16. Mai 2025
Ein sonniger Tag in gefälliger Landschaft
Ich wache heute schon früh auf. Lautes Möwengeschrei hat mich geweckt. Beim Fensteröffnen stelle ich fest, dass es keinen Drehbeschlag hat. Man kann es nur unten nach außen klappen. Der Sonne ist es egal. Die scheint trotzdem rein. Und sie ist wichtig für meine gute Laune. Die haben später auch einige rothaarige Kinder, die in ihren Schuluniformen miteinander schwatzend vor meinem Fenster auf den Bus warten. Es ist natürlich ein Doppeldecker, der sie mitnimmt. Solche Busse begegnen mir im Laufe des Tages noch ganz viele. Ich staune, wie sie ob der unebenen Straßen schwankend daherkommen. Oder wie knapp sie oben an den Bäumen vorbeirauschen.
Manche Dinge sind hier auf der englischen Seite des Kanals doch ein bisschen anders. Das Frühstück ist es jedenfalls. Doch daran kann ich mich glaub schon gewöhnen. Gebuttertes Toastbrot, gebackene Bohnen in Tomatensoße, beidseitig gebratene Spiegeleier, gegrillte Tomaten, Kartoffelpuffer und vegetarische Würstchen sind in dieser Kombination sicher eine gute Grundlage für einen Tag am Rad. Ich gehe ihn flott an, zumindest bis zur ersten Rampe. Denn rauf auf die hohen Klippen komme ich nur langsam. Oben belohnt mich dafür ein imposantes Panorama mit grandioser Aussicht. Backsteinhäuser reihen sich eng aneinander an der Kante zum Meer. Und in jedem zweiten Garten ist jemand mit Rasentrimmen beschäftigt. Das kann ja gar nicht anders sein, auf dieser Seite des Kanals.
Wieder unten nah zum Meer führt mich meine Route auf einem Küstenradweg dahin. Manchmal ist er ganz idyllisch angelegt, und gefällt mir sehr. Doch oft ist es auch nur die normale Straße, die einem das Weiterkommen an der Küste ermöglicht. Dann gilt es die Fahrbahn mit den Autos zu teilen. Und sonst muss ich sie mit Hunden teilen, kommt es mir so vor. Hier besteht glaub Hundepflicht für alle Fußgänger. Doch die Landschaft zieht natürlich an. Der Reiz des Meeres, die ständige Brise, der breite Strand mit hie und da Sand und dann wieder nur Steinen, die Wiesen dahinter, die vereinzelten Golfplätze, die großen Badeorte, die bunten Strandkabinen, und Sonne pur wie heute, das hat schon was. Kein Wunder also, dass ich abends ob der Vielzahl an Fotos staune, die sich unterwegs ergeben haben.
17. Mai 2025
Eine Küste voller Trubel
Auf meiner Bohnendose zum Frühstück ist ein Werbespruch aufgedruckt: „Magic breakfast - fuel for learning“. Ich formuliere ihn für mich zurecht, und ersetze learning durch cycling. Damit starte ich motiviert in den anfangs bewölkten und windigen Tag. Es geht gleich kräftig aufwärts. Oben, auf dem Höhenzug an der Klippenküste sind viele Wanderer und Jogger zu sehen. Samstag, da ist eindeutig mehr los mit Freizeitsport. Und auf den glatten Grasrücken landeinwärts grasen wie wohl auch sonst Schafe mit langem Zottelpelz. Die nehmen von mir und den anderen keine Notiz.
Die Straße ist kurvig in die Landschaft eingebettet. Die lange Abfahrt gefällt mir daher sehr. Herrlich, all die Kurven im Grünen hinunter Richtung Meer zu düsen. Ich habe Mütze, Halstuch und Beinlinge an, und finde es frisch. Andere fahren schon am Morgen mit kurzen Hosen. Das finde ich für mich zu gewagt. Kurz vor Brighton, dem bekannten Seebadeort mit unendlich langem Strand, zeigen sich dann die weißen Kreidefelsen in höchst majestätischer Form. Egal ob in kurzer oder langer Hose betrachtet, die Felsen sind beeindruckend.
Fast noch mehr beeindruckt mich jedoch der nun plötzlich vorhandene Rummel auf den Straßen, am Strand, und damit auch auf meinem Weg. Ganz England scheint den Weg zur Küste nach Brighton gefunden zu haben. Oder hat sich dieselbe Route vorgenommen wie ich. Das Fahren ist anstrengender als sonst. Und zu Land und zu Wasser werden alle möglichen Sportarten betrieben, die man sich nur vorstellen kann. Es herrscht ein Rummel sondergleichen. Ich komme sogar an einem Saunawagen vorbei. Es ist ein umgebauter Pferdeanhänger mit Holzofen und Kamin. Das Meer dient als Tauchbecken und der Strand als Freiluftruheraum mit Liegestühlen. Aus der Luft hätte ich mir das Geschehen auch anschauen können. Von einem nahen Flugplatz starten immer wieder Kleinflugzeuge. Ich meine für Rundflüge über die Stadt, den Strand und die Kreidefelsen. War ich am Vormittag noch bei guter Laune, so ist sie ob des Trubels rundherum später etwas getrübt. Ich hatte mir die Südküste tatsächlich nicht so umtriebig vorgestellt.
18. Mai 2025
Ebbe, Farmland und Fähren
Beim Rausfahren aus der Stadt wird gerade eine Laufveranstaltung vorbereitet. Die Straßen sind mit rotweißen Kegeln geteilt. Überall werden neongelbe Hinweisschilder mit der Aufschrift „Runners“ montiert. Von den Läuferinnen und Läufern ist jedoch noch niemand zu sehen. Also habe ich freie Fahrt auf ihrer Strecke. Später führt mich meine Route mehr durch Farmland. Schmale Straßen ohne Verkehr gefallen mir weitaus besser als die überfüllten Städte so wie gestern. Manchmal sind auch kurze Schotterpassagen dabei, wenn es quer übers Weideland geht. Das sind dann zumeist auch gleich Wanderpfade, und damit etwas holpriger zum Fahren.
Irgendwann irritiert mich eine spiegelnde Fläche etwas weiter vorne. Beim Näherkommen stellt sie sich als folienbedeckter Acker dar. Ich hatte sie im Spiel des Windes für einen See mit leichtem Wellengang gehalten. Nur wenig Wellen gab es auch am Meer. Ohne Sonne schaute das Wasser weiter draußen ganz gräulich aus. In den Hafenbuchten war untertags überall Ebbe angesagt. Manche Boote lagen im Trockenen, oder schwammen auf einem Algenteppich. Bei der Fahrt am Strand der Küste entlang ist mir dies bisher gar nicht so aufgefallen. Abends schaue ich dann im Gehzeitenkalender die Unterschiede nach. Fast 3 Meter beträgt die Differenz zwischen Niedrigwasser und Hochwasser für den Küstenabschnitt hier.
Mittags hatte ich mich für eine Pause in einer Bucht entschieden. Auf der Karte schaute es so aus, als ob der Picknickplatz direkt am Meer liegt. Doch ich hatte dann nur Blick auf einen Algenteppich und ein paar trockenliegende Segelboote. Meine Brote schmeckten dennoch trotz der Ebbe. Und weil die Sonne fein wärmte, dehnte ich die Pause noch etwas länger aus. Einige Hunde hatten in der Bucht auch ihren Spaß. Entweder jagten sie sich gegenseitig nach, oder sie hatten es auf Möwen abgesehen. Und den Leuten beim Flanieren am Ufer zuzuschauen war ebenfalls kurzweilig.
Auf meinem Streckenabschnitt heute war ich mehrfach auf Fähren angewiesen. Ein Mal war es nur ein kleines Motorboot. Bei der Abfahrt konnte ich über einen wackeligen schmalen Bootssteg zusteigen. Doch beim Aussteigen ein paar Minuten später war es eine algenbewachsene Landzunge, auf der das Boot aufsetzte. Der folgende Fußmarsch zum Radweg am Ufer dauerte länger als die Überfahrt selbst. Im Hafen der Großstadt Portsmouth war es dann schon ein größeres Fährschiff. Da waren dann auch entsprechend mehr Leute mit an Bord, und einige Sonntagsausflugsradler ebenso.
19. Mai 2025
Ein kurzweiliger Ausflug auf eine kleine Insel
Bei trübem Wetter schwinge ich mich schon kurz nach sieben Uhr aufs Rad. Doch es ist ein absolut zäher Morgen zum Fahren. Stadtverkehr und lautes Brausen rund um mich herum, das kein Ende haben wollte. Meinte ich noch, dass es in den Vororten gut geht, so war es dann in der Praxis doch nicht so. Ich steckte meist hinter irgendwelchen Doppeldeckerbussen fest. Und wenn ich auf den Gehsteig ausgewichen bin, dann war er spätestens bei der nächsten Ecke wieder zu Ende. Ich war am Weg durch Southampton. Ich musste meine Route etwas adaptieren. Eine Fährverbindung war nämlich nicht mehr verfügbar. Und so war meine Laune bis in den Vormittag hinein dem Wetter entsprechend.
Doch irgendwann erreichte ich den New Forest Nationalpark. Da war es dann klasse zum Fahren. Weideland, Heide und naturbelassener Wald. Dazu hie und da sich frei bewegende Pferde und nur vereinzelt Autos. Mit der Ruhe rundum ein totaler Kontrast zum Stadtverkehr am Morgen. Die Straße war von knorrigen, kleinwüchsigen Eichen mit großen Baumkronen gesäumt. Sie bildeten ein grünes Blätterdach über die Straßen. Die Sonne wagte sich jetzt auch wieder hervor. Der Tag begann mir zu gefallen.
In Lymington nahm ich die Fähre auf die Insel Wight. Falls ich einen Tag frei habe, so soll ich doch einen Ausflug auf die Insel machen. Sie sei sehr schön, lautete der Tipp eines jungen Radfahrers, der mich gestern vor Portsmouth mit seiner Tochter hinten am Kindersitz angesprochen hat. Und so mache ich heute von der großen Insel einen Ausflug auf eine kleine Insel. Die Fähre tuckerte nur langsam aus dem Hafen. Bis weit ins Meer hinaus waren Markierungspfähle für die Fahrrinne gesetzt. Und auf der Insel ging es dann eine Spur gemächlicher her. Hohe Hecken säumten links und rechts die Straße und machten sie deutlich enger und unübersichtlicher. In den Kurven war es mit Risiko verbunden, die Abfahrten mit vollem Elan zu nehmen. Doch das Fahren im kupierten und kurvenreichen Gelände hat mir gefallen. Kurz vor meinem Etappenziel musste ich nochmals einen schmalen Meeresarm mit einer Fähre übersetzen. Es war eine Kettenzugfähre. Eine interessante Überfahrt mit Kettenrasseln als akustischer Begleitmusik.
20. Mai 2025
Ein feines Fahren auf der Isle of Wight
Bei meiner Nächtigung in dem kleinen Vorstadthotel war der Zimmerpreis inklusive Frühstück. Auf ein solches in typisch englischer Art eingestellt wies ich vorsorglich darauf hin, dass ich keine Würstchen mag. Den Zusatz Vegetarisch hielt ich dabei für entbehrlich. Und prompt lernte ich wieder dazu: Statt den Sausages gab es nämlich üppig fetten Bacon am Teller. Nicht nur ich, auch der Inhaber hatte es also gut gemeint.
In einer leichten Steigung bei der Stadtausfahrt überholte ich ein kleines blondes Mädchen auf seinem Laufrad. Es war vom joggenden Vater begleitet, der es zu einem Wettrennen mit mir animierte, und auch kräftig anschob. Wahrscheinlich fehlte mir bei dieser Herausforderung der Speck vom Frühstück. Wir waren zwar lange gleichauf, doch kurz vor dem Scheitelpunkt zog das Mädchen davon und gewann knapp den Sprint. Ein lustiger Start in den Tag, sowohl für mich als auch das Kind am Laufrad und dessen Vater.
Die Südseite der Insel Wight war dann purer Genuss zum Fahren. Sonne, kaum Wind, wenig Verkehr, kurvenreiches Auf und Ab, grüne Hecken, Meeresblick, schmucke Backsteinhäuser, gepflegte Vorgärten mit Rasen, und ich mittendrin kräftig und freudig am Kurbeln. Auch wenn es keine langen Steigungen waren, so sammelte ich aufgrund deren Vielzahl dennoch kontinuierlich Höhenmeter. Irgendwann vor der Westspitze der Insel zeigten sich dann die dortigen mächtigen weißen Klippen schon von weitem. Und mit dem Näherkommen wurde ihr Anblick immer imposanter. Unterwegs hatten mich viele Busse überholt. Die traf ich dann mittags alle wieder. Das Besucherzentrum der „Needles" war rammelvoll. Die nadelförmigen Kreidefelsen an der Westspitze hatte heute nicht nur ich auf der Agenda. Doch ich begnügte mich mit deren Anblick von oben und aus der Entfernung. Die Sesselliftfahrt zum Meer hinunter und die Bootstour rund um die Kreidenadeln ließ ich aus. Den Jurassic-Park heroben ebenso, und auch alle Souvenirstände und Frittenbuden. Ich hatte mein Fahren an der Küste schon als persönliches Highlight des Tages davor.
21. Mai 2025
Es regnet und lockt mich nicht zum Weiterfahren
In der Nacht fängt es an zu regnen. Und am Morgen dauert der Nieselregen an. Wenn auch nicht kalt, so mag ich dennoch nicht aufs Rad. Die Wetterprognose sagt nämlich für die Küstenregion ganztägig Regen voraus. Leider muss ich dennoch raus. In meiner Unterkunft ist nichts mehr frei. Ich buche ein Zimmer in der nächsten Stadt, und fahre auf der sandigen Küstenspur bis dorthin.
Die Badehäuschen sind alle verwaist. Nur bei einem sitzen bei offener Tür tratschend zwei Frauen drin. Es schaut nach Kaffeeplausch aus. Sonst ist hier niemand unterwegs. Näher zur Stadt planieren zwei Traktoren den Sandstrand. Vor und zurück, Schaufel oben, Schaufel unten, stetiges Hin und Her. Bei einem überdachten Pier mache ich Pause. Ich warte unter Dach eine Regenpause ab. Doch dafür muss ich lange verweilen. Denn statt der erhofften Auflockerung ziehen dunkle Wolken über den Strand und lassen es stärker plätschern. Zwei Sportler scheint dies nicht zu stören. Sie spulen am Strand ein Trainingsprogramm mit abwechselnd Laufen und Schwimmen ab. Als sie dann gegenseitig nach fast 2 Stunden abklatschen, hat der Regen endlich aufgehört.
Ich wechsle einige Kilometer weiter zum nächsten Pier. Eine große Kindergartengruppe hat heute Eis essen und Sandspielen am Strand am Programm. Der wiedereinsetzende leichte Regen hemmt keineswegs ihren Spieltrieb. Bloß eine beträchtliche Filmcrew samt schauspielenden Akteuren verziehen sich in ihre Zelte. Die Szene am Strand wird wohl ein anderes Mal gedreht. Ich staune, wie viele Lastwagen mit Material und Requisiten für das Filmen an der Uferpromenade stehen. Vielleicht hätten die Kinder auch einen Part spielen sollen. Radfahrer brauchten sie offensichtlich keinen am Set. Ich konnte unbehelligt passieren.
22. Mai 2025
Grün und Grau am Weg, und in Portland dann vor allem Stein
Juhu, Sonne gleich schon am Morgen. Es ist ganz mild. Dazu kein Wind. Das Meer liegt als glatte Fläche ruhig da. Es ist kein Wellengeräusch zu hören. Da wirkt das Rattern der Kettenzugfähre beim Übersetzen einer kleinen Bucht noch viel lauter. Die paar Autos von der Fähre sind schnell weg. Die Straße scheint somit nur mir zu gehören. Weit vorne glänzen die steil abfallenden weißen Kalkfelsen in der Morgensonne. Es gefällt mir zum Fahren. Und Höhenmeter kommen auch gleich kräftig dazu. Es ist ein stetiges Auf und Ab, und zwischendrin auch ein paar längere Anstiege. Mit den seitlichen Hecken wirkt die Straße noch schmaler. Auf den glatt rasierten grünen Hügeln weiden kleine Schafherden. Hie und da sind bei vereinzelten Höfen auch braunweiß gescheckte schwere Rinder zu sehen.
Bei ein paar Ortschaften hintereinander fällt mir auf, dass die Häuser alle Grau in Grau sind. Die Mauern sind aus grauen Steinen, und die Dächer ebenso aus grauen Steinplatten. Nur die Fensterrahmen sind alle in weiß gehalten. Und meist mittendrin findet sich noch eine schmucklose graue Kirche. Bei einer ist ein großer Friedhof dabei. Die Gräber sind natürlich auch in Grau. Abgewetterte graue Grabsteine stehen dicht an dicht. Sonst ist alles Rasen. In den Purbeck Hills komme ich an einer mächtigen Burgruine vorbei. Ihre verfallenen grauen Mauern sind schon von weitem zu sehen. Meine Route führt an ihrem Fuß vorbei. Aus der Perspektive von unten dominieren das Grün des Burghügels und der blaue Himmel. Das gefällt mir weitaus besser als nur das Grau der Steine.
Später fahre ich für einige Zeit an einem Militärgelände vorbei. Doch abgesehen von vielen Hinweisschildern zu Panzern und plötzlichem Schusslärm zeigt sich die Landschaft als grüne Idylle. Die Kuhherden werden dann wohl andere Weiden suchen müssen, wenn hier Panzer ihre Übungen abhalten. Kurz vor der Insel Portland wird der Verkehr dann mehr. Beim langen Damm der Inselzufahrt weiche ich gerne auf den seitlichen schmalen Rad- und Fußgängerstreifen aus. Die Steigung hoch zur Ebene mit dem Leuchtturm fordert mich dann auf andere Art. Oben finden sich auch mehrere große Steinbrüche. Der Portland-Kalkstein ist anscheinend weltweit verbaut worden. Ich begnüge mich mit dem Fotografieren von ein paar großen Steinen. Zum Mitnehmen habe ich zu wenig Platz in meinen Taschen.
23. Mai 2025
Anstrengendes Auf und Ab mit Höhenmetern pur
Gleich nach dem Losfahren bekomme ich schon auf den ersten paar Kilometern einen Eindruck von dem, was mich fahrerisch heute erwartet: Hügel auf und Hügel ab, schmale Straßen, steile Rampen, einsame Gegend, Blick aufs Meer und das Hinterland. Es sind Nebenwege, auf denen ich unterwegs bin. Ein paar Kilometer sind es auch auf der stark frequentierten Hauptstraße. Doch sonst ist nichts los auf meinen kleinen Straßen. Es gefällt, auch wenn es stetig nur Auf und Ab geht.
Hie und da führt meine Route an einzelnen, einsam gelegenen Bauernhöfen vorbei. Meist sind es große Betriebe. An den tiefsten Punkten mancher Hügeleinschnitte finden sich auch immer wieder ein paar Häuser an einem kleinen Gewässer. Für mich heißt das dann auch ohne Blick auf die Karte, dass es gleich wieder satt hoch geht. Einige der Rampen sind äußerst steil. Ein paar Mal komme ich nur mit Schieben hoch. Selbst ohne Gepäck hätte ich da kräftig strampeln müssen. Die Abfahrten sind oft ebenso steil. Die Bremsscheiben sind sicher mehr als nur einmal richtig heiß geworden.
Einige Male führt mich die Route auch ans Meer. Dort passiere ich Kleinstädte mit stark touristischer Ausrichtung und oft auch regem Betrieb. Die Küste hat zugegeben Charme. Doch ich bin heute fast mehr mit den fahrerischen Anforderungen beschäftigt. Die Höhenmeter zehren sehr. Beim Überqueren einer großen Bucht ärgere ich mich zuerst, dass ich die Kleinfähre um wenige Minuten verpasst hatte. Doch dann bin ich um die erzwungene Pause froh. Später fahre ich in Torquay ein. „Birthplace of Agatha Christie, the Queen of Crime“ kann ich auf einer Hinweistafel lesen. Doch abends bin ich der vielen Höhenmeter wegen dann viel zu müde, um auch nur irgendetwas anderes mehr zu lesen.
24. Mai 2025
Am Wasser Rennboote und in den Hügeln Höhenmeter
Die beiden Vermieter der Unterkunft waren äußerst aufmerksam. Ihr kleines Guesthouse war mit Stil eingerichtet. Und das Frühstück war erste Klasse. Da störte es mich dann auch nicht weiter, dass es anfangs leicht fieselte, als ich aufs Rad stieg. Ich hoffte, dass der Wetterbericht nicht recht behalten wird, und dass der Wind die Regenwolken woanders hintreibt. Ich hatte mir heute eine kürzere Etappe vorgenommen. Die Erfahrung von gestern war genug. Ich muss nicht unbedingt jeden Tag einen neuen Höhenmeterrekord aufstellen.
Zuerst ging es flach dem Strand entlang. Die Badehäuschen waren bunt wie anderswo. Doch mit dem Grau des Himmels kamen ihre schmucken Farben nicht wirklich zur Geltung. In den Hafenbuchten standen die Boote im Schlamm. Das schaute fast etwas trist aus. Lossegeln war da wohl erst am Nachmittag bei Flut möglich. Vom Meer aus muss die Küste mit den dunkelrotbraunen steilen Klippen sicher auch schön anzuschauen sein. Ich fuhr ihrer Kante entlang, mit stetigem Auf und Ab. In Brixton war eine bunte Häuserfront am Hang auffällig. Da waren die anderen Häuser rundum gleich weniger grau. Im Hafen wurde ein Schnellbootevent vorbereitet. Ein Boot nach dem anderen wurde zu Wasser gelassen. Beim langsamen Losfahren brabbelten oder röchelten die starken Motoren tief. Beim Rennen werden sie dann wohl andere Töne von sich geben.
Manchmal ist meine schmale Straße hohlwegmäßig in die hügelige Landschaft eingebettet. Je nach Ausrichtung ist es am Rad windstill. Der Wind pfeift dann oben über die Schneise drüber. Doch oft kommt er mir auch entgegen, und bremst mich in den steilen Anstiegen zusätzlich. Viel Verkehr ist nicht. Die Autos müssen in Ausweichbuchten aufeinander warten. Auf mich nehmen sie auch Rücksicht, kommt es mir vor. Sie warten geduldig, bis ich an ihnen vorbeikomme. Oder drängeln nicht von hinten zum Überholen. In einer der Ausweichbuchten gibt es mit einem Autofahrer einen netten Tratsch. Er interessiert sich für mich und meint, dass er hier ja kaum mit seinem Auto hochkomme, wo ich mit dem schweren Rad unterwegs bin. Schmunzelnd bedanke ich mich für seine Anerkennung. Ich war in der Steigung nämlich froh, dass ich stehen bleiben konnte. Das Gespräch war willkommene Pause zum Luftholen im Anstieg.
25. Mai 2025
Hügel noch und noch und viele als steile Rampen
Gefühlt hatte ich heute kaum geschlafen. Am Abend zog eine Regenfront durch und trommelte lange aufs Zelt. In der Nacht rüttelte der böige Wind recht kräftig daran. Und schon im Morgengrauen begann ein Krähenschwarm überm Zeltplatz sein Gekreische und wollte nicht mehr aufhören. Doch als ich aus dem Zelt schaue, freue ich mich ob des blau eingesprenkelten Himmels. Aber nur eine halbe Banane später begann es für kurze Zeit leicht zu Nieseln. Wetterkapriolen an der Küste.
Bei kräftig Wind steige ich dann aufs Rad. Er pfeift mir um die Ohren. Gerne ziehe ich meine Helmmütze an. Die kleinen Segelboote draußen haben da mit dem Wind weniger Mühe. Sie liegen schräg im Wasser und gleiten flott über die Schaumkronen. In einer Bucht ziehen sich ein paar Leute gerade um für ein Bad im Meer. Sie müssen sich sichtlich überwinden, bis sie vom seichten Wasser dann etwas weiter draußen eintauchen können. Ich muss mich ebenfalls überwinden, nämlich dass ich die erste Steigung im Sattel hochkomme. Diese Rampen haben es in sich. Im Laufe des Tages komme ich heute bei einigen nur schiebend hoch. Am Navi wird der Anstieg in sattem dunkelbraun angezeigt. Unmöglich für mich, das fahrerisch zu schaffen. Doch auch die Jogger sind da entsprechend langsam. Einige haben eine Zeitung unterm Arm eingeklemmt. Sonntagslektüre für später zu Hause.
Irgendwann staune ich ob eines Straßenschildes: „Tidale road, fallweise unpassierbar“. Tatsächlich führt die Straße entlang eines Meeresarmes und teilweise auch mitten durch. An einer Stelle markieren Holzpfähle zusätzlich die Fahrspur. Daneben liegen die Boote im Trockenen. Es ist Ebbe. Ich komme gut durch. Nur die folgende Steigung hatte es in sich. Absteigen und lange schieben war die Lösung. Doch ein eigenes Warnschild für Radfahrer gab es nicht, dass die Strecke unfahrbar ist, weil so steil. Am Abend bin ich in Plymouth ziemlich geschafft. Das hügelige Cornwall fordert mich sehr. Landschaftlich schön anzuschauen, doch zum Radfahren an der Küste ziemlich speziell.
26. Mai 2025
Der vermeintliche Regentag erweist sich als Sonnentag
Für den Vormittag war Regen angekündigt, und mit Unterbrechungen auch für danach. Also starte ich schon recht früh. Doch bei der Fußgängerfähre zum Übersetzen einer Bucht in Plymouth schien die Fahrt schon wieder beendet. Das Fährboot stand einsam und verlassen am Kai. Ein Hafenmitarbeiter erklärte mir, dass sie heute wegen des Bankfeiertages erst später fahren. Da bin ich extra früh aufgestanden, um im Hafen allein zu warten? Kurzerhand plane ich meine Route um. Ich nutze einfach die Autofähre etwas weiter nördlich. Der Weg dahin ist nicht so weit. Und danach biege ich wieder zur Küste ab.
Trotz etwas holprigem Start wird es dann ein Vormittag zum Genießen. Es ist mild. Die Sonne kommt durch und wärmt. Der Wind hält sich in Grenzen. Ich fahre nah zum Meer mit Aussicht über grüne Hügel. Kuckucksblumen und Fingerhut zieren seitlich die Wege. Kühe grüßen von den Weiden. Und vor allem: Die Steigungen sind nicht so brutal wie gestern. Bis auf zwei komme ich überall gut hoch. Es ist lässig zum Fahren und gefällt mir sehr.
Über zwei Straßenschilder muss ich schmunzeln. Eines ist die Ortstafel von „No Man’s Land“, einem doch etwas ausgefallenen Namen. Und das zweite entdecke ich am Beginn einer kräftigen Steigung: „Try your brakes“. Wohl zur Vorsicht gedacht, falls man nicht hochkommen sollte. Ich schaffte es schiebend. Und auf halbem Weg gönnte ich mir gar schon eine Belohnung. Im Hohlweg wuchsen nämlich im seitlichen Grün kleine Walderdbeeren. Schön rot, reif und mit köstlichem Geschmack.
Gegen Mittag ziehen Schauer auf. Unter einem großen Baum mit ausladendem Blätterdach wappne ich mich mit meiner Regenkleidung. Doch so schnell wie die Front gekommen war, war sie auch wieder weitergezogen. Es regnete nur kurz. Während ich mit Weiterfahren noch zuwarte, fährt eine ältere Frau auf einem Brompton-Klapprad an mir vorbei. Sie ist etwas durchnässt, doch lacht. Wahrscheinlich erkannte sie in mir gleich den regenscheuen Touristen. Aber ich bleibe bei meiner Taktik. Auch bei der nächsten Front hilft kurzes Unterstehen für ein Trockenbleiben. Danach wird es dann für einige Zeit gar heiter. Nur der Wind ist merklich stärker. Bei einer längeren Pause am Meer bin ich um den Windschutz der Böschung froh. Es war zwar nur ein kleines Eck. Doch mit der Aussicht auf das schäumende Meer und das intensive Grün am Hügel auf der anderen Seite der Bucht schmeckten die beiden Sandwiches ausgezeichnet.
27. Mai 2025
Ein Regentag mit Hindernissen
Hatte ich mich gestern darauf verlassen, dass der Wind die Regenwolken woanders hinschiebt, so gab er sich heute alle Mühe, immer wieder neue aufzutreiben. Der Wetterbericht sagte es so voraus. Dennoch fuhr ich im Nieseln zuversichtlich los. Nur statt der erhofften Besserung ging das Nieseln rasch in einen Landregen über. Dazu wehte kräftiger, böiger Wind. In den Hohlwegen war ich etwas geschützt. Doch auf den Hügeln war ich dem Wind voll ausgeliefert. Mein Fahrspaß hielt sich in Grenzen.
Etwas gute Laune kam auf, als mir ein Busfahrer bei offenem Fenster mit Daumen hoch Chapeau zurief. Er hatte am Scheitelpunkt einer Steigung mein Entgegenkommen abgewartet. Ich deutete zwar, dass es sich mit Vorbeifahren ausgeht, doch er blieb weiter stehen. Wahrscheinlich wollte er wissen, ob ich den Anstieg durch die schmale Gasse im Sattel schaffe. Seine Geste hat mich jedenfalls motiviert. In den folgenden Anstiegen trug ich sein Chapeau wie eine Karotte vor mir her. Mein Rad etwas tragen musste ich auch. Die Straße war an einem Strand unterbrochen. Auf einem Fußweg durch tiefen Sand versuchte ich mein Glück. Die Überziehschuhe waren danach gut mit Sand gefüllt.
Kurz nach Mittag hatte ich es endlich bis zur Fähre in St. Maves geschafft. Doch beim Fährhäuschen entwich mir ein überlautes "Naaa, das kann nicht sein“. Ich hatte nämlich den Anschlag am Fenster gelesen: "Tuesday, all sailings have been canceled due to adverse sea conditions". Das Meer schaute mit dem Regen und den Windböen wirklich nicht einladend aus. Doch auch für mich war es wenig einladend, die Hügel wieder zurück zu kurbeln und einen weiten Umweg zu fahren. Weiter landeinwärts war die Überfahrt dann mit einer Kettenfähre bei einem Fluss möglich. Der Fährmann lachte nur, als ich ihm meine Geschichte erzählte.
Nichts zu lachen hatte ich dann bei einer Abfahrt kurz vor meinem Etappenziel. Ich merkte, wie mein Hinterrad plötzlich schwammig wurde. Und gleich war der Reifen platt, alle Luft entwichen. In einer Ausweichbucht begann ich mit der Reparatur. Statt Werkstattkleidung hatte ich meine Regenkombi an. Das störte nicht, ebenso nicht der leichte Regen. Doch bei der Montage der Steckachse wollte das Gewinde nicht greifen. Ich mühte mich ab und war dem Verzweifeln nahe. Die Achse wollte sich partout nicht hineindrehen lassen. Ohne Rad klappte es, doch mit dem Rad ging es nicht. Ich hatte schon Angst, dass das Gewinde kaputt ist, und meine Tour damit beendet. Irgendwann checkte ich, dass die Kette, weil auf dem falschen Ritzel aufliegend, das Rad verkantete. Ich war total erleichtert, als ich die Reparatur dann doch erfolgreich abschließen konnte. Das ist mir auf die Art noch nie passiert. Und so ein Regentag mit diesen Hindernissen auch noch nie. Welcome2cornwall lautete das Passwort für das Wifi ironischerweise abends in der Unterkunft. Ich meinte, ganz passend zum Tag.
28. Mai 2025
Langes Warten und dann doch flottes Tempo
Der morgendliche Blick aus dem Fenster der kleinen Dachkammer erfreut. Die gelbe Fassade des Hauses vis-a-vis leuchtet knallig in der Morgensonne. Unglaublich, nach dem gestrigen Regengrau des Tages. Wenn es so bleibt, dann steige ich gerne aufs Rad. Meine abends noch gewaschenen Sachen sind jetzt alle trocken. Die Taschen waren in der Dusche rasch abgespritzt, die Überziehschuhe ebenso. Und die im Zimmer an allen möglichen Stellen aufgehängten Radsachen aus der Handwäsche rochen wieder angenehm.
Die ersten Steigungen kurbelte ich unter dichtem, dunklen Blätterdach auf noch regenfeuchter Straße hoch. Je mehr ich in solchen Hohlwegen unterwegs bin, desto mehr finde ich Gefallen an ihnen. Nah zu den Ortschaften begegnen einem dort auch oft Leute. Natürlich immer mit Hund. Doch ein Radfahrer scheint diese nicht im Geringsten zu interessieren. Das macht das Aufeinandertreffen entspannter. Den Vögeln scheint die Morgenstimmung auch zu gefallen. Lautes Zwitschern überall, und bei den Abfahrten manchmal auch das von meinen Bremsen.
Bei Helford wollte ich die Meeresbucht mit einer Fähre übersetzen. Doch ich traf dort zu meinem Erstaunen nur auf einen Fährmann ohne Fähre. Das Boot sei zur Reparatur. Ich müsse mit längerem Warten rechnen. Fähren sorgen also immer wieder für Überraschungen. Eine solche war es dann auch, als die Fähre endlich kam. Nein, nicht auf dem Seeweg, sondern auf einem von einem Kleinjeep gezogenen Anhänger auf der Straße. Da hatte ich mich die ganze Zeit auf die Meeresenge konzentriert, aus der ich ein großes Boot erwartete. Und dann kam ein Kleinboot an Land daher, auf dem der Schriftzug Ferry fast größer war als das Boot selbst. Doch die Überfahrt mit neuer Schiffsschraube klappte zu meiner Freude einwandfrei.
Große Freude hatte ich im Laufe des Tages dann mit meiner Route. Es ging sogar ungewohnt flach dahin, und das für lange Zeit ziemlich gerade. Ein voll vergessenes Fahrgefühl machte sich breit. Nach all dem tagelangen Auf und Ab in den Hügeln freute ich mich ob der ungewohnten Weite auf einer Ebene nah zum Meer. Und fast mehr noch ob des flotten Tempos unter knallblauem Himmel, angeschoben von etwas Rückenwind.