. Eine Imker-Familie aus Kalifornien bietet ihr Nebenhaus für Radfahrer als freie Herberge an. Ein kleines Zimmer, Dusche, Garten und Wifi stehen zur Verfügung. Ich bin allein da. Es sei schon fast Saisonende. Spannend finde ich dann den Beweggrund: Es ist eine Passage im Matthäus-Evangelium, die sie dazu bewegt hat. Matthäus 25, 35-40. Und natürlich auch die persönliche Vorliebe fürs Radfahren.
24. August 2022
Eine lange Gerade mit vielen Amphibien
In der Nacht wache ich auf. Ich höre es am Zeltdach tröpfeln. Zwar nur ganz leicht, doch regelmäßig. Und dann geht mir durch den Kopf, wo ich mein Zelt aufgestellt hatte. Ich hatte in der Wiese ohne groß zu Überlegen einen sattgrünen Platz ausgewählt, nahe zum Haus. Und auch nahe zur Regenrinne, die dort in den Rasen abgeleitet war. Deshalb war dieser Flecken auch so grün, im Gegensatz zum Rest des Rasens. Also hoffte ich gespannt, dass es nicht wirklich stark zu regnen beginnt. Aber ich war dann doch zu müde, um den Fortgang wach zu verfolgen. Am Morgen war es jedenfalls rundum trocken.
Bei tiefhängenden Wolken fuhr ich los. Es war reichlich frisch. Bald zog ich meine Beinlinge und auch die Jacke an. Heute sollte es den ganzen Tag nur geradeaus gehen. Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Mehr Abwechslung macht das Radfahren interessanter. Aber die Morgenstimmung war genial. Ein dunkles Asphaltband mit gelben Markierungen zog sich weit in den Horizont hinein. Links und rechts gab es immer wieder kleinere Gewässer. Sie blitzten auf, wenn hie und da ein schwacher Sonnenstrahl sie traf. Von den wenig ausgeprägten Geländekuppen sah man gut in die Felder ringsum. Mais, Sonnenblumen, Sojabohnen, Getreide, und auch recht viel Grasland. Einzelne Höfe mit großen Silos, Schotterpisten die nach Norden und Süden abzweigten, Schilfgürtel.
Die Straße war schon aufgetrocknet. Doch in den breiten, tiefen Kerben der Ausfräsungen am Mittel- und dem Seitenstreifen stand noch Wasser. Wenn mich Trucks überholten, zogen sie beim Überfahren der Markierungen eine Gischtfahne hinter sich her. Es spritze lustig rundum. Oder der Luftzug der entgegenkommenden Fahrzeuge ließ ein wenig Wasser ebenfalls über die Fahrbahn rinnen. Sonst war nichts los. Aber mit solchen Sachen hatte ich dennoch etwas zum Schauen auf der tageslangen Geraden.
Und dann gab es auch noch jede Menge kleine Frösche und Kröten. Hie und da hoppelten sie seitlich weg in den Wiesenstreifen. Doch die meisten hatten die Nacht auf der Straße nicht überstanden. Vielleicht hatte sie der Regen aus den Wiesen herausgelockt. Oder sie wollten von einem Gewässer zum anderen wechseln. Immer wieder musste ich ihnen ausweichen. Der Größe nach, waren sie vom heurigen Frühjahr. Also keine große Lebenserwartung in einer einsamen Gegend, die für sie wahrscheinlich sonst ein Paradies sein muss.
25. August 2022
Zwei Mal Tom
Die Eisenbahnlinie war zwar etwas weiter weg. Doch gehört habe ich die Züge heute Nacht gleich ein paar Mal. Es waren Verschubarbeiten zu den Getreidesilos am Rande der kleinen Ortschaft. Und jedes Mal, wenn die Lok den unbeschrankten Bahnübergang erreichte, kündigte sie es mit dreimaligem Signalton an. So habe ich das oftmalige Pfeifen bis spät in den Abend und am frühen Morgen interpretiert.
Und am Morgen hatte die Lok dann noch Konkurrenz. Ein Hahn irgendwo in der Nähe machte zwar keine Verschubarbeiten, jedoch Stimmübungen. Wenigstens beschränkte er sie auf den Morgen. Doch laut waren sie auch. Vielleicht hätte ich mein Zelt doch außerhalb der Ortschaft im Grünen aufstellen sollen. Doch die Infrastruktur im Stadtpark kam mir auch gelegen. Und freies WLAN gab es gleich nebenan in der öffentlichen Bücherei.
Als ich beim Aufwachen einen Blick aus meinem Zeltfenster warf, saß ein Mann lesend beim überdachten Picknick-Platz. Der Dicke des Buches nach war es die Bibel. Und weil er sich recht lange damit beschäftigte, sprach ich ihn etwas später an. Es war Tom, der Pastor aus dem Ort, und gleich neben dem Park wohnend. Es war ein nettes Gespräch. Und er hatte natürlich auch einen Bibelspruch für mich aus der Offenbarung 22:1 von Johannes parat. Darin geht es um den Fluss des Wassers und den Baum des Lebens. Beim Stadtpark fließt nämlich der Maple River vorbei, und Bäume gibt es auch.
Wir waren ein sehr unterschiedliches Duo. Tom in blauer Pastorenjacke mit aufgesticktem Namen und Emblem seiner Kirche. Ich barfuß in schwarzer Unterhose und ausgebleichtem Dynafit-Pullover. Er aufgeweckt und sprühend in seiner Mission. Ich nicht ganz ausgeschlafen meine Spur in den Tag suchend. Er sattelfest in Bibelversen. Ich nur wenige daraus kennend. Dennoch war es ein herzlicher Austausch. Ich finde solche Leute faszinierend, wie sie Kraft und Sinn aus der Bibel schöpfen können. Und etwas davon fällt dann auch immer auf mich ab. Am Rad habe ich später ja genug Zeit, über das Gehörte zu sinnieren. Es vielleicht mit jedem Tritt noch zu vertiefen. Oder Unverstandenes einfach dem Hinterreifen zu überlassen.
Vielleicht hat mich Tom mit seinem Gespräch auf den Morgen am Rad vorbereitet. Jedenfalls dachte ich mir heute ganz bewusst, welch Glück es ist, freudig und offen in die Morgenfrische hineinradeln zu können. Der Sonne entgegen. Ihre Wärme spüren. Den Kopf frei haben. Die Landschaft und die Weite in mir aufnehmen. Im monotonen Surren der Reifen Musik heraushören. Den Blick weit voraus auf den Horizont gerichtet, so machte ich Kilometer um Kilometer, und fühlte mich pudelwohl dabei.
Die lange Gerade von gestern habe ich nur zum Übernachten unterbrochen. Am Morgen setze ich sie fort, und das fast bis in den Mittag hinein. Die Umgebung ähnelt der von gestern. Es gibt jedoch keine Hügel mehr. Und auf den Feldern werden fast nur noch Mais und noch viel mehr Sojabohnen angebaut. Bei einem dieser Felder sind die Sortennamen angeschrieben. Das schaute fast so aus, als ob man die Schönste oder die Beste der Bohnen im Vorbeifahren küren könnte. Den Farmern hier werden die Namen der Saaten mehr sagen als mir auf dem Rad.
Näher zu Fargo kommend, einer Stadt an der Grenze zu Minnesota, war ich sowieso mehr auf Reifennamen fixiert. Pathfinder, Sawtooth, Marathon, Power Gravel, Specialized, Schwalbe, Michelin oder ähnliches hatte ich im Kopf. Denn ich wollte mir zwei neue Reifen besorgen. Die alten waren schon abgefahren. Und neue waren in dieser Gegend sonst glaub nur für Traktoren und Pickups aufzutreiben. Ich hatte daher bei einem großen Geschäft in Fargo schon per Mail angefragt.
Und dort traf ich dann auf den zweiten Tom des Tages. Redegewandt und fachkundig, professionell im Handeln, ich war mit meinem Rad in einem tollen Laden und bei einem sympathischen Inhaber gelandet. Die Great Northern Bicycle Company in Fargo ist jedenfalls eine Empfehlung. “Pedaling Fargo forward“ lautet deren Motto. Ein paar Brocken Deutsch hatte Tom zudem drauf, und Österreich war ihm ebenfalls nicht unbekannt. Zu den zwei Reifen wechselte er noch die verschlissene Kette. Und das Ritzelpaket erfuhr ausgebaut eine Sprühdusche und Reinigung. Er meinte, jetzt könne ich meine Runde noch ein zweites Mal angehen. Als ich ihm von der morgendlichen Begegnung mit Pastor Tom erzählte, musste er schmunzeln. Ja, das sei der Mittlere Westen. Dann hätte ich nicht nur schon viel von der Landschaft gesehen, sondern auch einen guten Eindruck von deren Leuten bekommen.
26. August 2022
In der Farmer-Werkstatt
In ähnlicher Umgebung wie gestern fahre ich heute auf flacher Straße weiter. Mit ein paar Kurven aus der Stadt raus, und schon finde ich mich wieder auf einer Geraden wieder. Die sind hier nicht wegzudenken. In Minnesota geht es also gleich weiter wie es in North Dakota aufgehört hat. Nur das Wetter ist am Morgen etwas dunstig. Und die Fahrbahn hat mehr Querrillen. Es poltert unangenehm beim Fahren.
Manchmal suche ich bei den Übergängen eine Stelle, die mir weniger ausgeprägt erscheint. Doch es ähnelt mehr einer Glückssache. Die Unterschiede sind minimal. Und wenn ich einmal stehen bleibe, dann spüre ich bei vorbeifahrenden Trucks wie die Platten vibrieren. Doch irgendwann später ist die Straße dann wieder ganz normal zu befahren. Das gefällt anscheinend auch den wenigen Motorradfahrern am Weg. Denn sie winken mir alle freundlich zu.
Ein paar Zuckerrüben liegen auch auf dem Seitenstreifen. Einsammeln lohnt sich jedoch nicht. Denn die Trucks fahren im 5-Minuten-Takt mit einer vollen Fuhre von ihnen vorbei. Es sei in der Nähe eine Zuckerfabrik. Das erfahre ich von einem Farmer an der Straße, zu dem ich eher zufällig geraten bin.
Die gestern montierten neuen Reifen haben 38 Millimeter Breite. Sie tragen etwas mehr auf als die Alten. In der Werkstatt meinte ich, dass alles passt. Doch heute beim Fahren höre ich ein Reibungsgeräusch am Schutzblech. Nicht sehr ausgeprägt. Aber wenn mal gehört, dann ist es immer da, und nervt. Ich müsste die Distanzhülse bei der oberen Befestigung am Steuerkopf kürzen. Und das fällt mir ein, als ich bei einer Farm jemanden vor einer großen Halle an einem Ackergerät montieren sehe. Bei solchen Sachen kann ich sehr spontan sein. Also fahre ich einfach hin und frage um Hilfe bei der Reparatur.
Zuerst ist der Mann etwas reserviert. Doch als ich ihm erkläre, dass ich alles ausbaue und er nur die Hülse mit der Säge kürzen müsse, kann es losgehen. Er hat eine super eingerichtete, riesige Werkstatthalle. An den Maschinen sei immer etwas zum Reparieren, sicher mehr als bei Fahrrädern, meint der Mann. Mit seinen beiden Söhnen und drei Saisonarbeitern während der Erntezeit schaukelt er den Betrieb.
Zwei Mähdrescher, zwei Trucks, mehrere Traktoren, große und kleine Anhänger, diverse Ackergeräte, alles steht bereit. Nächste Woche gehe es mit dem Ernten los. Dann werde es hier hektisch zugehen. Meine Distanzhülse hat er rasch gekürzt. Der Tratsch dauert deutlich länger. Mein Fahrrad gefällt ihm. Doch beim Wert stellen wir dann fest, dass die beiden Mähdrescher erheblich teurer sind. Die seien nicht unter einer Million Dollar zu haben. Ja, das sind dann andere Dimensionen. Kein Wunder, dass da überall so viele Silos zum Füllen in der Landschaft stehen, und ich tagelang an Anbauflächen vorbeifahren kann.
Am Nachmittag ist dann auf der Straße fast nichts mehr los. Ich bin in einem größeren Naturgebiet unterwegs. Grillen zirpen in den Sojabohnenfeldern, der Mais wiegt sich etwas im Wind, auf den kleinen Seen kräuselt sich das Wasser, Enten und Schwäne genießen wie ich die Sonne, Mähdrescher sorgen für Staubfahnen auf den Äckern. Ländliche Idylle in Minnesota auf meinem Weg nach Osten.
27. August 2022
Bei den Mississippi Headwaters
In der Nacht gab es kräftig Regen. Trommeln am Zeltdach, und das anhaltend ohne Pause. Ich lag lange wach. Doch irgendwann konnte ich dann dennoch einschlafen. Und am Morgen hatte der Wind das Zelt schon wieder abgetrocknet.
Bei stark bewölktem Himmel fuhr ich los. Klack, klack. Dieses Geräusch mag ich sehr. Wenn ich mit den Schuhen in die Pedale steige, Metall auf Metall trifft, und die Schuhe fixiert werden. Ein leichtes Drehen des Fußes und ein kräftiges Niederdrücken der Sohle. Das akustische Signal, dass es losgeht. Es gefällt mir jedes Mal. Da kann der Himmel noch so trüb und verhangen sein.
Heute geht es zum Lake Itasca hoch. Rund um den See und durch seinen Nationalpark führt ein schöner Radweg. Ich teile ihn mit ein paar Ausflugsradlern und Familien mit Kindern. Auf den Infotafeln steht „Mississippi Headwaters“. Und etwas später fahre ich über eine kleine Holzbrücke. Unten durch fließt ganz unscheinbar ein kleiner Bach, der Mississippi River. Da staunte ich dann doch. Vor fast 3 Monaten hatte ich ein paar Staaten weiter südlich einen mächtigen Fluss gequert. Und hier oben im Norden gibt er sich ganz klein.
28. August 2022
Am Mississippi River Trail
Schon gestern Nachmittag hatte ich mich auf dem Mississippi River Trail eingefahren. Und heute folgte ich ihm den ganzen Tag. Ein schmaler Radweg durch niedere Wälder, entlang von vielen kleinen Seen, durch Sumpfgebiete, wenig Weideflächen, und umso mehr Schilfgürtel.
Ich bin allein am Weg. Nur rund um die wenigen kleinen Ortschaften begegnen mir hie und da ein paar Radler. Es ist Sonntag. Und die Radler und ihre Fahrräder schauen auch wie Sonntagsradler aus. Schade, denke ich mir. Denn in so einer Gegend könnte einem das Radfahren sicher mehr Spaß machen, wenn das Rad etwas ergonomischer auf den Fahrer abgestimmt ist.
Doch vielleicht fahren sie ohnedies nicht sehr weit, weil sie das ständige Rotteln am Radweg stört. Das ging nämlich auch mir zeitweise gehörig auf die Nerven. Der Asphalt war immer wieder von Querrillen unterbrochen. Oder von Baumwurzeln aufgeworfen. Doch als ich auf die Hauptstraße wechseln wollte, war es auch dort nicht viel besser. Also blieb ich auf dem Radweg, und erfreute mich an der Umgebung. Spannend fand ich die Hinweisschilder am Radweg. Verbot für motorisierte Fahrzeuge, ausgenommen Schneemobile. Die beiden Sportarten sind wohl saisonal jeweils für sich allein am Weg, und man kommt sich nicht in die Quere.
An den Seen gab es sehr gediegene Anwesen. Mit Bootsstegen, gepflegtem Rasen, schönen Terrassen, langen Zufahrten. Oder auch ganz versteckt im Wald kleine Holzhäuschen mit Fußpfad durchs Schilf an die Gewässer. Hier war glaub für jeden Geschmack und Geldbeutel etwas Passendes dabei.
Irgendwann passierte ich ein Musikfestivalgelände an einem See. Eine Woche lang war hier Bluegrass zu hören. Ich bekam im Vorbeifahren noch ein paar Takte vom letzten Tag mit. Nur das Wetter wollte heute nicht so ganz zum Schwung der Musik passen. Es war trüb mit ganz feinem Nieseln. Erst am Nachmittag trocknete es wieder auf. Doch da war auch mein Schwung schon dahin. Ich war von gestern noch etwas müde. Also wurde es ein kürzerer Tag am Rad. Es war ja Sonntag. Und ich daher auch ein bisschen ein Sonntagsradler.
29. August 2022
Am großen Fluss entlang
Mit der wieder aufgetauchten Sonne gehe ich heute die ersten Kurven an. Es ist morgendlich frisch. Die Straße fein kurvig dass mir fast schwindlig wird. Und ich bin leise juchzend auf meinem Rad. Es geht durch ein Waldgebiet mit Föhren und Espen. Die Blätter säuseln oben im Wind, und unten surren meine Reifen. Hey, das ist ein toller Morgen am Rad.
Später biege ich dann auf einen Highway ein. Doch auf der breiten Schulter geht es gut zu fahren. Und vor allem: Ich habe Rückenwind. Da geht es flott voran. Nur zwei gelbe Flugzeuge bremsen meinen Vorwärtsdrang. Ich schaue ihnen nämlich eine Zeit lang zu, wie sie dicht am Boden fliegend einen Sprühnebel über die Bohnenfelder ziehen. Und spektakulär wird es, wenn sie am Feldende kurz vor einer Baumgruppe ihre Maschinen nach oben ziehen, mit ein paar Schlenker zur Kurve ansetzen, und sie dann wieder nach unten drücken. Bio-Landbau geht glaub anders. Doch das hat wohl weniger mit den Flugzeugen als mit den riesengroßen Feldern und Monokulturen zu tun.
Als ich eine kleine Stadt passiere, komme ich am Haus von Charles Lindbergh vorbei. Es liegt direkt am Mississippi, und ist jetzt Museum. Die Weite des Flusses hat ihn in seinem Tatendrang geprägt, kann ich auf einer Infotafel lesen. Ja, und mir gefällt der Fluss ebenfalls. Ich folge ihm dann den ganzen Tag. Mal ganz nah, und dann wieder ein paar Felder weit weg. Mal auf einer Geraden entlang, und dann wieder um ein paar Flussbiegungen herum. Schmucke Häuser gibt es an den Ufern, mit gepflegtem Rasen und Bootsstegen inklusive. Ein öffentlicher Wasserzugang ist eher die Ausnahme.
Als ich den Fluss auf einer Brücke quere, sehe ich einen Kanufahrer flussabwärts ziehen. Die Strömung ist recht stark. Denn schnell ist er unter der Brücke durch, und gleich ziemlich weit weg für einen Schnappschuss. Doch seine Gepäckkisten kann ich noch erspähen. Statt mit dem Rad nur am Ufer entlang scheint er den Weg über die Flussmitte zum Weiterkommen gewählt zu haben. Vielleicht ein Paddelurlaub den ganzen langen Fluss entlang? Ausschauen tut es ziemlich gut. Das wäre vielleicht auch mal ein Abenteuer das mich locken könnte.
Doch den ganzen Tag geht es dann für mich doch nicht so idyllisch zu. Die Route führt durch ein paar Kleinstädte durch, und auch recht lange am Highway entlang. Da ist entschieden mehr los als am Fluss. An ihm liegen die Boote alle nur an den Ufern vertaut. Aber schöne Passagen dazwischen gibt es dennoch jede Menge. Es gefällt mir, noch schneller als der große Mississippi an seinem Ufer entlang zu ziehen. Und gegen Abend finde ich dann auch einen tollen Zeltplatz in einem Park direkt am Fluss. Der Rasen ist frisch gemäht, das Flussufer frei. Am blassblauen Himmel schiebt sich ein milchiger Wolkenteppich gegen Osten. Der Highway ist längst vergessen und weit weg. Mücken tanzen in Schwärmen zusammen. Die Abendsonne zaubert ein halbseitiges Pink auf die Wolken. Am anderen Ufer biegen sich die Bäume sonnengeflutet im Wind. Im dunkelolivgrünen Wasser springen Fische. Auf einer Tafel steht „Campsite for Canoe and Biker“. Ich bin gespannt ob mein Kanufahrer hier auch noch auftaucht.
30. August 2022
Mitten durch die Großstädte durch
Am Morgen fühlt sich die Außenhaut des Zeltes so an, als ob ich im Wasser übernachtet hätte. Nass vom Tau packe ich es dennoch ein. Es trocknet rasch, wenn ich es unterwegs bei einer Pause in der Sonne irgendwo auslege. Durchs nasse Gras suche ich den Weg zurück auf meine Route. Dazwischen liegt ein Kiesweg. Die angefeuchteten Reifen nehmen bei jeder Umdrehung feine Sandkörner auf. Sie prallen vom Schutzblech und den Rahmenstreben ab. Ein Teil davon landet dabei auch in meinen Schuhen. Also gibt es die erste Pause schon recht früh. Doch dann genieße ich die Morgensonne und den Weg entlang der schmucken Häuser in den schönen Gartenanlagen am Fluss.
Irgendwann am Vormittag komme ich bei einem größeren Lebensmittelgeschäft vorbei. Kurz entschlossen kehre ich zu. Hey, der Laden war super. Ich ertappe mich, wie ich staunend durch die Regale stöbere. Richtig tolle, leckere Sachen. Nach all der Zeit mit ausschließlichen Tankstelleneinkäufen komme ich mir hier jetzt vor wie im Paradies. Entsprechend voll sind dann auch meine Taschen bei der Weiterfahrt.
Gegen Mittag taucht die Skyline von Minneapolis auf. Und gleich wird das Fahren ziemlich mühsam. Mehr Straßen, mehr Verkehr, Industrieanlagen, viele Brücken. Es gibt zwar recht viele Parkanlagen, und auch gut beschilderte Radwege. Doch alles ist auf Autos ausgerichtet. Mit dem Fahrrad muss man irgendwo hintenrum fahren bis man durch ist. Oder jedenfalls habe ich so einen Weg gewählt. Und kaum habe ich die eine Stadt geschafft, taucht schon ihr Zwilling, die Bundesstaatshauptstadt St. Paul auf. Dort geht es ähnlich weiter.
Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich diesen Großraum außen umfahren hätte. Doch dem Mississippi weiter zu folgen, hatte auch seinen Reiz. Und der Fluss suchte seinen Weg halt eben mitten durch die Großstädte. Flussabwärts tauchen dann plötzlich große Schiffe auf. Schlepper schieben lange Lastkähne durch die Fahrrinne. Und am Ufer dominieren öde Fabriken statt der gepflegten Villen mit ihren Gärten und den wieselnden Eichhörnchen. Doch es ist ja nur ein kleiner Abschnitt, und vor allem ein großer Ballungsraum. Wenn es anders weitergeht, soll es mir nur recht sein.
31. August 2022
Ein Campingplatz mit Gemüsegarten
Ein klarer feiner Morgen. Grillen zirpen. Links und rechts von der Straße wachsen Mais und Bohnen. Die Sonne steht noch tief und blendet. Ich fahre Richtung Südosten, am Land, wo es gut zum Radeln ist. Es ist flach, und die Weite ist nicht nur sichtbar sondern auch spürbar. So ein Morgen gefällt mir. Allein am Weg auf gutem Asphalt. Geradeaus, und dann wieder ein paar Ecken. So geht es übers Land und durch die Felder.
Natürlich gelange ich recht bald wieder auf eine größere Straße. Doch die Schulter ist breit und der Verkehr hält sich in Grenzen. Mit etwas Rückenwind fliege ich dahin, kommt es mir hie und da halt so vor. Doch kräftig strampeln muss ich dennoch. Der Mississippi ist mal nah, und dann wieder etwas weiter weg. Mal ist er schmal, und dann wieder ganz breit. Er geht in Seen über, und findet doch wieder den Ausgang. Vielleicht badet er heute. Die Temperaturen ließen es zu.
Als ich durch Lake City fahre, kommt es mir nicht mehr ländlich vor. Etwas mondän, ist mein Eindruck. Doch passend zur Umgebung mit dem großen blauen See. Und zu einer Stadt, in der angeblich das Wasserskifahren entdeckt wurde. So steht es zumindest auf einer Infotafel angeschrieben.
Es ist ziemlich heiß. Doch die Straße führt am Nachmittag an einem langen, bewaldeten Hügelkamm entlang. Links der Fluss, und rechts schattenspendende Bäume. Im verschwitzten Nacken fühlt sich die Kühle sehr angenehm an. Die Straße ist neu asphaltiert und halbseitig abgesperrt. Große, runde, rotweiße Kunststoffpoller bilden die Barriere. Und das wohl fast 40 Kilometer lang. Arbeiten sind jedoch keine im Gang. Also nutze ich den gesperrten Streifen für mich allein. Irgendwann steht ein Sheriff-Auto in einer Ausweichbucht. Der Beamte winkt mir freundlich zu. Es ist also ok, wenn mal die Radfahrer Vorrang haben.
Nach einem langen Tag kehre ich am Prairie Island Campground zu. “A smile is happiness found right under your nose“ steht groß auf der Werbetafel am Eingang. Und gut gelaunt bekomme ich auch einen Biker-Platz direkt am Wasser. Der Platz ist total großzügig angelegt. Viele Bäume, grüner Rasen. Der Mississippi fließt träge dahin. Es ist ein Nebenarm zum großen Fluss. Und einen Gemeinschaftsgemüsegarten von Leuten aus der nahen Ortschaft gibt es auch. Tomaten und Zucchini scheint man hier zu mögen. Die Erdbeerpflanzen tragen nichts mehr zum Stibitzen. Und die Sonnenblumenkerne sind noch nicht reif. Suppengrün kann ich auch nicht gebrauchen. Vielleicht die grünen Paprika, oder ein paar von den gleichgroßen kleinen Gurken? Ich traue mich dann doch nicht, bin mit einem Snickers zum Abendessen zufrieden.