16. Mai 2025
Ein sonniger Tag in gefälliger Landschaft
Ich wache heute schon früh auf. Lautes Möwengeschrei hat mich geweckt. Beim Fensteröffnen stelle ich fest, dass es keinen Drehbeschlag hat. Man kann es nur unten nach außen klappen. Der Sonne ist es egal. Die scheint trotzdem rein. Und sie ist wichtig für meine gute Laune. Die haben später auch einige rothaarige Kinder, die in ihren Schuluniformen miteinander schwatzend vor meinem Fenster auf den Bus warten. Es ist natürlich ein Doppeldecker, der sie mitnimmt. Solche Busse begegnen mir im Laufe des Tages noch ganz viele. Ich staune, wie sie ob der unebenen Straßen schwankend daherkommen. Oder wie knapp sie oben an den Bäumen vorbeirauschen.
Manche Dinge sind hier auf der englischen Seite des Kanals doch ein bisschen anders. Das Frühstück ist es jedenfalls. Doch daran kann ich mich glaub schon gewöhnen. Gebuttertes Toastbrot, gebackene Bohnen in Tomatensoße, beidseitig gebratene Spiegeleier, gegrillte Tomaten, Kartoffelpuffer und vegetarische Würstchen sind in dieser Kombination sicher eine gute Grundlage für einen Tag am Rad. Ich gehe ihn flott an, zumindest bis zur ersten Rampe. Denn rauf auf die hohen Klippen komme ich nur langsam. Oben belohnt mich dafür ein imposantes Panorama mit grandioser Aussicht. Backsteinhäuser reihen sich eng aneinander an der Kante zum Meer. Und in jedem zweiten Garten ist jemand mit Rasentrimmen beschäftigt. Das kann ja gar nicht anders sein, auf dieser Seite des Kanals.
Wieder unten nah zum Meer führt mich meine Route auf einem Küstenradweg dahin. Manchmal ist er ganz idyllisch angelegt, und gefällt mir sehr. Doch oft ist es auch nur die normale Straße, die einem das Weiterkommen an der Küste ermöglicht. Dann gilt es die Fahrbahn mit den Autos zu teilen. Und sonst muss ich sie mit Hunden teilen, kommt es mir so vor. Hier besteht glaub Hundepflicht für alle Fußgänger. Doch die Landschaft zieht natürlich an. Der Reiz des Meeres, die ständige Brise, der breite Strand mit hie und da Sand und dann wieder nur Steinen, die Wiesen dahinter, die vereinzelten Golfplätze, die großen Badeorte, die bunten Strandkabinen, und Sonne pur wie heute, das hat schon was. Kein Wunder also, dass ich abends ob der Vielzahl an Fotos staune, die sich unterwegs ergeben haben.
17. Mai 2025
Eine Küste voller Trubel
Auf meiner Bohnendose zum Frühstück ist ein Werbespruch aufgedruckt: „Magic breakfast - fuel for learning“. Ich formuliere ihn für mich zurecht, und ersetze learning durch cycling. Damit starte ich motiviert in den anfangs bewölkten und windigen Tag. Es geht gleich kräftig aufwärts. Oben, auf dem Höhenzug an der Klippenküste sind viele Wanderer und Jogger zu sehen. Samstag, da ist eindeutig mehr los mit Freizeitsport. Und auf den glatten Grasrücken landeinwärts grasen wie wohl auch sonst Schafe mit langem Zottelpelz. Die nehmen von mir und den anderen keine Notiz.
Die Straße ist kurvig in die Landschaft eingebettet. Die lange Abfahrt gefällt mir daher sehr. Herrlich, all die Kurven im Grünen hinunter Richtung Meer zu düsen. Ich habe Mütze, Halstuch und Beinlinge an, und finde es frisch. Andere fahren schon am Morgen mit kurzen Hosen. Das finde ich für mich zu gewagt. Kurz vor Brighton, dem bekannten Seebadeort mit unendlich langem Strand, zeigen sich dann die weißen Kreidefelsen in höchst majestätischer Form. Egal ob in kurzer oder langer Hose betrachtet, die Felsen sind beeindruckend.
Fast noch mehr beeindruckt mich jedoch der nun plötzlich vorhandene Rummel auf den Straßen, am Strand, und damit auch auf meinem Weg. Ganz England scheint den Weg zur Küste nach Brighton gefunden zu haben. Oder hat sich dieselbe Route vorgenommen wie ich. Das Fahren ist anstrengender als sonst. Und zu Land und zu Wasser werden alle möglichen Sportarten betrieben, die man sich nur vorstellen kann. Es herrscht ein Rummel sondergleichen. Ich komme sogar an einem Saunawagen vorbei. Es ist ein umgebauter Pferdeanhänger mit Holzofen und Kamin. Das Meer dient als Tauchbecken und der Strand als Freiluftruheraum mit Liegestühlen. Aus der Luft hätte ich mir das Geschehen auch anschauen können. Von einem nahen Flugplatz starten immer wieder Kleinflugzeuge. Ich meine für Rundflüge über die Stadt, den Strand und die Kreidefelsen. War ich am Vormittag noch bei guter Laune, so ist sie ob des Trubels rundherum später etwas getrübt. Ich hatte mir die Südküste tatsächlich nicht so umtriebig vorgestellt.
18. Mai 2025
Ebbe, Farmland und Fähren
Beim Rausfahren aus der Stadt wird gerade eine Laufveranstaltung vorbereitet. Die Straßen sind mit rotweißen Kegeln geteilt. Überall werden neongelbe Hinweisschilder mit der Aufschrift „Runners“ montiert. Von den Läuferinnen und Läufern ist jedoch noch niemand zu sehen. Also habe ich freie Fahrt auf ihrer Strecke. Später führt mich meine Route mehr durch Farmland. Schmale Straßen ohne Verkehr gefallen mir weitaus besser als die überfüllten Städte so wie gestern. Manchmal sind auch kurze Schotterpassagen dabei, wenn es quer übers Weideland geht. Das sind dann zumeist auch gleich Wanderpfade, und damit etwas holpriger zum Fahren.
Irgendwann irritiert mich eine spiegelnde Fläche etwas weiter vorne. Beim Näherkommen stellt sie sich als folienbedeckter Acker dar. Ich hatte sie im Spiel des Windes für einen See mit leichtem Wellengang gehalten. Nur wenig Wellen gab es auch am Meer. Ohne Sonne schaute das Wasser weiter draußen ganz gräulich aus. In den Hafenbuchten war untertags überall Ebbe angesagt. Manche Boote lagen im Trockenen, oder schwammen auf einem Algenteppich. Bei der Fahrt am Strand der Küste entlang ist mir dies bisher gar nicht so aufgefallen. Abends schaue ich dann im Gehzeitenkalender die Unterschiede nach. Fast 3 Meter beträgt die Differenz zwischen Niedrigwasser und Hochwasser für den Küstenabschnitt hier.
Mittags hatte ich mich für eine Pause in einer Bucht entschieden. Auf der Karte schaute es so aus, als ob der Picknickplatz direkt am Meer liegt. Doch ich hatte dann nur Blick auf einen Algenteppich und ein paar trockenliegende Segelboote. Meine Brote schmeckten dennoch trotz der Ebbe. Und weil die Sonne fein wärmte, dehnte ich die Pause noch etwas länger aus. Einige Hunde hatten in der Bucht auch ihren Spaß. Entweder jagten sie sich gegenseitig nach, oder sie hatten es auf Möwen abgesehen. Und den Leuten beim Flanieren am Ufer zuzuschauen war ebenfalls kurzweilig.
Auf meinem Streckenabschnitt heute war ich mehrfach auf Fähren angewiesen. Ein Mal war es nur ein kleines Motorboot. Bei der Abfahrt konnte ich über einen wackeligen schmalen Bootssteg zusteigen. Doch beim Aussteigen ein paar Minuten später war es eine algenbewachsene Landzunge, auf der das Boot aufsetzte. Der folgende Fußmarsch zum Radweg am Ufer dauerte länger als die Überfahrt selbst. Im Hafen der Großstadt Portsmouth war es dann schon ein größeres Fährschiff. Da waren dann auch entsprechend mehr Leute mit an Bord, und einige Sonntagsausflugsradler ebenso.
19. Mai 2025
Ein kurzweiliger Ausflug auf eine kleine Insel
Bei trübem Wetter schwinge ich mich schon kurz nach sieben Uhr aufs Rad. Doch es ist ein absolut zäher Morgen zum Fahren. Stadtverkehr und lautes Brausen rund um mich herum, das kein Ende haben wollte. Meinte ich noch, dass es in den Vororten gut geht, so war es dann in der Praxis doch nicht so. Ich steckte meist hinter irgendwelchen Doppeldeckerbussen fest. Und wenn ich auf den Gehsteig ausgewichen bin, dann war er spätestens bei der nächsten Ecke wieder zu Ende. Ich war am Weg durch Southampton. Ich musste meine Route etwas adaptieren. Eine Fährverbindung war nämlich nicht mehr verfügbar. Und so war meine Laune bis in den Vormittag hinein dem Wetter entsprechend.
Doch irgendwann erreichte ich den New Forest Nationalpark. Da war es dann klasse zum Fahren. Weideland, Heide und naturbelassener Wald. Dazu hie und da sich frei bewegende Pferde und nur vereinzelt Autos. Mit der Ruhe rundum ein totaler Kontrast zum Stadtverkehr am Morgen. Die Straße war von knorrigen, kleinwüchsigen Eichen mit großen Baumkronen gesäumt. Sie bildeten ein grünes Blätterdach über die Straßen. Die Sonne wagte sich jetzt auch wieder hervor. Der Tag begann mir zu gefallen.
In Lymington nahm ich die Fähre auf die Insel Wight. Falls ich einen Tag frei habe, so soll ich doch einen Ausflug auf die Insel machen. Sie sei sehr schön, lautete der Tipp eines jungen Radfahrers, der mich gestern vor Portsmouth mit seiner Tochter hinten am Kindersitz angesprochen hat. Und so mache ich heute von der großen Insel einen Ausflug auf eine kleine Insel. Die Fähre tuckerte nur langsam aus dem Hafen. Bis weit ins Meer hinaus waren Markierungspfähle für die Fahrrinne gesetzt. Und auf der Insel ging es dann eine Spur gemächlicher her. Hohe Hecken säumten links und rechts die Straße und machten sie deutlich enger und unübersichtlicher. In den Kurven war es mit Risiko verbunden, die Abfahrten mit vollem Elan zu nehmen. Doch das Fahren im kupierten und kurvenreichen Gelände hat mir gefallen. Kurz vor meinem Etappenziel musste ich nochmals einen schmalen Meeresarm mit einer Fähre übersetzen. Es war eine Kettenzugfähre. Eine interessante Überfahrt mit Kettenrasseln als akustischer Begleitmusik.
20. Mai 2025
Ein feines Fahren auf der Isle of Wight
Bei meiner Nächtigung in dem kleinen Vorstadthotel war der Zimmerpreis inklusive Frühstück. Auf ein solches in typisch englischer Art eingestellt wies ich vorsorglich darauf hin, dass ich keine Würstchen mag. Den Zusatz Vegetarisch hielt ich dabei für entbehrlich. Und prompt lernte ich wieder dazu: Statt den Sausages gab es nämlich üppig fetten Bacon am Teller. Nicht nur ich, auch der Inhaber hatte es also gut gemeint.
In einer leichten Steigung bei der Stadtausfahrt überholte ich ein kleines blondes Mädchen auf seinem Laufrad. Es war vom joggenden Vater begleitet, der es zu einem Wettrennen mit mir animierte, und auch kräftig anschob. Wahrscheinlich fehlte mir bei dieser Herausforderung der Speck vom Frühstück. Wir waren zwar lange gleichauf, doch kurz vor dem Scheitelpunkt zog das Mädchen davon und gewann knapp den Sprint. Ein lustiger Start in den Tag, sowohl für mich als auch das Kind am Laufrad und dessen Vater.
Die Südseite der Insel Wight war dann purer Genuss zum Fahren. Sonne, kaum Wind, wenig Verkehr, kurvenreiches Auf und Ab, grüne Hecken, Meeresblick, schmucke Backsteinhäuser, gepflegte Vorgärten mit Rasen, und ich mittendrin kräftig und freudig am Kurbeln. Auch wenn es keine langen Steigungen waren, so sammelte ich aufgrund deren Vielzahl dennoch kontinuierlich Höhenmeter. Irgendwann vor der Westspitze der Insel zeigten sich dann die dortigen mächtigen weißen Klippen schon von weitem. Und mit dem Näherkommen wurde ihr Anblick immer imposanter. Unterwegs hatten mich viele Busse überholt. Die traf ich dann mittags alle wieder. Das Besucherzentrum der „Needles" war rammelvoll. Die nadelförmigen Kreidefelsen an der Westspitze hatte heute nicht nur ich auf der Agenda. Doch ich begnügte mich mit deren Anblick von oben und aus der Entfernung. Die Sesselliftfahrt zum Meer hinunter und die Bootstour rund um die Kreidenadeln ließ ich aus. Den Jurassic-Park heroben ebenso, und auch alle Souvenirstände und Frittenbuden. Ich hatte mein Fahren an der Küste schon als persönliches Highlight des Tages davor.
21. Mai 2025
Es regnet und lockt mich nicht zum Weiterfahren
In der Nacht fängt es an zu regnen. Und am Morgen dauert der Nieselregen an. Wenn auch nicht kalt, so mag ich dennoch nicht aufs Rad. Die Wetterprognose sagt nämlich für die Küstenregion ganztägig Regen voraus. Leider muss ich dennoch raus. In meiner Unterkunft ist nichts mehr frei. Ich buche ein Zimmer in der nächsten Stadt, und fahre auf der sandigen Küstenspur bis dorthin.
Die Badehäuschen sind alle verwaist. Nur bei einem sitzen bei offener Tür tratschend zwei Frauen drin. Es schaut nach Kaffeeplausch aus. Sonst ist hier niemand unterwegs. Näher zur Stadt planieren zwei Traktoren den Sandstrand. Vor und zurück, Schaufel oben, Schaufel unten, stetiges Hin und Her. Bei einem überdachten Pier mache ich Pause. Ich warte unter Dach eine Regenpause ab. Doch dafür muss ich lange verweilen. Denn statt der erhofften Auflockerung ziehen dunkle Wolken über den Strand und lassen es stärker plätschern. Zwei Sportler scheint dies nicht zu stören. Sie spulen am Strand ein Trainingsprogramm mit abwechselnd Laufen und Schwimmen ab. Als sie dann gegenseitig nach fast 2 Stunden abklatschen, hat der Regen endlich aufgehört.
Ich wechsle einige Kilometer weiter zum nächsten Pier. Eine große Kindergartengruppe hat heute Eis essen und Sandspielen am Strand am Programm. Der wiedereinsetzende leichte Regen hemmt keineswegs ihren Spieltrieb. Bloß eine beträchtliche Filmcrew samt schauspielenden Akteuren verziehen sich in ihre Zelte. Die Szene am Strand wird wohl ein anderes Mal gedreht. Ich staune, wie viele Lastwagen mit Material und Requisiten für das Filmen an der Uferpromenade stehen. Vielleicht hätten die Kinder auch einen Part spielen sollen. Radfahrer brauchten sie offensichtlich keinen am Set. Ich konnte unbehelligt passieren.