In den Vorjahren war das Finden eines Tourenzieles oder einer interessanten Route manchmal eine längere Geschichte. Meist kam es erst spät in Gang. Oder das Abwägen der vielen Ideen gestaltete sich öfters schwierig. Bis die finalen Gedanken ausgereift Konturen auf der Karte annahmen, dauerte es seine Zeit. Und meist hielt ich mich beim Nachfragen von Freunden auch recht lange bedeckt. Doch dieses Jahr ging es gänzlich anders her. Schon im Dezember letzten Jahres nahm das Thema Fahrt auf, und Mitte Jänner hatte ich mich weitgehend festgelegt. Das Ergebnis war zwar auch für mich überraschend, fand aber Gefallen.
Begonnen hatte es mit der Instandsetzung eines Erbstückes, dem elektrischen Schweißapparat meines Vaters aus dem Jahr 1955. Er war zwar funktionstüchtig, doch die Isolierungen der Kabel waren brüchig und mussten ersetzt werden, ebenso der Elektrodenhalter und die Masseklemme. Ich ließ mich von einem Freund beraten, der auch gleich kundig Hand anlegte, und mir bei der Beschaffung der Neuteile behilflich war. Mehr als übers Schweißen redeten wir danach jedoch über mögliche Tourenziele fürs Radfahren. Südamerika führte mein Ranking noch nicht besuchter Regionen an. Und Südamerika war für meinen Freund auch gleich das Stichwort, worüber er viel zu erzählen wusste. Es waren Geschichten über frühe Auswanderer. Und am nächsten Tag schon konnte ich noch mehr Details in einem von ihm erhaltenen Buch über Dreizehn Linden in Brasilien nachlesen. Südamerika wäre als gar nicht so eine exotische Destination, ging es mir durch den Kopf, wenn sie schon vor fast 100 Jahren nach Treze Tillias fuhren. Damals waren es zwar keine Rad- und Urlaubsreisen, doch als eine vage Idee nahm dieses Ziel für mich konkrete Formen an.
Nur die weiteren Recherchen danach waren ernüchternd. Ich fand zwar jede Menge schwärmerische Berichte über Abenteuerreisen durch den ganzen südamerikanischen Kontinent. Doch die aktuellen Reise- und Sicherheitshinweise und einige Medienberichte zur allgemeinen Situation in manchen Ländern im Norden bremsten meinen Tatendrang. Keine Ahnung, wieso ich ausgerechnet auf solche Informationen gestoßen bin. Bei meinen bisherigen Reisen hatten sie mich nie interessiert. Wahrscheinlich ist es das derzeitige Zeitgeschehen, das uns für solche Dinge sensibler macht und zum Nachdenken bringt. Und wenn bei mir mal grundlegende Zweifel geschürt sind, dann will das Planen keine große Fahrt aufnehmen.
In einem abendlichen Gespräch mit meiner Tochter kam dann plötzlich doch eine Festlegung. Ihre Hinweise auf die instabile Situation in Teilen Südamerikas und auf meine mangelnden Spanischkenntnisse gaben den Ausschlag. Wieso also nicht in Europa bleiben und von daheim aus losradeln? Überall schon gewesen, war der erste Gedanke. Doch mit einem Blick auf die Karte entdeckte ich dann aber staunend eine bisher vernachlässigte Ecke: Ein Inselstaat im Nordwesten Europas. Und so war meine Tour für dieses Jahr auch schon gefunden: Cycling Britannia ist mein Thema. Mit der Einbeziehung von Irland und einer etwas hin und her mäandernden An und Rückreise könnte es durchaus „lang. weit und bsundrix“ werden. Südamerika kann also warten.
Die Vorbereitung fürs Losradeln war schon gewohnte Routine. Es war so eine Art Copy & Paste aus den Listen der Vorjahre. Was hat sich bewährt, war das Motto beim Durchsehen und Erstellen meiner Packliste und der Servicearbeiten am Rad. Und irgendwann gegen Mitte April legte ich mich auch zeitlich fest: Start von daheim mit Beginn des Monats Mai. Bis dahin hatte ich meinen Mais und die Kartoffeln im Acker schon ausgebracht, und war bereit und frei fürs Radla. Trainingskilometer am Rad machte ich keine. Fürs Fit sein der Beine mussten die vielen Skitouren des Winters reichen. Und das lange Sitzen im Sattel wird sich hoffentlich mit der Zeit auch wieder eingewöhnen lassen. Mal schauen was sich beim Radla dann ergibt. Auch daheim ist man vor Überraschungen ja nie gefeit.
2. Mai 2025
Die Kompassnadel zeigt westwärts
Ein herrlicher Sonnenmorgen wartet auf mich. Statt einem Frühstück richte ich mir eine Jause zum Mitnehmen. Doch mit ihrem Verstauen in meine Taschen habe ich Mühe. Das optimale Packen muss ich erst wieder lernen. Ich teile die Jause also auf beide Taschen auf, und schwinge mich in den Sattel. Ein schneller Blick zurück aufs Haus, und dann mache ich die ersten Tritte westwärts. Am Anfang geht es noch etwas wackelig dahin. Auch an das Fahren mit Gepäck muss ich mich erst wieder gewöhnen. Doch das Geräusch der Reifen auf dem Asphalt gefällt mir.
Der Weg entlang der Wiesen ist mir bekannt. Schnell tauchen am Horizont die Schweizer Berge auf. Schneereste glänzen in der Sonne. Ich durchquere Liechtenstein. Auf den frisch umgeackerten Feldern wird Mist ausgebracht. Auch der schöne Radweg bekommt einiges davon ab. Ich fahre Slalom. Die Stimmung gefällt mir. Nur mein Navi will noch nicht mitmachen. Die Routenberechnung stürzt immer wieder ab. Vielleicht hätte ich das vor dem Abfahren daheim noch checken sollen. Doch verfahren kann ich mich hier nicht. Entlang des Walensees geht es nur geradeaus. Links senkrechte, schroffe Felsen, und rechts ein steil abfallendes Ufer. Ich lass mein Navi weiter Neustartrunden drehen, und konzentriere mich auf den schmalen Radweg.
Bei einem kleinen Geschäft mache ich mittags Pause. Das Rivella-Reklameschild hat mich angezogen. Doch die Erinnerung an die süße Limo war besser als der erste Schluck mir schmecken wollte. Mehr Freude hatte ich dann mit dem Fahren in der Linthebene. Da ging der Radweg mitten durch die großen Heuwiesen. Der Duft des schon fertig getrockneten Grases lag betörend in der Luft. Akustisch wurde die Ebene von den vielen Traktoren dominiert. Die einen zogen mit ihren Kreislern regelmäßige Schwadenmuster in die Wiesen, während die anderen am gleichen Feld schon mit den Erntewägen nachfolgten. Reger Betrieb, und ich mittendrin am freudig pedalieren.
Beim Zürichsee war das Ufer dann von Badenden gesäumt. Kurz überlegte ich, meinem Rad eine Abkühlung zukommen zu lassen. Oder vielmehr den Staub abzuwaschen, den es von einem langen Schotterstück abbekommen hatte. Doch es blieb bei der bloßen Absicht. Der weiße Puder machte sich nämlich auf dem schwarzen Rad gar nicht so schlecht. Eine schöne Zier des ersten Tages. Auch ich selber merkte die Anstrengung. Mein Nacken war etwas steif, und das Handgelenk schmerzte leicht vom Abstützen des Oberkörpers. Dazu war ich nach dem Absteigen am ganzen Körper ziemlich verspannt. Doch ich war mit dem Tag zufrieden. Der Start war geglückt, und die ersten Kilometer westwärts waren am Tacho.
3. Mai 2025
Dem Flusslauf der Aare folgend
Am Morgen war es stark bewölkt. Leichter Nieselregen ließ mich etwas später starten. Da hingen die Einer-Ruderer auf dem Zürichsee schon kräftig in den Riemen. Denen schien das bisschen Nass von oben nichts auszumachen. Ein motorisiertes Begleitboot sorgte wohl für den schnellen Rhythmus. In den vielen ineinander übergehenden Kleinstädten am Seeufer war noch nichts los. Samstagmorgenruhe kam es mir dort vor.
Mehr Betrieb herrschte da schon oben am Himmel. Auch wenn ich sie nicht zu sehen bekam, so war der Lärm der Flugzeuge im Landeanflug nicht zu überhören. Sie flogen im kurzen Intervall einander folgend die gleiche Schneise Richtung Flughafen. Ich zog eine andere Schneise vor. Jene durch lichte Wälder und Felder. Hügelauf und hügelab ging es für mich in leicht kupiertem Gelände auf Nebenwegen dahin, oft vorbei an Äckern mit blühendem Raps. Durch die Ortschaften hindurch wusste mein Navi Abkürzungen. Manchmal kam da bei mir etwas Misstrauen auf. Doch meine Route folgte den Hinweisschildern der Radwege. Bei einer längeren Steigung musste ich vorne auf das kleine Kettenblatt wechseln. Das Runterschalten ging leicht. Doch oben am Scheitelpunkt mühte ich mich kräftig ab, bis ich die Kette wieder am großen Ritzel hatte. Meine lädierte linke Hand schaffte es nur mit Hilfe der rechten, und somit auch in wackeligem und schwankendem Tempo.
In einer Kleinstadt war vor einem Kleidergeschäft eine Modeschau im Gang. Der rote Teppich reichte fast bis zur Straße. Ohne ihm und dem Hinweis auf einem großen Plakat über dem Eingang hätte ich es der Biertische und ausgelassenen Stimmung wegen auch für ein kleines Straßenfest gehalten. Im Vorbeifahren konnte ich aber leider keine Radfahrermodels ausmachen. Also ging es für mich ohne Zwischenstopp weiter. Einen solchen legte ich dann etwas später unter einem weit ausladenden Dach eines aufgegebenen Pferdestalls an der Straße ein. Es war nämlich wieder stärkerer Nieselregen aufgezogen. Ich hatte reichlich Zeit, die vielen verstaubten Plaketten an den Wänden zu studieren. Sie ließen auf einen erfolgreichen Reiter schließen, der vor 50 Jahren auf Spring- und Jagdturnieren schweizweit Trophäen sammelte.
Ich hingegen sammelte am Rad bloß Kilometer. Recht viele davon am späten Nachmittag dann auch am Flusslauf der Aare entlang. Sie bestimmte meine Fahrtrichtung, und wand sich mit wenig Gefälle und kaum merkbarer Strömung durch die Landschaft. Richtig breit wurde sie vor der Staustufe eines Kraftwerks. Mit der Sonne kam da auch ihre stark ins grünliche gehende Farbe kräftig zum Strahlen. Die Aare machte auch aus meiner Perspektive eine gute Figur. Doch als bei einem Gebäude ein Hubschrauber abhob, wäre ich nur allzu gerne mitgeflogen und hätte die Stimmung des Flusses gerne auch von oben eingefangen.
4. Mai 2025
Im Regen in die Schweizer Hauptstadt
Ein gemischter Achter mit Steuerfrau zog am Morgen meine Aufmerksamkeit am Fluss auf sich. Auf dunklem Grün sah und hörte ich rhythmische Ruderschläge ins glatte Wasser klatschen. Das schmale lange Boot war entgegen der leichten Strömung parallel zu mir unterwegs, bis der Radweg in einen Feldweg überging und vom Flussufer wegführte. Dort erwartete mich angenehm duftender Raps. Sein zartes Gelb war ein schöner Kontrast zum hellen Grün der abgemähten Wiesen und zum Dunkelgrün der Kornfelder daneben.
Irgendwann am Vormittag überließ die wärmende Sonne dann dunklen Wolken den Vortritt. Weiter vorne zog schon bald eine Regenfront auf. Ich war in ihre Richtung unterwegs, und schnell auch mittendrin. Die Regenkombi musste ein erstes Mal raus. So richtig schmecken wollte es mir nicht. Doch besser als nass werden war es allemal. Auch wenn es bei meiner Einfahrt nach Bern dann kurzfristig auftat, entschloss ich mich dennoch für ein Beenden der Etappe. Die Lust, mich auf einen Kampf mit dem Wetter einzulassen, hielt sich in Grenzen. In der Aare ließen sich zwar einige mutig und munter im Nass treiben, und später auch noch, als es wieder kräftig schüttete. Doch mir war da bereits ein wärmendes Zimmer lieber. Die zum Trocknen ausgebreiteten Regensachen machten sich als Deko auch ganz gut.
5. Mai 2025
Regenwetter lockt mich nicht aufs Rad
Puh, das Plätschern draußen nimmt kein Ende. Die Nacht durch, und am Morgen gleich in derselben Tonart weiter in den Tag. Auch mein mehrmaliges Checken aller Wetter-Apps bringt keine Änderung. Anhaltender Niederschlag heißt es auf allen Kanälen. Also verlängere ich meinen Aufenthalt in Bern. Vielleicht erweist sich die angesagte Bise morgen dann als Rückenwind, und ich mache ein paar Meter gut. Doch heute lockt es mich nicht aufs Rad.
6. Mai 2025
Mit reichlich Höhenmeter nach Frankreich
Stark bewölkter Himmel, doch trockene Straßen. Heute traue ich mich wieder aufs Rad. Allein bin ich dabei nicht. Im Frühverkehr stauen sich nicht nur viele Autos durch die Stadt, sondern es sind auch ausgesprochen viele Radfahrerinnen und Radfahrer unterwegs. Und alle dick eingemummelt. Viele mit Daunenjacken, Wintermützen unterm Helm und dicken Handschuhen. Auch ich habe eine Schicht mehr angezogen. Es ist nämlich mit 7 Grad recht frisch zum Fahren.
Irgendwann am Vormittag irritiert mich ein metallenes Geräusch vom Hinterrad. Bei jeder Radumdrehung ist es kurz zu hören. Auch läuft das Rad etwas unrund am Asphalt, war mein Eindruck. Mit Staunen entdecke ich dann die Ursache. Eine metallene gelbe Ansteckschleife steckt im Gummi. Als ich sie rausziehe, ist der Reifen im Nu platt. So ein riesiges Teil hatte ich noch nie aufgegabelt. Dekorativ war sie am schwarzen Gummi jedenfalls. Doch für die Dichtheit des Schlauches nicht ideal. Mein flottes Vorankommen war damit jäh gestoppt. Mit neuem Schlauch und der Anstecknadel als Andenken in der Lenkertasche ging es nach der Reparatur aber wieder in gewohntem Tempo weiter, vorbei an schwarzerdigen Gemüsefeldern und braunweißgescheckten Kühen mit Hörnern.
Deutlich langsamer war ich dann im Aufstieg zum Chasseral-Gebirgszug. Meine als Abkürzungen gedachten Abstecher auf Nebenwege erwiesen sich als steile Rampen, die ich nur schiebend hochkam. Und weit vor der Passhöhe gelangte ich in dichten Nebel. Maiwetter schaut anders aus. Das Thermometer zeigte nur noch 3 Grad an. Und weil ich mich für die Abfahrt nicht wärmer angezogen hatte, war ich unten kräftig durchgefroren. In voller Montur versuchte ich mich dann in einem Cafe aufzuwärmen. Dabei traf ich auf ein Schweizer Radlerehepaar. Sie hatten sich die Umrundung der Schweiz vorgenommen, und suchten ebenfalls wärmenden Unterschlupf.
Einen Juchzer gab es trotz klammer Finger und tropfender Nase bei der Weiterfahrt irgendwann dennoch: Am späten Nachmittag hatte ich die Grenze zu Frankreich erreicht. Es war zwar gleich kalt wie in der Schweiz, doch das Erreichen des Tageszieles freute mich. Nur dass danach dann nochmals üppig Höhenmeter in kupiertem Gelände dazukamen, hätte nicht unbedingt sein müssen.
7. Mai 2025
Rolleretappe bei blassblauem Himmel
Ganz überraschend schaute in der Früh die Sonne mit ein paar zarten Strahlen vorbei. An meinem Plan, mit den Wintersachen zu starten, änderte dies nichts. Mit dem leichten Wind fand ich es nämlich ähnlich kalt wie gestern. Doch für die gute Laune war die Sonne jedenfalls hilfreich. Und auch die Tatsache, dass es fast den ganzen Tag überwiegend flach oder leicht abwärts ging.
Ich folge dem Fluss Doubs. Davor ging es noch ein paar Stunden quer durch Agrarland. Das war nicht nur an der Landschaft erkennbar, sondern auch an den Geschäften. Bauern brauchen Maschinen. Und hier gab es sie in allen Variationen für Groß und Klein. Maschinen, Maschinen, Maschinen, in der Hauptsache für Viehwirtschaft und die Feldbearbeitung. Dicht besiedelt war die Gegend nicht. Ein paar kleinere Dörfer mit zumeist großen Höfen an ihren Rändern oder einsam in das Land eingebettet. Ein Mal musste ich kurz auf der Straße stoppen. Ein Bauer trieb auf einem Quad sitzend seine Kuhherde quer über den Weg auf eine neue Weide. Für mich gab es ein freundliches Handzeichen als Danke und ein lautes Bon Jour. Am Land kann auch so ein Ereignis willkommene Abwechslung am Rad sein.
Parallel zum Fluss war über viele Kilometer ein Kanal angelegt. Die kleinen Staustufen und Wehranlagen wurden so umgangen. Doch die Schleusen schauten alle etwas in die Jahre gekommen aus. Nur an einer einzigen Anlage war gerade Betrieb. Ich konnte zwei Boote ausmachen. Sonst war am ganzen Fluss nichts los. Die paar wenigen Kähne an den Ufern schienen eher ganzjährig fix vertäut. Irgendwann tauchten auch Radwegschilder auf. Demnach folgte ich der Route EuroVelo 6, und begegnete auch vereinzelt anderen Reiseradlern. Ihre klassisch roten oder gelben Ortlieb-Taschen vorne und hinten waren schon von weitem zu erkennen. Auch wenn das Gefälle nur minimal war, so ging das Fahren flott und ohne große Kraftanstrengung. Schmunzeln musste ich, dass mein Navi auch auf dieser Strecke immer wieder rote Passagen anzeigte. Doch im Gegensatz zu gestern waren die kurzen Rampen, wenn es zu einer Brücke hochging, keine Herausforderung. Die waren fast ohne Schalten nur mit Schwung zu nehmen. Am Abend notierte ich zufrieden „Rolleretappe bei blassblauem Himmel“ in mein Tagebuch.
8. Mai 2025
Pipifein auf einsamen Nebenwegen durch ländliche Gegend
Bei wieder etwas wärmeren Temperaturen starte ich in den Tag. Schon bald gelange ich in einem erfrischend grünen Wald auf einen breiten Radweg. Es ist wieder der EuroVelo 6, der vom Atlantik zum Schwarzen Meer führt. Das Teilstück hier ist gut zu fahren, und auch prima ausgeschildert. Oft finden sich zudem großformatige weiße Kilometerangaben auf dem Asphalt. Je nach Streckenverlauf purzeln die Kilometer recht schnell. Oder es zieht sich, bis die nächste Marke kommt.
Eine Zeit lang fahre ich im Schatten von Bäumen an einem Kanal entlang. Nah zu den kleinen Ortschaften versuchen sich meist auch ein paar Fischer an ihrem Glück. Große Betriebsamkeit strahlen sie nicht aus. Eher schaut es nach gemächlicher Ruhe und wenig Aussicht auf einen Fangerfolg aus. Spannender ist das Zusehen bei einer Schleuse. Erst meinte ich, dass der große Kahn zwischen den Schleusenwänden stecken geblieben ist. Doch er bewegte sich im Zeitlupentempo vorwärts, links und rechts war wohl kaum eine Handbreit Platz als Reserve. Ich hingegen hatte da auf meiner Route viel mehr Platz. Weil kein Verkehr, war ich oft in der Straßenmitte freihändig am Dahingleiten.
Es war ländliche Gegend pur. Ein paar knallgelbe Rapsfelder und sonst sattgrüne Wiesen mit hie und da zumeist aschweißen Kuhherden. Später fuhr ich auch durch Weinberge. Die Rebstöcke waren außergewöhnlich klein und nieder gehalten. Ein paar Traktoren waren auch zu sehen. Sie lockerten die Erde zwischen den Spalierreihen auf, oder brachen dort die Grasnarbe um. Gerne hätte ich mich unterwegs mit etwas Verpflegung eingedeckt. Doch ein Laden war weit und breit nirgends zu entdecken. Die Weiler waren alle zumeist sehr klein, und es schienen auch viele Häuser nicht mehr bewohnt. Ich musste auf meine Notreserve an Snickers zugreifen. Abends erfuhr ich, dass heute Feiertag in Frankreich ist, und die Läden, so es sie auf meiner Route gegeben hätte, sicher zu gewesen wären. Ich war auf einem ehemaligen Bauernhof mit Fremdenzimmer untergekommen. Gastfreundlich wurde mir ein Extra-Abendessen angeboten. Die Dijon-Senfsauce zum eigenen Feldsalat war phänomenal. Am Fernseher in der Küche konnte ich nebenbei noch die Papstwahl mitverfolgen. Die ganze Welt schien sich über „Habemus Papam“ zu freuen. Ich freute mich über mein pipifeines Radeln untertags, und jetzt am Abend über das willkommene Essen. Bis zum nächsten Restaurant wären es angeblich 30 Kilometer gewesen.
9. Mai 2025
Hügelauf und hügelab durch grüne Landschaft
Um halb acht sitze ich wie ein Fürst am Frühstückstisch. Stolz präsentiert mir Francois als Hausherr seine selbst gemachte Marmeladenauswahl. Die Reine Claudes schmeckt mir am besten. Sie ist auch sein eigener Favorit. Das Brot hat etwas große Luftlöcher. Nicht gerade ideal für die Marmelade. Dafür schmeckt es lecker. Den Tee trinke ich aus einer großen Schüssel. Es kann gar nicht anders sein, in Frankreich. Und beim Gespräch lausche ich gespannt, welche Rassen er früher auf seinem Hof gezüchtet hat. Es waren die cremefarbenen schweren Charolais, wie sie typisch für die Gegend seien. Doch es gäbe auch viele Höfe mit den braunen Limousin. Wir kommen gut klar beim Reden. Während er auf seinem Handy die Texte zum Übersetzen eintippt oder vorspricht, kann ich wieder einen Bissen Brot zu mir nehmen, und das Ergebnis dann mit vollem Munde lesen. Eine Auffrischung meiner Französischkenntnisse gibt es also nebenbei auch noch zum Frühstück.
Unterwegs staune ich wie gestern schon über die vielen umgekehrt montierten oder mit schwarzen Plastikfolien verhüllten Ortsschilder. Es ist eine Protestaktion der französischen Bauern wegen fehlender politischer Unterstützung für ihre Anliegen. Ich orientiere mich beim Fahren am Navi. Und manchmal versuche ich den Text auch zu erraten, was sich wegen der unbekannten Worte und im schnellen Vorbeifahren als gar nicht so einfach erweist.
Als ich für kurze Zeit auf einer etwas stärker befahrenen Straße unterwegs bin, lockt mich eine Hinweistafel einer Bäckerei zur Abfahrt ins Ortszentrum. Die Tafel an der Straße war riesengroß. Die Bäckerei selbst dann klitzeklein. Der Meister werkte darin selbst am Teig, und bediente auch die Kundschaft. Mir hat dieser eine Werkraum gefallen. Sichtbares Handwerk und fein anzuschauende und duftende Produkte. Fertige Sandwiches hatte er leider nicht in seinem Angebot. Doch sein Brot schmeckte auch pur. Ich konnte mich gut gestärkt wieder auf den Weg in die einsamen grünen Hügel machen, die mich den ganzen Tag begleiteten.