14. Juni 2025

Ein fordernder Regentag

Der Wetterbericht hatte ganztägig Regen angekündigt. Doch ich war optimistisch, und hoffte auf ein paar längere regenfreie Fenster. Außerdem meinte ich, dass es in meiner Fahrtrichtung südwärts besser ist. Aber schon beim Aufstehen nieselte es kräftig. Die Hügel oder Berge rund um das Hostel waren im Nebel. Dennoch wollte ich los. An der Rezeption reihte ich mich in die Warteschlange ein. Ich wollte mein in einem versperrten Raum abgestelltes Fahrrad holen. Vor mir warteten bereits drei schwarzweiß gemusterte Katzen mit etwas strub-nassem Fell auf ihr Frühstück. Die drei Schalen mit Trockenfutter hatten sie im Nu weggeputzt, schneller noch als ich meine Regenkombi anziehen konnte. Und während ich mich etwas zaghaft samt Fahrrad nach außen wagte, sprangen sie mutig durch das offene Fenster der Rezeption nach innen, Nachschlag zum Frühstück fordernd. Die haben es gut, und sind unter Dach, ging es mir durch den Kopf, die Regentropfen von der Nase wegblasend.

 

Beim Losfahren war ich noch frohen Mutes. Es ging eine Zeit lang abwärts, und der Regen war nicht so fest. Doch schon in der ersten Steigung prasselte es kräftig, und es hielt weiter so an. Nach gut einer Stunde bereute ich es, losgefahren zu sein. Auf der Straße kamen mir meist auf meiner Fahrspur Bäche entgegen. Zum Glück war wenig Verkehr. Ich orientierte mich mehr nach der Straßenmitte, denn seitlich war mir der Wasserstand zu tief. Bei einer Tankstelle machte ich Pause. Die Wärme des Verkaufsraumes war eine Wohltat. Die Frau an der Kassa meinte, ich könne ruhig bis zum Abend hierbleiben. Denn erst dann würde der Regen hier nachlassen. Keine guten Aussichten für mich, auch wenn andere Kunden meinten, es sei „a lovely day“.

 

Nach einiger Zeit des Rumstehens und wiederholtem Studiums des Regenradars fuhr ich wieder los. Eine Stunde Durchbeißen, dann sollte der Regen weiter südwärts vorbei sein, falls ich die Vorhersage richtig interpretierte. Mit dieser Hoffnung strampelte ich in der Regenkombi Richtung aufhellendem Himmel. Ganz vorbei war der Regen den ganzen Tag nicht. Es zogen immer wieder kurze Schauer durch, denen hie und da gar Sonnenstrahlen folgten. Einen Tag im vollen Regen wie am Morgen wäre für mich unmöglich gewesen, durchzuhalten. So war ich froh, dass meine Sachen während der Fahrt immer wieder abtrocknen konnten. Glück gehabt, war mein Resümee des nassen Tages dann am Abend. Aber jeden Tag brauch ich solche Verhältnisse nicht.

 

15. Juni 2025

Unterwegs auf alten Pilgerpfaden

Die Straßen sind am Morgen noch etwas feucht, die Temperatur nach meinem Empfinden durchaus frisch. Ich ziehe meine Daunenweste über. Die Beinlinge hatte ich schon an. Doch es überholen mich bald vier Rennradler in kurzen Hosen und kurzem Shirt. Sollen sie, ist mein Gedanke. Als etwas später eine gemischte Gruppe winkend und in flottem Tempo an mir vorbeizieht, komme ich mir in meiner Weste doch etwas zu üppig wattiert vor. Es geht auch ohne, wie ich gleich danach feststelle, ohne ein Ire sein zu müssen. Nur das Halstuch, das musste für einen wärmeren Nacken bleiben.

 

Olfaktorisch dominierte eine Zeit lang ein Schweinemastbetrieb das Radfahren. Der Rückenwind sorgte dafür, dass die Farm nicht nur im Vorbeifahren wahrnehmbar war. Frühkartoffeln hätte ich am Weg auch kaufen können. In einigen Holzboxen wurden sie an der Straße zur Selbstbedienung angeboten. Und an der Südostspitze von Irland hätte ich wieder zurück nach Wales wechseln können. Im großen Hafen von Rosslare stand neben viel Fracht auch eine Fähre bereit. Doch mich machte der Radweg an der Küste mehr an. Es war der EuroVelo 1, der gut ausgeschildert der Küstenlinie folgte. Auf ihm war es ab Mittag mit der zusätzlich mitfahrenden Sonne ein angenehmes Radfahren bei gelegentlichem Ausblick auf das glitzernde Meer.

 

An einer historischen Pilgerstätte kam ich auch vorbei. Es war Lady’s Island mit einem uralten Friedhof und einem verfallenen, schiefen Turm. Beim Zufahrtsweg lockte mich eine Tafel mit einem Auszug aus Psalm 23: „He makes me lie down in green pastures. He leads me beside still waters. He restores my soul.“ Da musste ich natürlich stehen bleiben und schauen. Spannend fand ich eine Beschreibung zum Pilgern hier im 17. Jahrhundert. Damals umrundeten „persons of honour as well as others“ barfuß die kleine Insel. Einige Sünder machten es gar auf ihren Knien. Und die ganz großen Sünder taten es im Wasser auf den Knien drei Mal. Ich beließ es bei einer dreimaligen Umrundung des kleinen Kreisverkehrs beim Parkplatz, und tat dies gegen den Uhrzeigersinn und ein Mantra aus dem buddhistischen Herz-Sutra summend. Ich meine, wir sind alle frei, auf unsere ganz persönliche Art zu pilgern. Und beim Radfahren sowieso.

 

16. Juni 2025

Freudiges Fahren mit einer Margeritenblume

Die Sonne lacht am Morgen schon vom Himmel. Herrlich, und angenehm mild ist es noch dazu. Der Pullover ist gleich mal ausgezogen, und die Beinlinge ebenso. Hie und da bilden die seitlichen Bäume ein dichtes Ast- und Blätterdach über die schmalen Wege. Es ist dann ein Fahren wie in einem grünen Tunnel. Doch Aussicht gibt es auch. Bei einer Hauseinfahrt steht „Vista Mare“ angeschrieben. Nur ein leicht abfallendes großes Getreidefeld trennt das Haus vom Meer. Das Haus steht auf einem Hügel und hat freie Sicht rundum. Doch dem Wind ist es ausgesetzt. Er bläst mir heute aus dem Westen entgegen, und beschäftigt mich am Nachmittag dann sehr.

 

In einer weiten Bucht kreuzt ein kleines Segelboot. Es liegt schief im Wasser. Doch das tut ein rostiges großes Schiff am Ufer auch. Dem Zustand nach steht der Kahn wohl schon Jahrzehnte hier. Als Taubenunterkunft scheint er sich jedoch sehr zu bewähren. Es herrscht reger Flugbetrieb rund um die Luken. Und wenn das Gebüsch an Deck weiterwächst, dann können sie bald auch im Geäst turteln. Doch an Land ist auch schon einiges verfallen. Viele Burgruinen liegen an meiner Strecke. Da wachsen die Bäume auch aus den Fenstern.

 

Mit einer Fähre geht es ruckzuck über einen Meeresarm. Sie pendelt ohne Unterbruch hin und her. Stehzeiten gibt es glaub keine. Bei der Anfahrt hat mir die andere Uferseite mit den bunten Häusern und der grünen Steilküste dahinter gefallen. Und auch, dass sich die wenigen Autos von der Fähre gleich verteilt hatten. Ich hatte da eine Zeit lang den Eindruck, dass ich allein unterwegs bin. Irgendwann zweigte meine Radroute dann auf die Trasse einer ehemaligen Eisenbahn ab. Es geht flach und gerade dahin. Bloß der Wind will nicht recht mitspielen. Er bläst mir stur als Gegenwind ins Gesicht, und macht das Fahren anstrengend. Über eine weite Strecke ist der Damm von hohen Margeriten gesäumt. Einzeln nicht so stark duftend, war es ihrer großen Menge wegen ein Fahren wie durch eine süßliche Wolke. Ich steckte mir eine der Blüten an den Lenker. Doch leicht abreißen ließ sich der kräftige, behaarte Stängel nicht. Dafür freute ich mich, wie die weißen Blüten rund um die große gelbe Mitte im Wind flatterten.

 

17. Juni 2025

Ein Greenway mit neuem Asphalt und ein Landhaus mit Charme

Eigentlich wollte ich heute schon früh los. Aber dann hatte ich mich beim Frühstück etwas verzettelt. Ich war ins Gespräch mit einem Iren und seinem Teenager-Sohn gekommen. Er war als Französischlehrer zur Abnahme von Schulabschlussprüfungen in der Gegend. Bei Cornflakes mit Mandelmilch, Banane und Apfel ging es kurzweilig ums Radfahren und ums Wetter. Ende Mai sei es für zwei Wochen in Irland nämlich wunderbar gewesen. Es hoffen hier alle, dass dies nicht schon der irische Sommer gewesen sei. Denn vom derzeitigen Wetter hätten sie die die Nase ziemlich voll. Ich war ganz baff ob dieser Aussage. Aber beim Blick aus dem Fenster musste ich feststellen, dass es tatsächlich schon wieder leicht regnete. Also hatte ich auch keine große Eile mit Losfahren.

 

Die erste Stunde kurbelte ich dann im Nieseln und in der Regenkombi auf dem Fahrradweg dahin. Es war ein Greenway. Flach und meist geradeaus ging es auf der ehemaligen Eisenbahntrasse dahin. Doch landschaftlich war es gar nicht so uninteressant. Nach einem längeren Tunnel ging es in einer freigesprengten Schlucht weiter. Die Felsen waren stark bemoost und triefend nass. Auf einer großen Talbrücke hatte sich eine Schulklasse mit ihren Fahrrädern rund um den Lehrer versammelt. Er erklärte wohl die frühere Bedeutung der Strecke, und vielleicht auch, wie sie angelegt und gebaut wurde. Mich interessierte jedoch mehr, wann ich denn die Aufhellungen weiter vorne erreiche und meine Regenkombi wieder loswerde.

 

Die Route war lässig zum Fahren. Am Meer entlang roch es zeitweise intensiv nach Fisch. Von gestern hatte ich mehr den Algengeruch in Erinnerung. Irgendwann bog dann mein Weg wieder auf die nächste ausgebaute Teilstrecke des Greenway ein. Die war dem Asphalt und der Beschilderung nach noch nicht so alt. Ganz alt war nur die Unterkunft, die ich zur Nächtigung ausgesucht hatte. Es war ein abgewohntes Landhaus im ländlichen Nirgendwo. Doch das Ambiente war grandios. Eine herrliche Lage an einem Hang inmitten eines kleinen Parks und umgeben von Viehweiden und Farmen. Dazu war es ein sonniger, milder Abend. Die alten Teakmöbel im Garten hielten meinem Gewicht gerade noch stand. Mein hohes Eckzimmer, in cremigem Grünblau gehalten, bot eine fantastische Aussicht. Die Einrichtung war stilvoll und faszinierend. Auch wenn alles renovierungsbedürftig war, so fand ich den Charme des Ballynona Houses in Midleton bezaubernd.

 

18. Juni 2025

Tolle Küste am Wild Atlantic Way

Heute gönnte ich mir unterwegs schon recht bald ein zweites Frühstück. Eine Tankstelle lud zum schnellen Stopp ein. Doch rein und einfach nur ins Regal für ein Sandwich langen funktioniert in Irland für mich nicht. Fertige vegetarische Sandwiches bieten sie keine an. Gibt nur solche mit Ham, Thuna oder Chicken. Doch an der Theke wurde ich freundlich bedient, und konnte es nach meinen Wünschen zusammenstellen. Einen Stapel Paletten als Tisch nutzend schmeckte es in der wärmenden Morgensonne köstlich.

 

Später kam mir beim Fahren zwischen den Steinmauern das Sandwich wieder in den Sinn. Die Mauern das Brot, und ich am Rad die Füllung, war ein kurzer Gedanke. Auf den Feldern wuchs Getreide. Es war noch nieder und hatte ein erfrischend helles Grün. Mit dem Wind in den Halmen waren die Felder wunderbar anzuschauen. Bei einer Hofeinfahrt waren zwei Männer am Arbeiten. Bereitwillig gaben sie mir Auskunft: Es war Flachs, der hier auch noch angebaut wird, und den ich als Pflanze auf den Feldern nicht erkannte. Sicher war ich mir dafür bei den Kartoffeln. Die standen gerade in voller Blüte. Und auf einigen Wiesen waren Traktoren am Mähen. Das freute mich. Denn wenn sie Heu machen wollen, dann könnte das Wetter ja länger so sonnig sein wie heute.

 

In Cork stand ein großes Kreuzfahrtschiff am Kai. Die Britannia Hamilton war unglaubliche neun Stockwerke hoch. Und unten strömten aus zwei kleinen Luken Leute auf schmalen Stegen aus dem Schiff in Richtung der bunten Häuser an der Promenade. Zum Glück war ich da vorher schon durch. Sonst wäre ich wohl im Stau gestanden. Auf den Straßenschildern war meine Route als Wild Atlanticway angeschrieben. Das Meer hatte hier viele Verästelungen und weit ins Land hineinreichende Arme oder Buchten. Oft lagen da Boote wie aufgefädelt an einer Schnur in der Mitte des Wassers. Die größeren waren näher Richtung Meer. Beim Royal Yacht Club waren glaub die schönsten Segelboote. Am Meer draußen waren aber nur vereinzelt Boote zu sehen. Ungefähr gleich viel wie Radfahrer an Land. Dabei zeigte sich die Küste von der schönsten Seite. Gegen den frühen Abend hin gab es satte Farben pur. Und einige Hügel auch. Gut, dass ich mich schon beim Frühstück entsprechend gestärkt hatte.

 

19. Juni 2025

Kettenwechsel in einer Messiwerkstatt

Der Campingplatz lag auf einem Hügel, etwas vom Meer entfernt. Dennoch war das Geräusch der Wellen gut zu hören. Noch besser hörte ich jedoch das Gurren von Tauben. Lange am Abend, und auch schon zeitig in der Früh. Ohne hätte es mir besser gefallen. Und gefreut hätte es mich am Morgen auch, wenn die Sonne länger geblieben wäre. Um sechs Uhr hatte sie das Zelt noch fein gewärmt. Doch beim Abbauen des Zeltes war sie weg. Stattdessen krochen leichte Nebelschwaden über die Hügel, und begleiteten mich auch bis in den Vormittag hinein. Dann wurde es zusehends sonniger und freundlicher.

 

An meiner Route lagen viele Farmhäuser. Vor den Einfahrtstoren waren bei einigen große Kunstdüngersäcke abgestellt. Wahrscheinlich hat ein Lieferant hier auch grad eine Runde gezogen, so wie ich. Und einige Runden zog ich heute auch um lange, schmale Meeresbuchten. Auf der einen Seite rein, und auf der anderen Seite vis-a-vis wieder raus. Je nach Ausrichtung ging meist nur eine Seite flott zu fahren, nämlich die mit Rückenwind. Im Gegenwind tat ich mich etwas schwer. Doch der Wind sorgte auch für wunderbare Eindrücke auf den Feldern, wenn er durch das Getreide blies. Ein Mal schaute ich von einem Hügel gar länger auf einen anderen Hügel. Dort sorgte der Wind im Getreidefeld, dass es wie beim Anrollen von Meereswellen aussah. Herrlich, dieses Wogen der Halme im Wind zu sehen, und die sich dabei  schnell wiederholenden Muster von Wellen. Und herrlich war auch einige Male der Duft von Heu auf ein paar Wiesen. Es lag noch breit ausgebreitet da und wartete aufs weitere Kreiseln.

 

Gestern hatte ich am Nachmittag bei einer Pause eher zufällig mit der Verschleißlehre festgestellt, dass meine Fahrradkette zu erneuern ist. Das wollte ich natürlich gleich in die Tat umsetzen. In einer Kleinstadt mit bunten Häusern entdeckte ich heute eine noch buntere Fahrradwerkstatt. Den Pensionisten-Inhaber hatte ich mit seinem irischen Slang zwar kaum verstanden. Dazu war die Werkstatt auch noch rammelvoll mit wenig-wertigen Rädern und glich einem Messi-Laden. Dennoch ließ ich mich mutig auf die Reparatur ein. Den Wechsel der Kette nahm er auf dem Gehsteig vor dem Laden vor. Drinnen wäre kein Platz dafür gewesen. Eine Zeit lang machten sich beim Zuschauen Zweifel breit, ob es wirklich eine gute Idee von mir war. Doch den Handgriffen nach tat sie der Mann nicht zum ersten Mal, auch wenn alles sehr fahrig und improvisiert wirkte. Aber irgendwann hatte er das Kettenschloss dann zu. Mit aller Kraft trat er aufs Pedal, sodass das Schloss laut knacksend einrastete. Dann schüttelte er mir zufrieden die Hand. Meine war damit gleich schwarz wie seine, als ob ich ebenfalls an der öligen Altkette rumgefummelt hätte. Die Kettenwechsel waren auf meinen bisherigen Touren schon ein paar Mal abenteuerlich. Und der heute bei MTM Cycles in Clonakilty stand dem in nichts nach.

 

20. Juni 2025

Nebel, Farne, und eine Ehrung

Gestern am Abend tat die Aussicht auf die Bucht richtig gut. Herrlich, von einem Hügel runterzuschauen und die Segelboote vor Anker liegen zu sehen. Doch heute Morgen war die ganze Pracht dahin. Es lagen Nebelschwaden überm Meer. Die Boote von gestern wirkten etwas verloren im nebeligen Grau. Oder waren kaum mehr zu sehen. Vielleicht ist dem Schiffswrack in der Mitte der Bucht auch der Nebel zum Verhängnis geworden. Doch seinem Zustand nach muss das schon vor langer Zeit gewesen sein. Und es wird wohl noch länger hierbleiben als ich.

 

Mich zog es trotz des Nebels weiter. Bei einem Haus war eine Frau gerade dabei, Wäsche auf die Leine in ihrem Garten aufzuhängen. Also wird die Aussicht auf Wetterbesserung wohl nicht so schlecht sein, ging es mir durch den Kopf. Oder sie hängt die Wäsche nur zum Aus- oder Einnebeln auf. An den Böschungen der Straße waren jetzt neben den Dornenranken vermehrt Farne zu sehen. Groß und prächtig schossen sie in die Höhe und zierten die schmalen Wege. Auf der Karte waren vor der Halbinsel noch viele kleine Inseln eingetragen. Doch zu sehen waren sie im Nebel nicht. Er hielt den Vormittag über an, wenn auch nicht mehr so dicht. Bei einer Flussmündung war nahe zum Meer eine Kirchenruine mit Friedhof. Die Anlage stammt aus dem 11. Jahrhundert, konnte ich auf einer Tafel lesen. Und dass Generationen von Angehörigen gleicher Familien hier über Jahrhunderte hin begraben wurden.

 

Je länger mein Radtag dauerte, desto einsamer wurde die Gegend. Unterwegs im Nirgendwo. Ein paar Farmen gab es, mit rostigen Blechdächern und verfallenden Schuppen. Doch ich kam auch immer wieder an einzelnstehenden Häusern vorbei, meist mit schönem Blick auf eine Bucht oder mit einer Lage auf einem Hang mit Rundumsicht. Das Wetter wurde gegen den Nachmittag hin noch richtig schön. Und die Pracht der Farne kam ebenso mehr zur Geltung. Das Gelände war jetzt felsiger. Von Steinmauern gesäumte Felder und Wiesen waren nur noch vereinzelt zu sehen. Es kam mir rauer vor. Der Ausdruck vom Wild Atlantic Way kam mir hier stimmig vor. Am Zeltplatz wurde ich herzlich begrüßt, gar als Champion des Jahres angesprochen. Mit einer so weiten Anreise sei heuer noch niemand hier gewesen.

 

21. Juni 2025

Ein kleiner Pass als Übergang zwischen Meeresarmen

Bei stark bewölktem Himmel starte ich los. Auf der Straße bin ich in der Früh noch allein. Nur in der Bucht fährt ein Boot Richtung Austernfarm. Sonst ist alles ruhig. Auch das Meer ist ganz ruhig. Es gibt nicht mal den Ansatz von Wellen. Dies scheint auch einer kleinen Kuhherde auf einer zum Meer angrenzenden Wiese zu gefallen. Kollektives meditatives Wiederkäuen, ist mein Eindruck im Vorbeifahren. Ob die Milch aus dieser Region wohl anders schmeckt, wenn die Kühe einen zufriedenen Eindruck machen und auf einem wunderbaren Flecken weiden?

 

Am Vormittag stand eine kleine Bergwertung am Programm. Das Fahren rauf auf den Goat Path auf der Schafskopfhalbinsel hat sich zumindest so angefühlt. Und landschaftlich auch so ausgesehen, auch wenn es nicht sehr viele Höhenmeter waren. Auf der anderen Seite des Passes ist die Straße rund um die Bauernhöfe mit Kuhfladen gepflastert. Slalomfahren war angesagt. Einen großen Feldhasen habe ich heute auch gesehen. Und er mich auch. Er war aus einer Hecke auf die Straße gehoppelt und hat dort kurz verweilt. Doch als er mich wahrgenommen hat, ist er äußerst rasant wieder ins Gebüsch verschwunden. Unglaublich, wie schnell er beschleunigen konnte.

 

Leider war das Wetter nicht mehr so gut wie gestern. Die dunklen Wolken wollten nicht weichen. Sie hüllten die Berge fast bis auf Meereshöhe ein. Und irgendwann begann es dann auch leicht zu regnen. Die Regenkombi hatte ich eher missmutig angezogen. Ich war noch auf das gestrige Wetter eingestellt. Da war das Fahren angenehmer, und das Landschaft-Schauen auch. Doch vielleicht hat es mit dem Ferienbeginn in Irland zu tun. Schön bis zum letzten Schultag, und dann die Eintrübung für die Ferienzeit.

 

22. Juni 2025

Lässiges Fahren auf kurviger Küstenstraße

Der Wetterbericht hatte für heute keine guten Nachrichten. Wahrscheinlich Regen. Doch am Morgen war es nur stark bewölkt. Dafür wehte mir böiger Wind entgegen. Die Berge waren in Wolken eingehüllt, die Straße hie und da etwas holprig. Wild Atlantic Way ist angeschrieben. Und irgendwie schaut es rundum auch etwas wild aus. Die Traktoren sind hier in blau von New Holland. Mir kommt ein recht großer schaukelnd entgegen. Hinten dran hat er einen Kreiselschwader. Keine Ahnung, wo er damit hinfährt oder herkommt. Denn im Gelände sind auf den ersten Blick nur Felsen und Farne auszumachen. Aber ein paar hellgrüne Farbtupfer gibt es manchmal schon. Das sind dann die von Steinen und Felsen freigeräumten kleinen Wiesen an den Hängen oder Talböden. Öfters finden sich auch zwei oder drei nebeneinander. Ein Busfahrer winkt mir freundlich zu. Wenn seine Anzeige stimmt, dann fährt er ein Stück weit meine Route bis zur Südspitze der Halbinsel.

 

Irgendwann auf einem Hügel ist ein buddhistisches Meditationszentrum angeschrieben. Dzogchen Beara. Vom Wind umweht trifft hier der Geist des Ostens auf die atlantischen Wellen aus dem Westen, geht es mir durch den Kopf. Und beim Passieren der Zugangsstraße muss ich schmunzeln. Denn dort ist bei der Ausfahrt dreisprachig „drive left“ zu lesen. Eh klar, aus dem Nirwana kommend gilt es die elementaren Regeln des hiesigen Straßenverkehrs wieder aufzufrischen. Unweit später bricht eine Farm die Stille. Aus dem Kuhstall dröhnt laute Radiomusik.

 

Früher wurde hier an der Küste Kupfer abgebaut. Ein Museum liegt an der Straße. Das kleine Dorf gefällt mir. Es hat bunte Häuser. Solche Farbtupfer in der heute sonst grauen Landschaft fallen angenehm auf. Und das weitere Fahren entlang der Küste gefällt mir noch besser. Feinste Sahne. Schmal, kurvig, einige Steigungen, rasante Abfahrten, kleine Wellen die einem mitschwingen lassen. Ich fahre mit einem breiten Grinser. Dies macht auch Daniel, ein junger Ire aus Dublin. Er fährt übers Wochenende einen Teil meiner Strecke. In einem kleinen Café machen wir beide Rast. Uns hat Regen überrascht, und auch eine Zeit lang begleitet. Zum Glück war es nur eine Front, die woanders hingezogen ist. Auf meiner Strecke war es gegen Abend hin sogar sonnig. Lässiger Tag, fällt mir beim Schreiben des Tagebuches ein, auch weil es noch eine superfeine Pizza bei Boxed in Kenmare gab.

 

23. Juni 2025

Beeindruckende Halbinsel Kerry

Zu meiner Freude zeigt sich der Morgen ganz freundlich. Sogar die Sonne traut sich zeitweise hervor. Zwischen den Wolken gibt es ein paar zartblaue Flecken. Ich bin auf der Halbinsel Kerry unterwegs, und fahre anfangs mehr landeinwärts denn an der Küste entlang. Bewaldete Hügel und Windrauschen in den Bäumen. Vögel sind manchmal auch zu hören, und Schafe sowieso. Zwischen den Dornenhecken und seitlichen Büschen zeigen Fuchsien und Glockenblumen ihre satten Farben. Schon ein oder zwei genügen, um meine Blicke anzuziehen, weil sie sich stark vom Grün rundum abheben.

 

Auf meiner Route ist niemand unterwegs. Die Straße ist sehr schmal und führt über einen kleinen Pass. Der Anstieg ist kurvig und in der Steigung angenehm. Es gefällt mir. Kleine Bäche sind zu sehen, oder überraschen mich unerwartet mit ihrem Gurgeln. Verstreut entdecke ich Schafe zwischen den Farnen und den Steinen, oder auf Felsen über mir. Alle sind farblich markiert. Es ist ein hellblauer und ein oranger Strich quer über den Rücken. Zur Orientierung für die Radfahrer ist die Entfernung zur Passhöhe und die jeweilige Steigung des Abschnittes auf einer Tafel angeschrieben. Ich merke, dass 10 Prozent anstrengender sind als 4,8 Prozent. Doch ich komme gut hoch. Oben erwartet mich heftiger Wind. Bei der Pinkelpause wird mein Strahl meterweit zerstäubt. Für die Abfahrt ziehe ich gerne meine Windjacke an, und mein Hals- und Kopftuch natürlich auch. Das Fahren auf der weiten Ebene unten, umgeben von Bergen, war dann purer Genuss. Herrlich, mein Gefühl in dieser Landschaft. Nur der Gegenwind trübte etwas die Freude.

 

Irgendwann sehe ich einen Mann, wie er über das Zaungatter hinweg zwei Lämmer mit der Flasche füttert. Ich bleibe stehen und schaue zu, und komme auch ins Gespräch. William, der Schafbauer ist sehr redselig. Sofort ist das Thema bei den schlechten Bedingungen für die Farmer. Die irische Regierung und natürlich auch die EU würden mit ihren steuerrechtlichen und sonstigen Plänen dafür sorgen, dass sich die Schafzucht hier nicht mehr rentiert. Er zeichnet eher ein düsteres Bild für sein Land und meint, es gehe abwärts. Doch ein paar Tipps zu schönen Plätzen auf meiner Route gibt er mir bereitwillig dann schon. Und auch die Warnung, dass die nächste Steigung auf meinem Weg happig sein werde. Sie hochzukurbeln hat sich aber rentiert. Denn danach komme ich an den Cliffs of Kerry vorbei, die wirklich beeindrucken. Fast 300 Meter hohe, zerklüftete Steilküste mit starker Meeresbrandung und einem wunderbaren Blick auf die Inseln davor. Trotz Zaun traute ich mich nur sehr vorsichtig an den Rand. Die große Höhe und das Tosen des Meeres unten rangen mir Respekt ab. Schade, dass sich die Sonne nur kurz am Morgen zeigte. Doch vielleicht wären dann das Hochland und die Cliffs of Kerry zu kitschig schön rübergekommen.

 

24. Juni 2025

Ein Sauwetter mit Nebel und Wind

Beim morgendlichen Check des Wetters hätte ich mich am liebsten wieder unter der Bettdecke verkrochen. Es gab nämlich Nebel und Nieseln, und dazu böiger Wind. Doch die Unterkunft war nicht so, dass ich da lange bleiben wollte. Also zog ich den Kragen der Windjacke hoch, und stellte mich auf einen herausfordernden Tag ein. Schon nach den ersten paar Kilometern wechselte ich in die Regenkombi. Das Nieseln nahm zu und der Nebel auch. Das Naturjuwel Valentia Island zeigte sich abweisend. Die spektakuläre Küste verlor sich im nebeligen Grau. Als ich zu einem Hinweisschild und zur Abbiegung zum höchsten Punkt der Insel kam, behielt ich meine Route bei. Ich konnte das Versprechen mit grandioser Rundumsicht nicht glauben. Nichts im Nebel sehen, davon gab es bei mir auf der Straße schon genug. Also sparte ich mir die paar zusätzlichen Höhenmeter.

 

Auf der Fähre meinte die Mitarbeiterin mit dem Kartenlesegerät, dass es nicht gerade das beste Wetter zum Radeln sei. Sie selbst hatte die Kapuze aber auch schon hochgeschlagen, und ihr Halstuch weit hochgezogen. Nach der kurzen Überfahrt fuhr ich in einer ähnlichen Aufmachung wie sie weiter. Zu meinem Glück hatte ich Rückenwind. Irgendwie finde ich immer einen mentalen Anker, dass ich die Bedingungen so nehmen kann wie sie halt sind. Lustig fand ich, dass auf einer Wiese alle Schafe ihre Köpfe in die gleiche Richtung hielten, und das Hinterteil in den Wind mit dem Regen zeigte. Regen von vorne mögen sie demnach auch nicht. Auf den schmalen Nebenstraßen waren auch öfters Hasen zu sehen. Offensichtlich zogen sie den nassen Asphalt dem nassen Gras vor. Hie und da führte meine Route für kurze Teilstücke auf der Hauptstraße lang. Da begegneten mir einige Busse, und bei den Aussichtspunkten noch mehr. Nebel schauen war heute das Programm der Busreisenden, gleich wie meines. Der Küstenzauber spielt sich auch hier wohl nur bei Schönwetter ab.

 

Und wie schon öfters kam ich an Hinweisschildern mit „Japaneese knotweed, do not cut“ vorbei, mit einem durchgestrichenen Symbol eines böschungsmähenden Traktors. Abends hatte ich dann die Sache recherchiert: Der Staudenknöterich ist in Europa eine unerwünschte invasive Pflanze. Wenn man die schon vorhandenen in Ruhe lässt, vermehren sie sich nicht weiter. Doch mit jedem Schlegelschnitt würden tausende neue Pflanzen entstehen und sich im Umfeld weiter massiv ausbreiten. Nichts machen ist in Irland also das Programm zur Eindämmung. Beim Regen funktionierte das nichts machen aber jedenfalls nicht. Das starke Nieseln hielt nämlich den ganzen Tag über an. Insgesamt drei Mal hatte ich heute Tankstellen zum Unterstehen und Aufwärmen aufgesucht. Meist lächelten sie an der Kassa milde, wenn ich in meiner nassen Montur auftauchte. „It’s not so bad“ konnte ich auch hören. Denn nur Nieselregen zählt offensichtlich nicht als wirklicher Regen. Ich empfand ihn aber dennoch als Sauwetter, auch wenn sich vor dem Einnachten blaue Fenster am Himmel zeigten.

 

25. Juni 2025

Den zweithöchsten Pass Irlands geknackt

Mit Freude stelle ich nach dem Aufwachen fest, dass ich den gestrigen Tag gut überstanden hatte. Keine Nachwehen wie eine Erkältung. Also kann ich es auch heute wieder wagen. Der Blick aus dem Fenster lässt mich die trockene Regenkombi fein säuberlich zusammenlegen. Es schaut draußen ganz gut aus. Doch noch bevor ich alles verstauen konnte, höre ich es am Vordach tröpfeln. Mein Elan ist damit vorerst gedämpft. Zuwarten lautet die Devise. Und mit einem etwas späteren Start bringe ich zumindest die ersten zehn Kilometer dann trocken hinter mich. Danach kommt jedoch eine Regenfront schnell die weite Bucht hereingezogen. Aber auch ich bin schnell. Die Regenkombi habe ich ruckzuck an.

 

Meine Laune hat die Wetteränderung nicht beeinträchtigt. Mir sind nämlich die Sprüche der Iren von gestern eingefallen: It’s not so bad. Es schüttet ja nicht volle Kanne, also kann es gar kein richtiger Regen sein. Mit dieser mentalen Hilfe ging es ganz gut vorwärts. Und nach etwas mehr als einer Stunde war der Regenzauber dann ohnedies wieder vorbei. Es folgte zwar kein Schönwetter, doch zum Fahren waren es passable, trockene Bedingungen. In Dingle gönnte ich mir das in den letzten Tagen zum Standard gewordene Mittagsmenü: Ein Sandwich-Baguette mit Füllung von der warmen Theke. Heute waren es Käse, Spiegeleier, Pilze, und Tomaten. Und dazu eine Tüte Potato-Wedges und eine Limonade. Zeitgerecht wärmte gar die Sonne meinen Sitzplatz auf einer Mauer mit Blick aufs Meer.

 

Im folgenden Aufstieg auf den Connor-Pass zogen Nebel auf. Mit 450 Meter Höhe ist er der zweithöchste Pass Irlands. Doch die Steigung war moderat. Er war gut zu fahren, und die Aussicht oben nach beiden Seiten trotz der Nebelfetzen beeindruckend. Lange hielt ich mich am Pass aber nicht auf. Der Wind blies kräftig. Ich hatte gar Mühe, in den Ärmel der Windjacke hineinzuschlüpfen, oder beim Öffnen der Lenkertasche meine Sachen zusammenzuhalten. Die Abfahrt zog sich dann auf schmaler Straße lang den Hang entlang, und hat mir gefallen. Nur der Wasserfall am Weg war nicht so spektakulär wie in Prospekten gelobt. Doch im oberen Teil der Abfahrt musste ich mich ohnedies sehr auf die Straße konzentrieren. Sie kam mir etwas rutschig vor. Auf dem Nebenweg unten auf Meereshöhe war es dann ein entspanntes Gleiten entlang von grünen Weiden, mit Blick auf Buchten und die von Nebel und Nieselschauern eingehüllten Bergflanken. Der Tag war ganz ok, denk ich mir am Abend.

 

26. Juni 2025

Am Limerick Greenway Kilometer machen

Unglaublich, es scheint am Morgen tatsächlich die Sonne zum Fenster herein. Dass es so etwas geben kann, hatte ich fast schon vergessen. Also genoss ich es, und startete früh los. In einer etwas längeren Steigung wird mir im Pullover recht warm. Beim Verstauen in der Packtasche gibt es eine unangenehme Überraschung: Die Verpackung des gestern schon als Jause für unterwegs gekauften Nudelsalats war nicht dicht. Etwas Sauce hatte sich in der Tasche verteilt. Gut, dass ich es noch früh genug entdeckt hatte. Und weil ich vor einer Hauseinfahrt stand, hatte mich der dortige Wachhund auch gleich entdeckt. Neugierig schaute er mir zu, wieso ich denn so lange in der Tasche rumfummle.

 

Die noch tiefstehende Sonne lässt die Windräder an einem Hügelzug funkeln. Wie an einer Kette aufgefädelt zieren sie den Höhenkamm und glänzen um die Wette. Doch es ist nicht von langer Dauer. Wolken machen sich hinter mir bemerkbar, und treiben mich gleichzeitig an. Denn in meiner Fahrtrichtung vorne schaut es weiter hell aus. Den Pfützen der Straße nach dürfte es hier am frühen Morgen noch geregnet haben. Doch das wechselhafte Wetter mit viel Nass scheint gut für Kartoffelpflanzen zu sein. Bei einem großen Feld stehen sie üppig im Kraut und blühen. Die einzelnen Reihen sind nicht auszumachen, so dicht ist das Grün der Pflanzen.

 

Irgendwann geht meine Route dann in den Limerick Greenway über. Mit Rückenwind düse ich flott auf der flachen Piste dahin. Kilometer machen geht hier ganz leicht. Der Asphalt ist neuwertig und glatt. Bei den Viehübergängen muss ich hie und da aufpassen, dass ich den Kuhfladen ausweichen kann. Rund um ein paar Ortschaften entlang des Weges sind auch immer wieder Fußgänger anzutreffen. Einige tragen Schirme mit sich. Aha, denk ich mir, die kennen sich hier aus und wissen, wie schnell einem der Regen überraschen kann. Ein paar Tropfen bekomme ich dann tatsächlich auch ab. Doch weil ich vom Wind angeschoben am Greenway gut vorankam, habe ich Limerick noch vor dem abendlichen Dauerregen erreicht. Der Atlantik sorgt hier verlässlich für regelmäßigen Nachschub. Die Schlagzeilen von daheim mit Hitzesommer kommen mir wie von einer anderen Welt vor.

 

27. Juni 2025

Angenehmes Fahren durch unspektakuläre Landschaft

Statt am Morgen gleich loszufahren, bin ich mit der Reparatur des Hinterrades beschäftigt. Der Reifen war platt. Offensichtlich hatte ich mir gestern irgendwo einen kleinen Einstich eingefahren. Also Fahrrad auf den Kopf, Hinterrad raus, Reifen runter, Schlauch raus, Flicken drauf, Schlauch rein, Reifen einschmieren, montieren, pumpen, Hinterrad rein, Fahrrad aufstellen, und dann endlich los. Ich verlasse die Stadt entlang des Shannon Rivers. Schon bald ist Galway als nächste große Stadt angeschrieben. Wenn ich die kürzeste Strecke wähle, könnte ich sie heute noch erreichen. Doch auf meiner Route entlang der Küste ist die Strecke gleich vier Mal so lang. Es zieht sich also noch bis Galway.

 

Das Fahren gefällt mir ganz gut. Es gibt landschaftlich zwar keine besonderen Highlights. Doch auf dem schmalen, meist einspurigen, kurvigen Weg durch sanfte Hügel und ohne Verkehr habe ich meine Freude. Ein längerer Anstieg ist auch dabei. Und die Abfahrt durch einen lichten Wald und kupierte Wiesen erste Sahne. Ich mag es, wenn ich wiederholt über Kuppen Schwung holen kann, in Senken eintauchen, und dann gleich wieder mit Elan hoch zur nächsten Kuppe, am besten noch mit ein paar überschaubaren Kurven dazwischen, und mit wenig Pedalieren. Viele Häuser haben kleine Fahnen gehisst. Gestern waren sie grün-weiß, heute sind sie blau gelb. Die Farben stehen für die unterschiedlichen Regionen hier. Manche haben kleine Wimpel auch an den Autofenstern angebracht. Das kommt mir etwas komisch vor.

 

Über eine längere Strecke ist die Straße frisch geteert. Die Autos wirbeln bei schneller Fahrt leicht die losen Kieselsteine hoch. Auch ich muss etwas vorsichtiger fahren. Auf den Wiesen sind heute immer wieder Pferde zu sehen, mehr als sonst. Bei einer stürmen zwei Pferde im vollen Galopp auf mich zu. Am Gatter schnauben sie aufgeregt, und düsen, ihre Hinterbeine verwerfend, gleich wieder für eine Runde los. Herrlich, ihnen zuzuschauen und ihre Energie zu spüren. Das Land entlang des Shannon Rivers vermittelt einem einen Eindruck von Weite. Vielleicht auch, weil es weniger Steinmauern im Gelände gibt. Die Siloballen sind jedoch wie überall in schwarz. Eine schaut der anderen gleich. Bei einer Wiese unmittelbar am Fluss liegen sie noch verstreut herum und wurden nicht eingesammelt. Das neue Gras steht schon fast gleich hoch wie die schwarzen Ballen. Beeindruckend war am Nachmittag eine ganz und gar schlammige Bucht mit dem Rinnsal eines Baches als Zufluss, der sich den Weg in die Strömung weit draußen sichtlich suchen musste. Regen war heute natürlich auch dabei. Eine Front erwischte mich mittags, und die zweite dann am späten Nachmittag. Ob des kurzweiligen Fahrens über eine längere Strecke hat mir der Tag dennoch gut gefallen.

 

28. Juni 2025

Küstenradeln in der Regenkombi

Unglaublich, wie schnell eine Regenfront daherkommen kann. Beim Aufstehen schaute es noch ganz passabel aus. Doch als ich mich zum Losfahren bereit mache, setzt Regen ein. Die weite Bucht und Flussmündung des Shannon Rivers ist nicht mehr zu sehen. Ich verziehe mich rasch wieder in meine Hütte. Ich war auf einem Glamping-Platz. Geschlafen hatte ich gut, doch die Anlage machte einen reichlich schwindligen Eindruck. Als der Regen nach einiger Zeit in ein Nieseln überging, traute ich mich in der Regenkombi dann aufs Rad. Etwas mehr war von der Bucht jetzt auch zu sehen.

 

Meine Route führte mich auf eine langgezogene, schmale, zu einer Spitze auslaufenden Halbinsel. Bei der Abzweigung konnte ich die Hauptstraße und den vielen Verkehr verlassen, und gleichzeitig auch meine Regenkombi wieder ausziehen. Ohne sie und ohne Regen fuhr es sich gleich befreiter. Auf einem Feld bringt ein Traktor Gülle aus. Die Pumpe ist schon weit davor zu hören. Und von einem Hügel ist die Fahrspur des Traktors gut zu sehen. Er muss wohl noch ein paar Mal zurück zum Hof und nachtanken, falls er sein ganzes Feld düngen will. In der weiten Bucht liegt ein langer Kahn vor Anker. Große Schiffe sind nur draußen auf dem Meer auszumachen. Und auf den Dächern der mich überholenden Autos. Jedes zweite hat ein langes Seekajak geladen. Während ich dem Nass eher ausweiche, haben andere wieder Freude daran, und suchen es.

 

Irgendwann stoße ich in einer Ortschaft auf eine Veranstaltung. Ein Triathlon ist im Gange. Die Straße ist teilweise für die gerade daher rauschenden Radfahrer gesperrt. Die Streckenposten sind beim Winken mit ihren roten Fahnen mindestens ebenso eifrig dabei wie die Rennradler. Zu mir meinten sie, dass ich in der falschen Richtung am Weg sei. Doch ich war mir meiner Route sicher. Vor bis zum Leuchtturm, und auf der anderen Seite der langen Halbinsel mit Rückenwind wieder zurück. Doch mit dem Wind kam auch Regen auf. Die Pracht der schönen Klippen ging im Regen unter, und ich in ihm ebenso. Die Stadt erreichte ich natürlich später als die Triathleten. Doch einen von ihnen traf ich noch in einer Pizzeria, wo ich zum Trocknen und Aufwärmen Halt machte. Es war Phil, ein junger Ire aus Cork, der begeistert von seinen Urlauben erzählte, und sich dann auch intensiv für meine Radtouren interessierte. Es war eine feine Pizza, und auch ein feiner Austausch mit ihm. Lang genug, dass ich gar bei wieder aufklarendem Himmel weiterfahren konnte. Es wurde dann aber auch noch ein langer Abend am Rad. Der angestrebte nahe Campingplatz war nämlich voll. Und das Suchen eines mir passenden Platzes zum Wildcampen irgendwo außerhalb dauerte ewig.

 

29. Juni 2025

Spektakuläre Klippenlandschaft zum Staunen

Gestern musste ich lange suchen, bis ich endlich einen geeigneten Platz zum Zelten fand. Entweder waren die Wiesen alle total nass, oder lagen zu nahe an irgendwelchen Höfen oder Häusern. Mein Zelt aufgeschlagen hatte ich dann auf einem neu angelegten, steinigen Forstweg, der wohl auch zugleich Zufahrt zu etwas entfernten Windrädern war. Rundum schaute es ziemlich wild aus, und der Boden neben dem Weg war morastig. Doch weil sich sonst nichts finden ließ, passte mir dieser Platz. Und einem Auerhahn auch. Ihn konnte ich am Morgen hören und sehen. Sonst war von der Landschaft eher wenig zu sehen. Die Rotoren der Windräder versteckten sich im Hochnebel.

 

Der Weg am späteren Morgen war dann kitschig schön zum Fahren. Auf schmalem Weg ging es zwischen Steinmauern kurvig und wellig dahin. Weil recht lang leicht abwärts fahrend waren die raschen Kurvenwechsel und das Mitschwingen mit den Wellen zum Juchzen. Irgendwann gelangte ich am Meer dann jedoch wieder auf die Hauptstraße, wo mich auffallend viele Reisebusse überholten. Ich traf sie alle nicht viel später bei einem großen Parkplatz. Fast dreißig konnte ich dort zählen. Es war der Zugang zu den Cliffs of Moher. Da musste ich natürlich auch hin. Spektakulär und zum Staunen zeigen sich da die senkrecht aus dem Meer aufsteigenden Felsen. Tosende Brandung und Gischt unten, und oben eine Flut an Menschen. Beim Visitor Centre meinte eine Frau vom Ordnungsdienst, dass es erst Mittag sei, und die Massen erst kommen würden.

 

Mit war es Getümmel genug. Ich fuhr nordwärts weiter, und ging dann auf einem Trampelpfad am Meer entlang eine kurze Strecke Richtung Moher-Klippen zurück. Weil zwischenzeitlich für einige Zeit Sonne aufkam, war auch dieser Küstenteil beeindruckend. Kurze Hose, kurzes Shirt, Fotoapparat und Brandungsmusik. Herrlich. Zwar nicht zweihundert Meter überm Meer und nicht immer senkrecht abfallend, dafür fast nur für mich allein. Beim Weiterfahren dachte ich mir, dass mich gestern die Kilkee Cliffs auf der Loop Head-Halbinsel ebenso beeindruckten, wenn ich sie auch nur im Regen bewundern konnte. Dieser Teil der irischen Küste ist wirklich spektakulär, und mit dem passenden Wetter grandios.

 

30. Juni 2025

Pausentag des Wetters wegen

Der irische Summer lädt zum Faulenzen und Füße hochlagern ein. Wieder zieht mal eine breite Regenfront übers Land und meine Route. Solche Bedingungen locken mich nicht nach draußen. Doch zum Jammern ist es nicht. Gestern war es ja kurz herrlich sonnig. Und morgen sollte es laut Wetterbericht auch wieder besser sein. Also Pause für heute, und keine Kilometer am Rad.

 

1. Juli 2025

Unterwegs im Burren Nationalpark

Nach dem gestrigen Regentag freute ich mich am Morgen sehr, als sich blauer Himmel zeigte. Mit Sonne zu radeln, macht eindeutig mehr Spaß. Doch lang war sie nicht zu sehen. Sie versteckte sich bald wieder hinter grauen Wolken. Doch dass die Straßen trocken waren, war schon mal ein gutes Zeichen. Das hohe Gras in den Wiesen und im schmalen Seitenstreifen war dafür triefend nass. Wenn ich mit den Waden anstreifte, war die Nässe auch zu spüren.

 

Ich war Richtung Burren Nationalpark am Weg. Die Straße hatte ich für mich allein. Nur gelegentlich kam mir ein Auto entgegen, meist freundlich winkend, oder auch in Ausweichbuchten auf mich wartend. Es gab nur etwas Wind, und sonst war es ganz ruhig. Eine einsame Gegend mit Anfang noch etwas Wald. Doch irgendwann zeigten sich nur noch Steine. Dennoch war etwas Grün dazwischen, und öfters gab es auch niedere Haselnusssträucher. Nach dem Anstieg auf eine Arte Hochebene tat sich ein weiter Blick auf das Meer und die Küste auf. Die Steinmauern waren hier größer als anderswo. Kein Wunder, es gab ja genug Steine rundum. Und ich hatte den Eindruck, als ob sie auch kunstvoller geschlichtet waren. Die eine oder andere war eine Pracht zum Anschauen. Manchmal gab es auch größere Felder. Dann zogen sich die Steinmauern über die Hügel hin. Doch zumeist waren es eher klein abgegrenzte, unebene Wiesen, auf denen die Steine mehr Fläche einzunehmen schienen als das Gras. Tiere waren kaum zu sehen. Eine karge Landschaft jedenfalls, doch beeindruckend in ihrer ganz eigenen Ausstrahlung.

 

Näher zu Galway nahm dann der Verkehr zu. Doch meine Abschnitte auf der Hauptstraße waren nur ganz kurz. Ich blieb auf der Radroute des Wild Atlantic Ways, und musste sie bloß gelegentlich queren. In der Stadt selbst zeigte sich dann ein großer Kontrast zum Land oder zum Park davor. Emsiges Treiben, Kreisverkehre und Stop and Go-Verkehr statt Stille und feines, kurviges Radeln allein in der Natur. Dafür kam die Sonne jetzt durch. Der Campingplatz hatte gepflegten Rasen. Steine gab es hier keine. Die Zeltheringe versanken fast wie von selbst in der Erde, begleitet vom Gekreische der Möwen und dem Lärm eines Rasentraktors.