17. Juli 2025
Mit einem Sturz in den Tag
Am Morgen schmeckt mir das englische Frühstück ausgezeichnet. Denn nach einem Monat Irland ohne Baked Beans on Toast freute ich mich, sie heute hier im Norden von Wales wieder zu entdecken. Ich hatte in einem Pub übernachtet und war zufrieden. Schon kurz nach dem Losfahren sehe ich auf einem grünen Hügel eine Herde schwarz-weiß gescheckter Kühe. Sie hoben sich markant gegen den leicht blauen Himmel ab. Für ein Foto wollte ich schnell auf die andere Straßenseite wechseln, und achtete nicht auf den Verkehr. Das war ein großer Fehler. Denn es setzte ein Motorrad zum Überholen an. Zwar versuchten wir beide noch einen Zusammenstoß zu vermeiden. Doch das ging nicht mehr. Fucking Idiot, hörte ich ihn rufen, als ich über den Lenker hinweg auf die Straße purzelte. Die beiden Packtaschen lagen verstreut auf der Straße, und der Inhalt meiner Lenkertasche ebenso. Volle Scheiße, Kuhscheiße, ging es mir durch den Kopf. Wenigstens kam der Motorradfahrer nicht zu Sturz. Doch er zitterte mehr als ich. Es war für uns beide unser erster Sturz. Glück gehabt trotz der Misere, war dann meine schnelle Bilanz. Am Ellenbogen eine größere Schürfwunde, am Rad ein seitlich zerfranstes Lenkerband, ein durch mein Abstützen bei den Bremsgriffen leicht nach unten gedrehter Lenker, und eine herausgesprungene Ketter. Also alles nicht so schlimm. Gorilla-Tape, ein Inbusschlüssel, Betadona, ein Heftpflaster, und einige Minuten Pause, dann waren mein Rad und ich wieder fahrbereit. Von der Kuhherde gab es kein Foto. Das ist mir in der Aufregung nicht mehr in den Sinn gekommen.
Für kurze Zeit führte mein Weg über einen Damm, der das Meer und die Bucht von den Wiesen dahinter trennte. Dort standen an einem Gewässer drei weiße Connemara-Pferde. Sie gaben nahe zum Wasser ein schönes Bild. Die Ortsnamen an meiner Route waren auf den ersten Blick alle unaussprechlich. Für Llanfairpwllgwyngyll musste ich mehrmals üben, und bin dafür auch stehen geblieben. Ich erinnerte mich, dass das W als O ausgesprochen wird. Das war dann der Schlüssel. Beim Weiterfahren kam ich an einer langen Bucht vorbei. Auf der anderen Seite war ich vor mehr als einem Monat schon mal hochgekurbelt.
Später traut mir mein Navi einen Trampelpfad durch Kuhwiesen zu. Beim Übersteigen der Gatter war Kreativität gefordert. Und beim Schieben viel Energie. Nahe zu einer Stadt gab es einen langen Pier. Für ein Pfund Eintritt durfte ich ihn mit meinem Rad erkunden. Der Mann an der Kass schwärmte von seinem heurigen Urlaub. Die Flussfahrt auf der Donau von Wien nach Passau habe ihm sehr gefallen. Und die beiden Städte auch. Gegen den späten Nachmittag hin umrundete ich dann einen markanten, hoch aus dem Meer aufragenden Kalkfelsen, der fast eine Insel bildete. Ganz im Westen führte die Straße hoch hinauf, mit herrlicher Aussicht rundum. Es war The Great Ome. Laut den Hinweisschildern ein Ort mit weit zurückreichender Geschichte und frühen Besiedlungen. Abends stellte ich beim Erneuern des Verbandes fest, dass die Wunde am Ellenbogen zwar leicht nässt und brennt, doch angesichts des Vorfalls als einzige Schramme leicht zu akzeptieren ist. Es war jedenfalls ein aufregender Start für eine erste Etappe Richtung Schottland.
18. Juli 2025
Flach auf Küstenradwegen nach Liverpool
Gestern hatte es spät am Abend erneut zu regnen begonnen. Ich war noch wach. Es war spannend zuzuhören, wie die großen Tropfen auf die gespannte Zelthaut trommelten. Zuerst einzelne in unregelmäßigen Abständen, dann einige mehr, und irgendwann war der Regen zu einem stetigen und einschläfernden Trommeln geworden. Am Morgen war es dann ein leises, zartes, kaum wahrnehmbares Geräusch, mit dem mich der Nieselregen begrüßte. Ein vorsichtiges Hinausschauen ließ mich die Banane zum Frühstück jedoch rasch verzehren. Es klarte in meiner Fahrtrichtung auf, und das Nieseln sollte bald vorbei sein.
Es war weitestgehend windstill. Das Meer zeigte keine Wellen. Auch die Windräder draußen am Horizont im Meer drehten sich kaum. Es waren unzählbar viele, die sich der Küste entlang auffädelten. Ich war auf einem Küstenradweg unterwegs. Der Sand am Strand war am Morgen noch feuchtnass. Die Spuren der herumtollenden Hunde waren gut zu sehen. Golfplätze lagen auch am Weg. Ein Mal hatte ich mich verfahren und eine Abzweigung versäumt. Ich suchte dann auf der Karte den Weg zurück. Er führte mich kurz quer über einen Golfplatz. Loch war zwar keines in unmittelbarer Nähe. Dennoch schob ich mein Rad. Ich hielt dies für passender. Und beim Gatter zurück auf den Radweg half mir bereitwillig ein Arbeiter, der gerade mit dem Freischneiden der Telefonmasten aus den dichten Dornenhecken beschäftigt war. Für ihn war es glaub eine willkommene Arbeitspause.
Der Radweg führte auch durch eine riesige Ferienanlage. Dicht an dicht standen da über einige Kilometer die einheitsbeigen mobilen Bungalows. Die Namen der zu ihnen abzweigenden Seitenstraßen kamen mir bekannt vor. Es waren Orte, durch die ich in Wales schon mal durchgefahren war. Eine Zeit lang störten dann Industrieanlagen das Wohlgefühl beim Fahren. Doch als es später durch ein weites Marschland ging, freute ich mich wieder. Flach und auf einem guten Naturweg war es ein angenehmes Pedalieren und Rundumschauen. Vor Liverpool dominierten dann die großen Kräne im Hafen das Landschaftsbild. Und Backsteinhäuser und Doppeldeckerbusse sowieso.
19. Juli 2025
Ein Fährausflug zur Isle of Man
In Liverpool hatte ich gestern im Ortsteil Bootle ein Zimmer gebucht. Die Wahl war auch ohne großes Recherchieren, wo ich denn lande, gut. Es war das Breeze Guesthouse, ein Backsteinbau mit Atmosphäre und sehr netten Besitzern. Für mich ein Hit: Freies Angebot, meine Radsachen und alle anderen Kleidungsstücke zu waschen. Aus dem Trockner gekommen waren sie dann zwar erst nach dem Frühstück, doch das Müsli schmeckte auch in der Windstopperjacke. Die konnte ich danach gleich anlassen, denn es gab beim Losfahren noch etwas Nieselregen.
Nachdem ich gestern schon am Pier bei der Beatles-Statue vorbeigekommen war, musste es heute natürlich die Anfieldroad sein. Liverpool ist wohl nicht nur wegen der Beatles, sondern auch wegen des dortigen Fußballklubs so bekannt. Ich war dann erstaunt, dass das Stadion sich nahe bei einem Wohngebiet befindet, und die Straßen rundum alle sehr schmal sind. Allein war ich dort nicht auf Besuch. Am Vorplatz fanden sich im Gedenken an den unlängst verunfallten Starspieler Diogo Jota rund um Devotionalien viele Menschen ein. Mich zog es jedoch weiter. Ich hatte mir für heute eine Fährfahrt vorgenommen. Wenn schon in der Gegend, dann liegt die Isle of Man auch am Weg. Die Tourist Trophy war zwar schon vorbei, doch Radfahren wird man dort wohl auch können, wo sonst eine Woche jedes Jahr Motorräder auf normalen Straßen rennmäßig einen Rundkurs fahren.
An den Kränen im Hafen von Liverpool kam ich heute mit der Fähre noch näher vorbei als gestern schon mit dem Rad. Zwei Containerschiffe wurden gerade entladen. Die Transportfahrzeuge an Land schauten wie Spielzeugschlepper aus, so winzig klein. Größer waren da jedenfalls die Windräder entlang des Mersey-Rivers. Doch sie drehten sich nicht. Die Durchsage des Kapitäns war dann auch, dass es eine ruhige Überfahrt auf der Irischen See werden wird. Weit vorne in der Bucht auf Höhe des Leuchtturms legte das Schiff dann an Fahrt zu. Die Küste wurde schnell kleiner und kleiner. Möwen konnten oder wollten mit dem Katamaran nicht mehr mithalten im Flug. Für ein anderes Fährschiff war das Vorbeifahren des Fährkatamarans an ihm wohl auch wie Fliegen. Der Geschwindigkeitsunterschied war richtig krass.
Auf der Fähre waren erstaunlich viele Rennradler mitgefahren. Doch in Douglas, dem Ankunftshafen, zerstreuten sie sich rasch in alle Winde. Richtung Süden war keiner mehr zu sehen. Wenn nicht auf der größeren Straße fahrend, hatte ich die Nebenstraßen und den Ausblick auf das sich in milchigen Pastelltönen gebende Meer und die grünen Hügel für mich allein. Die kurzen Anstiege waren unerwartet knackig. Dafür war das Wetter angenehm warm und sonnig. Der erste Eindruck zur Insel: Ganz gefällig.
20. Juli 2025
Ballaugh Bridge als Tagesziel
Der Morgen zeigte sich recht sonnig. Hatte ich des Wetterberichtes wegen mir zuerst einen späteren Start überlegt, so zog es mich jetzt gleich aufs Rad. Denn für den Nachmittag war Regen angekündigt. Die Südspitze der Insel hatte ich bald erreicht. Castletown erwies sich als noch ganz verschlafene Stadt. Nur die Möwen waren schon wach. Sie genossen wohl wie ich das zarte Blau am Himmel. Den Wind mochten sie vielleicht etwas mehr als ich. Mir war er zeitweise etwas lästig.
Bei einem Bauernhof an der Straße pickte ein Huhn im Grün des Seitenstreifens. Mit dabei waren sicher an die zehn Küken, dem Aussehen nach erst ein paar Tage alt, und aufgeregt rumtapsend. Später lagen dann die Hügel der Insel an meiner Route. Da ging es ordentlich zur Sache, wenn auch gleichmäßig ansteigend. Mir haben die Anstiege gefallen. Entlang von Steinmauern, Farn und fallweise blühendem Heidekraut ohne viel Verkehr hochkurbeln war ein Genuss. Leider zogen bald Wolken auf, die die Aussicht etwas trübten.
Runter zur Küstenstraße musste ich einen Umweg fahren. Ein Radrennen war gerade im Gang. Mein Hinweis, dass ich auch ein Radfahrer sei, nützte nichts. Ich hatte die falsche Fahrtrichtung gewählt. Doch als ich später einige Teilnehmer des Rennes einzeln und mit größeren Abständen bei einer Kreuzung daherkommen sah, fand ich es total uninteressant. Ohne Zuschauer war wohl auch für sie die Atmosphäre nicht sehr prickelnd. Aber unterwegs waren sie dennoch sehr ambitioniert. Irgendwann erreichte ich dann die Ortschaft Ballaugh. Beim Motorradrennen, von denen angeblich mehrere auf der Insel organisiert werden und nicht nur die bekannte Tourist Trophy, ist eine leicht gewölbte Brücke die Attraktion. Denn da heben die Motorräder mit beiden Rädern ab und fliegen fast durch die Luft. Beim Vorbeifahren staunte ich auch ohne fliegende Motorräder. Die Brücke ist am Eingang zur Ortschaft, geht in eine uneinsehbare Kurve über, und rundum gibt es bloß Häuser und keine weiten Sturzräume. Am nahen Campingplatz ging es ruhig zu. Doch für die Zeiten der Tourist Trophy wären sie über Jahre hinaus ausgebucht. Mir passte es auch ohne großen Wirbel. Es zog nämlich ein kräftiger Regenschauer auf. Das sei so, hier auf der Insel, sagten sie mir an der Rezeption. Mit Regen müsse man öfters rechnen. Ich soll mich für die Zeit im Aufenthaltsraum gemütlich einrichten, war die freundliche und unerwartete Empfehlung. Oder das Zelt bei dem Regen erst gar nicht aufbauen und auf der Couch schlafen. Ich ließ die Entscheidung offen.
21. Juli 2025
Schottlands Küste gesehen und Gleisknirschen gehört
Gestern hatte ich das Angebot mit der Übernachtung im Aufenthaltsraum ausgeschlagen. Ich zog das Zelt vor, und hatte mich trotz des Dauerregens in der Nacht wohlgefühlt. Am Morgen war der Spuk zum Glück vorbei. Kurz erhellte sogar die Sonne das Zelt. Für mich ein Zeichen, rasch aufzubrechen. Während am Campingplatz rund um die Wohnmobile noch alles ruhig war, war ich eifrig mit Trockenwischen der Zelthaut beschäftigt. Und nach einer gewagten Frühstückskreation mit Nudelringen in Tomatensauce samt Snickers und Hafermilch saß ich schon bald am Rad.
Auf gut asphaltierter Straße ging es Richtung Norden. Doch vorher fuhr ich nochmals an der Ballaugh Bridge vorbei. Wie man sich da auf dem Motorrad in hohem Tempo drüber trauen kann, nötigte mir ein Kopfschütteln ab. Wahrscheinlich werden sie im Straßenspiegel das Raven Inn nicht wahrnehmen, so wie ich, beim Überqueren der Straße. Oder die Hinweistafel zum Spar-Geschäft gegenüber. Sie kommen aber später auch nicht am Leuchtturm an der Nordspitze der Insel vorbei, zu der es am Rad ganz angenehm zum Fahren war. Die schottische Küste lag vis-a-vis in Sichtweite. Es sind da nicht mal 30 Kilometer bis dorthin.
Später, als ich den Hafen Ramsey erreichte, roch es penetrant nach Fisch. Ich schaute, dass ich da möglichst schnell durchkam. Doch dabei musste ich aufpassen. Es waren die Straßenbahngeleise der Manx Electric Railway zu überqueren. Die Bahn verbindet der Ostküste entlang die Stadt mit der Hauptstadt Douglas. Auf meinem Weg dorthin passierten mich mehrmals ein paar Garnituren dieser historischen Bahn. Das Knirschen der Gleise war dabei untrügliches Zeichen, dass mir bald Touristen aus den Triebwägen zuwinken werden. Doch sonst werden sie wohl wie ich die Aussicht auf die Küstenlandschaft genossen haben. Mit der zwischenzeitlich voll durchgekommenen Sonne boten sich immer wieder herrliche Ausblicke. Auf der Fähre zurück nach Liverpool meinte ich, dass es ein netter Ausflug auf die Insel war. Neben der Ballaugh Bridge wird mir das markante Wappen der Insel mit der Triskele auf rotem Grund in Erinnerung bleiben. Das stach einem von jedem Autokennzeichen entgegen, oder peppte alles Mögliche wirkungsvoll auf.
22. Juli 2025
Flach, abwechslungsreich, und etwas Gegenwind
Port of Liverpool stand auf den Hinweisschildern, denen ich am Morgen folgte. Und schon bald war ich an der Küste. Dort begrüßte mich der Gegenwind recht herzlich. Die Windräder draußen im Meer hatten dort heute sicher den richtigen Platz. Sie drehten sich munter. Am Strand waren braune Eisenfiguren zu sehen. Sie standen im Sand, im Wasser, waren ganz oder nur halb, oder nur mit dem Kopf zu sehen. Sie blickten alle Richtung Meer. So als ob von dort was kommen würde, außer Wasser. Dieses zeigte sich als aufgewühlte braune Suppe mit Gischt und Getöse.
Am Radweg war auch etwas Sand. King Charles Coastal Path war auf den kleinen, verwitterten Orientierungspfeilen aus Holz zu lesen. Am Weg gab es manchmal Pferdeäpfel. Noch nicht sehr alt, öfters verstreut, doch ein paar Mal auch pyramidenartig aufgetürmt auf einem Haufen. Zu riechen waren sie jedoch nicht. Später war der Küstenabschnitt mit hohem Stacheldraht abgezäunt. Das Militär hatte hier eine Übungszone eingerichtet. Scharf geschossen wurde auch ein paar Kilometer weiter. Der Radweg führte durch einen Golfplatz. „Look left before crossing, golf course in progress“ war in Weiß auf Grün zu lesen. Gleich neben dem Weg war der Abschlagplatz. Doch bei mir war grad niemand bei diesem Loch. Ein paar Spieler hörte ich später ihre Schläge kommentieren, als ich durch einen schönen Kiefernwald fuhr. Die Schlaggeräusche klangen metallisch, die Stimmen der drei Spieler gut gelaunt. Von mir waren fast kaum Geräusche zu hören. Die Kiefernadeln auf dem weichen Boden federten einiges ab. Auf diesem Teilstück war es richtig lässig zu fahren. Kurvig, wellig, schmal, und ziemlich lang führte der Radweg lässig durch den Wald, bevor es wieder durch langgezogene Siedlungen oder auf stärker frequentierten Verbindungsstraßen weiter ging.
Später tat sich dann eine große Weite auf. Gemüsefelder noch und noch. Dazu viele Traktoren auf der Straße und in den Feldern. Mit Anhänger und Erntemaschinen. Ich staunte, was es da alles gibt. Mittags zog etwas Nieselregen rundum. Dazu tiefhängende Wolken und düstere Stimmung. Doch der Wind sorgte nach kurzer Zeit wieder für klare Verhältnisse. Zwar keine Sonne, doch deutlich freundlicheres Licht. In Blackpool staunte ich auch, nämlich wie weit sich eine Vergnügungsmeile der Küste entlang hinziehen kann. Doch es war nicht nur der Küstenabschnitt, sondern die ganze Stadt scheint ein Freizeitpark mit Achterbahnen und anderen Attraktionen zu sein. Der Größe nach muss es doch viele Menschen geben, die auf Kitsch und solche Sachen stehen. Ich hatte vom Durchfahren schon genug davon.
23. Juli 2025
Betonküstenradeln und Marschlandschaften
Am Morgen ist heute lautes Möwengeschrei mein früher Wecker. Doch gestellt hatte ich ihn nicht, schon gar nicht auf fünf Uhr in der Früh. Also döste ich noch eine Stunde im Schlafsack weiter, und ließ mich dann endgültig von Taubengurren wecken. Am Zelt hatte sich weder Kondenswasser noch Tau angesetzt. Es war nusstrocken. Ich bin überrascht, wie unterschiedlich das hier sein kann. In Blackpool versteckt sich die Spitze des großen und markanten Aussichtsturms fast im Dunst. Die vielen bunten Reklamelichter an den Häusern und den Straßen sind alle ausgeschaltet. Es herrscht morgendliche Ruhe in einer auf Unterhaltung ausgerichteten Stadt.
Der Horizont über dem Meer verliert sich in lichtem Grau. Oder das Meer in ihm. Einzelne große Regentropfen hinterlassen ein Muster auf den Ärmeln meines grauen Pullovers. Ich fahre der Promenade entlang, die kein Ende zu nehmen scheint. Als ich die letzten Häuser passiert hatte, geht der befestigte und breite Promenadenteil weiter. Er zieht sich als betoniertes Band entlang der Küste bis zum nächsten Ort weiter. Ich meine, dass es mehr als 20 Kilometer sind, auf denen mit Beton dem Meer getrotzt wird. Vereinzelt kommen mir Fußgänger mit ihren Hunden entgegen. Beton ist hier Erholungsparadies für Mensch und Tier. Über den Richtungswechsel an der nördlichen Spitze der Halbinsel bin ich froh. Denn mit Rückenwind radelt es sich bedeutend leichter.
Bis fast in den frühen Nachmittag hinein fahre ich durch lange Ortschaften oder Straßensiedlungen. Die Strecke empfinde ich ziemlich unattraktiv. Später geht es dann durch offenes Farmland. Einzelne Schafwiesen zeigen sich dort auch. Und vor allem viele Traktoren. Sie mähen fast um die Wette, oder kreiseln die frischen Mahden im Eiltempo. Auf einem riesengroßen Feld ist ein monströses Unikum mit Mähen beschäftigt. Beim Wenden sind die beidseitigen weit auskrackenden Mähbalken gut zu sehen. Ein weiterer befindet sich an der Front der Maschine. Angesichts der Größe des Feldes braucht es wohl auch entsprechend große Maschinen. Mit einer kleineren gibt sich ein Mann auf einem Modellflugplatz zufrieden. Mit Sonnenhut blickt er gegen den Himmel und schaut seinem surrenden Spielzeug hinterher. Die Traktoren auf den Wiesen machten eindeutig mehr Lärm. Gegen den späten Nachmittag hin zeigt sich das Gelände für mich etwas anziehender. Ich fahre durch Marschlandschaften und lichte Wälder mit bemoosten Steinmauern. Dazu kommt ein kurviger und leicht welliger Streckenverlauf. Abends stelle ich fest, dass ich nur zwei Fotos gemacht hatte. Ein Schnappschuss meines Rades auf der Betonpromenade, und einen zweiten von einem aus einem Stallgebäude herausschauenden Holzzebra. Demnach hat die Landschaft untertags also wirklich wenig hergegeben.
24. Juli 2025
Ein klasse Tag am Rad
Bei der Suche nach einem Zeltplatz bin ich auf einem kleinen Caravanplatz auf einem ehemaligen Bauernhof gelandet. Obwohl sie eigentlich keine Camper nehmen wollten, konnte ich mein Zelt dann doch aufstellen. Dusche und Toilette gab es bei dem Pensionistenpaar im Haus mit dazu. Und am Morgen gar noch eine herzhafte Umarmung und eine nette Karte zur Erinnerung. Ich hatte mich über die Herzlichkeit sehr gefreut. Der langsam aufklarende Himmel kam mir noch schöner vor. Über den Feldern lag anfangs etwas Nebel, der sich aber rasch verzog. Ein Gemüsegarten mitten im Nirgendwo bot eine bunte Vielfalt an Sorten und schaute sehr gepflegt aus. Ich machte dort einen kurzen Stopp, und schaute über den Gartenzaun. Pullover und Beinlinge kamen da gleich weg. Die Sonne wärmte schon fein. Es war ein herrliches Radeln.
Auf guten Radwegen ging es querfeldein. Manchmal war die nahe Autobahn zu hören. Meist ging es flach dahin, obwohl ringsum Hügel zu sehen waren. Die Straße war schmal und kurvig. Eine Zeit lang waren die Hecken links und rechts wie in einem Hausgarten geschnitten. Das war schön anzuschauen, der milchigblaue Himmel mit dazu. Später folgte der Radweg einem Gewässer, das langsam fließend sich durch die Wiesen schlängelte, von Schilf und Buschwerk eingerahmt. Über manchen Wiesen lag der Duft von Heu. Das frisch geschnittene Gras war schon gut angetrocknet. Nebenan waren Schafe aufgeregt am Blöken. Sie mussten glaub grad die Weide wechseln.
Es war lässig zum Fahren. Steinmauern zogen sich über die grünen Hügel hinweg. In einer Stadt waren am Hauptplatz Marktstände aufgebaut. Bei einem gab es Kissen gefüllt mit ägyptischer Baumwolle. Wer in einer Gegend mit Schafen wohnt, ist vielleicht über eine Abwechslung der Füllung beim Kissen froh. Eine Straße weiter wurden Bierfässer abgeladen. Neben dem Lastwagen hatten sie eine Matratze auf den Boden gelegt. Die Fässer fielen alle weich. Dann rollte man sie über die Straße und den Gehsteig zu einem Kellerfenster. Daneben war der Verkehr weiter im Gang. Weder Brauereimitarbeiter noch Autofahrer ließen sich stören. Gegen den späten Nachmittag hin wurden die Hügel dann mehr. Ich war im Western Lakeland District unterwegs. Hatte es mir gestern an der Küste eher weniger gefallen, so war der heutige Tag dank gutem Wetter und abwechslungsreicher Landschaft wieder klasse.
25. Juli 2025
Novembergrau mit Nieselregen
Gestern bin ich noch etwas weiter geradelt als geplant. Der in der Karte eingetragene Campingplatz existierte nicht mehr. Und obwohl einige frisch gemähte Wiesen an der Straße zum Zelten einluden, suchte ich zwischen den Hügel nach Steinmauern und einen besser geschützten Platz. Beim Aufstellen des Zeltes war es recht windig. Ich hatte Mühe, die Zeltstangen einzufädeln. Doch es klappte dann doch, und auch eine ruhige, aber kalte Nacht nach einem tollen Tag. Am Morgen zeigte sich der Himmel diesig. Über den Hügel lag viel Dunst. Die Weitsicht war eingeschränkt, und Richtung Meer und der flachen Bucht noch viel mehr.
Bei der ersten Abfahrt zog ich die Mütze an. Es fror mich an den Ohren. In der Ebene unten stachen die gerade gemähten Wiesen mit ihrem auffallend hellen Grün in der Landschaft hervor. Wahrscheinlich hatten sie gestern noch die Siloballen heimgefahren. Heute gab es auf diese Felder hie und da nämlich schon Gülle. Bei den Bauern hier scheint es mit ihrer Arbeit ruckzuck zu gehen. Auf einem brach liegenden Kornfeld hatten sich Vögel eingefunden. Eine Schar Gänse stand einer noch größeren Schar Krähen gegenüber. Sie hielten Respektabstand, so als ob sie sich gegenseitig belauern würden, was als nächstes passiert.
Wegen der diffusen Sicht ist von der Küste nicht viel zu sehen. Die Windräder auf einer Hügelkette und einige draußen am Meer kann ich aber dennoch erkennen. Am Rad bin ich allein unterwegs. Fußgänger sind auch nur vereinzelt am Strand, weit draußen, weil Ebbe. Eine flache, breite Sandzone war freigelegt. Das Planschen der Hunde im Wasser konnte ich nur erahnen. Sie waren zu entfernt. Doch das Rauschen des Meeres war dennoch ganz nah zu hören.
Irgendwann kam ich bei der Atomkraftwerksanlage Sellafield vorbei. Mit Stacheldraht wurde dort bei der Abschottung nicht gespart. Vielleicht meinen sie deshalb, dass Atomkraft sicher sei, wenn alles mehrfach abgezäunt. Ein paar Kilometer danach war ich dann auf einer ganz gefälligen Strecke unterwegs. Der Radweg führte etwas erhöht zur Küste auf Englands Coastal Path entlang. Links und rechts grüne Weiden, der Weg kurvig, schmal und wellig mit Steinmauern und Buschhecken. Leider setzte mittags Nieselregen ein. Eine lange Allee mit Blätterdach bot nur kurz Schutz. Ich musste in die Regenkombi schlüpfen. Und zum Nieseln kam auch noch Nebel dazu. Die Autos fuhren mit Licht. Die Windräder waren jetzt nur noch schemenhaft zu erkennen, obwohl nah zur Straße. Bei mir machte sich nach einiger Zeit Unlust breit. Novembergrau mit Nieseln, und das nach dem gestrigen wunderbaren Sommertag. Statt Camping suchte ich daher schon früh nach einer Unterkunft und trockenem Komfort.
26. Juli 2025
Wunderbare Wetlands und ein persönlicher Feiertag
Bei bewölktem Himmel und eher kühler Temperatur nehme ich den Weg an der Küste wieder auf. Die Windräder drehen sich munter. Zu hören ist ihr monotones, immer gleich klingendes Mahlen durch die Luft gut, wenn ich sie nahe passiere. Eine Frau in auffälliger pinker Jacke markiert mit einer Sprühflasche Unebenheiten am Radweg. Die Jacke trägt die Aufschrift Park Run Volunteer. Zuerst dachte ich, dass es für die Radler ist. Doch es stellte sich heraus, dass sie die Teilnehmenden am Park Run unterstützt. Dieser findet weltweit immer samstags um neun Uhr über fünf Kilometer statt. Ich staunte, was ich alles nicht weiß.
Entlang der Küste und parallel zu meiner Route führte einige Zeit eine Bahnlinie. Manchmal querte der Radweg unten durch, oder auch der Weg zum Strand. Diese Unterführungen sind recht niedrig. Die äußeren Steine der Gewölbebögen sind wohl deshalb gelb und schwarz eingefärbt. Kopf anschlagen rentiert sich hier glaub auch mit Helm nicht. Auf der anderen Seite der Küste sind schon die schottischen Berge zu sehen. Luftlinie 25 Kilometer sagt die Karte. Auf meiner Seite der Küste ist es flach. Und eine Menge Kaninchen gibt es ebenfalls. Flink rennen sie am Radweg auf und ab, verschwinden im Gras, lugen hervor, oder hoppeln querfeldein in ihre Erdlöcher. Bei den Löchern für die Golfer am Weg gibt es Warntafeln. Vorsicht Golfbälle kann man dann lesen. Doch oft muss ich mehr auf den Weg achten. Denn seitlich ragen Gräser und Blumen weit herein. Oder Brombeerstauden auch. Die sind mir heute willkommen. Ich hatte nämlich entdeckt, dass sie hier teilweise schon reife Früchte tragen. Herrlich süß, so eine Stärkung zwischendurch am Wegesrand.
Später kommt mir in den Sinn, dass heute ja der 26. Juli ist. Unglaublich, dass ich nun schon 6 Jahre auf großer Radtour bin. 2019 war es mein letzter Arbeitstag. Und jetzt beim Pedalieren auf flacher Strecke entlang von Rosa Rugosa werden Erinnerungen dazu wach: Das Schließen der Bürotür, das Foto mit dem Rad vor dem Portal, die ersten Kilometer am Rhein, eine Nachricht von meinem Freund Armin, mein Vater im Spital, das Winken der Mutter als Gruß, die Ungewissheit was mich erwarten wird, mein Mut, den Aufbruch zu wagen. Und passend zu diesen Erinnerungen fahre ich in eine wunderbare Marschlandschaft ein. Zuerst ist zwar Kuhscheiße noch am Weg, doch dann wird es richtig schön. Die Solway Wetlands entpuppen sich mit ihrem Vogelparadies als Naturidylle. Magische Eindrücke, wie Vogelschwärme über rötlichbraunem Sand dahinziehen und mit ihren Flügelschlägen ein Glitzern in Weiß in die Luft zaubern. Oder wie der Wind am Wasser ein faszinierendes Flimmern zustande bringen kann. Impressionen die mich innerlich juchzen lassen.
In Carlisle gibt es dann eine Kukturidylle zur Naturidylle davor. Die Stadt ist schon am frühen Nachmittag im Saturday Night Fever. Musik, Bars, Restaurants und viele Leute überall. Auch ich gebe etwas Geld aus. In einem feinem Bikeshop lasse ich mir eine neue Kette und ein neues Ritzelpaket montieren. Und weil der Mechaniker meinte, dass die Schaltung schwergängig sei, gibt es auch noch einen neuen Schaltzug mit dazu. Die Wartezeit verbringe ich beim iranischen Barber gegenüber für einen schnellen Zweimillimeterschnitt, und in einer italienischen Pizzeria ein paar Häuserblocks weiter mit einer Fiorentina. Abends meine ich, dass der 26. Juli mein ganz persönlicher Feiertag ist, und es auch heute so war.
27. Juli 2025
Grenze zu Schottland bei Gretna Green gequert
Es herrscht Sonntagmorgenruhe in der Stadt, und auch am Land und auf den Straßen. Ich ziehe alleine meine Bahn. Irgendwann kommt mir am Radweg ein Mann mit drei Hunden entgegen. Zwei an der Leine führend, und den dritten mit Rufen und Handzeichen dirigierend. Ich staune, wie der Hund darauf reagiert und sie befolgt. Guten Morgen, höre ich zwar nur vom Mann, doch die drei Hunde scheinen alle gut abgerichtet zu sein.
Es dauert nicht allzu lange, und es taucht am Weg eine Hinweistafel auf. SCOTLAND welcomes you, ist in Weiß auf braunem Grund zu lesen. Ich freue mich. Denn lange war dieses Schottland ganz weit weg. Und jetzt quere ich dessen Grenze bei Gretna Green. Auf der anderen Straßenseite ist ein Lokal zu sehen. Erbaut 1830 und seither haben anscheinend mehr als 10.000 Heiraten dort stattgefunden. So wird jedenfalls auf einer Reklametafel darauf hingewiesen. Und dass viele Engländer aus irgendeiner Tradition heraus nach Gretna Green zum Heiraten fahren würde, habe ich unlängst unterwegs schon erfahren. Das Wetter ist in Schottland nicht viel anders als bei dessen südlichen Nachbarn. Ein paar Regentropfen heißen mich nämlich auch willkommen. Und die Radfahrer grüßen hier gleich wie anderswo, und glaub auch weltweit so: Ein lässiges kurzes Heben von vier Fingern vom Lenker und ein freundliches Nicken dazu. Wenn die gegenseitige Freude über ein Sehen ausgeprägter ist, dann ist es die ganze Hand, die sich vom Lenker weg zu einem Gruß formt, und ein lautes Hi You dazu.
Später sehe ich auch die andere Küstenseite, an der ich gestern hochgeradelt bin. England schaut von hier aus gar nicht so interessant aus, wie es gestern Schottland für mich war. Bei einer Spaziergängerin erkundige ich mich nach den vielen hohen Antennenmasten, die mir gestern schon aufgefallen sind. Sie erklärt, dass die Radiomasten für die Navigation des Schiffsverkehrs an der Küste seien. Und berichtet dann freudig, dass sie schon oft in Österreich auf Skiurlaub gewesen sei. Mittags komme ich beim Castle Caerlaverock vorbei. Die Wiese davor ist mit Autos vollgeparkt. Spectacular Jousting kann ich auf einer Hinweistafel lesen. Und lasse mir dann erklären, dass es ein Reiterkampf mit Lanzen auf Pferden sei, und dass die Ruinen des Schlosses den idealen Schauplatz dafür bilden. Ich fragte gar nicht nach, ob Stahlrösser auch zugelassen seien, denn meines ist ja aus Carbon. Und mit dem Fahren auf den fast verkehrsfreien Nebenstraßen und den ersten Kilometern in Schottland hatte ich Freude schon genug.
28. Juli 2025
Auf netten Wegen durch wenig besiedeltes Land
Als ich nach dem Aufwachen das Zelt nach Taufeuchtigkeit abtaste, freue ich mich. Es ist trocken. Aber nur wenig später höre ich es leicht tröpfeln. Und als ich den Kopf rausstecke, zieht eine Regenfront auf. Typisch schottischer Sommer also, geht es mir bei nach unten hängenden Mundwinkeln durch den Kopf. Doch es war nur ein kurzer Schauer. Beim Abtrocknen des Zeltes hilft mir bereits die Sonne, und meine Mundwinkel sind wieder oben. Ein paar Tropfen holen mich unterwegs zwar immer wieder ein, doch ich komme ohne Regenkombi durch den Tag.
Vor der Küste ist eine Batterie Windräder zu sehen. Den Wind spüre ich auch an Land. Weniger wegen dessen Stärke, sondern vielmehr, weil ich es am Rad und vor allem im Nacken etwas kalt empfinde. Dafür glitzert das Meer teilweise in der Morgensonne. Oder tut so als, ob. Denn so richtig durch mag die Sonne heute nicht. Am Weg muss ich ein paar Mal Traktoren ausweichen. Sie führen Siloheu zu einer Farm. Mit Gülle sind sie auch unterwegs. Zumindest riecht es eine Zeit lang so. Die Fahrspuren der Traktoren sind in den Wiesen noch gut erkennbar. Verstreut finden sich immer wieder alleinstehende Farmen in den Hügeln. Häuser oder Ortschaften sind selten.
Am späteren Vormittag lege ich eine willkommene Pause ein. Eigentlich wollte ich nur für mittags etwas einkaufen. Doch ein Laden mit großem Schaufenster und offener Tür lockte mich an. Heraus kam ich mit einem Sandwich-Baguette und einer Linsensuppe. Beides schmeckte auf dem Klappstuhl vor dem Laden köstlich. Beim Rausfahren aus der Stadt quere ich eine Brücke. Im Hafen liegen größere Schiffe trocken am Kai. Die Ebbe hat alles Wasser abgezogen. Und Richtung Meer ist nur ein kleines Rinnsal zu sehen. Dafür mit vielen Bojen. Die Schiffe müssen hier wohl zickzack fahren, wenn sie nicht auf Grund auflaufen wollen. Und jedenfalls auch die Flut und mehr Wasser abwarten. Später komme ich an einem größeren Firmenareal vorbei. Whisky-Broker ist angeschrieben. Holzfässer zieren die Einfahrt. Auf großformatigen Fotos an der Hauswand ist das Halleninnere voller Fässer abgebildet. Das hochprozentige Produkt gehört wohl zu diesem Land dazu. Irgendwann überholt mich dann ein anderer Radfahrer. Es ist Andrew aus Newcastle. Er ist mit dem Rad in Europa schon überall rumgekommen. Und seit seiner Pensionierung lebt er in einem Wohnmobil mit Standort zumeist in Schottland. Darüber schwärmt er fast mehr noch als übers Radfahren. Ich soll mir so etwas auch überlegen, lautet seine Empfehlung zum Schluss.
29. Juli 2025
Unterwegs mit vier N
Gestern bei Sonne ein herrlich milder Abend mit toller Stimmung an der Bucht. Doch darauf folgte eine regenreiche Nacht und ein wolkenverhangener Morgen. Es war rundum düster und trüb. Dabei war das Campingareal auf der Farm sehr einladend und gut im Schuss. Hier hätte ich durchaus länger bleiben können. Als ich meine Sachen fertig gepackt hatte, sah ich über der Bucht eine Regenfront heranziehen. Und nach ein paar Kilometern am Rad hatte sie mich mit leichtem Nieseln auch erreicht. Kurz bot eine lange Allee mit Blätterdach Schutz. Doch danach war es nur noch die Regenkombi, die mir Schutz bot.
Neben der Straße waren tiefe Furchen von Fahrzeugen, die von ihr abgekommen waren. Sie waren morastig und mit Wasser gefüllt. Ich achtete sehr darauf, meine Spur zu halten. Später führte die Straße lange direkt an der Küste entlang. Kein Verkehr machte es mir leichter, trotz des Regens gut voranzukommen. Hinter den großen Glasfenstern mancher Häuser an der Straße waren Fernrohre auf Stativen auszumachen. Doch Leute sah ich keine. Heute gab es mit dem Nebel ja auch wenig zu sehen.
Irgendwann fiel mir dann am Rad eine Schlagzeile für den heutigen Tag ein. Unterwegs mit drei N: Nebel, Nieseln, Nässe. Und später kam dann noch das vierte N dazu, nämlich Natur. Gegen den Nachmittag klarte es auf. Die Landschaft war herrlich anzuschauen. Eine sehr entlegene Gegend mit Natur pur. Ich war am Weg zum Mull of Galloway, dem südlichsten Punkt von Schottland. Bei den beiden Farmen am südlichen Zipfel führte nur noch eine Schotterstraße vorbei. Offensichtlich ist den Schotten gegen Süden der Asphalt ausgegangen. Mir wäre fast die Puste ausgegangen, weil ein paar Steigungen auch noch dazukamen. Der Regen am Vormittag hatte meine Laune etwas getrübt. Doch mit dem Nachmittag und der Landschaft war ich dann doch sehr zufrieden heute.
30. Juli 2025
Nordirland und ein Gugelhupf zum Greifen nahe
Am Morgen ist hie und da Taubengurren zu hören. Es tönt gleich wie daheim oder anderswo. Ich empfinde es heute aber nicht als lästig. Ich war schon früher wach. Sehen kann ich die Tauben nicht. Sie sitzen irgendwo erhöht in einem Geäst. Der Himmel schaut ganz passabel aus. Reichlich wolkenverhangen, doch viel freundlicher zu gestern. Rund um meinen Zeltplatz ist es noch ruhig. Das leise Schnarchen des Fischernachbars tönt bis zu mir rüber. Nur ich allein bin schon im Aufbrechmodus, und das um sechs Uhr in der Früh. Dennoch dauert es eine Weile, bis ich meine Taschen gepackt habe und zum Losfahren komme.
Über der Bucht kommt etwas Sonne durch. Gegen das Landesinnere der Halbinsel spannt sich ein Regenbogen auf. Im Gegenlicht ist leichtes Fieseln in der Luft wahrzunehmen. Und beim Fahren beschlägt sich die Brille gleich. Ich fahre eine Zeit lang ohne sie. Auf einem großen abgeernteten Getreidefeld schnattert eine Schar Gänse. Die Krähen haben die Strohballen in Beschlag genommen. Etwas erhöht muss die Aussicht wunderbar sein. Auf der Straße liegt ein toter Hase in der Fahrspur. Er hat die Nacht nicht überlebt. Die bewirtschafteten Wiesen sind saftig grün. In den Hecken sind Brombeeren zu erkennen. Leider noch nicht reif. Auf einer Veranda steht ein Mann im Bademantel und telefoniert. Der Wind trägt mir ein paar Gesprächsfetzen zu. Das kleine Windrad vor dem Haus surrt leise. Das Surren meiner Kette ist deutlich lauter. Bei einem Farmhaus hängt bunte Wäsche auf der Leine. Der Wind lässt sie kräftig flattern.
Meine Strecke geht am Vormittag kurvig und wellig über kleine Hügel. Ich verwende fast nur das vordere Kettenblatt. In einer der Steigungen riecht es nach Brennnesseln. Die Böschung ist voll von ihnen. Mit mir kriecht eine Schnecke mit dunkelbraun gemustertem Haus die Steigung hoch. Ich bin etwas schneller als sie, obwohl es richtig steil ist. Vis-a-vis ist auf der anderen Seite des Meeres ist Nordirland zum Greifen nahe. Ich bin auf Höhe Belfast unterwegs. Weiter vorne ist draußen am Meer ein Fährschiff zu sehen. Mit seinem weißen Aufbau zeichnet es sich klar am Horizont ab. Es fährt nach Stranraer. Dort möchte auch ich hin. Ich fahre jedoch vorher noch die ganze Landzunge außen rundum, und werde sicher später ankommen. Und weil ich in Stranraer mittags noch Pause machte, sehe ich die Fähre später schon wieder durch die Bucht Richtung Meer entschwinden, wohl wieder zurück nach Belfast. Im Fährhafen sind Rotorblätter für Windräder gelagert. Mastenteile kann ich auch erkennen. Am Meer ist kaum Wellenschlag zu sehen oder zu hören. Meine Route führt den ganzen Nachmittag nah zum Wasser der Küste entlang. Es ist eine stark befahrene Hauptstraße. Nur ein Mal biege ich links von ihr ab. Eine markante kleine Insel draußen im Meer zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Es ist Ailsa Craig, und schaut wie ein runder Gugelhupf aus. Auf der Karte ist die runde Kuppe in der Mitte mit 350 Höhenmetern angegeben. Ich fahre wohl eine gute Stunde mit Sicht auf diesen Gugelhupf dahin. Doch irgendwann entschwindet er im Nebel und in einer Regenfront. Ich bekomme auch noch etwas davon ab. Das mehrmalige Unterstehen bei Bushaltestellen oder unter Bäumen hat nichts genützt. Mit dem Tag bin ich jedoch zufrieden. Am Vormittag eine lässige Route, und am Nachmittag eine gehörige Portion Gugelhupf.
31. Juli 2025
Brombeeren mit Gegenwind
Gestern am Abend hatte ich mir beim Aufbauen des Zeltes nasse Füße geholt. Das Gras am Campingplatz war etwas höher. Und wegen des Regens am Nachmittag waren meine Socken und die Schuhe im Nu nass. Mit längerem Föhnen im Waschraum bekam ich die Sachen wieder trocken. Für den Morgen überlegte ich mir aber eine Alternative: Kneippen war die Variante. Barfuß mit Windjacke und Mütze blieben Socken und Schuhe trocken. Erstaunlicherweise war das Zelt ebenfalls trocken. Ich hatte da viel Taunässe erwartet.
Ich bin auf der Coastal Route am Pedalieren, nordwärts Richtung Ayr. Über der markanten Insel Ailsa Craig hing etwas Nebel. Und Nordirland war bereits aus dem Sichtfeld entschwunden. Am Weg sind auf der Seite manchmal große Hagebuttensträucher zu sehen, und Brombeeren sowieso. Oft ist der Zugang jedoch erschwert. Die Küstenmauer ist fürs Pflücken hinderlich. Nur der Wind kommt über sie hinweg. Hie und da bläst er auch feinen, hellbraunen Sandstaub auf den Weg. Und manchmal kommt er sogar unangenehm böig daher. Oder er lässt mich im Nacken etwas frieren. Dann bin ich um mein Halstuch richtig froh.
War es gestern eine einsame Halbinselgegend ohne Besiedelung, so finden sich heute viele Ortschaften und auch Städte auf meinem Weg. Durch sie hindurch ist der Radweg meist Flickwerk. Zwar gut angeschrieben, doch alles andere als fein zum Fahren. Die Golfplätze sind da viel besser gewartet und tipptopp in Schuss. Dort sind aber auch mehr Leute zu sehen als hier auf meinem Radweg. Durch die Ortschaften durch war es heute mühsam. Am besten gefallen haben mir die offenen Küstenabschnitte. Und öfters auch die Brombeerstauden. Da musste ich gelegentlich Pause machen. Abends meinte ich gar, dass die pechschwarzen und angenehm süß ausgereiften Brombeeren das Beste heute waren.
1. August 2025
Stetiges Auf und Ab und eine Überraschung
Am Morgen geht es gleich richtig hügelig los. Kaum hatte ich die Bucht verlassen, stieg die Straße an. Sie führte mich in ein weites Waldgebiet. Und der Wald begleitete mich dann den ganzen Tag. Nur die Hügelkuppen waren zumeist baumfrei. Es gab ein paar ruppige, kurze Steigungen. Der Weg schlängelte sich zwischen den Hügeln durch. Oder führte manchmal auch darüber. Es war eine einspurige Straße mit vielen Ausweichbuchten. Über eine längere Strecke war sie neu mit Kiesel asphaltiert. Da war es etwas rau zum Fahren. Der Seitenstreifen war frisch gemäht, und öfters auch von Aludosen geziert. Hie und da waren sie noch ganz, dann wieder zerschreddert. Immer jedenfalls leer, und davor mit und ohne Alkohol, soweit ich die Aufschriften entziffern konnte.
Irgendwann fragte ich mich, ob der Wald denn hier nie aufhören wird. Doch gefallen hat es mir schon. In den vielen Steigungen hatte ich zwar etwas Mühe. Eine musste ich gar schieben. Und einmal bog mitten drin ein Weg ab. Da stand davor dann Slow am Asphalt. Doch wenn ich es noch langsamer angegangen wäre, wäre ich wohl umgefallen. Aber die Abfahrten waren erste Sahne. Meist ging es wellig dahin, und kurvig sowieso. Ein Hochgefühl, mit leicht erhobenem Gesäß in den Pedalen stehend die Wellen und Unebenheiten abfedernd dahinsausen. Ein Hochgefühl war es auch, von den bewaldeten Hügeln aus irgendwo unten einen der langen Meeresarme zu sehen. Faszinierende Ausblicke und Eindrücke. Ich war den ganzen Tag in einer einsamen Gegend unterwegs. Nur mittags, nach der Fährfahrt, kam ich in eine kleine Hafenstadt.
Kurz danach bog ich auf eine langgezogene Halbinsel ab. Ich wollte heute bis zur Südspitze hinunterfahren. Doch der Weg dorthin hatte es in sich. Obwohl der Küste entlang folgte eine kurze Steigung nach der anderen, öfters auch recht steil. Am Abend hatte ich Höhenmeter gesammelt wie noch nie. Und gegen den Abend hin, wäre ich fast vom Rad gefallen. Unvermutet tauchte am Meer draußen plötzlich der Gugelhupf von vorgestern wieder auf. Die kleine Insel Ailsa Craig schien mir zuzuzwinkern: Hey, ich bin noch da. Ich war von den Socken. Da hatte ich die Insel längst aus dem Blickfeld verloren und saß einen ganzen Tag strampelnd am Rad, und bin scheinbar nicht vom Fleck gekommen. Denn der runde Gugelhupf stand immer noch am gleichen Ort im Meer. Und mit diesem Gugelhupf als Orientierung erkannte ich dann auch die Küste vis-a-vis wieder, an der ich gestern in einem weiten Bogen entlang gefahren war. Da wurde mir wieder bewusst, wie zerfranst die Küstenlinie Großbritanniens ist.
2. August 2025
Etwas Heidekraut und sonst viel Farn und Brombeerranken
Die Kintyre-Halbinsel erwies sich gestern als landschaftlich wunderbar. Auch mein Zeltplatz auf einem Rastplatz eines Forstgebietes war es. Doch am Morgen war es dann alles andere als wunderbar. Schwärme von kleinen Stechmücken hatten darauf gewartet, bis ich das Zelt abbaue. Für mich erträglich wurde es erst, als ich mir mein Moskitonetz aus Australien über den Helm zog. Vor den Midges hatte man mich schon im Süden gewarnt, als ich als Reiseziel mal Schottland nannte. Bisher war ich von ihnen verschont geblieben. Doch heute Morgen gab es eine Kostprobe ihrer Lästigkeit.
Wahrscheinlich wird es sie auch auf Ailsa Craig geben, der kleinen Insel vis-a-vis im Meer. Der Gugelhupf ragte noch immer am gleichen Platz aus dem Meer so wie gestern. Und gut zu sehen war auch die Küstenlinie von Nordirland. Das dortige Wiesengrün schien ganz nah, und war auch nur gut zwanzig Kilometer entfernt. Das Meer bot eine glatte Fläche bis dorthin. Es war ganz ruhig. Und ganz ruhig war auch ein großer Rehbock im Straßengraben. Er lag dort scheinbar unverletzt, jedoch mit starr von sich gestreckten Läufen.
Das Auf und Ab der Straße setzte sich bis zum Erreichen von Southend ganz im Süden der Halbinsel so fort. Doch das Fahren hatte mir gefallen. Große Farne zierten die Böschungen und oft auch ganze Hügel. Manchmal gab es dort auch etwas Heidekraut zu sehen, verhalten blühend. Überall zu sehen waren dafür die Brombeerranken, weit und ausladend in die Straße ragend, und gut fingerdick an Stärke. Ein paar üppig reife Beeren gab es für mich auch heute wieder im Vorbeifahren. Irgendwann am späten Vormittag machte ich an der Südspitze Pause. Auf einer Bank vor einem Friedhof war ich etwas windgeschützt, und genoss die Sonne. Das taten wohl auch die Seelöwen. Eine ganze Schar hatte sich auf einer kleinen Felsenbank vor dem schmalen Sandstreifen an der Küste niedergelassen. Auf sie aufmerksam wurde ich durch ihre Geräusche. Es klang wie Grunzen. Gerne wäre ich für ein Foto etwas näher zu ihnen hin. Doch die Steine waren rutschig nass und voller Muscheln und Algen. Ich beließ es beim Schauen und Zuhören vom Strand aus. Und freute mich, wie das Meer im Gegenlicht der Sonne glitzerte. An der Westküste der Halbinsel hoch war es dann ein flottes Pedalieren bei weitestgehend flacher und gerader Straße. Das Kilometermachen ging da fast wie von selbst.
3. August 2025
Eine herrliche Sonntagsfahrt mit Musik
In der Nacht gab es Regen. Doch beim Losfahren zeigten sich zum Nieseln auch schon ein paar eingebildete lichte Flecken am Himmel. Gleich am Stadtende spannte sich ein Regenbogen auf. Die Straße glänzte nass. Nach einigen Kilometern ließ das Nieseln nach. Anfangs führte mich meine Route durch Laubwald mit viel Gebüsch. Die Blätter bildeten ein grünes Schutzdach. Hie und da gaben sie seitlich den Blick auf ein Gewässer frei. Statt dem gewohnten Meeresrauschen war das Murmeln von Bächen zu hören. Schwarz flossen sie dahin. Auf der anderen Seite eines langen Meeresarmes waren oben auf der Hügelkette rotierende Windräder zu sehen. Und weiter vorne am Meeresarm war auf der anderen Seite auch eine Anlegestelle für eine Fähre. Sie bediente die vielen Inseln vor der Halbinsel, deren Umkurven ich mir für heute Vormittag vorgenommen hatte.
Die Straße war einspurig mit den hier üblichen Ausweichbuchten. Es waren nur vereinzelt ein paar Autos am Weg. Das aneinander Vorbeifahren ging sich immer gut aus. Hie und da mit kurzer Temporeduktion von mir oder dem Auto. Ein paar Steigungen gab es auch. Im Laufe des Tages kamen dann noch etliche mehr dazu. Auf einem der vielen einsamen Hügel im Nirgendwo blieb ich für einen Schnappschuss der faszinierenden Landschaft stehen. Der Wind blies mir dabei plötzlich leise Dudelsackmusik zu. Ich war total überrascht. Ich konnte die Musik auch nicht verorten. Doch ein paar Kurven weiter löste sich das Rätsel auf: Ein Mann stand im Kilt allein an der Straße und spielte auf seinen Bagpipes. Es gab freie Sicht auf das Meer und die Inseln davor. Kitschig schön und unerwartet unglaublich. Der Mann klärte mich dann freudig auf, dass in ein paar Minuten gleich ein paar Rennradler eines lokalen Rennens vorbeikommen werden. Mit seiner Musik will er sie hier an der Küste anfeuern, bevor sie wieder mit der nächsten Steigung im Wald verschwinden. Und ich soll aufpassen: Die Ersten seien meist die Schnellsten. Tatsächlich rauschte bald ein Einzelner im Renntempo an uns vorbei, rasch gefolgt von einer kleinen Gruppe. Doch dann zog es sich schon recht lange bis zu den nächsten. Es waren geschätzt so an die fünfzig, denen ich später noch begegnete. Sie winkten mir alle freudig zu und grinsten. Wahrscheinlich erzählten sie bei der Siegerehrung nicht nur vom Dudelsackspieler, der für sie im Nirgendwo aufspielte, sondern auch von einem, der ihren Rennkurs mit Reisetaschen in der falschen Richtung gefahren ist.
Nach diesem Treffen fuhr ich aufgemuntert weiter. Vor einsamen Häusern standen hie und da ein paar Leute mit kleinen Glocken an der Straße. Mich feuerten sie fast mehr noch an als die einzeln daherkommenden Rennradler. Und auch landschaftlich hat es mir heute danach sehr gefallen. Einsame Gegend, viele Hügel, Meeresarme, Seen, sumpfige Wiesen, Farne, Hügel mit Wald, Hügel mit Heidekraut, Kurven, Anstiege und Abfahrten, Sonne. Später fuhr ich an einem Kanal mit vielen Schleusen entlang. Manchmal waren darin nur die Mastspitzen der Segelboote zu sehen. Bei einer der Schleusen querte die Straße über sie hinweg. Eine Frau bediente mit einer Kurbel die Drehbrücke und Schranken von Hand. Heute sei viel los, meinte sie zu mir. Es würde ein Sturm aufkommen. Da wollen alle heim in den sicheren Hafen. Damit hatte sie auch schon für mich eine Warnung ausgesprochen. Morgen sei ganz sicher kein Radlerwetter. Doch für heute freute ich mich dennoch über diesen wunderbaren Sonntag am Rad. Und über den Schotten im Kilt mit seiner Musik.
4. August 2025
Regen und Sturmböen
Die Wärterin an der Schleuse gestern hatte es schon angekündigt, der Wetterbericht am Abend dann bestätigt, und ich am Morgen gesehen und gehört. Heftige Sturmböen rüttelten an den Fenstern. Regen klatschte dagegen. Das Meer im Hafen von Oban war voller Wellen und Gischt. Es war definitiv kein Radlerwetter heute. Ruhetag mit Überlegungen zur weiteren Route waren das Programm. Die schottischen Highlands werden wohl herausfordernd. Und bei solchen Bedingungen sowieso.
5. August 2025
Wind und Regenschauer und keine Fähre
Der Wetterbericht war durchwachsen für meine Route. Doch sehr rosig schaute es die ganze Woche nicht aus. Ich entschloss mich daher dennoch loszufahren. Ein paar Kilometer schaffte ich immerhin auf nasser Straße bis zum ersten Stopp. Dann drohte auch ich nass zu werden. Ich musste in die Regenkombi wechseln. Es war windig, oder vielmehr böig windig. Wenigstens hörte nach einiger Zeit der Regen wieder auf. Oder zog woanders über die Hügel und das Wasser.
Ich folgte einem Radweg. Oft ging er durch lichten Wald. Der Wind hatte die Bäume arg zerzaust. Am Weg lagen viel abgebrochene kleine Äste und jede Menge Laub. Manchmal knackste es recht laut, wenn ich einen der Aststücke mit meinen Reifen traf. Waren es im Wald Äste und Laubwerk, so waren es in den ersten kleinen Ortschaften Kaninchen, die den Weg säumten. Nicht sehr scheu hoppelten sie vor mir her, in eine Seitenstraße rein, und bei der nächsten wieder raus. Es schien ein Kaninchendorf zu sein, war mein Eindruck.
Auf einer der größeren Brücken rüttelte es mich kräftig hin und her. Die Eisenbrücke verlief recht hoch über einen Fluss. Der Wind hatte volle Angriffsfläche. Ihm schien es zu gefallen, mit mir zu spielen. Mir gefiel es weniger. Dafür gefiel mir etwas später eine kleine, wacklige Holzbrücke am Rad- und Fußweg. Jubilee Bridge war angeschrieben. In der Bucht war vis-a-vis auf einer kleinen Insel eine verfallene Ruine zu sehen. Die Sonne warf hie und da ihren Scheinwerfer auf sie, während rundherum Nebelfetzen und Regenwolken die Hügel entlang zogen. Später erreichten mich ein paar kurze Schauer auch auf meinem Weg. Nicht sehr intensiv, doch lästig, weil ich jedes Mal in die Regenkombi wechseln musste. Irgendwann bei einem Fährübergang traf ich auf drei Tschechen. Sie wollten nach Fort William und zum Ben Nevis, dem höchsten Berg Schottlands. Doch die Fährverbindung war unterbrochen. Das Schiff hatte einen Schaden und verkehrte nicht. Damit war auch meine geplante Route im Eimer. Ich musste auf einer stärker befahrenen Straße weiter. Doch weiter vorne gab es die nächste unangenehme Überraschung. Die Fußgängerfähre als Ersatz setzte erst am späten Nachmittag über. Dafür war mir das Warten zu lange, und das Erreichen meines Etappenzieles wegen des Umweges sowieso gefährdet. Nach einiger Zeit des Kartenstudiums fand ich mich damit ab. Es führen auch andere Wege in meine gewünschte Richtung, nur mit wahrscheinlich mehr Verkehr. Und weil gleich mal eine größere Regenfront daherkam, war mir der erste Campingplatz auf meiner Ersatzroute recht für eine Nacht.
6. August 2025
Purpurfarbe zum Juchzen
Das Zelt konnte ich gestern noch bei trockenen Bedingungen aufstellen. Doch kaum bezogen, setzten Regenschauer ein. Sie hielten in unterschiedlicher Intensität bis zum Morgen an. Vom Ben Nevis, nach dem in Fort William bald jedes Geschäft und jeder Laden benannt ist, war weit und breit nichts zu sehen. Er versteckte sich hinter Nebel und Wolken. Und auch über dem weit ins Land hineinragenden Meeresarm zogen Dunstwolken dahin. Kein Ben Nevis am Morgen, dafür jede Menge kleiner Mücken. Ich konnte sie beim Abbauen des Zeltes kaum abwehren. Und am Abend stellte ich im Spiegel fest, dass sie mich im Gesicht kräftig erwischt hatten. Es schaute fast wie Masern aus.
Beim Losfahren und auch entlang meiner Route war am Vormittag eine tolle Stimmung. Von der Sonne in Szene gesetzt waren die Gewässer und grünen Hügel oder Berge wunderbar anzuschauen. Zwar waren sie oft auch in Nebel oder Wolken eingehüllt, doch zwischendrin zeigten sie ihre Pracht. Und in magischer Pracht zeigte sich auch hie und da das Heidekraut. Seine Purpurfarbe finde ich genial. Oft eher unscheinbar blass, waren zu meiner großen Freude doch ein paar dieser faszinierenden Farbtupfer in voller Stärke in der Landschaft zu sehen. Zum Juchzen. Weniger Freude hatte ich, als sich das Hinterrad irgendwann schwammig anfühlte. Die Ausweichbucht zum Flicken war zwar in der Sonne, und daneben hörte ich den Wellenschlag eines Sees am Ufer, doch kein Plattfuß wäre mir lieber gewesen. Mit dem Ersatzschlauch ging es aber bald wieder weiter. Einstich hatte ich im Mantel keinen gefunden.
Beim Fahren war mir nur in den Anstiegen warm. Es war leicht windig und ziemlich frisch. Mittags erreichte ich die Fähre zur Insel Skye. Die acht Kilometer lange Überfahrt war eher unruhig. Das Schiff schaukelte merklich, auch wenn die Wellen am Meer keineswegs hoch waren. An Land waren dann auf meiner Route viele umgestürzte Bäume vom Sturm Anfang der Woche zu sehen. Es roch manchmal nach frischem Sägemehl, dort wo die Straße freigeschnitten werden musste. Vielleicht wurden die Arbeiter danach in eine der vielen Destillerien am Weg eingeladen. Whisky und Gin wurden bald bei jeder zweiten Hauszufahrt beworben. Und den Tafeln nach musste es hier auch ein paar gehobene Unterkünfte geben. Leider war das Wetter später eher diesig und dunstig. Die Pracht der Küste und der Landschaft rundum wollte sich noch nicht richtig zeigen.
7. bis 9. August 2025
Sommerwetter vom Feinsten nach Highlands Art
Sturmböen, Regenschauer, Nebelziehen, Wolkenfetzen fallen mir als Schlagwörter ein, die mich drei Tage vom Radfahren abhielten. Wobei es vor allem der viele Regen und die ständigen Windböen waren, die mich nicht aufsteigen ließen. Dazu noch die fehlende Aussicht auf Besserung auf meiner geplanten Route. Die schottischen Highlands zeigten sich nur unter nebel- und wolkenverhangenen Bergen, und die Insel Skye als Zentrum des Schlechtwetters. Zwischendurch gab es aber auch kurzzeitige Sonnenfenster. Da war dann alles pipifein. Klare Luft, und die Stimmung so, als ob es gar nicht anders sein könnte. Doch der Übergang zu sturmgepeitschten Regenschauern dauerte keine fünf Minuten.
Gestaunt hatte ich jede Nacht, was so ein dünnes, beschichtetes Nylongewebe als Zelt alles aushalten kann. Und noch mehr, wie biegsam ein Zeltgestänge ist, und dass die Verankerung mit Herigen am Boden stabil sein kann. Unbeschreiblich die Akustik, wenn der Sturm die Regenschauer anfeuerte und stakkatoartig auf das Zelt prasseln ließ. Und faszinierend das Flattern und Standhalten der Zeltwände bei den Böen. Richtig wohl fühlte ich mich dabei nicht.
Geschlafen hatte ich nur mit Unterbrüchen. Das Regenprasseln und der Sturm ließen mich immer wieder aufwachen. Und meine Luftmatratze auch. Sie verlor nämlich Luft. Das einmalige Nachpumpen anfangs der Woche wurde zu einem stündlichen Erfordernis. Zum Glück war der Campingplatz in Ordnung. Ein spartanisch ausgestattetes Rundgebäude mit Betonboden bot untertags Schutz, und für einige Camper auch während der Nacht. Zusätzlich gab es flottes W-Lan. So konnte ich mich auch über die Reparatur der Luftmatratze schlau machen. Zum Auffinden des Loches und der austretenden Luftblasen wäre ein flächiges Untertauchen der Matratze in einem stillen Gewässer oder abschnittweise in einer großen Badewanne ideal gewesen. Man kann vermutlich nicht alles gleichzeitig haben, ging es mir dabei durch den Kopf. Mit gutem Wetter allein wäre ich auch schon zufrieden gewesen.
10. August 2025
Flucht nach Osten
Beim Aufwachen rieb ich mir nicht nur gleich ein paar Mal die Augen, sondern auch noch die Ohren. Unglaublich. Beim vorsichtigen Blick nach draußen waren nämlich blaue Flecken am Himmel zu sehen, und Wind- oder Regengeräusche waren keine zu hören. Das passt, dachte ich erfreut. Und nach dem Checken des Wetterberichtes war ich mir sicher: Ich gehe Plan B an. Das Beharren auf meiner ursprünglichen Route macht keinen Sinn. Statt Weiterwarten an der Westküste nutze ich den heutigen Ausnahmetag für eine Flucht nach Osten. Ich muss dringend eine neue Luftmatratze für mich auftreiben. Die finde ich im städtischen Bereich eher. Und Schottland ist im Norden nicht so breit, als dass sich da nicht ebenso neue Routenvarianten nordwärts auftun könnten. So sich denn das Wetter bessern sollte.
Es waren wahrscheinlich keine zehn Minuten, für die ich mich der Morgentoilette wegen im Sanitärbereich aufhielt. Doch beim Rauskommen nieselte es. Vom markanten und beeindruckenden Berg Beinn na Caillich zog eine Front herab, so wie ich es die letzten Tage ständig beobachten konnte. Also verzog ich mich wieder in mein Zelt und wartete ab. Es dauerte erfreulicherweise nicht lange, und der Niesel-Spuk war vorbei. Hervorgekommen waren jedoch die Midges, die ich beim Abbauen des Zeltes entdeckte, wie sie mich. Im Nu waren meine schwarzen Beinlinge grau gesprenkelt, mein Kopf von einem undefinierten Schwarm umgeben. Mit einer Hand also packen, und mit der anderen abwehren, dann war ich etwas zeitverzögert dennoch abfahrbereit.
Nach der Überquerung der wie in den Himmel führenden Skye Bridge fuhr ich auf Nebenstraßen weiter. Immer wieder gab es Passagen durch Wald und an Gewässern entlang. Einsame Gegend mit kaum Verkehr. Eisenbahngeleise waren auch zu sehen. Dazu auch öfters Windwurf und Astabbrüche von großen Bäumen. Der starke Sturm hat demnach überall Spuren hinterlassen. Am Ufer eines langgezogenen Sees entdeckte ich hinter mir plötzlich das Heranziehen von Regenschauern. Es entwickelte sich ein Wettrennen. Ich meinte, der Rückenwind hat auch mir geholfen. Doch bei einer Steigung musste ich den Sieg der Regenfront anerkennen. Und weil ich bei der Siegerehrung mit dem Umziehen zuwartete, bekam ich einiges als Regendusche ab. Später war es dann ein leichtes Nieseln, das mit dem Erreichen einer Hochebene auch aufhörte. Dort war das Fahren großartig. Eine befreiende Weite, mäandernde Gewässer, blass blühendes Heidekraut an den Hängen, moorartige Wiesen, sanfte Hügel, wenig bis keine Bäume, eher flach die Straße. Und mit Rückenwind ein wunderbares Dahingleiten zum Genießen. Hier meinte ich, den bezaubernden Reiz der Highlands spüren zu können. Später, näher zur Ostküste und zu Inverness, änderte sich die Landschaft zwar wieder. Doch die Strecke bis dahin hat mir sehr gefallen, und das Radfahren nach drei Tagen Regenpause natürlich auch.
11. August 2025
Zugfahren statt Radfahren
Leichter Regen schon am Morgen, und mit ein paar Aufhellungen zwischendurch dann auch den ganzen Tag. Der Osten zeigte sich nicht anders als der Westen. Doch der Wetterbericht hatte es so angekündigt. Ich war also schon darauf eingestellt, und hatte mir statt Radfahren Zugfahren vorgenommen. Ich wollte zu einem Sportgeschäft nach Inverness, einer größeren Stadt im Nordosten der Highlands.
Der Zug mit den zwei Waggons zuckelte gut gefüllt gemächlich durch die Landschaft. Büsche streiften an den Fenstern. Die Böschungen waren dicht bewachsen und wohl schon lange nicht mehr gepflegt. Die Landschaft draußen war es da bedeutend mehr. Wir querten Golfplätze, Schafwiesen und große Getreidefelder. In einem solchen stand mittendrin ein hellblaues Auto. Der Farbkontrast zwischen dem milchigen Blau der Karosserie und dem matten Goldgelb des sie umgebenden hohen Getreides war gut abgestimmt. Ein faszinierend schönes Bild. Und lustig, dass man beim Rausschauen aus dem Fenster gleich nach Erklärungen für diese Installation in der Natur suchte. Oder lustig, welche Fragen sich da in ein paar Sekunden des flüchtigen Betrachtens auftaten. Und wie schnell man solch gefällige Bilder wieder ausblenden kann, wenn sich mit der vorbeiziehenden Landschaft neue auftun.
Keine Fragen hatten sich mir bei der Nutzung der ScoTrail-App zum Kauf des Zugtickets aufgetan. Staunend stellte ich fest, dass es auch für den Öffentlichen Verkehr benutzerfreundliche mobile Lösungen gibt, mit denen man auf Anhieb klar kommt. Und sehr gut gefallen hat mir auch die Beratung in den beiden Sportgeschäften. Weil sie meine gewünschte Liegematte nicht vorrätig hatten, fragten sie von sich aus bei einem anderen Geschäft nach, was dort an gleichwertiger Ware lagernd ist. Und der dortige Verkäufer war glaub einer der Kundigsten seiner Branche und dieser Produkte. Ich war überrascht, welch vielfältige Details er aus dem Hut zaubern konnte, und wie er Vor- und Nachteile gegenüberstellte. Beim Heimfahren meinte ich, dass sich das Zugfahren heute gelohnt hat. Nicht der vielen Touristen im Victorian Market wegen, sondern ob der guten Gespräche in den beiden Sportgeschäften. Den Komfort der neu erworbenen Schlafunterlage von Big Agnes werde ich morgen dann testen. Laut Wetterbericht soll es camper- und radlerfreundlich werden.
12. August 2025
Landschaft im Nebel
Es soll besser werden, hieß es gestern am Abend noch. Aber heute am Morgen nieselte es kräftig. Die Dachrinne am Haus vis-a-vis rann fast über. Und das Nieseln nahm mit Fortdauer mehr zu als ab. Es drängte mich also nicht sehr vehement zum Aufbruch. Ich wartete länger zu, das Nieseln dauerte ebenso länger. Irgendwann war ich weichgeklopft und bereit, mit der Regenkombi in den Tag zu starten. Doch sie war dann gar nicht mehr nötig. Es genügten die Überziehschuhe. Die Straße war triefend nass mit reichlich Pfützen. „It will dry up“, rief mir ein Fußgänger lachend zu. Ich nickte hoffnungsvoll und freudig.
Die Luft war eher schwül. Und als ich ein paar Höhenmeter gemacht hatte, tauchte ich in Nebel ein. Darüber war aber die Sonne erahnbar. Ein paar Kornfelder lagen am Weg, Wald und Gewässer ebenso. Mit dem Nebel gab es eine schöne Stimmung. Vor allem die unterschiedlichen Farben gefielen mir sehr, und das manchmal sich zeigende Blau des Himmels ebenso. Doch je höher ich kam, desto dichter wurde der Nebel. Irgendwann schaltete ich das Rücklicht an. Und nach einiger Zeit zog ich sogar die gelbe Warnweste über. Es waren zwar nicht viele Autos am Weg. Doch die Strecke war eine Holztransporterroute. Die Lastwagen kamen recht flott daher, und zogen eine feine Duftnote nach frischem Sägeholz hinter sich her.
Bei einem großen Fluss konnte ich von der Brücke einigen Fliegenfischern zuschauen. Bis zur Hüfte standen sie im Wasser und warfen rhythmisch ihre Ruten. Fang hatte ich jedoch keinen gesehen. Dafür danach viel Heidekraut, herrlich intensiv blühend. Etwas unruhig wurde ich bei einer Pause. Ich entdeckte, dass eine der beiden Befestigungshaken an einer Packtasche gebrochen war. Gestern im Sportgeschäft hätten sie vielleicht Ersatzteile gehabt, oder mir eine neue Tasche empfohlen. Doch heute in der Einsamkeit der Highlands war sowas natürlich nicht aufzutreiben. Ein Bauarbeiter war mir mit einer Zange behilflich, dass ich ein Gurtband befestigen konnte. So konnte ich die Tasche am Gepäckträger absichern. Ich war mit der Notlösung zufrieden. Und der Mann mit blanker Glatze ebenso, dass seine Hilfe und sein Werkzeug brauchbar waren.
Später führte meine Route immer wieder an Gewässern vorbei. Mit dem stärker aufziehenden Nebel gab es schöne Stimmungen. Auch die einspurige Straße war lässig zum Fahren. Landschaft im Nebel, fiel mir als Schlagwort ein. Und ich mit Freude wieder zurück an der Küste im Westen. Das Queren heute hat mir gefallen. Einsame Highlands mit Heidekraut, und außer am Morgen zu meinem Erstaunen gar kein Regen. Das könnte so bleiben.
13. August 2025
Pipifeiner Tag mit Höhenmetern
Am Morgen ist es windstill. Und so bleibt es dann erfreulicherweise auch den ganzen Tag. Das Meer in der Bucht vor dem Campingplatz ist ruhig. Der Übergang von der kreisförmigen Bucht nach außen ist grenzenlos. Das im Morgenlicht milchig graue Wasser und der Himmel gehen ineinander auf. Die Grenze war nicht festzumachen. Weiter oben ist der Himmel wolkig und hat weiter ein paar blassblaue Einfärbungen. Das Zelt baue ich barfuß ab. Das Gras ist taunass, und das Zelt ebenso. Die kleinen Mücken helfen mir, dass ich bald abfahrbereit bin. Gestern am Abend hatte ich einige Leute mit Mückennetzen in ihren Campingstühlen sitzend gesehen. Und am Morgen begegneten sie mir mit Gummistiefeln. Wer schottlanderfahren ist, ist offensichtlich für alles gerüstet.
Das gedämpfte Morgenlicht zaubert eine wunderbare Stimmung in die Landschaft. Die Berge und Hügelketten zeigen sich mit faszinierenden Graustufen. Zwischen den kargen Felsen und Hügeln durchzufahren war purer Genuss. Das viele Heidekraut blühte intensiv. Herrlich, diese Farbe, an der ich mich kaum sattsehen kann. Ich komme immer wieder an Gewässern vorbei. Manchmal sind es zwischen den Hügeln eingebettete Seen, und oft auch murmelnde Bäche mit tiefschwarzer Farbe. Die Straße ist den ganzen Tag über einspurig mit Ausweichbuchten. Überrascht wurde ich von den vielen Steigungen. Ich sammelte doppelt so viel Höhenmeter wie sonst an einem Tag. Und weil ich mir eine längere Etappe vorgenommen hatte, war ich am Abend ziemlich geschafft.
Irgendwo zwischen Farnen und Heidekraut stand ein Mann mit seinem Hund. Wir kamen kurz ins Gespräch. Er meinte, dass man zum Wohnen an der Nordwestküste schon eine spezielle Persönlichkeit sein muss. Wenn man viele Freunde um sich haben will, sei man hier fehl am Platz. Doch die Landschaft sei herrlich. Im Winter würde das Feuer im Ofen nie ausgehen. Der Wald rundum biete reichlich Brennstoff. Die Tage wären dann mit ungefähr sechs Stunden Licht etwas kurz. Doch daran könne man sich gewöhnen. Und an die kleinen Mücken auch. Nur die Zecken seien ein Ärgernis. Im Sommer könne er deswegen mit dem Hund nicht ins Gelände. Er machte dennoch einen zufriedenen Eindruck. Etwas kauzig kam er mir aber schon vor. Ich für ihn wohl auch. Mit dem Fahrrad seien hier nämlich eher wenige am Weg, war sein Kommentar beim Weiterfahren. Und ich hätte Glück. So feines Wetter gebe es eher selten. Mir war es so ganz recht. Weiter nördlich blieben dann die Bäume gänzlich aus. Abgeschliffene Felsen oder bis oben üppig grün. Dazu Seen in allen Formen, und mit dem Licht auch in allen Farben. Hie und da kam ich auch nah am Meer oder an einem Meeresarm vorbei. Da waren ein paar wenige Boote willkommene bunte Farbkleckse. Und sonst war es das Heidekraut, das Farbe in die Landschaft und den Tag brachte. Ich habe ihn genossen. Diese kaum besiedelte Landschaft im Nordwesten hat mit ihrer Einsamkeit und Kargheit ihren ganz eigenen Reiz.
14. August 2025
Nebelschwaden über Heidekraut
Um sechs Uhr schält sich die Sonne aus einem breiten Wolken- und Dunstband überm Meer heraus, und steht dann als blasse, hellorange, kleine Kugel schon gleich recht hoch. Am milchig blauen Himmel zeigen sich ein paar Wolken. Bei der dem Meer abgewandten Seite haben sie sich für ein leichtes Grau als Farbe entschieden. Und bei der anderen Seite tragen sie ein schönes Rosa. Die Sonne hat sie herausgeputzt und wunderbar in Szene gesetzt. Es ist ein herrlicher Morgen.
Das Gras um das Zelt herum ist taunass. Das Zelt ebenso. Barfuß wische ich es außen herum ab. Meine Fußspuren sind am nassen Boden gut zu erkennen. Das Abwischen der Feuchtigkeit am Zelt ist schon zu einem Morgenritual geworden. Doch gleich Losfahren will ich heute nicht. Es ist frisch. Ich verkrieche mich zum Aufwärmen nochmals kurz in den Schlafsack. Nebenbei bin ich am Frühstücken. Couscous mit Banane und Snickers. Dazu Mandelmilch als Getränk. Ich meine, recht üppig für den Start in den Tag.
Nach dem Losfahren erwartet mich gleich eine kleine Steigung. Die Straße führt etwas erhöht der Küste entlang. Damit ergeben sich wunderbare Ausblicke auf die Buchten und deren Sandstrände. Doch im Gegensatz zu gestern zieht heute schon recht bald Nebel auf. Damit ist es mit der Aussicht auch schon dahin. Zwar bringt der Nebel eine neue Note mit ins Spiel. Doch ohne Nebel wäre es mir deutlich lieber. Dennoch gefällt mir das Fahren durch diese Landschaft. Es ist weit bis in den Vormittag hinein niemand sonst am Weg. Ich habe die Küste und den Nebel für mich allein. Und die Steigungen auch. Es gibt sie wieder recht zahlreich. Dafür sind die Abfahrten klasse. Sie weisen meist nur geringes Gefälle auf. Doch mit dem leichten Rückenwind ist es ein herrliches Dahingleiten auf gutem Straßenbelag. Dazu bläst der Wind Nebelschwaden über die Straße und das Heidekraut in den Wiesen daneben. Gerne hätte ich davon etwas mehr gesehen. Da hat der gestrige Tag Lust gemacht für ein Mehr. Doch was Wenige von heute konnte mir dennoch gefallen.
Am Campingplatz traf ich auf einen jungen Engländer. Er war in 23 Tagen von der Südspitze in Cornwall bis hier in den Norden Schottlands in der Mitte der Insel quer durch hochgefahren. Und er hat ähnliche Erfahrungen gemacht wie ich. Wir müssen beide lachen, als wir die Wohnmobilfahrer ansprechen. Es lassen alle Abstand oder warten in den Ausweichbuchten. Nur eine Nation fällt aus dem Rahmen: Deutschland. Anscheinend lassen sich im Urlaub die Alltagsgewohnheiten von daheim doch nicht so schnell ablegen.
15. August 2025
Ausflug nach Orkney zum Staunen
Die Fahrt an der Westküste entlang Richtung Norden hat sich ziemlich gezogen. Doch beim Blick auf die Karte wird einem schnell klar, dass mein bisher erreichter Norden Schottlands ja nur der Norden der Hauptinsel ist. Ihr vorgelagert finden sich noch unzählige Inselgruppen mehr. Zumindest eine davon hatte ich mir noch als Ziel auf meiner Route ausgesucht: Orkney. Da wollte ich hin. In leichtem Nieselregen fuhr ich zum Fährhafen Scrabster. Und nach einer weitestgehend ruhigen Überfahrt stieg ich nach eineinhalb Stunden in Stromness wieder aufs Rad.
Davor gab es von der Fähre aus schon ein paar schnelle Blicke auf eine mächtige Steilküste mit leicht rötlichen Felsen. An den weniger steilen Stellen waren sie von sattem Grün überwachsen. Und auf der anderen Seite liefen sie sanft aus, und gingen in grüne Wiesen über. Die Häuser rund um den Hafen waren alle in ähnlichem Stil. Grau dominierte als Farbe an Wand und Dach. Vom Meer aus dennoch recht hübsch anzuschauen.
Den ersten Stopp auf meiner Inseltour legte ich schon bald hin. Stones of Stenness war angeschrieben. Die schmalen, senkrecht aufgestellten und mehr als 5 Meter hohen Steinplatten boten auf kurzem Rasengrün ein imposantes Bild. Doch mehr gestaunt hatte ich dann beim Ring of Brodgar. Dort standen die Steinplatten in einem weiten Kreis von 100 Metern Durchmesser. Statt kurz gemähtem Rasen gab das intensiv blühende Heidekraut einen wunderbaren Bodendecker. Ich war fasziniert von dieser Farbenpracht, fast mehr noch als von den Überbleibseln aus Wikingerzeiten und deren erstem sesshaft werden in Schottland. Der Steinkreis soll etwas um 2.700 vor Christus entstanden sein. Gegen Mittag hin klarte es dann mehr und mehr auf. Es war ein herrlich klares Licht. Ich staunte, wie satt und kontrastreich sich plötzlich alle Farben zeigten. Und welch eigenes Flair die sanfte Hügellandschaft auszustrahlen wusste. Mit meinem Ausflug nach Orkney war ich voll zufrieden. Im Sommer sei es hier wunderschön, bestätigte eine Frau als Ordnungsdienst bei Skara Brae, einer der ältesten erhaltenen Steinsiedlungen mit Einblick in das Leben vor 5.000 Jahren. Doch den Winter mit den kurzen Tagen und dem nassen Wetter, den gibt es halt auch, rückte sie das Gesamtbild wieder etwas zurecht. Ich vergaß zu fragen, wie das Heidekraut im Winter ist. Denn so wie heute war es unbeschreiblich schön. Zum Staunen schön.